170. Kapitel – Alle Jahre wieder …

Von Weihnachsplätzchen, Postpaketen und Mogelpackungen

Die Adventszeit ist da. Unser Weihnachtsbaumverkäufer hat wie jedes Jahr an der Straßenecke seine Bäume aufgestellt; in den Nachbarswohnungen prangen in Erwartung der fêtes de fin d’année festlich geschmückte Christbäume. Die Plätzchenbäckerei hat begonnen: im Büro dürfen wir jeden Tag neue Leckereien schnabulieren – sehr zum Verdruss der Betriebsärztin, deren mißmutige Waage das stetig anwachsende Gewicht der Mitarbeiter ans Licht bringt. Das Ansinnen der Ärztin, den mittäglichen Nachtisch in der Kantine zu streichen und durch grünen Salat zu ersetzen, konnte indessen – bisher – nicht in die Tat umgesetzt werden, zu stark war der ausnahmsweise geeinte Widerstand von Belegschaft und Direktion.

Weihnachtliche Versuchung findet sich aber auch außerhalb des Büros im ganzen Viertel:  Coop und Bäckerladen sind weihnachtlich dekoriert – schneebepuderte Weihnachtsmänner mit ihren roten Mützen, Schlitten und Rentieren in den Läden mit von Bredele überborden Regalen zeigen: an Weihnachten kommt in der Capitale de Noël niemand vorbei.

Einzig die Kirschbäume, die unsere Straße säumen, sagen uns, dass ihnen Weihnachten vollkommen egal ist: sie stehen seit Anfang Dezember in voller Blüte – Klimawandel oblige

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Wie jedes Jahr stellt sich die Frage: was verschenken wir zu Weihnachten…?

Was wir uns wünschen, ist hingegen schnell gesagt: Nichts. Wir haben alles (und davon noch zu viel) und würden uns eher wünschen, dass man uns diverse Dinge abnimmt … allerdings kann man von niemandem, den man mag, verlangen, zu Weihnachten zum Ausmisten zu kommen. Anatol, Elie und ich behalten diesen Wunsch daher für uns.

Mit meiner Familie ist zum Glück schnell geklärt, dass wir eine Geschenk-Diät einlegen. Geschenke? Gibt es nicht! Nur die Kinder sollen natürlich nicht leer ausgehen; hier hat Anatol schnell ein paar spannende Bücher ausgesucht.

Nachdem also das Geschenkeproblem nachhaltig gelöst ist, reibe ich mir fröhlich die Hände und rufe: „Kein Geschenk-Stress, Anatol! Ist das nicht großartig?“

Der Saurier sieht griesgrämig von seinem Regalbrett auf mich hinunter. „Dein Minimalismus ist ja schön und gut, aber für mich gehören Geschenke zu Weihnachten. Man kann doch die Leute nicht einfach um ihre Weihnachts-Päckchen betrügen! Schließlich hast Du ja auch schon eines bekommen! Mit Deinem Adventskalender! Und denk nur mal an Deine Tante! Der wolltest Du doch schon lange etwas schicken…!“

Verschämt erinnere ich mich an die Freude, die mir der Adventskalender wie jedes Jahr bereitet hatte. Und meine liebe Tante … sicher würde sie sich über eine Kleinigkeit freuen. Nur was soll man schenken …?

Elie hat die zündende Idee: „Warum verschickst Du nicht was von den leckeren Weihnachtsbredele? Die sind absolut minimalistisch und verbrauchen sich wie von selbst im Handumdrehen – wir haben es ja schon ausprobiert! Vielleicht können wir sie sogar selber backen?“

Anatol verwehrt sich gegen die Idee des „Selber Backens“. „Ich habe schon so genug zu tun,“ zetert er.

In Wahrheit hat er Angst, die Bredele könnten missraten und bei den Beschenkten kein hundertprozentiges Wohlgefallen hervorrufen. Daher entscheide ich kurzerhand, dass die Bredele selbst gekauft werden, und zwar bei der Maison alsaciennce de biscuiterie. Dort gibt es nicht nur köstlichste Plätzchen und andere Leckereien – diese werden zudem in praktischen und hübschen Blechbüchsen verpackt, die man später für eigene Kreationen weiterverwenden kann.

Mit Anatol fahre ich in die Biscuiterie – schnell haben wir diverse Keksdosen mit feinstem Inhalt erstanden. Um der Versuchung, gleich selbst davon zu probieren und die Geschenke zu sehr zu dezimieren, nicht zu erliegen, entscheiden wir uns, noch am selben Nachmittag zur Post nach Kehl zu fahren und alle Päckchen dort unverzüglich aufzugeben.

Hierfür brauchen wir indes etwas Verpackungsmaterial: Päckchen oder Kartons habe ich immer im Keller vorrätig.

