108. Kapitel – Frohes neues Jahr!

Anatol, Elie und ich wünschen Euch ein glückliches neues Jahr, in dem alle Eure Wünsche in Erfüllung gehen mögen!

Wie feiern wir? Die Butler versuchen gerade verzweifelt, auf dem Balkon ein paar Wunderkerzen zu zünden; dies ist bisher leider nicht gelungen.

Ansonsten ist Silvester dieses Jahr recht unspektakulär – anders als letztes Jahr, wo die beiden Spitzbuben wegen illegalen Sprengstoffbesitzes von der Polizei aufgegriffen und festgenommen worden waren.

Gleich werden wir auf 2015 anstoßen. Prost Neujahr!

Eben ruft Anatol mich auf den Balkon – die Wunderkerzen haben nun endlich „gezündet“ – die Butler sind selig!

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107. Kapitel – 2015 wird minimalistisch!

Anatol ist vollkommen aus dem Häuschen. Beim Surfen im Netz hat er einen neuen Blog gefunden, der sich mit Minimalismus beschäftigt: Einfach bewusst. Anatol ist begeistert.

Ich runzle die Stirn. „Anatol, solche Blogs gibt es doch wie Sand am Meer. Was ist an diesem denn so besonders?“

„Das ist ein veganer minimalistischer Blog! Bisher habe ich noch nie so einen gefunden – zumindest erinnere ich mich nicht. Endlich mal jemand, der nicht nur Esoterik-Tipps zum Entrümpeln gibt, sondern auch für Tierschutz eintritt!“

Ich bin in der Tat verblüfft. Der „Einfach bewusst-Blog“ spricht auch mir aus der Seele. Letztens hatte ich mich wieder einmal dabei ertappt, wie ich mir wünschte, ein Erdrutsch oder welche (ansonsten harmlose) Naturgewalt auch immer möge unseren gesamten Krempel verschlingen … und dabei selbstverständich Katzen, Saurier und mich verschonen.

Dementsprechend hat es mir insbesondere dieser Beitrag angetan: 25 weitere Tipps, wie Du minimalistischer leben kannst. Diese Ratschläge wollen Anatol, Elie und ich im kommenden Jahr umsetzen – und so Widerstand leisten gegen die Konsumgesellschaft, die uns umgibt.

Ein zentraler Punkt, wenn nicht gar Dreh- und Angelpunkt unserer Gesellschaft ist es, unermüdlich mehr und mehr Dinge anzuhäufen. „Ich habe, also bin ich“ ist der Wahlspruch des modernen Menschen. Anatol, Elie und mir ist das Ansammeln von Sachen ein Gräuel. Wir würden gern so vieles loswerden! Eine unerwünschte Nebenwirkung unserer Überflussgesellschaft – dass wir uns weniger wünschen?

Früher hatten die Menschen nicht viel und oft nicht einmal genug vom Lebensnotwendigen … wir hingegen ersticken im Zuviel des Überflüssigen. Die meisten Sachen, die ich habe, brauche ich im Grunde gar nicht. Für mich und die Saurier würde eine hübsche – und möglichst leere – Ein-Zimmer-Wohnung ausreichen (hier würden indessen die Katzen streiken).

Oft schon habe ich mich gefragt, warum ich mich so gern von all den Dingen trennen würde, die ich im Laufe der Jahre angesammelt habe – muss es doch gute Gründe dafür gegeben haben, diese Sachen anzuschaffen. Viele der Dinge sind nützlich – warum will ich sie loswerden? Hier fällt mir mein erstes Studentenzimmer in Gießen ein. Es gab darin nur ein Bett, einen kleinen Schrank, ein Regal und meinen Schreibtisch. In diesem Zimmer hatte ich alles, was ich brauchte – vor allem aber: eine offene Zukunft. Mein Leben war damals ein weisses Blatt – nun ist es ein zugestellter, voller Raum.

Natürlich werde ich nie wieder 19 sein und die selbe unbeschriebene Zukunft haben wie damals. Das ist nicht schlimm.  Angehäuften Ballast abwerfen zu können, das Gefühl zu haben, nur das Notwendige zu besitzen und frei zu sein: das ist dennoch eine phantastische Aussicht.

Gerade Weihnachten und Geburtstage sind kritische Momente im Leben eines Minimalisten. Wohlmeinende Mitmenschen setzen ihren Ehrgeiz daran, uns mit Dingen zu versorgen, die wir nicht brauchen – und die wir nicht unterbringen können. Echte Freunde erkenne ich daran, dass sie mir entweder gar nichts schenken oder nur ganz „kleine“ Dinge – insbesondere solche, die mich für den Moment erfreuen, sich von selbst „verbrauchen“ und eine schöne Erinnerung hinterlassen. So ein herrliches Geschenk hat Uyen mir dieses Weihnachten gemacht: zwei köstliche Marmeladen und einen ebensolchen Dattel-Essig.

Wie erreichen wir diese Wunschvorstellung – freie, lichte Räume, die Platz für die Zukunft lassen …? Welche der Tipps von „Einfach bewusst“ wollen wir zuerst realisieren?

Anatol hüpft aufgeregt hin und her. „Der tollste Tipp ist Tipp Nr. 3: „Trenne Dich einen Monat lang täglich von zehn Dingen. Wenn Du das Experiment verlängerst, hast Du nach anderthalb Jahren 5.555 Dinge verkauft, verschenkt, gespendet und entsorgt“.

Ich räuspere mich. „Anatol, zehn Dinge am Tag sind sehr viel… vielleicht fangen wir mal mit zwei, nun gut: drei Dingen pro Tag an…?“ Dass die Butler in meiner Abwesenheit mir liebgewonnene Dinge entsorgen, bereitet mir doch Bauchschmerzen.

Anatol ist damit sichtlich nicht einverstanden – ich setze mich jedoch durch und stelle die folgenden Entrümpelungsregeln auf:

  • Regel Nr. 1: es wird nichts entsorgt, wenn ich nicht da bin.
  • Regel Nr. 2: wir streben an, pro Tag 1-5 Dinge zu entsorgen (insbesondere zu spenden).
  • Regel Nr. 3: es wird nur noch das Nötigste angeschafft.
  • Regel Nr. 4: vom 1. Januar 2015 an wird ein dreimonatiger Kaufstopp für alles, was nicht lebenswichtig ist, verhängt.

Heimlich denke ich ‚Wie gut, dass ich gerade heute die neue Teekanne bestellt und auch bereits bezahlt habe…‘ Denn selbstverständlich besitzen wir bereits eine – nein zwei … nein noch mehr Teekannen. Am 1. Januar wäre die schöne Kanne unter das verhängte Kaufembargo gefallen.

Anatol sieht mich scharf an – ihm muss etwas aufgefallen sein. Da ich aber seinen Geschmack für schöne Gegenstände kenne, weiss ich, dass er mir die Teekanne nicht vorhalten wird.

Unsere nächste Amtshandlung wird sein, mehrere große Kartons zu beschaffen. Die Entrümpelung kann beginnen.

106. Kapitel – Anatol backt Springerle

Der kritischste Tag des Jahres ist angebrochen – der erste Weihnachtsfeiertag. Heute backt Anatol. Nachdem er den Rotkohl aufgesetzt hat, holt er die Backutensilien aus dem Küchenschrank und kündigt an, was wir sowieso bereits wissen – und fürchten:

„Ich backe jetzt die Springerle!“

Wir wissen nicht, woran es liegt – ist doch Anatol ansonsten ein Meisterkoch: die Springerle misslingen Anatol beharrlich. Jahr für Jahr macht er sich aufs Neue ans Springerlebacken – und jahraus jahrein muss er neue Fehlschläge einstecken. Das eine Mal bleiben die Springerle im Model kleben, das andere Mal zerbröckeln sie. In einem Jahr sind die Springerle wie aus Stahlbeton, dann wieder matschiger Krümelkram. Anatol sieht das Springerlefiasko mittlerweile als persönliche Heimsuchung – und Herausforderung – an.

„Was habe ich den Springerle nur getan“ seufzt Anatol jedes Jahr, wenn sein obligatorischer Wutausbruch vorbei ist. Elie und ich passen den Moment, in dem Anatols Wut sich springerlebedingt in der Küche entlädt, ab, um gerade dann „kurz weg“ zu sein. Hernach bauen wir den Butler mit Lob und einer Tasse Tee wieder auf. Dies wird indes jedes Jahr schwieriger.

Dieses Jahr wird – wie üblich – ein neues Rezept ausprobiert. Während Anatol in der Küche werkelt, nimmt Elie mich beiseite.

„Was tun wir, wenn seine Aniskekse wieder mal Mist sind …?“ flüstert er mir ängstlich zu. „Ich kann doch dieses Jahr nicht zu Anna rüber. Du weiss schon – Angelo ist da.“ Ich kratze mich ratlos am Kopf. „Ich weiss es nicht, Elie. Ich befürchte jedoch Schlimmstes. Vorhin habe ich mir das Rezept angesehen. Ich denke, das kann nicht gutgehen.“

IMG_3370Anatol hatte sich eine ganz neue Art, die Springerle zuzubereiten, ausgedacht. Händereibend hatte er in der Küche gestanden und gemeint „Diesmal muss es klappen!“

Veganer Ei-Ersatz, Puderzucker und Hirschhornsalz waren bald mit dem Mehl verknetet. Ich hatte darauf bestanden, dass diesmal ein richtiger Ei-Ersatz angeschafft wird, aber Anatol hatte das abgelehnt. „Das geht auch mit Mondamin!“ hatte er gesagt.

