37. Kapitel – Gender Studies II

IMG_2084

Verschlafen sitzen Anatol, Elie und ich am Frühstückstisch. Es ist Sonntag, der 30. März 2014 und heute ist die Uhr auf die Sommerzeit umgestellt worden. Das bedeutet, dass wir eine Stunde weniger geschlafen haben, um uns an das frühere Aufstehen in den nächsten Tagen zu gewöhnen.

Ich mag die Sommerzeit. Nur das Umstellen der Uhr finde ich lästig, da es meinen Schlafrhythmus durcheinanderbringt. Könnte man nicht bei einer einzigen Zeit bleiben?

Das Telephon klingelt. Es ist 8 Uhr 30 – wer ruft denn so früh schon an? Es können eigentlich nur schlechte Nachrichten sein.

Bedrückt hebe ich ab.

Am Telephon ist der Urzeitsaurier Herr Hase: Elianes Vater. Er heisst wirklich „Herr Hase“ – so etwas kann man nicht erfinden: ein Saurier mit Namen „Hase“. Es gibt nichts, was es nicht gibt.

Herr Hase hat sich leider seit gestern Nachmittag nicht beruhigt. Im Gegenteil: er scheint sich in seine Wut noch weiter hineingesteigert zu haben, denn mit zorniger, heiserer Stimme fragt er, ob mir „ein gewisser Anatol gehöre“. Ich antworte, dass Anatol in erster Linie sich selbst gehöre, und dass ich die beiden Saurier nicht als mein Eigentum ansehe. Dass Anatol aber in der Tat hier bei mir wohne. Zur Zeit frühstücke er gerade – ob denn Herr Hase nicht auch lieber gemütlich mit seiner Familie einen Morgenkaffee und ein Croissant zu sich nehmen wolle, und sich erst dann den ernsteren Dingen des Lebens zuwenden wolle…?

Herr Hase will das ganz sicher nicht. Er ist außer sich vor Zorn über meinen aufsässigen Saurier, der ihm gestern in renitenter, ja geradezu impertinenter Art und Weise Paroli geboten habe, was er als empörenden Affront empfinde und worüber er sich nun mit Nachdruck bei mir beschweren wolle.

Ich gebe Herrn Hase zu verstehen, dass Anatol und Elie mir den gestrigen Vorfall geschildert hätten. Ob Herr Hase nicht das Gefühl habe, hier doch über das Ziel hinausgeschossen zu sein, und eine Geburtstagsfeier von minderjährigen Sauriern etwas überzubewerten?

Er bewerte nichts über, ereifert sich Herr Hase. Er erwarte von meinem Stegosaurus eine Entschuldigung, sonst werde er geeignete Schritte ergreifen. Dann hängt er ein, noch bevor ich antworten kann.

Ich seufze. „Anatol, ich glaube, das ist kein Fan. Herr Hase war am Telephon. Und er will, dass Du Dich für Dein Verhalten von gestern entschuldigst.“

„Den Teufel werde ich tun.“ knurrt Anatol. „Ich stehe zu jedem einzelnen Wort, das ich gestern gesagt habe.“

Elie jubelt. „Anatol ist ein Held!“

Ich bitte um Mäßigung.

„Kinder, ich bin auf Eurer und Annas Seite. Aber wir haben nun einen ausgewachsenen Nachbarschaftsstreit, und das ist kein Spaß. Wir haben hier im Viertel immer friedlich zusammengelebt, und nun wird es Ärger geben. Davon können wir ausgehen. Wir müssen eine Lösung finden, sonst werden wir und Annas Familie hier nicht mehr froh werden, fürchte ich. Vielleicht wäre eine rein formale Entschuldigung – möglicherweise per Brief – doch das Beste?“ Manchmal nenne ich die Saurier und die Katzen „Kinder“ – obwohl sie gar keine Kinder mehr sind, bis auf Elie. Anatol ärgert das, aber heute bemerkt er es nicht einmal.