Hattest Du vorrätig,“ korrigiert mich Anatol. „Du erinnerst Dich: im Zuge Deiner minimalistischen Ausmist-Aktionen musste ich alle Kartons und auch die dicken Umschläge entsorgen. Die sind alle im Papiermüll gelandet. Ich hab ja noch gesagt damals…“

Ich fluche. Es stimmt: ich selbst hatte gegen den erklärten Widerstand des Sauriers angeordnet, alle Verpackungen wegzuwerfen, da meist doch nicht der benötigte Pappkarton in der passenden Größe dabei war, und die Karton-Sammlung viel Platz wegnahm.

Nun müssen also neue Umkartons gekauft werden – gegen einen kleinen Aufpreis bekommt man diese bei der Post. Wir brauchen uns also keine Gedanken um die Verpackung zu machen. Schwer beladen brechen wir in Richtung Kehl auf.

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Im Niemandsland zwischen Strasbourg und Kehl werden wir mit unserer wertvollen Ladung fast weggeweht: es stürmt!

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Alsbald erreichen wir unser Ziel: die Deutsche Post in Kehl. Mit unserem Fahrrad parken wir bequem direkt davor.

Gleich im Eingangsbereich begrüßen uns diverse Geschenk-Pakete zum Auffalten: ich nehme mehrere an mich. Das Beste: im Preis ist das Porto schon enthalten! Wir müssen also nur noch die Geschenke in die Päckchen hineinlegen, das Ganze mit etwas mitgebrachtem Zeitungspapier ausstopfen, alles zukleben, adressieren und bezahlen. Einfacher geht es nicht!

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Anatol ist mir behilflich, und nach kurzer Zeit ist alles verpackt. Nun fällt mir auf, dass ein Geschenk im falschen Paket ist.

Seufzend reisse ich die Päckchen wieder auf und tausche den Inhalt aus. Das eine Päckchen ist etwas größer; hier müssen auch die Adressen ausgetauscht werden, sonst passt es nicht. Anatol überklebt die Adressen einfach mit einem Paketzettel.

Nachdem alles im jeweils richtigen Karton ist, stellen wir uns an der Schlange vor dem Schalter an.

Der freundliche Postmitarbeiter runzelt die Stirn, als er die von uns bearbeiteten und überklebten, portofreien Päckchen einscannen will.

„Ja, so kann ich das nicht annehmen,“ sagt er mit bedauerndem, leicht vorwurfsvollem Ton. „Sie haben das Adressfeld überklebt. Damit ist das Päckchen entwertet.“

Ich sehe ihn verständnislos an. Anatol verkriecht sich derweil tief in meinem Rucksack.

„Das Päckchen braucht jetzt noch Porto,“ erklärt der Mann.

Ich weise ihn entsetzt darauf hin, dass das Porto im – stolzen – Preis des Päckchens bereits enthalten ist!

„Ja, normalerweise.“ Hartnäckig bleibt der Postmann bei seiner Meinung. „Aber durch das Überkleben des Adressfelds wird das Porto hinfällig. Sie müssen es noch einmal bezahlen. Sonst kommt es nicht an. Das steht übrigens auch auf dem Paket.“

Meinen verzweifelten Hinweis, dass ich mit dem Vorhandensein von „Kleingedrucktem“ zur Nutzung eines Pappkartons nicht rechnen konnte, versteht der Mann. Daran, dass ich doppelt Porto zahlen muss, kann er allerdings nichts ändern. Ein Versuch, das überklebte Originaladressfeld freizulegen, scheitert: der Strichcode ist zerfleddert und kann nicht gelesen werden.

In Rage knalle ich das Geld für diese unsägliche Mogelverpackung auf den Tresen und verlasse in überhaupt nicht festlicher Stimmung die Post. Meine Weissglut braucht bis zur Trambrücke, um etwas herunterzukühlen. Von Anatol höre ich bis zu den Rheinfischern gar nichts.

Gewisse minimalistische Tendenzen werden wir überdenken müssen. Die alten Pappkartons werden jedenfalls in Zukunft zumindest bis Weihnachten aufgehoben!

 

166. Kapitel – Der Müllsheriff goes Wurmkompost I

Es ist soweit! Ungeduldig haben wir auf ihn gewartet – nun ist er endlich angekommen:

Unser Wurmkomposter!

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Ihr erinnert Euch: Anatol hatte bereits vor längerer Zeit angekündigt, der Müllmisere, die er nicht länger zu ertragen bereit ist, den Kampf anzusagen. Joghurtbecher, in Plastik eingeschweisstes Obst oder Gemüse, Verpackungen jeglicher Art hat der selbsternannte Müllsheriff bereits aus unserem Leben verbannt: Anatol schickt mich nur noch mit Jutebeuteln und Glasbechern bewaffnet zum Einkaufen auf den Markt und zu Day by Day, unserem verpackungsfreien Laden. Sein Motto: „Was verpackt ist, kaufen wir nicht!“

Zwar habe ich es geschafft, doch heimlich das eine oder andere verpackte Produkt, auf das ich nicht verzichten mag, hinter dem Rücken des argwöhnisch jeden Einkauf überprüfenden Sauriers einzuschmuggeln; dennoch stehe ich natürlich hinter den Anstrengungen des Butlers, zumindest den Müll zu vermeiden, den wir nicht produzieren müssen.

