131. Kapitel – Abenteuerferien in Britisch Kolumbien

„Quicquid aetatis retro est, mors tenet“

Anatol und Elie haben mich so lange bearbeitet, bis ich nachgegeben habe. Wir werden das alte Kanada-Tagebuch von Susanne & Judith aus dem Jahre 1985 in seinem Original hier im Blog veröffentlichen. Die Beiträge stammen teils von mir (damals 16 Jahre alt) teils von meiner Schwester Judith (damals 13).

Das Tagebuch beginnt mit einem Photo meines Vaters, der uns mitten in der kanadischen Wildnis das Frühstück zubereitet. Auf diesem Bild ist mein Vater genau so alt wie ich heute… wie konnten 30 Jahre so schnell vergehen?

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Sonnabend, den 13.7.85
Endlich ist es soweit! Heute sind wir nach Kanada geflogen. Pünktlich zur Abfahrt ist der Photoapparat kaupttgegangen. Die Batterien waren alle. Weil wir wie üblich zu spät gekommen sind, bekamen wir einen Platz in der „Executive classe“.

Sonntag, den 14.7.85
Wir wollten heute das Auto kaufen…

Hier schaltet sich Elie ein. „Wieso wolltet Ihr denn in Kanada ein Auto kaufen?“ Die Frage ist berechtigt. Ich erkläre die Autofrage: „In Amerika – und dazu gehört Kanada – kann man ohne Auto nichts unternehmen. Die Entfernungen sind so groß, dass man es sich hier schwer vorstellen kann. Wir brauchten also unbedingt ein Auto. Die Automietpreise waren sehr hoch, so haben wir das Auto lieber gleich gekauft. Bevor wir zurückgeflogen sind, haben wir es einfach wieder verkauft. So macht man das dort.“

Es geht weiter im Tagebuch:

Papa hat sich an der Rezeption erkundigt, ob die Geschäfte sonntags aufhaben. Das Mädchen an der Rezeption (Diane) hat ihren Vater (Fred) angerufen, und der hat mit uns das Auto gekauft. Überhaupt sind alle Leute hier sehr hilfsbereit und freundlich.

IMG_3800Montag, den 15.7.85
Heute sind wir zum Cariboo District aufgebrochen! Fred hatte uns empfohlen, dorthin zu fahren und hat uns seinen Grill mitgegeben (für unseren gibt es hier keinen Sprit). Abends waren wir in Chilliwack (Motel mit Schwimmbad!).

IMG_3782Dienstag, den 16.7.1985
Einkauf in Chilliwack (Badehose für Papa). Dann sind wir weiter in Richtung Norden gefahren. Am Abend haben wir zum ersten Mal das Zelt aufgeschlagen, gleich in der Nähe vom Fraser River.

Mittwoch, den 17.07.1985
Die Gegend ist einfach trostlos. Heute morgen sind wir zum Fraser River gegangen, um Gold zu waschen. Nach kurzer Zeit hatten wir welches gefunden! Der ganze Sand steckte voller Goldstaub. Leider konnten wir es einfach nicht vom Sand trennen. Nach einem Bad im Fraser River sind wir abgefahren. Das Land glich einer Wüste, und die Hitze war unerträglich. Seltsamerweise gab es hier überall Geschenkläden und Gewürzstände.

IMG_3863Die sogenannten Städte bestehen aus aneinandergereihten Eisenbahnwaggons. – Eine besonders kleine Stadt war Spuzzum. Einige Meter vor der „Stadt“ sahen wir das Schild „Entering Spuzzum“ und „Welcome“. Dann sahen wir eine verfallene Hütte, eine Tankstelle und viel Müll. Daraufhin kam das Schild „Thanks for visiting Spuzzum“ und das wars. Die Orte Ashcroft und Cache Creek werden hier besser nicht erwähnt, mit Rücksicht auf die Einwohner. – Endlich waren wir am Cariboo. Schreckliche Enttäuschung: es war Taiga. Verkrüppelte Birken und Tannen.

Donnerstag, den 18.7.1985
Die Nacht am Green Lake war sehr kalt. Das fanden auch die Wölfe, deshalb heulten sie wohl so. Morgens wurde es sehr heiss, weil die Sonne aufs Zelt schien. Da der Campingplatz nur mit Plumpsklo ausgerüstet war und die Nachbarn laute Popmusik erschallen ließen, verließen wir diesen Ort nach einem Bad im See schleunigst.

IMG_3864IMG_3785Wir nahmen die Route nach Kamloops, wo wir einen Provincial-Park fanden, auf dem wir blieben. Leider war der Untergrund aus Schotter, in den wir unsere Heringe nicht reinkriegten. Deshalb haben wir das Zelt im Wald aufgebaut. Wir waren gerade fertig, da kam der Campinggroundfritze und befahl uns, das Zelt wieder auf dem Schotter aufzubauen. Dafür sind wir auch gleich am nächsten Morgen wieder abgefahren.