IMG_3371Ich bezweifle dies. Unser Mondamin – ein Geschenk einer sparsamen Freundin, die nichts wegwerfen kann – war bereits im Jahre 2008 abgelaufen.

Auch, wenn Maisstärke vielleicht nicht verdirbt – geschmacklich besser wird sie in der langen Zeit nicht. Anatol hatte jedoch gemeint, „das ginge noch“.

Da wir kein Weizenmehl mehr verwenden dürfen (Anatol hält das für ungesund), hat Anatol Einkorn- und Kamutmehl ins Springerlerezept gegeben. Ob das schmeckt …?

Anatol ist sich seiner Sache – wie jedes Jahr – ganz sicher. Die Springerle müssen heute gelingen. Ein erneutes Scheitern ist einfach ausgeschlossen.

IMG_3372Optisch sind die Springerle nicht zu beanstanden. Die Model haben ganze Arbeit geleistet, diesmal ist auch nichts kleben geblieben.

Der Ofen wird auf 140° Umluft eingestellt, und der Springerleteig 30 Minuten darin gebacken.

Als der Backofen sein fröhliches „Ping“ von sich gibt, welches das Ende der Backzeit ankündigt, schlüpft Elie zur Tür heraus. „Ich bin bei Mirko! Bis nachher!“ ruft er uns noch zu – und ist verschwunden.

Ich habe keinen Vorwand, unter dem ich mich absetzen könnte – daher greife ich zu einer Notlüge. „Anatol, ich fühle mich nicht besonders gut. Ich lege mich kurz hin!“ sage ich schnell und schleiche ins Schlafzimmer, wo ich den Wut-Urschrei des Sauriers erwarte.

Dieser unterbleibt jedoch. Ich lasse mehrere Minuten verstreichen – kein Wutgeheul erklingt.

War es möglich? Sollten die Springerle diesmal gelungen sein?

Vorsichtig verlasse ich das Schlafzimmer und höre fröhliches Pfeifen aus der Küche. Verwundert sieht Anatol mich an. „Geht es Dir schon besser?“ fragt er stirnerunzelnd.

IMG_3373Ich gehe auf die Frage nicht ein, denn mein Blick fällt auf etwas geradezu Unglaubliches: ein Backblech voller offensichtlich perfekt gelungener Springerle.

Diese schneidet Anatol nun mit dem großen Brotmesser aus.

So stolz habe ich den Butler lange nicht gesehen.

Hier sehen wir das Ergebnis seiner Hartnäckigkeit. Ich hätte nie gedacht, dass ich dies erleben würde: Anatol vor einem Teller schöner Springerle. IMG_3376Aber schmecken die Aniskekse auch …?

Im Hinblick auf die seltsamen Ingredienzien – insbesondere das prähistorische Mondamin – bin ich skeptisch.

Anatol belehrt mich, dass Springerle nicht sofort gegessen werden. Sie sollten mehrere Wochen ruhen, bevor sich die die ihnen eigene Konsistenz und ihr Geschmack ausgeformt haben.

Ungeduldig wie das Tier ist, knabbert es hingegen bald an einem Randstück, um sein Werk zu begutachten. „Hm.“ meint es. „Das nächste Mal nehmen wir eher kein Mondamin. Ich denke, ich werde mal No-Egg versuchen. Und vielleicht sollten wir doch auf Weissmehl umsteigen, zumindest auf Dinkelmehl. Aber: sie schmecken!“

Ich probiere ein Stückchen und bin verblüfft. Die Springerle schmecken wirklich gut.

Bald ist ein großer Teil des Gebäcks verschwunden – den Rest heben wir für Elie auf.

Welches Rezept hat Anatol verwendet?

Das ursprüngliche Rezept stammt von chefkoch.de; dieses hat Anatol in ein veganes Rezept umgewandelt und die Mengen halbiert:

– Anstelle eines Eis: 1 gehäufter Esslöffel Mondamin (bitte frisches verwenden und nicht wie Anatol uraltes, abgelaufenes!)
– 125g Puderzucker
– etwas Natron / Bicarbonat (ca. 1/4 TL)
– 1-2 EL Wasser (nach Gefühl)
Dies alles wird lange Zeit schaumig geschlagen. Im Rezept steht 45 Minuten, aber das haben wir nicht geschafft. Zu dem schaumigen Gemisch kommt 1 Messerspitze Hischhornsalz, welches Anatol in ca. 1/2 TL Wodka aufgelöst hat. Danach wird alles weiter gerührt.
Dazu werden dann 125g Mehl (am besten gesiebt) gegeben, und alles gut mit dem Handmixer geknetet.

Der Teig soll dann eine Nacht ruhen, aber das hat Anatol zu lang gedauert. Er hat den Teig direkt ausgerollt, die Springerleformen darauf gedrückt (gut mit Mehl bestäuben!) und dann den Teig in ein gefettetes und mit Anissamen bestreutes Blech gegeben.

Danach kam der Teig bei 140° Umluft für 30 Minuten in den Backofen.

Anatol, Elie und ich wünschen guten Appetit, raten aber zur Verwendung eines richtigen Ei-Ersatzes, z.B. No-Egg.

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105. Kapitel – Heiligabend mit den Dinos

Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest
uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.

Heiligabend ist da. Als ich heute morgen aus dem Haus gehe, sind die Butler glücklicherweise nicht mehr im gleichen desolaten Gemütszustand wie gestern – habe ich doch versprochen, möglichst um 18 Uhr schon zu Hause zu sein und mich dann nur noch um Bescherung und Weihnachtsessen zu kümmern.

Zudem habe ich den Sauriern erlaubt, heute Nachmittag die Silas-DVD anzugucken, um so das „Warten aufs Christkind“ erträglicher zu machen. So werden sie wohl nicht allzuviel dummes Zeug anstellen. Vorher – so habe ich ihnen aufgetragen – sei jedoch die Wohnung aufzuräumen und zu putzen. Erst dann dürfe Silas geguckt werden.

„Ja ja!“ hatten die Butler mir hinterhergerufen. „Das machen wir alles! Wir sehen Dich dann um 18 Uhr – komm nicht zu spät!“

In der freudigen Erwartung einer sauberen, aufgeräumten Weihnachtswohnung verabschiede ich mich und begebe mich zur Arbeit.

BüroIm Büro türmen sich die Akten auf meinem Schreibtisch.

Alles, was wohlmeinende Kollegen noch vor den Weihnachtsfeiertagen erledigt sehen wollen, ist in meinem Eingangskörbchen – welches allein gar nicht ausreicht – gelandet. Die Stapel müssen noch am heutigen Tag verschwinden … seufzend mache ich mich an die Arbeit.

Gegen 15 Uhr klingelt das Telephon. Es ist Anatol. „Wir haben alles fertig aufgeräumt und geputzt. Dürfen wir jetzt schon Silas gucken?“

Ich willige ein. Silas war die erste ZDF-Weihnachtsserie, die ich gesehen habe – ich war damals begeistert gewesen. „Silas“ zu Weihnachten ist auf jeden Fall erlaubt. Zudem muss ich ja auch noch weiterarbeiten. Vor 18 Uhr werde ich nicht gehen können, befürchte ich.

Um 16 Uhr leert sich das Haus. Die Lichter in den Büros werden eines nach dem anderen gelöscht – schließlich bleiben auch die Gänge dunkel.

IMG_3327Da – ein Geräusch dringt in mein Büro. Ein Schaben, Türklappen … dann höre ich Stimmen. Das Licht ist aber nicht angegangen. Sind das etwa Einbrecher? Leise schleiche ich zu meiner Bürotür, die einen Spalt offensteht. Im Gang bietet sich mir dieses Bild: die Butler müssen sich durch den Einlass geschmuggelt haben, die Treppe hochgeklettert sein bis in den 3. Stock – und dann bis zu meinem Büro geschlichen sein. Den Bewegungsmelder für das Licht haben sie offensichtlich nicht ausgelöst. Es ist stockdunkel um uns herum.

In diese dunkle Stille kräht Elie hinein: „Wir holen Dich ab! Schluß mit Arbeiten. Dein berufliches Harakiri-Kamikaze ist zuende!“

Anatol nickt. „Pack Deinen Kram zusammen. Du hast genug getan. Wir haben noch viel vor, und dazu brauchen wir dich.“

Ich seufze. Die beiden haben recht. Das meiste habe ich sowieso erledigt, und alles andere muss nun bis nach Weihnachten warten. Ich nehme meine Tasche, den Mantel – Weihnachten kann endlich beginnen!