Entgeistert sieht er mich an. „Du willst doch nicht etwa, dass dieser Urzeitsaurier Recht bekommt?!“

Ich gebe zu bedenken, dass es nicht um das „Recht“ ginge – sondern um ein zukünftiges friedliches Zusammenleben der Nachbarn. Herr Hase werde möglicherweise nach einem freundlichen Brief wieder Ruhe geben?

Anatol gibt ein verächtliches Schnauben von sich. „Die Staatsräson. Ja ja. Dafür tut man ja so einiges. Aber nicht ich. Wenn ich etwas gelernt habe in den letzten Jahrmillionen, dann das: man sollte zu seinen Auffassungen stehen. Auch, wenn es Gegenwind gibt. Und damit ist das Thema für mich beendet. Es wird keine Entschuldigung geben.“

Ich bin beeindruckt. Mein Butler hat wirklich Stehvermögen. Elie jubiliert: „Der Macho-Saurier soll sich in seine Steinzeit verziehen!“

Derlei Äußerungen unterbinde ich, denn man soll über Andersdenkende nicht so sprechen – auch wenn man mit ihren Thesen überhaupt nicht einverstanden ist. Wir haben das nicht nötig, sage ich zu Elie.

Anatol hat den ganzen Vormittag lang recherchiert. Dies hat er gefunden:

  • Im Februar 2014 versammelte die „Manif pour tous“ nach eigenen Angaben allein in Paris mehr als eine halbe Million Demonstranten, um gegen das sogenannte „Mariage pour tous„, die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern zu protestieren. Die Demonstrationen wendeten sich dabei nicht nur gegen die Homo-Ehe, sondern auch gegen die sogenannte „Gender-Theorie“, bzw. gegen das, was die Demonstranten darunter verstanden. Die Protestaktionen griffen gezielt eine Kindererziehung an, die Kindern keine vorgegebenen Geschlechterrollen zuweist. Mädchen hätten sich als Prinzessinnen zu verkleiden, Jungen als Piraten. Nur so sei gewährleistet, dass sie als Erwachsene auch die ihnen vorbestimmten Rollen als Mann und Frau übernähmen.
  • Der Film „Tomboy„, in dem ein kleines Mädchen sich als Junge verkleidet, Fußball spielt und sich in ein anderes kleines Mädchen verliebt, wurde im Februar 2014 auf ARTE ausgestrahlt. Die extremistisch-katholische Organisation „Civitas“ hatte im Vorfeld versucht, Druck auf den Sender auszuüben, um die Absetzung des ihrer Ansicht nach schwer jugendgefährdenden Films zu erreichen – ohne Erfolg. Der Film hat mehrere internationale Preise gewonnen und ist von der FSK ab 6 freigegeben – auch für Feiertage.
  • Im März 2014 musste Sunnie, ein kleines Mädchen aus Timberlake in den USA seine Schule verlassen, da es mit seinen kurzen Haaren zu sehr wie ein Junge aussah, so die Schulleitung. Dies entspräche nicht den christlichen Werten der Schule. Im Blog der amerikanischen Pastorin Emily C. Heath schreibt diese einen offenen Unterstützungsbrief an Sunnie, in dem sie das Verhalten der Schule verurteilt und Sunnie darin bestärkt, ihre Haare weiter so zu tragen, wie es ihr am besten gefalle. Neben vielen positiv gestimmten Kommentaren erhält die Pastorin jedoch aus offenbar religiös-extremistischen Kreisen aggressive Zuschriften.
  • In Saudi-Arabien dürfen Frauen nicht einmal Fahrradfahren. Sie dürfen auch sonst fast nichts. Eine sehr mutige junge Frau aus Saudi-Arabien, Haifa al-Mansur, hat nun einen Film gedreht (obwohl Frauen auch das verboten ist), in dem ein kleines Mädchen in Arabien heimlich Fahrrad fahren lernt.  Der Film heisst „Das Mädchen Wadjda“ und Anatol kann eins nur raten: unbedingt angucken, ebenso wie Tomboy!
    .
  • Spielsachen werden – marketinggerecht – in immer „sexualisierterer“ Form angeboten. Für Mädchen gibt es pinke, bonbonfarbene Puppen – Jungen sollen mit pseudo-männlichem Spielzeug aufwachsen. Es gibt plötzlich Lego für Mädchen und Lego für Jungen. Warum ist das so? Es geht nicht nur um das Hineinpressen in bestimmte Rollen – es geht um den Kommerz. Das Geldverdienen damit, dass kleine Kinder sich nach vorgegebenen Geschlechterrollen entwickeln sollen. Anatol hat dazu diesen Blogartikel von Talinee gefunden. Wir empfehlen ihn ganz ausdrücklich, ebenso wie diesen Beitrag von The Belle Jar über Men´s rights movements.