Anatol hat bis hier stillgehalten. Jetzt rutscht er aufgeregt hin und her und will Einzelheiten wissen. Ich unterbreche meinen damaligen Bericht also und lasse Anatol ein paar Fragen stellen.

„Wieso haben da Wölfe geheult!? Gibt es da einfach so Wölfe draußen? Das ist doch toll! Wieso seid Ihr nicht an diesem See geblieben? Der sieht auf den Photos wunderschön aus! Ich verstehe nicht, dass Ihr jeden Tag weitergefahren seid und warum Deine Erzählung so … enttäuscht klingt!“

Das muss ich in der Tat erklären. Warum erschien uns das lang erträumte Kanada, als wir endlich da waren, so unwirtlich und öde? Die Antwort ist einfach: weil wir uns über Jahre etwas ganz anderes unter „Abenteuerferien in Kanada“ vorgestellt hatten.

Unsere Reise nach Kanada hatten wir uns seit Jahren ausgemalt. Wir hatten uns große Wälder und unberührte Landschaften erdacht – unbewusst mit dem Bild eines gigantischen Göttinger Hainbergs im Kopf. Dass Kanada möglicherweise kein größeres Südniedersachsen war, war uns nicht in den Sinn gekommen. Umso schlimmer war die Enttäuschung, als sich die Wirklichkeit als ganz anders als die Traumvorstellung herausstellte.

Anatol bemerkt spitz: „Na ja, aber wie kann man denn so – pardon – hirnverbrannt sein und sich vorher nicht erkundigen über das Land, in das man fährt?“

Ich seufze. „Wir hatten uns ja „erkundigt“. In Büchern wie „Kleines Haus im großen Wald„, „Arundel„, „Die Nordwestpassage“ usw. Wir hatten alle möglichen Abenteuerromane gelesen, die dort spielen. Ich gebe zu, dass es sich hierbei nicht um die einschlägige Reiseliteratur handelt. Um die hatten wir einen großen Bogen gemacht.“

Anatol schnaubt. „Da sind wohl drei Hornochsen auf Reisen gegangen!“ Ich möchte dazu nichts sagen (meine Mutter hatte sich damals ähnlich geäußert und hatte im Übrigen davon abgesehen, mitzukommen) und fahre fort in meinem Reisebericht.

Freitag, den 19.7.1985
Wir haben noch keinmal Mittag gegessen – wir hatten einfach keine Zeit. Heute sind wir ins Okanagan Tal gefahren. Dort soll es schön sein. Pustekuchen! Es war noch schlimmer als vorher und vor allem heißer. Am Kalamalka-See haben wir übernachtet. Er war warm und sehr dreckig.

Sonnabend, den 20.7.1985
Heute kamen wir an einem tollen See vorbei! Man hätte sicher toll baden können. Um zum Strand zu kommen, mussten wir über Privatgebiet gehen. Sofort wurden wir von Häschern ergriffen und zurückbefördert. – Dann kamen wir durch eine „Stadt“, in der es ein englisches Antiquitätengeschäft gab. Wir hielten sofort an. Das Geschäft gehörte einer netten älteren Dame, die Engländerin war. Sie hatte über Britisch Kolumbien genau dieselbe Ansicht wie wir: keine Bäume, keine Städte, keine Kultur. Hier können wir nicht wohnen. Den Traum vom Grundstück haben wir sowieso schon aufgegeben.

Hier mischt Elie sich ein. „Das kann doch gar nicht stimmen, dass es in Britisch Kolumbien keine Bäume gibt! Du übertreibst doch wieder einmal maßlos!“

Ich gebe zu, dass es natürlich in der von uns besuchten Gegend Britisch Kolumbiens auch Bäume gegeben habe. Vereinzelt! Die Region, in die wir gefahren waren, ist aber – dies sagten uns die Anwohner dort – in den vergangenen Jahrhunderten restlos abgeholzt worden. Daher gibt es dort keine Wälder mehr. Man nennt die Gegend auch „Das Arizona Britisch Kolumbiens“. Um in die großen Wälder zu kommen, hätten wir viel weiter nach Norden fahren müssen – noch weiter als zum Green Lake. Dort hatten nachts indessen die Wölfe geheult, was unseren Vater dazu veranlasst hatte, lieber nicht weiter in die Wälder vorzudringen. Bezeichnenderweise waren wir die Einzigen, die im Zelt campten – alle anderen Camper waren in großen, wolfssicheren Campingwägen untergebracht.