Anatol ordnet als erstes an, dass wir nicht nach Hause fahren, sondern uns zum Place de Bordeaux begeben – zum Weihnachtsbaumstand. Ich sträube mich. „Wir können keinen Weihnachtsbaum kaufen. Die Katzen zerpflücken uns den, der hält keine 2 Tage. Wenn Tonio nicht auch noch dagegen pieselt.“

IMG_3310Elie wendet fröhlich ein „Nein, wir kaufen jetzt keinen Baum. Das brauchen wir auch nicht. Wir haben ja schon einen gekauft! Er ist dort versteckt, weil wir ihn nicht bis nach Hause tragen konnten!“

Mich trifft der Schlag. Seit Jahren habe ich keinen Weihnachtsbaum – zu groß ist die Angst vor den pelzigen Massenvernichtungswaffen, die hier im Haus ihr Unwesen treiben.

Nun sieht es jedoch so aus, als müssten wir uns der Katzengefahr stellen.

Ich freue mich. Von allein hätte ich den Baum sicher nicht angeschafft. Nun bin ich froh, dass die Butler die Sache in die Hand genommen haben.

Kurze Zeit später steht der Baum vor der HaustürIMG_3329. Die Butler freuen sich wie die Schneekönige!

Wir entschließen uns, den Stier bei den Hörnern zu packen und den Baum sofort mitten im Wohnzimmer aufzustellen.

Die Katzen reagieren schockiert, aber nicht indigniert. Sofort umringen sie den Baum – jedenfalls die Mutigeren. Andere ziehen es vor, sich zunächst zu verstecken.

Elie findet, dass nun der richtige Zeitpunkt für die Bescherung gekommen sei. Als erstes wird das Paket von Uyen auf den Gabentisch gestellt: dies soll ich sofort auspacken.

Voller Vorfreude öffne ich das Päckchen. Eine herrliche Dattel-Balsam-Creme kommt zum Vorschein, eine Rosenkonfitüre und eine Feigen-Orangenmarmelade. Ich bin sehr gerührt. Schon bald werden wir die Köstlichkeiten probieren!

Anatol zieht ein weiteres Paket hervor. Es kommt von Ewert und enthält mehrere wundervolle Teesorten. Das Geschenk der Butler an mich ist nicht ganz uneigennützig, aber das macht nichts. Wir trinken eben gern zusammen Tee!

Nun bin ich dran mit Geschenkeausgeben: Anatol bekommt die von ihm so schmerzlich vermissten Gewürze und Backmittel: Anis (gemahlen und als Samen) und Hirschhornsalz (letzteres selbstverständlich rein vegan). Alles ist natürlich von Ewert, unserer besten Adresse.

Elie rutscht ungeduldig hin und her. „Und ich? Krieg ich nichts?“ jammert er.

Anatol hat auch hier ein kleines Päckchen parat. Elie zieht einen aparten Schal aus der Verpackung – und verwandelt sich in einen Dandy.

Die Katzen sind unterdessen damit beschäftigt, die geschmückte Tanne zu zerlegen. Noch ist es ihnen allerdings nicht gelungen. Wir werden den Baum zumindest bis heute Nacht stehen lassen und ihn dann ins sichere Treppenhaus verfrachten.

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IMG_3341IMG_3344IMG_3345IMG_3348IMG_3349Wir hoffen nun, dass Weihnachten hier nicht so endet wie bei diesen armen Menschen:

IMG_3355WIR WÜNSCHEN ALLEN UNSEREN LESERN VON HERZEN EIN FRÖHLICHES, FRIEDVOLLES UND GESEGNETES WEIHNACHTSFEST !

104. Kapitel – Weihnachtsferien?

Der heutige Abend endet äußerst unweihnachtlich. Ich werde morgen den ganzen Tag arbeiten müssen, und die entsprechende Ankündigung missfällt beiden Sauriern außerordentlich. Leider ist nichts daran zu ändern – die Enttäuschung der Butler ist immens.

„Wir wollten zusammen die Bescherung vorbereiten! Und jetzt bist Du gar nicht da!“ heult Elie.

Ich bin selbst etwas traurig. Aber da alle anderen Kollegen verreisen, hatte ich angeboten, zu Weihnachten und Neujahr im Büro zu bleiben. Dies rächt sich nun: Zwei aufgebrachte Saurier werfen mir vor,  sie sträflich zu vernachlässigen – und lassen sich durch nichts besänftigen.

Als ich hinzufüge, dass ich in den kommenden Tagen zudem noch die beiden Nachbarskatzen hüten werde, ist die Familientragödie komplett. Elie verkriecht sich weinend in sein Versteck – Anatol bleibt kopfschüttelnd auf dem Esstisch sitzen und schweigt mich an.

Ich beginne nun selbst, einen gewissen Ärger zu verspüren. Schließlich gehe ich nicht zum Spaß ins Büro! Auch mir würde es besser gefallen, morgen ohne Stress das Weihnachtsessen zu kochen, das Weihnachtszimmer vorzubereiten und mich auf die Bescherung zu freuen. Stattdessen werde ich gegen 19 Uhr von der Arbeit kommen, müde und abgearbeitet, und nach einer expeditiven Bescherung spätestens um 21 Uhr ins Bett fallen. Und das alles nur, um den Sauriern und den Katzen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen.

Gekränkt gehe ich ins Bett.

Als das Licht aus ist und alle Geräusche verstummt sind, höre ich aus dem Sauriernestchen leise Stimmen. Anatol und Elie scheinen flüsternd etwas auszuhecken. Als ich Elie sogar einmal kichern höre, fange ich an, mich zu entspannen.

Vielleicht sind die beiden mir nicht ewig böse.

103. Kapitel – Rauhnächte: Im Herzen der Finsternis

Heute ist der 21. Dezember. Die kommende Nacht wird die längste und dunkelste des Jahres werden – die Nacht der Wintersonnenwende. Wir befinden uns im Herzen der Finsternis.

Seit gestern Nachmittag vertreibt Anatol uns die Zeit mit dem Erzählen von Schauergeschichten. Bereits gegen 16 Uhr hatte draußen die Abenddämmerung eingesetzt. Um 16 Uhr 30 war es dunkel gewesen: der beste Zeitpunkt, um mit einer Tasse Tee am Kamin zu sitzen und Gruselgeschichten zu hören. Einen Kamin haben wir zwar nicht, aber zur Not tun es ja auch das Teestövchen und ein paar Teelichter.

Anatol hatte es tatsächlich geschafft, Elie mit den Gespenstergeschichten aus seiner Einsiedelei und Trübsal herauszulocken. Der Tee und die gestern auf dem Markt erstandenen feinen Bredele hatten ihr Übriges getan: Elie hatte sogar einmal gelacht – als das bitterböse Gespenst in die heimtückisch von ihm aufgestellte Falle (ein kalter Krötentümpel voller Entengrütze) selbst hineingefallen war.

Später hatte Elie sich wieder zurückgezogen, während Anatol und ich das Abendessen vorbereitet hatten. Der Abend war friedlich und ohne besondere Vorkommnisse verlaufen und alle waren zeitig ins Bett gegangen.

Heute bin ich schon sehr früh auf, muss doch das ganze Haus aufgeräumt und geputzt werden. Dass dies ausgerechnet sonntags geschehen muss, ist eine Schande – aber der gestrige Tag war einfach zu kurz. Anatol lässt es sich nicht nehmen, immer wieder darauf hinzuweisen, dass in den bald beginnenden Rauhnächten keinerlei Hausarbeit besorgt werden dürfe – dies bringe Unglück. Vielmehr müsse das Haus schon vor den besagten Rauhnächten aufgeräumt, sauber und ordentlich sein. Heute sei – bei Tageslicht – der letzte Moment gekommen, dies zu erledigen.

Da ich derlei Aberglauben nichts abgewinnen kann, kündige ich schon jetzt an, dass ich heute abend – Rauhnacht hin oder her – in jedem Fall meine Blusen bügeln werde. Dies tue ich jeden Sonntag Abend, und ich sehe keine Veranlassung, von dieser Gewohnheit abzuweichen.

„Unselige!“ ruft Elie aus seinem Versteck heraus. „Ausgerechnet heute Nacht wird doch die wilde Jagd durch die Lüfte ziehen! Man darf sie nicht durch solche Hausarbeiten stören! Du wirst Unheil auf uns ziehen, ich sehe es kommen!“

Ich bin sprachlos. „Elie, Du wirst doch nicht diesen alten Geschichten Glauben schenken! Ich fasse es nicht … es gibt keine ‚wilde Jagd‘, und selbst wenn es eine gäbe, würde sie mich nicht davon abhalten, hier in meinem Haus genau das zu tun, was ich will! Schließlich leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter.“

Anatol schnaubt verächtlich. „Als ein aufgeklärtes Zeitalter würde ich die heutige Epoche nicht bezeichnen … Zeiten, in denen Politiker uns weismachen wollen, dass der Religionsunterricht ins Fach Biologie gehört, und wo Kinder in Schulen umgebracht werden, nur weil sie etwas lernen wollen – nein, die würde ich nicht als ‚aufgeklärt‘ bezeichnen.“

Hier gebe ich Anatol zwar recht, merke aber dennoch an, dass ich – „wilde Jagd“ oder nicht – morgen nicht mit ungebügelten Kleidern ins Büro gehen werde.