Anatol warnt davor, anzunehmen, dass das Prinzip „Gleichberechtigung“ eine unverrückbare, feststehende Errungenschaft sei. Gegenläufige Tendenzen und Ansichten wie die des Urzeitsauriers Herrn Hase existierten zu Hauf. Er rät zu größter Vorsicht.

Von Herrn Hase werden erstaunlicherweise aber keine weiteren Beschwerden kommen.

Im Herbst werden Annas Eltern uns mitteilen, dass Frau Hase sich von Herrn Hase getrennt hat und ohne ihn mit Eliane hier im Viertel lebt.

Der Presse werden wir Jahre später entnehmen, dass Herr Hase einer rechtsextremis-tischen Partei beigetreten ist und für diese kandidiert.

Letzteres wird uns weniger verwundern.

 

 

 zurück zum ersten Teil der Gender Studies

32. Kapitel – Anatol backt Brot

IMG_2027Anatol inspiziert den Küchenschrank. Eben hat er mehrere angebrochene Packungen Mehl gefunden, die kurz vor dem Ablaufdatum stehen.

Obwohl es seine Aufgabe ist, die Vorräte zu überwachen und dafür zu sorgen, dass nichts schlecht wird, versucht er dennoch, mir dieses Vergehen in die Schuhe zu schieben: „Wenn ich jetzt nicht in den Schrank geguckt hätte, wäre das Mehl im April abgelaufen! Ich muss mich hier wirklich um alles kümmern!“

„Anatol, die Vorräte sind Deine Sache, das weisst Du doch!“ antworte ich – etwas verstimmt.

Darauf kommt von ihm nur ein verächtliches Schnauben, auf das ich nichts weiter erwidere. Meist ist so eine vermeintliche schlechte Laune bei Anatol nämlich nur Vorbote irgendeiner originellen Aktion – diesen Impetus will ich auf keinen Fall stoppen.

IMG_2021Und richtig – Anatol bereitet etwas vor. Er hat einiges zusammengestellt und will nun damit photographiert werden. Hier die Zutaten, die Anatol gleich zu einem Fladenbrot verarbeiten wird:

100g Einkornmehl
100g Khorasan-Weizenmehl
1 EL Maismehl
1 EL Kreuzkümmel
1 EL Koriandersamen
1 TL Salz, 1/2 TL Zucker, 1/2 TL Natron
ca. 200 ml Wasser

Anatol sagt, das Natron stehe normalerweise nicht in seinem Rezept. Er möchte aber mal ausprobieren, ob das Fladenbrot damit etwas weicher wird. Es wird also ein Experiment!

Nun mischt Anatol als erstes das Mehl, den Kreuzkümmel, die Koriandersamen, Salz, Zucker und Natron. Er sagt, man könne das Mehl auch noch sieben, wenn man dazu Zeit habe. Wichtig sei das Sieben vor allem, wenn man einen Kuchen backen wolle, der schön locker werden solle. Beim Fladenbrot sei das aber nicht so besonders wichtig. Er verzichtet heute also darauf.

IMG_2022

Das wird alles gut verrührt, dann kommt etwas Wasser dazu. Diese Mischung verknetet Anatol nun gut, bis ein schöner fester Klops daraus wird.

Letzteren rollt Anatol nun in der Backform aus, die er mit Olivenöl eingefettet hat.

IMG_2026

Nun kommt der Teig, der ca. 5 mm dick ist, in den Ofen. Diesen hat Anatol auf 100°C vorgeheizt, denn das Brot soll im Grunde nur getrocknet werden – und das ca. 40 Minuten.