„Aber Wölfe greifen doch keine Menschen auf Campingplätzen in ihrem Zelt an!“ ruft Elie empört. „Wölfe haben dazu viel zu viel Angst vor Menschen!“

Kleinlaut räume ich ein, dass wir das auch gedacht hatten. Wenn allerdings nachts die Wölfe um den Campingplatz schleichen und laut heulen, überlegt man es sich zweimal, ob man – darauf vertrauend, dass der Wolf viel mehr Angst hat als man selbst – das Zelt verlässt, um sich auf das 50m entfernte Plumpsklo zu begeben – oder ob man lieber vor Furcht zitternd weiter im Zelt einhält. Beides sind keine zufriedenstellenden Alternativen. So waren wir lieber nicht am Green Lake geblieben und in etwas großzügiger bevölkerte Landstriche – ohne Wölfe – gefahren.

Anatol will nun noch wissen, was es denn mit dem „Traum vom Grundstück“ auf sich hatte.

„Wolltet Ihr etwa auswandern?“ fragt er erstaunt.

Der Traum vom Grundstück hing mit dem geopolitischen Hintergrund der 80er Jahre zusammen: dem kalten Krieg – und erklärte sich auch aus den persönlichen Kriegserfahrungen meiner Eltern. Auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs baute sich damals das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens auf. Dieses sollte uns vor dem Atomkrieg schützen.

Was den damaligen Strategen als „bombensicher“ erschien, war dem einfachen Bürger indessen suspekt – ist doch ein „Gleichgewicht des Schreckens“ ein nicht gerade vertrauenerweckendes Konzept. Jede Seite des „Gleichgewichts“ hätte die Erde 100fach zerstören können – keine angenehme Aussicht. Manche Menschen richteten sich Atombunker unter dem Keller ein und statteten diese mit tausenden Rollen Toilettenpapier und Brühwürfeln aus. Andere erklärten ihr Haus schlicht zur „atomwaffenfreien Zone“, politisch Aktive gingen auf die Straße und demonstrierten. Meine Eltern sahen es als das Sicherste an, im Notfall die Füße entscheiden zu lassen und einfach „abzuhauen“. Die Frage war: wohin? Dies hatte mein Vater getreu einem alten deutschen Motto so beantwortet: ganz tief hinein in den Wald, wo einen niemand findet. Da der größte Wald in Kanada zu erwarten war, war die Wahl auf dieses Land gefallen. Selbst meine Großmutter hatte den Plan des ansonsten von ihr angehimmelten Sohnes damals als „Phantastereien“ bezeichnet – was uns jedoch von dem Kanada-Projekt nicht abgehalten hatte.

Kopfschüttelnd murmelt Anatol „Wie kann man nur so …“ und verstummt gnädigerweise. Dann lässt er mich fortfahren:

Sonntag, den 21.7.1985
Heute wollen wir zurück an die Küste. Dort ist es immer noch am schönsten. Zum Glück haben wir einen schönen Camping-Platz gefunden.

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Montag, den 22.7.1985
Nach Vancouver! Dort haben wir uns noch Grundstücke angesehen, die aber viel zu teuer waren. Abends haben wir gegrillt und sind dann ins Bett gegangen.

Dienstag, den 23.7.1985
Wir haben heute unseren Campingplatz gewechselt. Jetzt sind wir auf einem Platz direkt am Meer. Susanne hat ein Floß gebaut und ist damit umhergeschippert. Leider ist es wieder kaputtgegangen. Dieser Tag war bisher der schönste.

Wir haben eine Ente gefüttert und eine Ente mit ihren Jungen beobachtet. Ein kleines Entchen ist in eine Muschel getreten. Die Muschel hat sich geschlossen und hat das Füßchen der Ente eingeklemmt. Papa konnte das Entchen fangen und es von der Muschel befreien.

IMG_3873Mittwoch, den 24.7.1985
Heute nachmittag sind wir einkaufen gefahren. Bei der Rückfahrt hätte es beinahe einen Unfall gegeben. Dieses Auto hat nämlich keine Kupplung. Genau an der Stelle der Kupplung sitzt die Bremse. Papa wollte in den Leerlauf schalten und hat versehentlich auf die „Kupplung“ getreten. Da es aber die Bremse war, haben wir bei 60 m/h eine Vollbremsung gemacht. Das Auto hat sich quergestellt und es war ein Glück, dass hinter uns kein Auto war.

Donnerstag, den 25.7.1985
Am Nachmittag haben wir heute sehr nette Leute getroffen, mit denen wir uns lange unterhalten haben. Dabei haben wir alle Sonnenbrand gekriegt. Susanne hat abends angefangen, ein kleines Schiff zu bauen.