Elie wirft vorwurfsvoll ein: „Du bist kein spiritueller Mensch!“

Ich nicke. „Das stimmt. An derlei Blödsinn habe ich noch nie geglaubt, und ich bin in der Tat überhaupt kein spiritueller Mensch.“ Und etwas hitzig füge ich hinzu: „Stört das hier jemanden?“

Elie seufzt und verkriecht sich wieder in sein Nestchen, das sich in eine wahre Fundgrube von Liebesgedichten, Romanen und mystischen Abhandlungen verwandelt hat. Unter dem Kopfkissen glaube ich Novalis‘ Hymnen an die Nacht zu erspähen, kann mir indes nicht vorstellen, dass Elie davon auch nur ein Wort zu verstehen imstande ist.

Anatol unkt: „Wir werden es ja sehen, ob das Folgen haben wird. Ich jedenfalls werde ganz sicher keine Hausarbeit verrichten in den kommenden Tagen.“

Ich beginne, zu verstehen. Die „wilde Jagd“ dient den Butlern ganz einfach als Vorwand, während der Weihnachtsfeiertage alle Arbeit mir zu überlassen. Aber hier hat man die Rechnung ohne den Wirt gemacht!

„Natürlich werdet Ihr in den nächsten Tagen im Haushalt arbeiten. Sieh nur die Wäscheberge in der Waschküche! Dazu stehen die gesamten Weihnachtsvorbereitungen noch an – und ab morgen bin ich wieder im Büro. Lasst die „wilde Jagd“ meine Sorge sein: notfalls werde ich das Gesochs mit unserem Kärcher in die Flucht schlagen. Keine Widerrede!“

Ich bin wütend. Was werden sich die Biester wohl noch ausdenken, um mir ihre Arbeit aufzuhalsen?

Anatol setzt halbherzig zum Krakeelen an, verkneift sich jedoch selbiges nach einem scharfen Blick meinerseits. Er merkt, dass ich beim nächsten Widerwort an die Decke gehen werde.

Kleinlaut macht sich der Butler nun in der Küche zu schaffen; mit Genugtuung sehe ich, dass er die Suppe aufgesetzt hat und uns bald ein köstliches Sonntagsmahl kredenzen wird. Mein Groll verfliegt.

Der Nachmittag vergeht. IMG_3309Ich rege einen Spaziergang im Park an, bevor unsere Teestunde beginnt… die Saurier scheinen ihre Angst vor der wilden Jagd ad acta gelegt zu haben: ohne Murren hüpfen sie die Treppe herunter und scheinen sich sogar über den Auslauf an der frischen Luft zu freuen.

Bei Anbruch der Dunkelheit sind wir wieder zu Hause. Anatol setzt das Teewasser auf und zündet Kerzen an. Elie will noch ein wenig lesen, bevor wir uns an den Teetisch setzen. Ich baue – wie jeden Sonntag Nachmittag – das Bügelbrett auf und lege die Bügelwäsche zurecht.

Die meisten Menschen bügeln nicht gern. Nicht, dass Bügeln eine meiner Lieblingsbeschäftigungen wäre – dennoch empfinde ich diese Tätigkeit als recht angenehm. Beim Bügeln kann man wunderbar entspannen… das Ergebnis ist schön glatte, sauber duftende Wäsche, die Arbeit selbst ist nicht anstrengend … ich kenne durchaus lästigere Hausarbeit.

Stirnrunzelnd beobachtet Anatol meine Bügel-Vorbereitungen. Ich sehe ihn scharf an: ich will jetzt keine dummen Bemerkungen hören, und das weiss der Butler auch ganz genau. Elie hingegen kann sich nicht zurückhalten: „Ich bringe mich jetzt in Sicherheit! Nämlich unter meine Bettdecke. Wehe, wenn mir was passiert mit der wilden Jagd!“

Wutschnaubend packe ich den Burschen am Schlafittchen. „Weisst Du, wo Du absolut in Sicherheit vor deiner wilden Jagd bist? Ja – im Katzenkennel! Und darein wirst Du jetzt gesteckt, bis ich fertiggebügelt habe!“ IMG_3303

Der Saurier zappelt und schreit Zeter und Mordio, kann aber gegen mich nichts ausrichten.

Gleichzeitig wünscht er sich ja Schutz vor dem wilden Heer. Den kann ich bieten: in der Abstellkammer – hinter Gittern. Ich schließe die Tür der Rumpelkammer und ignoriere das Protestgeschrei.

Dann schließe ich voller Wut das Bügeleisen zum Aufheizen an den Strom.

Anatol setzt sich in den Abstellraum und versucht, Elie zu beruhigen. „Ich glaube, wir haben sie auf die Palme gebracht, Elie. Sie wird sicher nicht lange sauer sein. In einer halben Stunde kannst Du da bestimmt wieder raus. Soll ich Dir was vorlesen? Die Geschichte mit der wilden Jagd ist doch nur eine alte Legende. Ehrlich gesagt glaube ich auch nicht dran. Es macht einfach so einen Spaß, die zu erzählen!“

Elie ist fassungslos. „Nur eine alte Legende? Und ich hab so Angst gehabt, Anatol! Ich dachte, da kommt wirklich ein wildes Heer und nimmt uns mit!! Grad wo wir doch so klein und handlich sind …“ Elie weiss sichtlich nicht, ob er weinen oder Anatol eine Abreibung verpassen soll – an letzterem hindert ihn allerdings glücklicherweise der vergitterte Katzenkennel. Aus diesem Grund befreit der Butler seinen Kumpanen auch nicht aus dem Kennel.

Das Bügeleisen ist nun heiss – ich beginne mit dem Plätten meiner weissen Blusen. Aus dem Radio klingt Musik, ich habe noch eine Tasse Tee und das Geplänkel der Saurier wird durch die Tür der Abstellkammer gedämpft. Der Nachmittag beginnt langsam, mir wieder Freude zu bereiten.

Plötzlich rauscht das Radio. Das Signal wird schwächer – und ist nun ganz weg. Ich versuche, einen anderen Sender einzustellen, aber der gesamte Radioempfang scheint gestört zu sein.

Anatol ruft: „Mach einfach den Computer an – da kriegen wir das Radio auch rein!“, aber noch bevor ich zum Laptop gehen kann, setzt ein dumpfes Dröhnen, welches die ganze Wohnung erfasst, ein. Es scheint aus dem Dachgeschoß zu kommen, möglicherweise sogar vom Dach selbst.

Ich bin perplex. „Es hört sich fast so an, als wolle ein Hubschrauber auf unserem Dach landen! Was kann denn das nur sein?“

Elie wirft sich in Panik an die Gittertür des Kennels. „Das ist das wilde Heer! Es ist über uns auch dem Dach und will uns holen! Genau so war es in Anatols Geschichte erzählt! Anatol, so ist es doch?“ schreit Elie, voller Entsetzen.

IMG_3308Anatol ist indessen nicht mehr zu sehen. Er hat sich beim ersten Anzeichen des Nahens der wilden Jagd unter den Küchenschrank gerettet: nur eine kleine grüne Schwanzspitze ragt noch unter dem Schrank hervor.

Um Elie, der völlig hysterisch im Kennel hin und herschießt, nicht ganz allein seiner Angst zu überlassen, öffne ich den Kennel und setze ihn in die Kapuze meines Pullis. IMG_3306Hier beruhigt sich der angstbebende Saurier endlich.

Das Geheule und Dröhnen über uns hat indessen weiter zugenommen. Auch die Katzen haben sich – als mutige Raubtiere – in ihre Verstecke zurückgezogen. Sollte an der Legende um die wilde Jagd doch etwas Wahres sein?

Wir werden es bald herausfinden, denn das Gelärme ist nun direkt über uns. Ich beschließe, mich dem Grauen zu stellen und öffne die Etagentür einen kleinen Spalt. Elie heult voller Entsetzen „Lass bloß die Tür zu! Sie ziehen uns raus, ins wilde Heer!“

Ich zögere einen Moment, will aber nun wissen, was hier los ist. Mit einem Ruck öffne ich die Tür ganz – und ohrenbetäubender Lärm umgibt uns. Er kommt aus dem 5. Stock, und ich bin mir immer sicherer, dass er eine irdische Ursache hat.

Mein neuer Nachbar in der 5. Etage macht uns auf. „Bitte entschuldigen Sie!“ schreit er, einen gigantischen und sichtlich uralten Staubsauger hinter sich herzerrend. Er zieht das Kabel aus der Steckdose – der Lärm ebbt ab.

„Es tut mir leid, dass ich ausgerechnet heute, am 4. Advent, dieses Ungetüm betätigen muss – mein Staubsauger ist kaputt, und dieses Gerät habe ich ausgeliehen. Ich bin jetzt fertig mit Saugen. Nächste Woche ist mein eigener Staubsauger wieder heil, und das Ungeheuer kann zurück in seinen angestammten Wirkungskreis.“

Ich beeile mich zu sagen, dass der Lärm nicht weiter störe, dass ich mich nur gesorgt hätte, ob auch alles in Ordnung sei.