Die letzte verbleibende Müllbastion sind – oder vielmehr: waren! – unsere Bioabfälle. Es gibt bei uns keine braune Tonne, und wenn es sie gäbe, würde ich sie – sogar gegen den Widerstand des Butlers – boykottieren. WG-Erinnerungen aus den späten 80er Jahren lassen mich noch heute erschauern: damals hatte jeder von uns in seinem WG-Zimmerchen eine eigene kleine „braune Tonne“. Bei sommerlichen 35°C im 9 qm „großen“ Dachgeschoßzimmer wurde das Bioabfall-Gefäß alsbald zur grauenerregenden Fliegen- und Fäulniszucht. Der damit einhergehende, hier nicht näher zu beschreibende Geruch, der aus den Zimmern drang, hatte mich dazu bewogen, jegliche Ambition in Richtung „Kompostierung in der Wohnung“ endgültig aufzugeben.

Endgültig…? Nicht ganz!

Anatol ist bei seinen Recherchen zur geruchslosen Kompostierung auf den sogenannten „Wurmkompost“ gestoßen. Dieser verspricht eine völlig gestanksfreie, unkomplizierte Verwertung fast aller Bio-Abfälle des Hauses. Das einfache Prinzip: Kompostwürmer verarbeiten die gesamten pflanzlichen Abfälle des Haushalts in Humus. Der einzige Geruch, der dabei entsteht, ist der frischen Waldbodens – ein Traum!

Nach kurzer Bedenkzeit hatte ich mein Plazet gegeben: ein Wurmkomposter soll her!

Diverse Modelle sind im Handel verfügbar; schnell haben wir jedoch alle Plastik-Konstruktionen verworfen, da das Kompostklima uns dort nicht ideal erscheint (vgl. WG-Erfahrungen).

Den Zuschlag bekommt nach längeren Überlegungen der Keramik-Komposter von wormup.ch – er bietet ein perfektes Wurmklima im Inneren, kühl im Sommer, warm im Winter (die ideale Temperatur für die Würmer liegt zwischen 14° und 25°) – und er schließt nicht luftdicht ab. Zudem sieht er wunderschön aus!

Der Nachteil: wir müssen etwas Geduld haben (es gibt eine Warteliste) und sein Preis ist der Qualität entsprechend: hochwertig.

Heute hat das Warten ein Ende: der Postbote steht mit einem riesigen und recht schwerem Paket vor der Tür, verlangt eine Unterschrift und stellt das Bündel ab. Auch unsere fleissigen neuen Mitbewohner, die Würmchen der Gattung eisenia foetida von wurmidee.de, sind da!

Sofort sollen sie ihr neues Domizil beziehen: den Komposter.

Elie schlüpft lautlos zur Tür hinaus. „Bin bei Anna!“ ruft er uns durchs Treppenhaus zu, als er schon im dritten Stock ist. Obwohl außerordentlich umweltbewusst und ökologiebewegt, hat Elie doch vor Regenwürmern eine panische Angst. Dass auch bei Anna bereits ein Wurmkomposter in der Küche steht, verdrängt er gern.

„Mach das Paket auf!“ zetert Anatol und springt aufgeregt um den riesigen Karton herum. Er kann kaum abwarten, das ersehnte Gerät endlich vor sich zu haben! Vorsichtig schneide ich die Papp-Verpackung auf (diese darf sofort als Wurmfutter weiterverwertet werden, fressen die fleißigen kleinen Helferlein doch in Wasser eingelegten Karton für ihr Leben gern!) und ziehe die schön verarbeiteten Einzelteile unseres Komposters heraus.

Um unerwünschte Interaktionen mit unseren bepelzten Mitbewohnern zu vermeiden, wird der Komposter in die Vorratskammer gestellt. Dort kommt zunächst das Substrat – das ist einfach Erde – mit den Würmchen in die unterste Komposterschale. Darüber legen wir eingeweichte, ausgewrungene Kartonstückchen. Darunter können die Kleinen sich verstecken – was sie auch unverzüglich tun. Im Handumdrehen sind die Winzlinge in der Erde verschwunden!

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Ein erstes Zwischengitter wird auf die Schicht mit den Kartonstückchen gelegt – dann bereitet Anatol das erste Menü für seine neuen Schützlinge vor. Heute gibt es kleingeschnittene Gurkenschale! Diese serviert Anatol sofort.

 

Nun kommt der Deckel auf den Komposter – und es heisst warten. Ich beginne, das Abendessen vorzubereiten; auf den Butler kann ich heute Abend nicht zählen. Nervös hüpft er vor der Vorratskammer auf und ab.

„Meinst Du, sie haben schon was gefressen?“ fragt er aufgeregt.

„Anatol, die Würmer müssen erst mal ankommen. Lass sie in Ruhe. Sie haben eine lange Reise hinter sich und wollen sich ausruhen.“

Seufzend gebe ich etwas Essig und Öl auf die Gurke, die nach Abzweigung des Wurm-Anteils für mich übrig geblieben ist.