IMG_3866Freitag, den 26.7.1985
Wir wollten heute einen Ausflug in den Garibaldi-Park machen und im Garibaldi-See baden. Leider wurde nichts daraus. Wir haben auf einem verkehrten Parkplatz geparkt und sind zwei Stunden lang durch die Wildnis in einer „Hazard-Area“ (Steinschlaggebiet) gewandert. Es ging steil bergauf und war furchtbar anstrengend. Papa hat dann noch in einem Wildwasser gebadet.

Samstag, den 27.7.1985
Heute mittag sind wir an den Strand gegangen. Susanne und ich haben einen tollen Flipper gefunden, mit dem wir um die Klippe geschwommen sind. Bei der Rückkehr kamen wir in eine Strömung, die wir jedoch mit einiger Anstrengung durchschwimmen konnten.

Als wir abends nochmal mit Papa die gleiche Tour machten, war die Strömung ungeheuer stark geworden, da die Ebbe eingesetzt hatte. Sehr lange Zeit paddelten wir immer auf der selben Stelle, ohne auch nur einige Zentimeter vorwärts zu kommen.

Sonntag, den 28.7.1985
In unserer Kasse herrscht seit längerem Ebbe. Wir dürfen jeden Tag 14 Dollar ausgeben. Das reicht meistens nicht. Wie müssen uns auf die einfachsten Grundnahrungsmittel beschränken.
Vormittags war Waschtag: Papa hat Anziehsachen und seine Haare gewaschen.

Montag, den 29.7.1985
Heute war ein sehr ereignisreicher Tag. Wir wollten nach Vancouver fahren, um dort ein antikes Salzfässchen zu suchen …

Hier unterbricht Elie mich. „Gerade vorher hieß es in dem Tagebuch, Ihr hättet kein Geld mehr fürs Essen! Wieso wolltet Ihr dann ein „antikes Salzfässchen“? Das klingt für mich sehr seltsam.“

Was Elie nicht weiss: natürlich gab es noch Geld für das Essen. Es sollte aber nicht für so unnütze Dinge wie Essen ausgegeben werden, sondern für „echte Werte“, also Antiquitäten wie z.B. das Salzfässchen. Um das zu verstehen, muss man bei meinem Vater aufgewachsen sein.

Das ist Elie nicht. Er empört sich: „Wie kann man seine Kinder hungern lassen, aber dann antiken Krempel kaufen!“ Ohne es zu wissen, spricht Elie hiermit aus, was meine Mutter meinem Vater nach den „Abenteuerferien“ an den Kopf geworfen hatte – und wogegen sich mein Vater mit den Worten verwahrt hatte, es habe jeden Tag Nudeln, Reis und Cornflakes gegeben und niemand habe Hunger leiden müssen.

Anatol steht der Mund offen. Er kann es nicht fassen. „So etwas habe ich in meiner immerhin mehrere Jahrhunderte umfassenden Butlertätigkeit noch nie gehört“ kann er nur kopfschüttelnd flüstern.

Ich stelle klar, dass „Hungernlassen“ nicht die ganz korrekte Beschreibung dessen ist, was damals in Kanada stattgefunden hatte. „Ein eingeschränkter Speiseplan unter ersatzloser Streichung des Mittagessens“ kommt der Realität näher.

Konsterniert folgen die Saurier weiter meiner Erzählung:

… um dort nach einem antiken Salzfässchen zu suchen. Mittags waren wir essengehen [Anm. Anatol: Endlich!!]. Was uns dabei in einem chinesischen Restaurant passiert ist, kann man in unserem Originaltagebuch nachlesen [Anm. Susanne: wir haben dort nur Knochen mit Sauce serviert bekommen, es war ein sehr seltsames Restaurant.]

Am Abend fanden wir am Auto wieder ein Knöllchen: So ein Mist!

Dienstag, den 30.7.1985
Heute sind wir nach Vancouver-Island gefahren, wo es sehr schön sein soll. Denkste! Es war furchtbar. Überall standen „Eisenbahnwaggons“ (Wohnungen) und der ganze Wald war abgestorben. [Anm. Susanne: wie wir später erfuhren, war die gesamte Insel kurz vorher einem Waldbrand zum Opfer gefallen; das war der Grund dafür, dass man kilometerweit nur heruntergebrannte Baumstrünke sah.] Wir sind durch die ganze Insel gefahren – es war überall gleich. Schließlich blieben wir auf einem Campingplatz bei Tofino. Das Schönste waren die tollen Wellen am Strand. Abends sind wir um 8 Uhr ins Bett gegangen, weil es draußen so schlimm aussah.