Nun fällt mir auf, dass mich mein Nachbar mit starrem Blick fixiert. „Da … da sitzt etwas in ihrer Kapuze!“ stammelt er. „Das … Ding … lebt das …?“

Ich beruhige meinen Nachbarn. Es handele sich um meine Haus-Echse, die vor Lärm besondere Angst habe und sich daher in meine Kapuze geflüchtet habe. Sie komme nun sofort in ihr Terrarium zurück. Im übrigen beisse sie nicht und sei ein reiner Pflanzenfresser.

Verschreckt taucht Elie ganz in die Kapuze ab. Indigniert murmelt er „Ich bin kein ‚Ding‘!“

Eilig verabschiede ich mich und kehre in unsere Wohnung zurück, wo das Radio nun wieder funktioniert. Offenbar hatte der Urzeit-Sauger elektromagnetische Interferenzen verursacht, die den Radioempfang gestört hatten.

„Anatol, du kannst aus Deinem Versteck kommen. Das wilde Heer hat mit Staubsaugen aufgehört und wird so bald nicht weitermachen. Aber das Bügeln, das könntest Du jetzt übernehmen!“

Betreten krabbelt der Butler unter dem Schrank hervor. „Ich hatte Angst!“ sagt er vorwurfsvoll. Elie pflichtet ihm bei. „Ich auch! Und gib es zu: DU hattest auch etwas Angst! Als das Radio ausgefallen ist. Ich habe es genau gemerkt!“

Ich räume ein, dass es mich ein klein wenig – angenehm – gegruselt habe, als das Radio nur noch Rauschen von sich gegeben habe. Mehr allerdings nicht! Dann ordne ich an, dass die Hausarbeit für heute beendet sei, und wir nun bei einem guten Tee weitere von Anatols Schauergeschichten anhören.

Morgen ins Büro werde ich ein bügelfreies Oberteil anziehen.

102. Kapitel – Teatime

Ein Faulenzertag neigt sich dem Ende zu. Im Grunde mein letzter „richtiger“ Ferientag – am Montag muss ich wieder arbeiten. Eigentlich hatte ich heute Nachmittag noch einmal mit den Sauriern auf den Weihnachtsmarkt gehen wollen, aber das Wetter ist alles andere als einladend.

So streiche ich den Besuch auf dem Weihnachtsmarkt und entscheide, dass nun Zeit für unsere Teezeremonie ist. Ich setze den Teekessel auf, nein: betätige den Wasserkocher, und beginne, den Tee vorzubereiten.

Das Telephon klingelt. Es ist die Poststelle bei der Arbeit. Ein Paket ist eingetroffen, welches ich möglichst bald abholen soll. Ich seufze. Ja, ich hatte etwas für die Katzen bestellt … nun muss ich doch nach draußen.

Mißmutig trage ich den Butlern auf, sich um den Tee zu kümmern (dies ist ohnehin ihre Aufgabe), da ich sicher nicht lange brauchen werde, um das Päckchen abzuholen. Ich habe überhaupt keine Lust, ins naßkalte Grau nach draußen zu müssen…

Als ich eine halbe Stunde später wiederkomme, haben die beiden Butler sich geradezu selbst übertroffen.

IMG_3291Der Five o’clock Tea zieht in seiner Kanne auf dem Stövchen, der Kandis ist schon in der Teeschale … sogar Elie hat seine Ermitage kurzfristig verlassen und möchte Tee mit uns trinken.

Der schönste Moment des Tages beginnt.

101. Kapitel – Liebeskummer zu Weihnachten

Elie ist seit gestern nicht mehr ansprechbar. Was sich seit einigen Wochen bereits abgezeichnet hatte, ist nun offiziel: Anna und Angelo sind ein Paar. Und Elie weiss nicht, wohin mit seinem Liebeskummer.

Kluge Sprüche wie „Es gibt doch so viele andere nette Dino-Mädchen!“ sparen Anatol und ich uns. Helfen kann Elie im Moment gar nichts – und schon gar kein gutes Zureden. Schließlich hatte Elie jeden freien Moment mit Anna verbracht, und auch bereits die kommenden Weihnachtstage heimlich verplant, um mit ihr zusammen zu sein. Für Elie ist das seine gesamte Zukunft – und dementsprechend groß ist seine Verzweiflung.

„Ich backe jetzt eine Cornish Pasty.“ kündigt Anatol an. „Du brauchst jetzt was richtig Kräftiges, um Dich wieder auf die Beine zu bringen, Elie.“  Elie schüttelt den Kopf. „Ich esse nichts.“

„Wir werden ja sehen. Ich backe jetzt. Irgendetwas musst Du schließlich essen.“ Und zu mir gewandt „Nimm ihm die Ingeborg Bachmann Gedichte weg. Das kann ihm jetzt nicht gut tun.“

Ich trete näher an Elies Versteck heran und sehe mit Bestürzung, dass Elie sich ein regelrechtes literarisches Liebeskummer-Arsenal angelegt hat: „Die gestundete Zeit“ und „Die Anrufung des Großen Bären“ von Ingeborg Bachmann, Gedichte von Erich Fried, Anna Achmatowa … Goethes „Werther“. Als ich darauf hinweise, dass dies kein Schriftgut sei, das Elie jetzt aufbauen werde, ernte ich als einzige Antwort ein wütendes Knurren.

‚Wer sich noch wehren kann, hat sich nicht aufgegeben‘, sage ich mir, und lasse Elie in seiner Melancholie versinken. Es gibt, Momente, in denen das sein muss. Dennoch nehme ich mir vor, besonders die Lektüre des „Werther“ genau zu überwachen.

IMG_3296Anatol hat sich währenddessen in der Küche an den Backutensilien zu schaffen gemacht. Der Teig für die Cornish Pasty ist fast fertig – Anatol hat eine vegane Variante der englischen Delikatesse entwickelt. Das Rezept stammt urspünglich von der gestrengen „Cornish Pasty Association„; diese wacht darüber, dass die Cornish Pasty in ihrer originären Form erhalten bleibt und keiner modernen Geschmacksverirrung zum Opfer fällt.

Der Teig der Pasty wird aus Brotmehl (Anatol nimmt recht dunkles Dinkel-Vollkornmehl), Margarine, Salz und Wasser hergestellt und gut geknetet. Dann kommt er für mehrere Stunden in den Kühlschrank, wo er ruhen muss. Diese Etappe sparen wir uns heute, da nicht genügend Zeit dafür ist. Normalerweise sollte der Teig aber etwa 3 Stunden im Kühlschrank bleiben.

Nun schneidet Anatol einen Kohlrabi, eine große Kartoffel und eine Schalotte in winzige Würfelchen, und salzt und pfeffert das Gemisch großzügig. Dann rollt er den Pasty-Teig aus und gibt das Gemüse sowie etwas Sojajoghurt darauf.

Plötzlich schlägt sich der Butler mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich Esel!“ ruft er ungehalten. Und an mich gerichtet: „Oder vielmehr – DU Esel! Warum hast Du die Pastinake vergessen? Die wollte ich in die Pasty tun, um zu probieren, ob wir damit das Rindfleisch ersetzen können!“ Ich gehe auf die Provokation nicht ein und bemerke nur ruhig „Dann müssen wir die Pastinake eben nächstes Mal versuchen, Anatol“.

Der Butler zischt „Ja, das müssen wir wohl.“ Zum Glück lässt er es dabei bewenden. In die Cornish Pasty kommt traditionell gewürfeltes Rindfleisch – aber für uns als Vegetarierer bzw. Veganer ist das natürlich ein No Go.

Der nächste Schritt besteht darin, den Teig „umzuklappen“ und eine Art Pastete daraus zu formen. Dies ist ein heikler Moment, da der Teig nicht einreissen darf. Anatol gelingt dies heute glücklicherweise ohne Probleme.

IMG_3297Danach wird ein hübscher Rand um die Pasty geknetet und die Pasty so ganz geschlossen. Zum Schluss piekst Anatol ein kleines Loch oben in die Pasty, damit beim Backen der Dampf entweichen kann – sonst platzt die Pasty an einer ungünstigen Stelle auf, was natürlich nicht gewünscht ist.

IMG_3298

Anatol hat den Backofen bereits auf 210°C vorgeheizt. In diesen wird die Pasty nun geschoben – um dort eine ganze Stunde zu backen.

Wir sind gespannt auf das Ergebnis.

Eine Stunde später klingelt der Backofen – die Pasty ist fertig. Anatol ist stolz auf sein Werk.

IMG_3299IMG_3300IMG_3301Die Pasty ist köstlich. Wir hoffen, dass wir Elie werden überreden können, zumindest ein kleines Stückchen zu probieren.

100. Kapitel – Weihnachts-vorbereitungen

Leise fluchend rumort Anatol in der Küche – er durchwühlt den Küchenschrank. Irgendetwas ist nicht nach dem Geschmack des Butlers, und ich gehe davon aus, dass er es mir bald mitteilen wird.