Nach 30 Minuten hält Anatol es nicht mehr aus. „Ich will jetzt sehen, ob es ihnen gut geht! Vielleicht fehlt ihnen etwas! Haben sie eigentlich ausreichend Wasser?“ knurrt er mir gereizt zu.

Ich erlaube – nun selbst neugierig geworden – eine kurze Stippvisite im Wurmkomposter, bei der Anatol auch etwas Wasser mit unserer Sprühflasche auf das Substrat sprengen darf.

In der Tat sind etliche Würmchen an die Oberfläche gekommen und tummeln sich in den Kartonstücken. Zzzzzzzssss! Kaum dass das Wasser hineingesprüht wird, schlängeln sie sich in Windeseile in ihr Substrat hinein.

Sprühen werden wir nun jeden Tag ein wenig, denn Trockenheit bekommt den Würmchen überhaupt nicht.

Wir werden über das Befinden unserer fleißigen neuen Mitbewohner natürlich weiter berichten!

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161. Kapitel – Anatols kleiner Lieblingsladen

Ein Besuch bei Day by Day in Strasbourg

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Nachdem Anatol unseren Kühlschrank nicht nur außen aufs Gründlichste abgeschrubbt, sondern auch innen mehrfach mit Essig ausgespült und abgetrocknet hat, bietet sich nun ein sehr annehmbares Bild. So sauber hat der Kühlschrank selten ausgesehen.

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Der Kühlschrank nach Anatols Essigbehandlung.

Ich bin mit der Arbeit des Sauriers außerordentlich zufrieden und erlaube Anatol, heute mit zum Einkauf bei unserem Lieblingsladen, Day by Day in der Route du Polygone in Strasbourg, Neudorf zu kommen.

Day by Day ist das, was in Deutschland als „Unverpackt-Laden“ bezeichnet wird. Bei Day by Day gibt es alles ohne Verpackung! Man wiegt einfach das ab, was man braucht, füllt es in ein Marmeladenglas, welches man entweder selber mitbringt oder von Céline, der freundlichen und hilfsbereiten Ladeninhaberin, geschenkt bekommt. Die Gläser sind beliebig oft wiederverwenbar – es entsteht überhaupt kein Verpackungsmüll.

Alternativ kann man auch spezielle Behältnisse dort kaufen (Sprühflaschen zum Beispiel, und hübsche Fläschchen und Phiolen), aber im Regelfall reichen die Gläser, die dort verschenkt werden, vollkommen aus.

Um Day by Day zu unterstützen, kann man nicht mehr benötigte Gläser und Flaschen dort spenden.

Endlich können wir einkaufen, ohne überflüssigen Müll zu produzieren!

Was bekommt man bei Day by Day? Eigentlich fast alles. Zucker, Mehl, Reis, Nudeln, Tee… aber auch sehr feine Öle (vor allem Olivenöl), Essig, eingelegte Oliven, einen veganen und absolut unwiderstehlichen Schokoaufstrich (noch dazu ohne Palmöl!), und vieles, vieles mehr.

Viele Produkte haben ein Bio-Label (Ecocert zum Beispiel), andere sind nicht „Bio“. Ich habe beides ausprobiert: die Qualität ist durchweg hervorragend.

Anatols Lieblingsabteilung ist der Haushaltsbereich. Dort findet man vorwiegend Bioputzmittel, Savon de Marseille in jeglicher Form, Alepposeife… Anatol kauft hier die großartige schwarze Seife aus Marseille, die wie keine andere unsere Fliesen und das Parkett säubert und herrlich duften lässt. Für das Parkett gibt Anatol noch etwas Leinöl hinzu, damit alles glänzt und blinkt. Bisher hat kein anderer Reiniger es vermocht, die von den Katzen bei ihren Festgelagen angerichtete Schweinerei so zu beseitigen, dass niemand auf die Idee kommen würde, es habe jemals eine Katze hier etwas gefressen.

Was haben wir heute gekauft?

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Im Einkaufsbeutel waren: Spüli, WC-Reiniger, zwei Olivenölseifen (diesmal die flüssigen), Reis, Rohrzucker – und zum Naschen getrocknete Apfelscheibchen und kandierter Ingwer.

Geschenkt bekommen haben wir: ein Stück festes Shampoo von Pachamamaï – das Shampoo ist vegan und sehr sanft zu Haut und Haaren. Ich habe es heute schon ausprobiert, es macht die Haare wunderbar weich und leicht. Merci beaucoup!

Vergessen wurde: das désinfectant cuisine und das détachant avant lavage (Seifenspray für hartnäckige Flecken), das Anatol unbedingt probieren wollte. Vielleicht fahren wir morgen noch einmal hin. Wir finden jedesmal wieder neue praktische Dinge dort!