IMG_3867 IMG_3868Mittwoch, den 31.7.1985
Nichts wie weg aus dieser trostlosen Gegend! Wir fuhren schurstracks nach Nanaimo und setzten über nach Horseshoe-Bay. Auf unserem geliebten alten Campingplatz fanden wir einen „Walk-in-Site“.

IMG_3869Donnerstag, den 1.8.1985
In der Nacht hat es geregnet, so dass heute morgen alles vernebelt war. Wir fuhren nach Vancouver, um Antiquitätengeschäfte zu suchen, die wir aber nicht fanden. Man empfahl uns, nach Granville zu fahren, wo wor dann auch zwei Salzfässchen und eine Mokkakanne kauften.

Freitag, den 2.8.1985
Keine besonderen Vorkommnisse zu vermerken.

IMG_3870Samstag, den 3.8.1985
Drei kleine Jungen hatten einen armen Fisch gefangen, den sie begutachteten und ziemlich gemein behandelten. Sie schleppten ihn von einer Stelle zur anderen, wobei meist der Kleinste (von uns „die Puppe“ genannt, weil er so süß aussah) den Fisch trug. Uns tat der Fisch leid. Als die beiden Größeren die Puppe einmal allein gelassen hatten, bewegte sich der Fisch. Die Puppe erschrak sehr und ließ den Fisch fallen. Auf ihren winzigen Beinchen lief sie weg, um Hilfe zu holen. Die Abwesenheit der Puppe nutzten wir, um den Fisch zu holen und zu befreien. Zuerst dachten wir, er sei tot, aber nach kurzer Zeit schwamm er weg. Dann kam die Puppe wieder und wollte ihren größeren Brüdern den Fisch zeigen. Der war aber weg. Als die großen Brüder das sahen, wurden sie fuchsteufelswild. Zum Glück konnte sich die Puppe vor der Wut der Brüder zu den Erwachsenen retten. Weitere Fische wurden in unserem Beisein nicht mehr gefangen!

IMG_3872Montag, den 5.8.1985
Heute waren wir nur am Strand. Von einer Klippe aus konnten wir einen Seehund beobachten!

Dienstag, den 6.8.1985
Wir sind wieder in die Stadt gefahren. Dort fanden wir eine wunderschöne Uhr, eine sogenannte Pendüle. Sie hatte einen Glassturz, der wunderschön war, aber schwierig zu transportieren.Die Nacht war heute sehr unangenehm. Zuerst ist Susanne von einer Hummel gebissen worden, sich in ihrem Schlafsack versteckt hatte. Dann kam ein schreckliches Gewitter. Mir war furchtbar schlecht und ich musste spucken, direkt vor’s Zelt. Papa hat das dann mit Meerwasser weggespült, wobei er selbst ganz naß wurde. Keiner von uns konnte schlafen und wir waren am nächsten Morgen hundemüde.Mittwoch, den 7.8.1985
Ich war heute krank, während Susanne und Papa den größten Teil unserer Sachen eingepackt haben.

IMG_3871Donnerstag, den 8.8.1985
Ich bin  jetzt wieder gesund und wir haben den Rest eingepackt. Um halb 12 sind wir vom Campingplatz abgefahren. Dann waren wir beim Flughafen, bei Fred und jetzt beim Autohändler (Carter), dem wir nämlich das Auto verkaufen wollen. – Wir haben das Auto an Fred verkauft. Fred hat uns einen viel besseren Preis geboten als Carter. Dann sind wir mit Fred durch die Stadt gefahren und haben uns noch einiges angesehen: die Simon-Fraser-Universität, einen Park, Freds Boot, das ganz toll ist, mit allem Komfort.

Freitag, den 9.8.1985
Heute, an unserem letzten Tag hier, haben wir noch Platten gekauft: die Chaconne von Vitali mit Jascha Heifetz, die Violinsonaten von Bach mit Glenn Gould (!) und Jaime Laredo und eine Platte mit Szigeti. Dann sind wir zum letzten Mal Fish and Chips essen gegangen, lecker!
Im Flugzeug bekamen wir leider nur einen Platz in der Sardinenklasse.
In Frankfurt ist der Glassturz kaputtgegangen. Wir waren am Boden zerstört. Am liebsten hätten wir alle geweint. So war unsere Ankunft zu Hause von einem traurigen Ereignis überschattet. Wir haben uns aber entschlossen, einen neuen Glassturz blasen zu lassen.

Hier endet das Kanada-Tagebuch.

Anatol und Elie sehen mich schweigend an. Elie kratzt sich am Kopf, Anatol sucht nach Worten. Schließlich meint er: „Wisst Ihr, dass Ihr in Eurer Familie vollkommen durchgeknallt seid? Schon bis zu einem gewissem Grade liebenswert … – aber unzweifelhaft und definitiv meschugge.“

Ich äußere mich dazu diesmal nicht.