„Wir haben keinerlei Weihnachtsgewürze mehr! NICHTS ist mehr da – dabei solltest Du letzte Woche doch Gewürze bei Ewert bestellen! Wie soll ich nun die Weihnachtsplätzchen backen?“ schimpft der Saurier. „Du hast das vergessen – gibs zu!“

Betreten sehe ich zu Boden. Wie soll ich es erklären? Ich habe die Bestellung bei Ewert nicht vergessen – ich habe sie absichtlich nicht getätigt. Eine Gewürzbestellung bedeutet Plätzchen backen, und Plätzchen backen heisst Plätzchen essen. Dies wiederum ist gleichbedeutend mit dem häßlichen Wort „Kilogramm“.

Ich hatte mich daher heimlich entschlossen, dieses Jahr keine Gewürze zu ordern. Ohne Gewürze keine Plätzchen – und das ist gut so. Im Büro und bei Freunden wird man ja sowieso mit Weihnachtsgebäck versorgt … wozu muss dann die Versuchung auch noch daheim zugegen sein – dort, wo man ihr am hilflosesten ausgeliefert ist?

Der Butler ist außer sich vor Zorn. „Weil DU dich bei den Plätzchen nicht ein klein wenig zurückhalten kannst, sollen wir nun alle keine bekommen? Das schlägt dem Fass den Boden aus!“ zetert das Untier.

Unerwarteterweise bekomme ich Unterstützung von Elie. „Anatol, wir essen doch sowieso schon den ganzen Tag über Weihnachtssüßigkeiten. Anna backt die leckeren Bredele, und von Angelo kriegen wir diesen tollen Pannetone, den seine Eltern immer in Mailand bestellen. Meine Hose zwickt schon, und ich würde ehrlich gesagt gern wieder etwas abnehmen …“

Beleidigt knallt Anatol die Tür des Küchenschranks zu. „Dann gibt es eben dieses Jahr keine selbstgebackenen Plätzchen! Wenn die Euch sowieso nur fett machen!“ Der letzte Satz geht in einem Schluchzen unter – Anatol beginnt zu weinen. Offenbar hat ihn unsere Plätzchen-Diät tiefer getroffen, als ich das für möglich gehalten hätte.

Elie ist bestürzt. „Anatol, Deine Plätzchen sind einsame Spitzenklasse! Sie sind so gut, dass wir nicht mehr aufhören können, zu essen, wenn sie erst einmal dastehen … Wenn sie uns nicht so gut schmecken würden, müssten wir uns wohl nicht fürchten, davon zuzunehmen…“ beeilt er sich, zu erklären.

Ich pflichte Elie bei. „Die Plätzchen waren letztes Jahr unglaublich lecker. Eigentlich ist es eine Schande, darauf zu verzichten … am liebsten mag ich die Anisplätzchen – die Springerle!“

Anatol weint laut. „Die Springerle gelingen mir doch nie. Also, sie bleiben immer in der Form kleben, und gehen dann kaputt. Letztes Jahr waren sie schon wieder nur Krümelkram. Ich hatte mich so gefreut, sie dieses Jahr vielleicht mal ordentlich hinzubekommen!“

Meine Zwangsdiät hat für eine Familientragödie gesorgt. Ich möchte mich am liebsten ohrfeigen. Für eine Bestellung bei Ewert ist es nun zu spät. Oder doch nicht? Heimlich nehme ich mir vor, nachher bei Ewert anzurufen und um eine Expressbestellung zu bitten – soweit das möglich ist.

Den Butler muss ich nun irgendwie besänftigen. „Anatol, möchtest Du nachher mit nach Kehl kommen? Ich muss doch die Geschenke zur Post bringen. Wir könnten sogar bei Dreher Mittag essen – Dreher magst Du doch so gern!“

Anatol schnieft. Ich merke, dass er auf den unerwarteten Ausflug Lust hat, es aber nicht so schnell zugeben mag. Ich lasse dem Butler daher etwas Zeit. „Ich fahre um 12 Uhr los. Wenn Du magst, komm einfach mit.“

Elie ist heute mittag bei Freunden eingeladen – er wird die nächsten beiden Stunden damit verbringen, sein „Outfit“ zu perfektionieren: Anna ist ebenfalls eingeladen.

Um kurz vor 12 hüpft Anatol wortlos in meine Tasche. Er möchte also mitkommen – ein gutes Zeichen. Die Laune scheint sich deutlich aufgehellt zu haben: der Butler kann sich sogar schon wieder über Elie lustigmachen. „Vielleicht solltest Du noch etwas Eau de Cologne auflegen, Elie. Deins bemerkt man überhaupt nicht!“

Anatol spielt auf die dichte Parfumwolke an, in die Elie sich gehüllt hat – offenbar, um Anna zu beeindrucken. Ein Hausschuh verfehlt meinen Kopf nur knapp (Anatol – das Ziel des Geschosses – sitzt in meiner Handtasche, die ich bereits geschultert hatte) … schnell schlage die Haustür hinter uns zu. Unser Ausflug kann beginnen.

Nach einem kurzen Zwischenstopp bei DM kehren wir wie geplant bei Dreher ein. Und zwar gehen wir nicht in die Filiale im neuen Einkaufszentrum „City Center“ – nein, wir begeben uns in die schöne, altmodische Konditorei mitten in der Stadt. Dort lieben wir es, an der Theke in der Nähe der Backstube zu sitzen, Tee zu trinken, und den großen Salon zu beobachten, in dem unablässig Köstlichkeiten von zahllosen Serviererinnen kredenzt werden.

IMG_3292Heute können wir jedoch keine Zeit damit vergeuden, den Teesalon zu begaffen: heisst es doch, die gesamte Weihnachtspost (oder jedenfalls einen großen Teil davon) zu verfassen, in Kuverts zu stecken und zu adressieren – um sie dann zur Post zu bringen.

Da es mir zu Hause nicht gelingt, Weihnachtskarten zu schreiben, muss dies bei Dreher stattfinden.

Eine Karte nach der anderen fülle ich, während Anatol mir elegant formulierte Sätze diktiert. So fließt uns die Weihnachtspost ganz leicht aus der Feder. IMG_3295

Nachdem alle Weihnachtskarten geschrieben sind, packe ich das große Klebeband aus. Die Päckchen müssen nun befüllt werden – zu jeder Weihnachtskarte das richtige Geschenk. Anatol überwacht diesen Vorgang mit Argusaugen, denn was wäre peinlicher, als das falsche Geschenk zur falschen Weihnachtskarte zu stecken – und an den falschen Empfänger zu versenden.

Nachdem alles im hoffentlich korrekten Päckchen sicher verpackt ist, kommen wir zum Höhepunkt des heutigen Tages: der Bestellung des Mittagessens.

Anatol sucht einen überbackenen Toast aus, der mit frischem Salat serviert wird und den ich eigentlich gar nicht essen dürfte. Da meine Diätvorstellungen aber heute bereits einmal zu Verwerfungen geführt haben, sage ich lieber nichts.

Das Festmahl wird gebracht. Anatol scheint mir die Plätzchenaffäre glücklicherweise nicht mehr übel zu nehmen – IMG_3294jedenfalls beteiligt er sich gebührend an den Toasts, die in Rekordzeit verschwinden.

Unsere Parkzeit ist abgelaufen. Eilig verlassen wir den gastlichen Ort, um noch vor dem Auge des Gesetzes am Auto einzutreffen, was auch gelingt.

Die Paketaufgabe bei der Post verläuft reibungslos, nachdem wir die neue Post in der Blumenstraße gefunden haben. Das alte, große Postgebäude ist vor kurzem abgerissen worden. Die neue Filiale ist allerdings deutlich angenehmer als die frühere Hauptpost.

Wir treffen einen freundlichen Kollegen aus dem Büro, der ebenfalls heute seine Weihnachtspäckchen verschickt. Nach einem kurzen Plausch treten wir die Heimreise an.

Müde, aber glücklich betreten wir die Wohnung. Anatol nuschelt etwas von „Mittagsschlaf“ und will in seinem Nestchen verschwinden, da vernehmen wir ein leises Wimmern.

Elie ist schon wieder zu Hause. Wollte er nicht den Nachmittag mit Anna und den Schulkameraden verbringen?

„Was ist denn los, Elie …“ frage ich bang.

„Sie will nichts von mir“ schluchzt Elie. „Sie hat es mir gesagt. Sie mag mich einfach so – „als Freund“. In Wirklichkeit ist sie immer noch in Angelo verliebt!“ Elies Stimme versagt.

Offenbar müssen sich Anna und Elie ausgesprochen haben – und dies war nicht im Sinne von Elie verlaufen. Die Geschichte zwischen den beiden war nie ganz klar gewesen … schon im letzten Sommer hatte es sich indessen abgezeichnet, dass Anna sich für den „Bad Boy“ – den schillernden, undurchschaubaren Angelo – entscheiden würde. Elie war immer schon ihr bester Freund gewesen. Dass dies viel mehr bedeutet und dass eine solche Freundschaft Jahrzehnte, ja ein ganzes Leben überdauert, kann Elie heute jedoch nicht trösten.

„Sie wird Weihnachten bei Angelo feiern!“ weint Elie. „Dabei habe ich doch so ein schönes Geschenk für sie, das ich ihr selbst überreichen wollte – und da soll Angelo NICHT dabei sein!“

Einen Trost habe ich für Elie nicht. Nur eins kann ich ihm ans Herz legen: Zeit vergehen lassen … und ein neues Kapitel seines Lebens schreiben.