Wie sieht es mit den Preisen aus? Da hier nur sehr hochwertige Artikel verkauft werden, ist Day by Day kein Billigladen. Die Produkte werden zum großen Teil in Frankreich hergestellt – meist von handwerklichen Kleinbetrieben und Familienunternehmen – und sind von ihrer Zusammensetzung und Herstellung her ausgezeichnet, so z. B. die Haushaltsreiniger und auch unsere geliebte schwarze Olivenseife. Die Produkte sind außerordentlich ergiebig. Nach dem Gebrauch weiss man, warum man gut daran getan hat, sie zu kaufen – und warum man sie immer wieder kaufen wird.

Zudem muss man bei Day by Day keine großen Mengen kaufen – man entscheidet selbst, wieviel oder wie wenig man braucht. Und viele Produkte sind sogar deutlich günstiger als in anderen Läden, weil sie ohne die kostspielige Verpackung auskommen.

Das Preis-Leistungsverhältnis ist daher sehr gut, finden Anatol und ich. Und es ist uns wichtig, dass die Menschen, die Dinge für uns herstellen und verkaufen, einen fairen Preis dafür bekommen.

Hier ein paar Bilder von unserem Besuch. Der Laden ist wunderschön eingerichtet, wir fühlen uns dort jedesmal sehr wohl:

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Nachtrag – 26. August 2016

Da wir gestern ein paar Sachen vergessen haben, sind wir heute noch einmal zu Day by Day gefahren.

Dort haben wir zwei kleine Phiolen mit Sirup gekauft, sowie den détachant und den désinfectant cuisine. Der Pfirsich-Sirup wird gerade schon von Anatol und Elie weggeschlürft (verdünnt, selbstverständlich) :

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Den désinfectant werden wir sogleich am Kühlschrank ausprobieren. Leider hat er es doch noch nötig.

Anatol macht mich gerade darauf aufmerksam, dass unser Kühlschrank sehr viel Plastik enthält (insbesondere die Tupperdosen, die gar keine echten Tupperdosen sind). Und dass er immer mehr Blogger liest, die plastikfrei leben! Sicher würde unsere Plastikausstattung nicht gut ankommen … Dem widerspreche ich ausdrücklich.

Müssen unsere Nicht-Tupperdosen aus Plastik weg? Nein. Solange sie nicht kaputt sind, werden sie natürlich weiter benutzt. Es wäre widersinnig, Plastik wegzuwerfen, um Plastikmüll zu vermeiden. Für uns jedenfalls.

Die Tupper, pardon Nicht-Tupper (genauer gesagt: Ikea-Plastikboxen) bleiben also. Irgendwann werden wir sicher nur noch Glas- oder Edelstahlbehälter haben, aber bis dahin wird es noch etwas dauern.

150. Kapitel – Öko-Guru Anatol: wir kochen Sojamilch

Vor kurzem hatten wir von Anatols Joghurt-Experimenten berichtet. Wie ist es damit weitergegangen?

Leider muss ich sagen, dass Anatols Ergebnisse mit der Heizungs-Methode alles andere als zuverlässig sind. Mal schmeckt das Joghurt wunderbar, dann wieder ist es alkoholisch bizzelig und ungenießbar.

Nachdem Anatol diverse Joghurtversuche in der Mülltonne versenkt hatte, waren wir zähneknirschend zu der Erkenntnis gekommen, dass eine Joghurtmaschine her muss. Für diese hat Anatol sich entschieden:

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Anatols Joghurts sind seither ein Hochgenuss – nach gewissen Abenteuern mit unterschiedlichsten Joghurtkulturen. Mit den Yalacta-Kulturen aus der Apotheke haben wir nun unser Glück gefunden.

Aber wie kommen wir weg von den Tetra-Packs, in denen unsere Sojamilch schlummert?

Anatol hat beschlossen, einen Versuch zu wagen: und zwar will er Sojamilch einfach aus Sojabohnen selber herstellen. Ob das gut geht…?

Im Bioladen findet Anatol geschälte Sojabohnen. Das ist wichtig: ungeschälte Bohnen, so heisst es im Internet, sorgen für einen strengen Geschmack der Sojamilch und infolgedessen für eine schlechte Compliance beim Patienten – pardon, beim Sojamilchtrinker. Auf gut Deutsch: die Milch schmeckt dann so scheußlich, dass sie niemand trinken mag. Das wollen wir natürlich nicht.

Nach eifrigem Studium der einschlägigen Webseiten hat Anatol eine gute Anleitung für die Herstellung der Sojamilch gefunden.

Zunächst werden die Bohnen über Nacht eingeweicht (ganz einfach im Glas mit viel Wasser):

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Am nächsten Morgen macht Anatol sich an die Arbeit mit den Sojabohnen. Die eingeweichten Bohnen werden gewaschen und in einem großen Topf für anderthalb Stunden gekocht.

Meine Bemerkung, stromsparend sei die Sache wohl nicht, straft Anatol mit Nichtbeachtung. Mit Argusaugen überwacht er den Topf, in dem seine Sojabohnen köcheln und macht sich in der Küche zu schaffen.

Stören darf man den Saurier jetzt nicht.