Ob das schmeckt? Ich bin gespannt …

Das Fladenbrot ist fertig. Es ist schön weich und locker – aber es fehlt ein wenig Salz. Das nächste Mal muss etwas mehr rein. Ansonsten: ganz köstlich!

Wer es lieber etwas fester mag, dem rät Anatol, einfach das Natron wegzulassen.

29. Kapitel – Mangold

IMG_1984Anatol hat sich heute selbst übertroffen.

Offenbar ist es ihm nun doch etwas peinlich, dass er am Freitag Abend auf meine Verspätung so verärgert reagiert hat.

Gestern war er mit einem riesigen Einkaufskorb vom Markt zurückgekehrt, hatte aber sichtlich niemanden erlauben wollen, hineinzugucken. Schnell war der Inhalt des Korbs im Kühlschrank verstaut und dieser mit dem Befehl „Da geht keiner ran!“ geschlossen worden.

Heute abend wird das Geheimnis gelüftet. Anatol zieht ein riesiges grünes Ungetüm aus dem Kühlschrank und erklärt: „Das ist Mangold. Wir essen viel zu selten solche feinen Gemüsesorten!“

Mangold habe ich schon einmal probiert – zu Sylvester vor über 20 Jahren, in Paris. Es muss wohl 1990 oder 1991 gewesen sein … Damals hatte unser Freund Marc den Mangold zubereitet. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er mit seinen langen, spillerigen Armen die großen, grünen Blätter aus einem gigantischen Topf herausfischt und sie uns serviert – und dabei die Vorteile der „blettes“ (so heisst Mangold auf Französisch) aufzählt: der Mangold sei voller Vitamine und Mineralstoffe und habe einen wunderbar aromatischen, leicht nussigen Geschmack. „Les blettes“ hatten mir damals in der Tat sehr gut geschmeckt – aber ich hatte es leider versäumt, mir das Rezept aufzuschreiben, und hatte dieses schöne Gemüse dann auch vergessen.

Heute, nach fast 25 Jahren, ist es Zeit für den nächsten Mangold.

Verdächtig finde ich allerdings, dass Anatol erstaunlich oft zum Computer läuft und dort nachliest. Hat der Spitzbube etwa kein eigenes Rezept…? Etwas verschämt gibt Anatol zu, dass er in seiner Sammlung leider kein Mangold-Rezept vorhalte. Er habe aber eine ganz großartige Kochanleitung hier bei Chefkoch.de gefunden! Diese wolle er nun ein wenig abwandeln, da wir nicht alles im Haus hätten, was dafür benötigt würde.

IMG_1985Als erstes schneidet Anatol 2 kleine Schalotten und 2 Knoblauchzehen in Würfelchen und brät sie in einem großen Topf leicht mit Olivenöl an.

Dann gibt er die gewaschenen und kleingeschnittenen Mangoldstiele (das Weisse unten an den Blättern) in den Topf und lässt das Ganze etwas schmoren. Dazu kommen 3 kleine Chilis, Salz, Pfeffer und ein Teelöffelchen Vanillezucker.

Diese Mischung wird nun unter Rühren angebraten. Das Rezept von Chefkoch.de sieht noch Gemüsebrühe vor, aber die vertrage ich wegen der enthaltenen Würzstoffe nicht. Anatol lässt sie also weg, ebenso wie den Weisswein (der allerdings durch Rotwein ersetzt wird).

IMG_1988Letzteren gießt Anatol nun hinzu, gibt den Rest des Mangolds in den Topf (die geschnittenen Blätter), rührt einmal gut um und verschließt den Topf mit dem Deckel. Der Mangold muss nun etwa 20 Minuten sanft garen.

Indessen setzt Anatol einen zweiten Topf mit gesalzenem Wasser auf. Offenbar soll es Nudeln zu dem Mangold geben! Ich freue mich.