99. Kapitel – Der Sturm

Heute ist Freitag, der 12. Dezember – und mein letzter Arbeitstag vor den Weihnachtsferien. Mit Mühe habe ich es geschafft, vor Weihnachten einige Urlaubstage zu erkämpfen – möchte ich doch wenigsten ein paar Weihnachtsgeschenke erstehen, verpacken und dann noch rechtzeitig zum Fest versenden. Unser Weihnachtspäckchen, welches letztes Jahr erst nach Neujahr bei den Beschenkten eintraf und für Belustigung sorgte, ist den Sauriern und mir in peinlicher Erinnerung.

Dieses Jahr soll alles anders werden, haben die Butler beschlossen. Weihnachten soll mit Muße und vor allem Freude und Harmonie vorbereitet werden – der etwas ordinäre Ausdruck für die Stimmung, die uns vorschwebt, ist: „unstressig“.

Ob dies gelingt, ist indessen unsicher. Mein letzter Tag im Büro – Freitag – stellt sich im Grunde als das Äquivalent von drei vollen Arbeitstagen heraus. Er beginnt – verspätet – um 7 Uhr 30. Mehrere gigantische Projekte müssen – wie könnte es anders sein – ausgerechnet heute zuende gebracht werden, darunter insbesondere ein Verlagsprojekt, welches mir schon seit Wochen auf der Seele liegt. Zudem soll ein lang geplantes Weihnachtsessen mit einem Vertragspartner heute stattfinden – allein dies wird mindestens drei Stunden in Anspruch nehmen.

Freundliche Kollegen bringen alle Vorgänge, die sie noch vor Weihnachten abschließen möchten, in mein Büro, mit der ernsten Anweisung „Aber bitte alles bis spätestens heute abend – es ist sehr eilig damit!“

Um 20 Uhr bin ich immer noch mitten in einer telephonischen Vertragsverhandlung … Das Handy klingelt. Ich entschuldige mich bei den Kollegen und nehme den Anruf an. Es ist Anatol – heimtückisch mit unterdrückter Rufnummer ! – und er ist außerordentlich aufgebracht. „WO BLEIBST DU?“ brüllt er in den Hörer. Ich zucke zusammen.

„Anatol, es wird noch etwas über eine Stunde hier dauern. Bitte kümmert Euch um die Katzen und räumt die Wohnung auf. Ich werde heute abend nicht mehr dazu kommen.“ Die Antwort lässt nicht auf sich warten: unter Gegrummel hängt Anatol ein. Bevor die Leitung weg ist, höre ich ihn noch zu Elie sagen: „Ich glaub, es wird Ärger geben… sie weiss das mit der Wohnung noch gar nicht…“ Die Aussage bleibt nebulös, verheisst jedoch nichts Gutes.

„War das Ihr Ehemann…?“ fragt einer der Kollegen ängstlich. Ich verneine und kläre den Herrn auf „Es handelte sich bei der aufgebrachten Erscheinung in meinem Handy um meine … Haushaltshilfe.“ Und mit autoritärer Stimme, die den Kollegen suggerieren soll, dass ich meine Butler im Griff habe, füge ich hinzu „Ich werde das später mit ihm klären.“

Die Verhandlung kann nun fortgesetzt werden.

Deutlich nach 21 Uhr trete ich den Heimweg an. Seit mittags wütet ein schwerer Sturm – Äste liegen auf der Straße, Fahrräder sind umgestürzt. Ich schaffe es mit Mühe und Not bis nach Hause, stelle das Fahrrad in den Unterstand und steige bang die vier Etagen bis zu unserer Wohnung hinauf. Hier werde ich von den Katzen freudig begrüßt – von den Butlern fehlt jede Spur.

An der Tür prangt ein sichtlich in Eile bekritzelter Zettel: „Sind im Park. Die Burg ist eingestürzt und sie haben Strolchi entführt! A + E“

Bevor ich mich darüber aufregen kann, dass die Saurier um 21 Uhr 30 immer noch im dunklen Park umherstreifen (in der Tat hatte man in den letzten Tagen mehrmals  eine „selbstgebaute Burg im Park“ erwähnt), fällt mein Blick in die Küche. Ich muss mich setzen.

Die Küchenablage mitsamt der Spüle kann nur noch als „Abraumhalde“ bezeichnet werden. IMG_3262

Darunter quillt die Spülmaschine von schmutzigem Geschirr über – offenbar war es den Butlern nicht in den Sinn gekommen, sie anzustellen.

Das Äußerste stellt indessen der Küchenboden dar. IMG_3261Auf diesem hatten die Katzen ihr biologisch artgerechtes Rohfutter (BARF) nicht nur zu sich genommen, sondern offenbar mit Begeisterung großzügig an Wände, Küchenschränke und Polstermöbel gekleistert.

Neues Katzenfutter muss demnächst hergestellt werden (ich hatte auf Unterstützung durch die Butler gehofft!); um das auftauende Fleisch scharwenzeln die Katzen mit unschuldiger Miene und deutlichem Appetit bereits herum.

Grauen erfasst mich. Die Saurier haben sichtlich seit Tagen nichts mehr im Haushalt getan. Ich selbst nutze die Wohnung seit längerem – wegen des extrem gestiegenen Arbeitsanfalls – nur noch zum Schlafen … der verheerende Zustand gerade der Küche war mir nicht aufgefallen.

Wutschnaubend greife ich zum Telephon. Die Butler haben nun SOFORT zurückzukommen. Und wer ist überhaupt dieser entführte „Strolchi“, von dem auf dem Zettel die Rede ist?

Das Telephongespräch wird sehr knapp. Die Saurier sind glücklicherweise kleinlaut und behaupten, sowieso bereits auf dem Rückweg zu sein.

Ich mache mich an die Entkernungsarbeiten in der Küche, werfe Unrat weg, schrubbe Möbeloberflächen. Kurze Zeit später kommen zwei zerknischte Dinos herein und beginnen still, den Küchenboden zu wischen. Um 23 Uhr 30 sieht die Küche endlich annehmbar aus.

IMG_3264Die Spülmaschine läuft, der Boden ist sauber und die Katzenfutterherstellung, die am morgigen Tag stattfinden wird, ist vorbereitet. Ich beginne, mich in meiner eigenen Wohnung wieder wohl zu fühlen.

Nun erzählen die Butler. In den letzten Tagen sei es ihnen ganz unmöglich gewesen, den Haushalt zu führen. Mit den Dino-Kumpels habe man im Park eine richtig tolle Burg gebaut, aus Backsteinen, die dort „so herumgelegen“ hätten. Ich vermute, dass es Steine waren, die für das neue Pflaster der Wege in den Schillerwiesen verwendet werden sollen … diese sind nun von den Dinos weggeschleppt und zum Aufbau der „Burg“ genutzt worden. Ich verdrehe die Augen. Auch hier wird Ärger auf uns zukommen – wenn dem Baudezernat der Stadt klar wird, dass meine Saurier Backsteine entwendet haben.

Die Dinobande um Anatol und Elie sei dann von einer fremden Bande angegriffen worden, die ihnen die Steine geneidet hätte! Die „Anderen“ seien zu fünft oder sechst gewesen, hätten die Burg eingerissen und die Steine weggeschleppt. Das Schlimmste sei aber gewesen, dass sie auch den kleinen weissen Dackelmischling „Strolchi“, den Angelo von seinen Eltern bekommen hatte und der nun sein Ein und Alles war, gefangen hätten und in ihrer eigenen Burg nun als Geisel hielten!

So sei es unumgänglich gewesen, die feindliche Burg zu stürmen. Nach einer eiligen Mobilmachung aller Kumpels – Angelo sei vor Sorge um seinen Strolchi nicht mehr ansprechbar gewesen, daher habe man Verstärkung geholt – habe man das feindliche Lager von zwei Seiten in die Zange genommen, die Wände umgeworfen, Strolchi aus der Gewalt seiner Entführer befreit und ihn zu Angelo zurückgebracht, der weinend in den Trümmern der eigenen Burg gesessen habe.

So waren nun beide Burgen geschleift, aber Strolchi war zurück bei einem seligen Angelo.

Die Antwort der Feinde habe nicht auf sich warten lassen. In großer Überzahl seien sie unter Gebrüll über die ohnehin in Trümmern liegenden Burg unserer Dinos hergefallen. Ein eiliger taktischer Rückzug – insbesondere zum Schutze von Strolchi – sei nun unvermeidbar gewesen. Gezwungenermaßen habe man den Trümmerberg zunächst den Feinden überlassen, sei aber, als letzterere zum Abendessen hätten heimkehren müssen, zurückgeschlichen und habe alle Backsteine zum Wiederaufbau der eigenen Burg von den Feinden entwendet – ja im Grunde nur das rechtmäßig unseren Dinos zustehende Baumaterial zurückgeholt.