Als die schier unendliche Kochzeit um ist, baut der Butler unseren Mixer auf und füllt eine relativ kleine Menge der gekochten und noch einmal gründlich gewaschenen Sojabohnen ein. Wasser kann man mit dem Rezept leider ebenfalls nicht sparen – dies verkneife ich mir jedoch, dem am Mixer hantierenden Saurier mitzuteilen.

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Die Bohnen werden etwa drei Minuten ganz fein gemixt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:

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Die nächsten Schritte sind so aufwendig und machen so viel Dreck, dass wir in Zukunft darauf verzichten werden:

Die Milch, in der noch winzige Sojastückchen schwimmen, soll laut Rezept abgeseiht werden. Dies stellt sich als eine riesige Schweinerei heraus, da die Milch nicht durch das Passiertuch hindurchfließt. Auf Verlangen des Sauriers, der sich seine Pfötchen nicht schmutzig machen möchte, muss ich das Tuch mitsamt Inhalt auswringen – dies sollte nur mit frisch gewaschenen Händen stattfinden.

Nach einigen Anstrengungen ist die Milch im Glas:

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Der im völlig verschmierten Passiertuch noch vorhandene Rückstand heisst Okara und kann zu leckeren Dingen weiterverarbeitet werden. Leider ist unser Okara untrennbar mit dem Passiertuch verbunden. Unter dem lauten Protestgeschrei des Butlers wasche ich das Tuch aus – wir werden in Zukunft ein feines Sieb verwenden und das Okara gebührend weiterverarbeiten.

Wie schmeckt die selbstgemachte Sojamilch?

Anatol findet sie göttlich. Ich würde ihren Geschmack, wenn das Untier nicht mit dem Nudelholz neben mir lauerte, als gewöhnungbedürftig bezeichnen – auf keinen Fall aber als ungenießbar.

Anatol meint, man dürfe durchaus etwas Zucker oder Agavendicksaft in die Milch geben, um sie noch schmackhafter zu machen.

Fazit: der Arbeitsaufwand ist groß, der Geschmack annehmbar. Ich werde mit den Sauriern die Anschaffung eines Getreidemilch-Automaten erörtern. Vielleicht lohnt sich eine solche für uns?

Hier noch einmal alle Arbeitsschritte und das Rezept, welches inspiriert wurde von www.mehr-als-rohkost.de

  • Im Bioladen geschälte Sojabohnen kaufen; wir haben 500g gekauft, damit kommt man recht weit.
  • Etwa zwei Handvoll Sojabohnen über Nacht einweichen lassen (man kann aber auch deutlich mehr nehmen – siehe unten)
  • Am nächsten Morgen die Bohnen gut waschen und in einem Topf anderthalb Stunden kochen. Das ist wichtig, weil die Bohnen sonst unbekömmlich sind und Bauchschmerzen verursachen.
  • Die gekochten Bohnen in den Mixer tun, mit etwa drei mal soviel Wasser wie Bohnen.
  • Mindestens drei Minuten mixen, bis alles schön „glatt“ ist.

Den folgenden Schritt werden wir demnächst nicht mehr durchführen (wir werden uns nach einem sehr feinen Sieb umsehen; das Passiertuch gibt wirklich eine sehr große Schweinerei):

  • Die Sojamilch aus dem Mixer durch ein Passiertuch abseihen

Nun kommt die Sojamilch in eine Flasche und dann in den Kühlschrank. Sie hält sich gekühlt etwa eine Woche, sagt Anatol.

Je nach Gusto kann man sie mit Zucker, Agavensaft oder Ahornsirup verfeinern.

Um Strom zu sparen, hat Anatol gleich eine große Menge Sojabohnen eingeweicht und gekocht. Die überschüssigen gekochten Bohnen hat er eingefroren; ob das eine gute Idee ist, wird sich bei der nächsten Sojamilch-Aktion zeigen.

Viel Spaß beim Sojamilchherstellen!

Nachtrag: heute waren wir bei dm und haben Rohrzucker (Bio Vollrohr-Zucker) gekauft. Mit diesem lässt sich unsere Sojamilch tatsächlich in etwas verwandeln, das man durchaus als lecker bezeichnen könnte! Von unseren weiteren Sojamilch-Experimenten werden wir berichten!

147. Kapitel – Müllsheriff Anatol

Kratz kratz kratz macht mein Teelöffel im Joghurtbecher. Genüßlich schabe ich die letzten Reste meines geliebten Sojajoghurts aus dem kleinen Plastikgefäß heraus, stopfe das Aluminiumdeckelchen hinein und werfe es – zack – in die an der Küchentürenklinke hängende Plastikmülltüte. Dort verschwindet es mit einem Rascheln zwischen den dort bereits wartenden Müllgenossen: weiteren Plastikbecherchen, Mandarinenschalen, Katzenfutterresten und ähnlichen feinen Dingen. In Frankreich gibt es keine Mülltrennung für Bioabfall.

Anatol hat mich bisher vom Herd aus, wo er das Curry für den morgigen Tag zubereitet, stumm beobachtet. Nun schüttelt er mißbilligend den Kopf. „Damit ist jetzt Schluß!“ zetert er los.