Das Wasser kocht – Anatol hat Penne vorgesehen und gibt sie in den Topf. Ich liebe Penne! Mittlerweile habe ich großen Hunger und bin sehr gespannt auf das, was Anatol da herbeizaubert.

IMG_1990Es ist soweit. Anatol serviert die „Penne mit Mangold à la Chefkoch.de„.

Ich finde sie einfach köstlich. Ehrlich gesagt kann ich gar nicht mehr aufhören … schon habe ich mir zum dritten Mal  nachgenommen.

Mit etwas Glück bleibt zumindest eine Kleinigkeit von dem herrlichen Mangold-Gericht für morgen übrig. Aber sicher ist das nicht.

28. Kapitel – Feng Shui II

IMG_1982Anatol sagt mir gerade, dass wir uns eigentlich entschuldigen müssen für unseren Beitrag von gestern. Und zwar bei den Anhängern des traditionellen Feng Shui, die die daoistische Lehre studiert haben und danach leben.

Auf keinen Fall wollten wir diese jahrtausendealte, komplexe chinesische Harmonielehre in irgendeiner Weise lächerlich machen. Besonders Anatol interessiert sich sehr für die chinesische Kultur, was sich in seiner Liebe zum Tee und zur chinesischen Teezeremonie Gong Fu Cha ausdrückt. Hierzu aber später.

Der Beitrag von gestern wirft – so findet Anatol nun – die neuzeitliche „Minimalismus-Bewegung“ und die Philosophie des Feng Shui in einer etwas respektlosen Weise zusammen.

Aber so war es nicht gemeint. Wir wollten die beiden Theorien nicht einfach so „über einen Kamm scheren“ oder gar unreflektiert vermischen.

Dennoch gibt es Berührungspunkte zwischen Minimalismus und Feng Shui. Minimalismus hat mit der Lehre des Feng Shui zumindest dies gemeinsam: die ganz bewusste Einrichtung und Ausrichtung von Wohnraum mit wenigen Gegenständen, die etwas aussagen und die eine Bedeutung, einen Hintergrund haben. Zufällig zusammengewürftelten Krimskrams gibt es dort nicht. Auch im Feng Shui ist nur Platz für das Wesentliche.

Diese Gemeinsamkeit ist für uns wichtig. Denn eben dieser Punkt soll bei unserer neuen Wohngestaltung zum Tragen kommen.

Wir dürfen nun gespannt sein.

Eben hat Anatol jedenfalls den ersten gelben Sack zugebunden und vor die Tür gestellt. Was wir für einen Papier- und Kartonkrempel hier rumfliegen hatten … das gibts gar nicht. Der zweite gelbe Sack wird jetzt sofort zum Einsatz gebracht. Denn es geht weiter mit dem Entrümpeln.

27. Kapitel – Feng Shui I

„Entrümple Dein Leben“ – diesen Slogan hat Anatol im Internet entdeckt. Zu lesen bekommt man ihn auf Seiten über den neuen „Minimalismus“ wie Simplify your life, in Blogs wie z.B. Becoming minimalist oder auch in der ganzheitlichen Lebenslehre des Feng-Shui.

Anatol ist begeistert vom Minimalismus. Sofort will er die neuen Ideen in die Tat umsetzen. Ihm schwebt eine Umgestaltung der Wohnung in etwas wie diesen Tempel der Wohnkultur vor.

Ich muss Anatol enttäuschen. Eine solche Einrichtung werden wir niemals haben. Dafür sorgen bereits unsere pelzigen Mitbewohner, die von meinen Freunden als „Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet werden. In Bezug auf schöne Möbel werden sie dieser Bezeichnung leider gerecht.

Doch was bedeutet „Minimalismus“?

Es handelt sich dabei nicht einfach um Aufräumen. Nein, es geht um „Loslassen“, um „Weniger besitzen“. Die Engländer nennen es „de-own“ – die  eigenverantwortete, bewusste Selbstenteignung, um es in ordentlichem Juristendeutsch auszudrücken.