Zu diesem Zeitpunkt sei es schon 20 Uhr gewesen. Man habe dann gehofft, mich zuhause bei der Vorbereitung des Abendessens anzutreffen, da die kriegerischen Handlungen, Anstürme und Rückzüge, vor allem aber das ständige Hin- und Herschleppen der Steine, die mindestens 4 mal den Besitzer gewechselt hatten, für Hunger gesorgt hätten. Daher auch der ungehaltene Anruf auf meinem Handy.

Man habe sich dann mit dem letzten noch sauberen Messer nur flugs ein Brot geschmiert und sei schnell zur Burg zurückgekehrt, die sogar zur Zeit noch stehe. Angelo habe Strolchi in Sicherheit gebracht und den Kumpels versprochen, bald eine riesige Party für sie zu geben, da sie Strolchi gerettet hätten.

Die Feinde hingegen werde man in Zukunft engmaschig überwachen – sei doch zu befürchten, dass sie die Burg erneut angreifen könnten.

Ich dämpfe den kriegerischen Ehrgeiz der beiden Haudegen, indem ich sie ins Dino-Nestchen verfrachte und unter die Decke stecke, wo sie augenblicklich einschlafen.

Die Ferien können beginnen.

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Göttingen, in den Schillerwiesen, 1978

98. Kapitel – Anatol auf dem Weihnachtsmarkt

Heute habe ich dem Gequengel endlich nachgegeben: Anatol will seit Tagen auf den Weihnachtsmarkt. Nicht für Geld und gute Worte ist er davon abzubringen – nein: der Weihnachtsmarkt muss besucht werden, findet Anatol.

Dabei hatte ich gewichtige Argumente gegen diese Veranstaltung vorgebracht, nämlich:

  • Es ist dort so voll, dass man die Stände nicht einmal sehen kann
  • In Strasbourg gibt es kein Weihnachtskarussell
  • Alles auf dem Weihnachtsmarkt ist überteuert
  • Es ist kalt
  • Der Weihnachtsmarkt dient (fast) nur dem Kommerz.

Elie hatte mir beigepflichtet. Er wolle nicht auf den Weihnachtsmarkt mit uns, hatte er schon vor der Eröffnung erklärt – weshalb, verstanden wir gestern: Anna, Elies beste Freundin (und heimliche Geliebte) hat auf dem Weihnachtsmarkt einen kleinen Stand, an dem sie für ein Kinderhilfswerk Plätzchen verkauft. An diesem Stand verbringt Elie nun jede freie Minute – da kann er natürlich nicht mit uns über den Weihnachtsmarkt schlendern.

Anatol hatte meine Argumente mit einer Handbewegung hinweggewischt. „Papperlapapp! Wenn wir recht spät am Abend hingehen, sind die meisten Leute schon weg. Ich möchte so gern wieder mal einen Glühwein (ohne Alkohol versteht sich) trinken… und dann gibt es da die leckeren Bredele … Strasbourg ist schließlich DIE Weihnachststadt. Das will ich mir nicht entgehen lassen!“

Schweren Herzens hatte ich mich daher bereiterklärt, am heutigen Sonntagabend mit Anatol und einer lieben Freundin den Strasbourger Weihnachtsmarkt zu besuchen.

Um 18 Uhr ist es soweit: Anatol und ich betreten die Innenstadt. Menschenmassen ungeahnten Ausmaßes strömen aus der Stadt heraus und wälzen sich durch die engen Straßen. Ich schlucke. „Anatol, Du hattest gesagt, ab 18 Uhr sei es hier ganz menschenleer!“

Ungehalten brummelt Anatol, dass in 10 Minuten sicher viel weniger Leute unterwegs wären. Ich solle mich „gefälligst nicht so anstellen.“ Nach diesem wenig freundlichen Hinweis versuche ich, bis zum Hauseingang unserer Freundin vorzudringen, was glücklicherweise auch gelingt.

Etwas später lassen wir uns zu dritt von der Menschenmenge in Richtung Weihnachtsbaum am Place Kleber schieben. Hier schaffen wir es leider nicht, bis zur Krippe vorzustoßen – immerhin glückt es uns, ein Photo von Anatol unter dem großen Strasbourger Weihnachtsbaum zu schießen.IMG_3247

Da Anatol doch etwas Angst bekommen hat wegen der vielen Menschen um uns herum, lässt er sich lieber von uns festhalten.

Wir beratschlagen. In der Nähe des Weihnachtsbaums ist nicht nur kein Fortkommen – die Geräuschkulisse ist auch ganz unerträglich. Attraktion des Weihnachtsmarkts ist nämlich unter anderem ein Lichtspiel, welches mit lautstarker Musikuntermalung mehr an ein Science-Fiction-Kinoerlebnis erinnert als an eine Weihnachtsvorstellung.

Ein kleiner Platz in der Nähe beherbergt auch einige Weihnachtsstände – dort hoffen wir eine etwas entspanntere und vor allem geräuschärmere Umgebung vorzufinden.

Der Saurier ist begeistert – und unverfroren: Kaum sind wir am Ziel angekommen, entwischt er aus meiner Handtasche und versucht, einen der Weihnachtsstände zu erklimmen! IMG_3253Im letzten Moment bekommt meine Freundin ihn am Schwanzzipfel zu fassen und kann das Biest festhalten – die hübschen Christbaumkugeln hatten es ihm offenbar sehr angetan.

Der Butler gelobt nun Mäßigung – allerdings erst nach einer gebührenden Maßregelung. Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn der Saurier auf dem überfüllten Weihnachtsmarkt verloren ginge!

Wir besuchen einen Stand mit Weihnachtsfigürchen, Anatol ist hier glücklicherweise brav und lässt sich ohne weiteres photographieren. IMG_3254

Nun verlangt das Tier allerdings etwas zu essen. Man könne nicht auf einen Weihnachtsmarkt gehen, ohne Weihnachtsgebäck zu sich zu nehmen!

Hier wartet die nächste Enttäuschung auf uns. Die Stände, an denen Bredele und Glühwein verkauft werden, sind so beliebt, dass sich endlose Schlangen davor gebildet haben. Da ich keine Viertelstunde auf ein paar Bredele und etwas warmen Orangensaft mit Gewürzen warte, spreche ich ein Machtwort: Es gibt heute weder Bredele noch Glühwein, sondern – mangels Warteschlange vor dem entsprechenden Stand – etwas, was wir früher ohne Hintergedanken, politisch jedoch gänzlich unkorrekt „Negerkuss“ genannt hätten und was hier auf dem Weihnachtsmarkt in den köstlichsten Varianten dargeboten wird: Rum-Rosine, Zimt, Mokka, weisse Schokolade … einen solchen spendiere ich Anatol.

Noch bevor ich ein Photo machen kann, hat der Saurier die Süßigkeit vertilgt. Ich bin enttäuscht – wollte ich doch die Szene der Nachwelt erhalten.

„Dann müssen wir wohl noch mal herkommen, wenn Du davon unbedingt ein Photo willst!“ feixt das Untier frech. Ich bin sprachlos ob dieser Unverschämtheit!

Nun ist es auch Anatol kalt geworden. Wir knipsen ein letztes Photo vor einem wunderschön dekorierten Uhrengeschäft und machen uns auf den Rückweg. IMG_3255

Bis zu Annas Stand sind wir nicht durchgedrungen. Vermutlich müssen wir als tatsächlich noch einmal auf den Weihnachtsmarkt.

Ob ich mich wirklich darauf freue, weiss ich heute Abend allerdings noch nicht.

97. Kapitel – Migräne mit der „Grünen Suppe“ bekämpfen!

Heute morgen hat Anatol ein sehr leckeres Rezept in Violettas Blog entdeckt! Es stammt von Viviane – Anatol wird es bald nachkochen :

Das Migräne Projekt

IMG_1950_2Also, eigentlich heißt die Suppe bei uns „Froschsuppe“. Keine Angst, sie ist rein vegetarisch und eben weil sie so schön grün ist, heisst sie bei mir „Froschsuppe“.

Die Zutaten sind vor allem entzündungshemmend und antihistaminisch.

Da ich in den USA lebe, habe ich mir angewöhnt Mengen nicht nach Gewicht, sondern nach Volumen zu messen. Das bedeutet, dass ich von „cup“ spreche, wenn ich die Kräutermenge angebe. 1/4 cup entspricht etwa 1/4 Becher (bzw. große Tasse), 1/2 cup etwa 1/2 Becher (große Tasse).

Zutaten:

  • Froschsuppe_ Zutaten5 Zucchini, in Scheiben oder Würfel geschnitten
  • 1 Kopf Brokkoli, zerkleinert
  • 1 Fenchel Knolle, in Scheiben
  • 2 -3 mittelgroße Schalotten, zerkleinert
  • 4 Knoblauchzehen, gepresst oder zerkleinert
  • 1/4 cup frischer Thymian (Vorsicht: machen Quellen raten von Thymian bei HIT ab)
  • 1/2 cup frische Petersilie (ich nehme gern glatte)
  • 1/2 cup frischer Koriander
  • 1/2 cup frische Minze
  • 2  EL Rosmarin
  • 1- 2 cm frischer Turmeric (Kurkuma bzw. Gelbwurz)
  • 1-2…

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