130. Kapitel – Unfreiwilliger Urlaub

Ich bin bis auf weiteres vom Dienst suspendiert.

Am Mittwoch werde ich aus meinem Büro gerufen und zur Personalchefin „gebeten“. Dort eröffnet man mir, eine interne Untersuchung habe unzweifelhaft ergeben, dass der Hackerangriff der vergangenen Woche vom Laptop in meiner Wohnung ausgegangen sei. Wie dies möglich sei, könne man sich nicht erklären, da ich zur Zeit des Angriffs nachweislich nicht zu Hause, sondern im Büro gewesen sei.

Da ich jedoch offenbar unbefugten Personen Zugang zu meinem Laptop gewährt habe – oder aber letzteres nicht ausreichend gesichert habe – sei man gezwungen, mich vorerst aus dem Dienst zu entfernen. Die unfreiwillige Pause werde andauern, bis man die Schuldigen überführt habe. Über weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen werde man dann nachdenken. Mein Gehalt sei bis auf weiteres „eingefroren“.

Darauf bittet man mich, meinen Arbeitsplatz umgehend zu räumen.

Wie betäubt begebe ich mich zu meinem Chef und meinen Kollegen, die mir fassungslos einen Karton mit meinen Sachen übergeben.

Dann verlasse ich das Haus.

Auf dem Heimweg schwankt mein Befinden zwischen Verzweiflung und unbändiger Wut. Die Schuldigen – die ich natürlich der Personalchefin nicht nennen kann – sind mir bekannt: es handelt sich um meine Haussaurier, die offenbar ausgedehnte Hacking-Aktivitäten entfaltet haben, während ich bei der Arbeit war.

Als ich die Tür aufschließe, höre ich ein leises Rascheln – das Geräusch, welches entsteht, wenn recht kleine Wesen unter einem Bett oder Schrank verschwinden. Ich entschließe mich, die Übeltäter nicht zu beachten. Nachdem ich Wasser aufgesetzt habe, um mir einen Tee aufzubrühen, setze ich mich auf den Küchenboden und fange an, zu weinen. Meine Arbeit ist weg – wovon sollen wir nun leben?

Eine flauschige Pfote tatzelt mich. Es ist Elie. Er ist unter dem Bett hervorgekrochen und sieht so schuldbewusst aus wie noch nie. Anatol sitzt betreten mitten im Flur.

„Es tut uns so leid…“ flüstert Elie. „Wir wollten doch nur Ferien in Deinem Urlaubsmanager-Tool eintragen, weil Du so überarbeitet bist…“ Er beginnt zu weinen. „Edouard hatte dafür so einen USB-Stick dabei… ja, da muss irgendwie ein fieser Hacking-Virus drauf gewesen sein.“ Elie schluchzt. „Und was machen wir jetzt?“

Ich weiss es nicht. Während mir die Tränen übers Gesicht laufen, lasse ich mich einfach auf den Küchenboden gleiten. Dort bleibe ich regungslos liegen. Ohne meine Arbeit bin ich erledigt.

Anatol scharrt unschlüssig mit den Tatzen auf dem Parkett. Dann knurrt er: „Also ich finde es ungerecht! Wie können die Dich einfach suspendieren, obwohl Du doch für den Virenangriff gar nichts kannst! Nach allem, was Du für die getan hast, und Dich halb totgearbeitet hast!“ Nun hat sich das Tier in Rage geredet: voller Wut zetert es los: „Denen zeig ichs, das wirst Du noch sehen! Die dürfen Dich gar nicht einfach so rausschmeißen, ohne Gehalt und so! Die spinnen doch! Ich ruf jetzt Deinen Chef an und erklär ihm alles. Der wird sich bestimmt für Dich einsetzen!“

Ich verbitte mir jegliche weitere Einmischung in meine beruflichen Angelegenheiten. Dann schleppe ich mich bis ins Schlafzimmer, falle ins Bett und schlafe ein.

Am späten Nachmittag schrillt das Telephon und reisst mich aus einem bleiernen Schlaf. Mein Kopf dröhnt – zu allem Übel hat sich nun noch eine böse Migräne hinzugesellt. Ich hebe ab.