Erschrocken lasse ich meinen Teelöffel, den ich soeben in die Spülmaschine hatte einräumen wollen, auf den Fliesenboden fallen. Klirrend springt er durch die Küche und kommt unter der Spülmaschine zum Liegen.

„Soll ich jetzt etwa auch kein Joghurt mehr essen?“ frage ich entsetzt – und ein wenig wütend. „Noch weniger kann ich nicht essen!“ Ich versuche gerade – erfolglos – drei sehr anhängliche Kilos, die das Tragen meiner Lieblingsjeans zur Tortur werden lassen, loszuwerden. Aber nun auch kein Joghurt mehr?

„Nein, das meine ich nicht.“ seufzt Anatol. „Ich meine den Müll. Gestern habe ich in der TAZ gelesen, dass im pazifischen Ozean eine Fläche aus Plastikmüll herumschwimmt, die so groß wie Europa ist! Ein Kontinent aus Müll! Stell Dir das mal vor!“

Elie hüpft vom Regal herunter und kommt in die Küche. „Ja, das haben wir auch in der Schule gelernt. Das Schlimmste daran ist, dass die Tiere unseren Müll fressen und daran sterben. Oder sich in den Plastikresten verheddern und sich verletzen. Ich kann das nicht ertragen, nur daran zu denken!“

Ich schlucke. Von dem Plastikkontinent hatte ich auch schon gelesen, hatte diesen jedoch nach anfänglicher Entrüstung erfolgreich verdrängen können. Nun holt Anatol den Müllberg wieder aus den Tiefen meines beschämten Unterbewusstseins hervor.

Es ist klar, dass zumindest die kleinen Schritte, die wir gehen können, um die Plastikmisere abzumildern, getan werden müssen.

„Was schlägst Du denn vor, Anatol? Kein Joghurt mehr? Keine Mülltüten mehr? Jede Apfelschale einzeln unten in die Mülltonne? Wir fliegen dann bald achtkantig hier raus, das weisst du, nicht?“

„Ich habe schon darüber nachgedacht. Du sollst Dein Joghurt ja haben! Aber von heute an mache ich das Joghurt selbst. Dann sparen wir zumindest diese Plastkjoghurtbecher ein. Für die Mülltüten habe ich noch keine Lösung. Ich arbeite daran. Die Klarsichtfolie wird reduziert – und Plastikflaschen ebenfalls. Es muss sich einfach etwas ändern!“

Ich bin beeindruckt. Joghurt selber machen! Wie soll das denn gehen? Dazu braucht man eine Joghurtmaschine – aber neue Elektrogeräte werden nicht mehr angeschafft. Kategorisch widerspreche ich!

„Papperlappapp!“ kontert Anatol. „Ich mache Joghurt ohne jede Maschine! Du wirst schon sehen.“

Der Saurier öffnet eine Seite im Browser, die er sich offenbar als Lesezeichen bereits eingerichtet hat. Experiment Selbstversorgung heisst es da, und „Sojajoghurt selber machen“.

Das Rezept ist einfach: ein kleines Joghurt wird in 45°C warme Sojamilch eingerührt und dann mehrere Stunden warm gestellt. Bei uns geschieht das auf der warmen Heizung.

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Nach 7 Stunden ist das Milch-Joghurt-Gemisch zu einer gallertartigen Masse geworden, die Anatol schnurstracks in den Kühlschrank stellt.

Probieren darf ich das Joghurt erst heute Abend. Ich bin sehr gespannt. Dann fällt mir etwas ein.

„Anatol, wenn wir aus der Sojamilch jetzt unser Joghurt herstellen, dann brauchen wir ja mehr Sojamilch als vorher, nicht wahr?“

Der Saurier nickt. „Das ist ja logisch. Anstelle von 1l Sojamilch pro Woche werden wir so etwa 2l brauchen. Aber die kostet ja nicht viel.“

Nein, sie ist nicht teuer, unsere Sojamilch. Aber sie kommt im Tetrapack.

Anatol sieht mich grimmig an. „Warum musst Du jetzt sowas sagen?“ zetert er. Dann denkt er kurz nach.

„Ich werde eben auch die Sojamilch selber machen. Wie, weiss ich noch nicht. Aber das muss doch zu schaffen sein …“

Dann vertieft er sich ins Internet. Ich bin sicher, er findet eine Lösung!

Ich koste jetzt unser erstes selbstgemachtes Joghurt. Es schmeckt großartig!

141. Kapitel – Anatol Effendi kocht Mokka

Von Merve haben Anatol und ich echten türkischen Mokka geschenkt bekommen: eine ganze Packung Kurukahveci der Marke Mehmet Efendi.

Diesen heisst es nun so authentisch wie möglich zuzubereiten – denn sonst kommen wir nicht in den Genuß des vollen Aromas der morgenländischen Köstlichkeit.

Als erstes begeben Anatol und ich uns daher auf die Suche nach dem für die Zubereitung des Mokkas unerläßlichen Cezve, eines winzigen Topfes mit langem Stiel, in dem der Mokka traditionell gekocht wird.