„Wozu soll das gut sein?“ fragt Elie. „Schließlich habe ich lange gespart, um mir endlich meinen tollen Chèche zu kaufen! Und nun soll ich den weggeben? Nein – ohne mich!“

IMG_1537Elie hat in der Tat lange Zeit seine Steinzeittaler angespart, weil er in einer Boutique einen wunderschönen tunesischen Wüstenschal (den „Chèche“) gefunden hatte, den er beim Sommer-Treffen der „Söhne der Wüste“ tragen will. Der Chèche ist sein ganzer Stolz, und um nichts in der Welt würde er ihn hergeben.

Ich versuche, es Elie zu erklären. „Elie, auf keinen Fall musst Du Deinen Chèche abgeben. So funktioniert Minimalismus nicht. Es geht um etwas anderes, nämlich darum, Sinnloses und Überflüssiges hinter sich zu lassen.“

Anatol pflichtet mir bei. „Ein Chèche ist gut. Zehn Chèches, die Du nie trägst, ist Anti-Minimalismus. Und das wollen wir nicht mehr.“

Nun wird Elie etwas ungehalten. „ICH habe nur einen einzigen Chèche. Und sonst habe ich GAR kein Kleidungsstück. Dieser Minimalismus geht mich deshalb nichts an. Die einzige Person, die hier Kleidung in 100facher Ausführung besitzt, so dass die Schränke überquellen und alles an den Türen hängen muss, weil in die Schränke nicht einmal mehr ein hauchdünnes Pfefferminzblättchen hineinpasst – von den Schuhen mal ganz zu schweigen! – ist Susanne!“

Elie hat damit ins Schwarze getroffen. Betreten schaue ich zu Boden. „Elie, Du hast ja recht. Es geht hier vor allem um mich und meinen Kram. Er nimmt einfach zu viel Platz weg. Und daran wollen wir etwas ändern. Ich habe ja schon beschlossen, in diesem Jahr kein einziges neues Kleidungsstück zu kaufen. Bisher habe ich mich daran gehalten.“

Elie bemerkt etwas spitz, dass es mit dem „nichts Neues mehr kaufen“ ja schön und gut sei – dass aber eine sinnvolle Nutzung der Wohnung seiner Meinung nach erst wieder möglich sei, wenn mindestens ein Drittel der vorhandenen Kleidungsstücke entfernt würde. Ich schlucke.

Anatol erinnert nun daran, dass der materielle Teil (das Aufräumen und Weggeben von Sachen) nur ein Aspekt des Minimalismus sei. Es gehe dabei vor allem um die Einstellung zum Konsum. Um Nachhaltigkeit – aber auch um Verzicht auf den neuesten technischen Schnickschnack und allgemein auf alles Unwesentliche.

Elie guckt sehr skeptisch. Er ist – was ihn selbst betrifft – sichtlich nicht von der Idee des Verzichts angetan. Deshalb muss ich mir etwas einfallen lassen, das ihn überzeugt. Und schon habe ich eine Idee.

„Ihr Lieben, wann habt Ihr eigentlich das letzte Mal in Eurem Nestchen das Gefühl gehabt, dass es dort bequem und angenehm war? So dass Ihr beide Platz hattet, um Euch mal richtig auszustrecken?“

Anatol druckst etwas herum und weiss sichtlich nichts zu antworten. Elie wird rot bis hinter beide Ohren (die bei ihm nicht sehr ausgebildet sind). Der Grund liegt auf der Hand – seit Tagen sieht das Nestchen so aus:

IMG_1599

Man kann es mit Fug und Recht als einen wahren Schweinestall bezeichnen.

Die erste Aufgabe für die frischgebackenen Minimalisten ist es also, das eigene Nestchen auszuräumen und dann gemäß Feng Shui zu ordnen. Mit Feuereifer machen sich die beiden an die Arbeit.

Über den Fortgang des „Feng Shui à la Anatol“ werden wir berichten!

16. März 2014

Und so sieht ein schön aufgeräumtes, entrümpeltes Dino-Nestchen aus:

IMG_1982

Anatol und Elie fühlen sich sichtlich wohler darin und wollen nun die ganze Wohnung entrümpeln. Gut, dass ich eine Woche Ferien habe und das Ganze überwachen kann …