Am Telephon ist mein Chef. Er eröffnet mir als erstes, dass meine Suspendierung aufgehoben sei. Nachdem er und die Kollegen eine erneute Untersuchung gefordert hätten, sei der EDV aufgefallen, dass der angebliche Hackingangriff nur der untaugliche Versuch gewesen sei, von außen auf das Urlaubsmanagement-Tool Zugriff zu nehmen. Der Zugang von außen sei technisch zwar nicht ausgereift, aber seine Nutzung sei auch kein verbotener Eingriff. Dass dabei ein zur Zeit umgehender Informatik-Virus in die firmeneigene EDV eingeschleust worden sei, sei ein unglücklicher Zufall gewesen, der bei jedem befugten Zugriff hätte passieren können. Die Suspendierung sei daher nicht berechtigt gewesen und auch bereits aufgehoben. Dennoch solle ich erst am kommenden Montag wieder zum Dienst erscheinen, da ich nach der Aufregung dringend ein paar Tage Urlaub benötige.

Die Erleichterung, die ich verspüre, kann ich nicht in Worte fassen. Ich schaffe es, mein Migränemedikament aus der Hausapotheke herauszukramen, trinke eine halbe Tasse Tee und lege mich zurück ins Bett.

Als ich am Abend wieder aufwache, höre ich Stimmen im Treppenhaus. Die Saurier sind dabei, den Keller aus- und aufzuräumen: eine Fronarbeit, die eigentlich für die Sommerferien (und für mich…) vorgesehen war. Vom schlechten Gewissen getrieben haben die beiden Missetäter offenbar einiges in Ordnung zu bringen …

Ich schalte das Radio ein und setze mich aufs Sofa. Den heutigen Tag möchte ich so schnell es geht aus meinem Gedächtnis streichen.

Nun kommen die Butler aus dem Keller hochgestürmt. „Wir haben was gefunden!“ kräht Elie. „Ein ganz altes Heft! Guck mal hier – aus Kanada kommt es …“

Ich bin sprachlos. Die Saurier haben das alte Kanada-Tagebuch, das meine Schwester und ich 1985 nach unseren Abenteuerferien in British Columbia verfasst hatten, wiedergefunden! Die Schrift ist vergilbt, die Photos verschossen … aber man kann alles lesen und die Photos sind auch nach so langer Zeit noch schön.

Nun fällt mir auf, dass das Buch 30 Jahre alt ist. Unsere Reise ist eine Ewigkeit her…

Anatol findet das allerdings nicht. Für jemanden, der dem Oberjura entstammt, sind 30 Jahre ein Wimpernschlag.

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129. Kapitel – Hackerangriffe

Mein heutiger Arbeitstag ist zuende, noch bevor er begonnen hat. Um 7 Uhr zuverlässig im Büro knipse ich meinen Computer an – und finde im Gegensatz zu meinem üblichen Schreibtischhintergrund eine große, rote Warnmeldung auf dem Bildschirm:

„Ihr Arbeitsplatz wurde gehackt. Bitte loggen Sie sich nicht ein und melden Sie sich umgehend bei Ihrer EDV.“

Ich runzle die Stirn. Wer soll denn meinen Computer im Büro hacken? Beunruhigt greife ich zum Telephonhörer und rufe die firmeninternen Informatiker an.

Der freundiche EDV-Kollege eröffnet mir, dass ich gleich wieder nach Hause gehen dürfe. Die Arbeiten auf dem Server, der einem massiven Hacker- und VIrenangriff ausgesetzt war, würden den gesamten Tag in Anspruch nehmen. Vermutlich müsse die ganze Abteilung heute aus technischen Gründen „aussetzen“.

Ich bin entsetzt. Was wird aus meinen Eilfällen? Meinen kartellrechtlichen Erörterungen, die für heute erwartet werden? Der Kollege hat darauf nur eine Antwort: „Keine Ahnung. Der Server ist jedenfalls down. Auf dem kannst Du bis auf weiteres nichts mehr machen.“

Der Chef stürmt in mein Büro. „Mein Computer ist weg! Was ist hier los?“

Ich erkläre in knappen Worten die missliche Situation. Ratlos sehen wir uns an.

Kurze Zeit später erscheint die Kollegin von der EDV und verhängt einen sofortigen Arbeitsstopp. Alle Rechner seien bereits heruntergefahren und vom Netz genommen worden. Die Mitarbeiter bekämen heute einen „Zwangs-„Urlaubstag. Am Montag sei der Schaden vermutlich wieder behoben.

Trotz der ärgerlichen Sachlage (ich muss mich eigentlich um gewisse Vorgänge dringend kümmern) fühle ich mich so wie damals in der 3. Klasse, als es ein einziges Mal Hitzefrei gegeben hatte. Nachdem mein anfänglicher Verdruss verflogen ist, gehe ich fröhlich pfeifend nach Hause. Es gibt wahrlich Schlimmeres, als einen Tag nicht zu arbeiten!

Zuhause empfangen mich – überraschenderweise – zwei ungemein servile und bemühte Saurier. Noch bevor ich die Wohnung betrete, werden mir die Schuhe ausgezogen und Jacke und Tasche abgenommen. Die Teekanne steht auf dem Stövchen und ein zweites Frühstück steht bereit.

Was ist hier los? Hatten die Butler etwa mit meiner Rückkehr gerechnet?

„Nein nein!“ beeilt sich Anatol – etwas scheinheilig, wie ich finde – zu erklären. „Edouard ist doch bei Euch in der Kantine, für seinen Sommerjob. Er hat uns angerufen, dass bei Euch Virenalam ist – oder sogar Hackingangriff.“ Übertrieben fidel fügt er hinzu „Aber das ist ja auch ganz egal, was das ist. Die Hauptsache ist, dass Du jetzt frei hast!“

Elie nickt überschwenglich. „Dieses Hacking ist richtig super, finde ich!“ Danach verstummen die Saurier und sehen beklommen zu Boden.

Misstrauisch beäuge ich die Butler. Woher wissen sie so viele Einzelheiten? Die Kantine war von dem Angriff nicht betroffen, das weiss ich von den Kollegen. Edouard kann im Grunde davon nichts mitbekommen haben.

Ich räuspere mich.

Die Saurier beginnen nun, zu stammeln. Anatol zischelt Elie, der so aussieht, als wolle er in Tränen ausbrechen zu, er solle „die Klappe halten“.

Die Untiere verbergen etwas vor mir, das ist eindeutig. Hatten sie vor, heute etwas Verbotenes zu unternehmen, und wurden nun unerwarteterweise von mir unterbrochen?

Laut pfeifend macht sich Anatol an die Küchenarbeit. Elie verschwindet unter seiner Bettdecke. Gähnend teilt er mir noch mit, er sei „ja so müde!“

Hier ist eindeutig etwas im Busche. Ich nehme mir vor, das Gesochs ab jetzt gut zu beobachten. Sie werden sich vermutlich sowieso selbst verraten. Ich kenne meine Pappenheimer.

Für den Nachmittag nehme ich mir eine Fahrradtour nach Kehl vor, und danach einen Besuch in meinem Lieblingsladen.

So gesehen hat der Hackingangriff in der Tat etwas Gutes.

Was ist los ?

Hier schreibt Anatol.

Endlich ist es mir gelungen, ihren Zugang zum Blog zu knacken, so dass ich eine Nachricht an meine zahlreichen, geliebten Fans hinterlassen kann!

Was ist hier im Blog los? Seit Wochen kein Beitrag – obwohl ich bitte, bettle und sogar bereits Streik angedroht habe. Gestern habe ich betont abfällig geäußert, dass ihr wohl die Ideen ausgegangen seien und sie deshalb nicht mehr schreibe! Ich hatte gehofft, ihren Ehrgeiz damit anzustacheln … aber: Fehlanzeige!

Sie scheint seit Monaten auf ihrer Arbeit „überlastet“ zu sein. „Burnout-Risiko“ und ähnliche hochtrabende Sachen höre ich, wenn sie mit Kollegen und Freunden spricht. Neumodischer Firlefanz, wenn Ihr mich fragt! Ihr einziges Problem besteht darin, alles perfekt machen zu wollen – auch wenn das gar nicht geht. Sie hat Arbeit für zwei: deshalb hat sie ihren Arbeitstag um fast vier Stunden ausgedehnt. Sie haut um 7 Uhr ab und ist vor 20 Uhr selten zu Hause.

So kann es einfach nicht weitergehen. Der Blog leidet schließlich darunter!

Was mich am meisten ärgert, ist, dass man sie kaum noch ernähren kann. Morgens hat sie oft keine Zeit fürs Frühstück – immerhin nimmt sie noch ein paar Apfelstückchen an. Im Büro isst sie dann Brötchen. Mittags – das weiss ich von Edouard, der dort in der Kantine jobbt – isst sie Pommes mit Ketch-Up: ich könnte an die Decke gehen vor Wut! Am Nachmittag kauft sie sich Schokoriegel am Büdchen, und Abends will sie nichts anderes als ein Scheibchen trockenes Brot.

Diese Person bringt mich zur Weißglut!

Elie, Edouard und ich arbeiten daran, ihren Computer bei der Arbeit zu hacken. Wir wissen, dass es dort eine betriebsinterne Ferien-Software gibt, in der man seinen Urlaub eingibt, damit der Chef ihn genehmigen kann. Sie hat selbstverständlich seit letztem Sommer überhaupt keinen Urlaub genommen. Das wird sich aber jetzt ändern.

Sobald wir die Zugangsdaten haben, tragen wir nämlich dort 4 Wochen Urlaub ein! Wir knabbern zwar noch etwas an der Firewall, aber da kommen wir durch.

Sobald wir es geschafft haben, melden wir uns.

Liebe Fans, bis bald!