Wir werden enttäuscht: weder der orientalische Supermarkt noch der arabische Basar in Strasbourg führen zur Zeit einen Cezve. Sogar das türkische Geschäft in Kehl muss passen: der Cezve sei zwar bestellt und demnächst wieder im Sortiment, wann das genau sei, könne man aber nicht mit Sicherheit vorhersagen.

Anatol und ich beabsichtigen dennoch, allen Widrigkeiten zum Trotz auch in Ermangelung eines Cezve heute einen Mokka zu kochen.

Unser erster Versuch scheitert kläglich – in der Espressokanne. Der türkische Mokka ist fein wie Puderzucker – durch das Sieb der Espressokanne gleitet er in den unteren Teil der Kanne ab, wird von dort aber nicht mit aufgekocht. Das Ergebnis im oberen Teil der Kanne ist eine zart-braune, fast (aber leider nicht ganz) geschmacklose Flüssigkeit – kein Mokka.

Die Espressokanne müssen wir daher als Zubereitungsmittel für unseren Mokka verwerfen… halt: müssen wir das wirklich? Anatol hat eine Idee.

Aber seht selbst:

Der Mokka von Mehmet Efendi!

Der Mokka von Mehmet Efendi!

Diese Dinge können wie beiseite legen.

Diese Dinge können wir beiseite legen.

Unser Behelfs-Cezve

Unser Behelfs-, nein: MINIMALISTEN-Cezve

Ab damit auf die Kochplatte

Ab damit auf die Kochplatte.

Etwas Mokka ins kalte Wasser

Etwas Mokka ins kalte Wasser…

Umrühren

Umrühren…

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Der Mokka muss etwas aufkochen.

Wir rühren gut um, während der Kaffee köchelt

Wir rühren gut um, während der Kaffee köchelt.

Nun etwas Mokka in die Tasse füllen ...

Nun etwas Mokka in die Tasse füllen …

Womit fassen wir den heissen Mokkatopf nur an ...? Zum Glück hat Anatol eine Idee!

Womit fassen wir den heissen Mokkatopf nur an …? Zum Glück hat Anatol eine Idee!

Die Lösung!

Die minimalistisch-pragmatische Lösung!

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Fertig.

Fertig.

Der Mokka ist wohlschmeckend und kann Tote zum Leben erwecken.

Über die genaue Dosierung müssen wir uns noch klar werden.

121. Kapitel – Entrümpeln mit Momox

Jedes Jahr um Ostern steht er an: der große Frühjahrsputz. Seit mehreren Tagen rumort Anatol in den Schränken und Regalen, um das alljährliche Großreinemachen vorzubereiten.

Angeregt durch einen Beitrag in einem der von ihm hochgeschätzten Minimalistenblogs hatte Anatol angekündigt, die Wohnung dieses Jahr nicht nur grundzureinigen, sondern nachhaltig zu entrümpeln. Dazu gehöre auch die Entkernung unserer Bücherregale und das Aussortieren von nicht mehr gelesenen Büchern.

Hier hatte ich zunächst auf das Schärfste protestiert. Bücher seien kein Gerümpel! Sie gehörten zu unseren Grundfesten; und auch, wenn ich sie nicht mehr ständig läse, so wolle ich doch meine Lieblingsbücher weiter um mich haben. Einer Entrümpelung meiner Bücherregale träte ich somit entschieden entgegen.

Anatol hatte widersprochen. „Und was ist mit den Dutzenden von Taschenbüchern, die Du niemals mehr ansehen, geschweige denn lesen wirst? Es ist doch schade, sie hier verstauben zu lassen – während andere Leute sie gern lesen würden! Sie sollen nicht ins Altpapier, sondern zurück in den Lebenskreislauf jedes Buches: zu den Lesern!“

Ich war in der Tat ins Grübeln gekommen. Viele Bücher standen nur herum, bedeuteten mir aber nichts. Ich hatte sie gelesen und brauchte sie eigentlich nicht weiter aufzubewahren …

So hatte ich Anatol schließlich mein Plazet gegeben. Gewisse Bücher dürften aussortiert werden, ebenso CDs und DVDs. Nur: wohin damit?

Hier hatte Anatol seinen Trumpf gezogen. „Du hast wohl noch nie von Momox gehört!“ hatte er triumphierend erklärt.

Ich hatte stirnrunzend zugegeben, dass mir „Momox“ in der Tat gänzlich unbekannt sei.

Schnell hatte Anatol mich aufgeklärt. Momox sei eine Plattform, die gebrauchte Bücher, CDs und auch DVDs kaufe, um sie dann weiterzuveräußern. Der Verkauf sei ganz einfach: man scanne die Bücher per Handy ein, nachdem man ein Kundenkonto eröffnet habe, drucke einen Versandschein aus und bringe die verpackten Bücher zu einer Poststelle. In unserem Fall sei das der Hermesversand in Kehl. Der Versand sei kostenlos.

Ich war sprachlos gewesen. Dieses Momox hörte sich großartig an – aber hielt es auch, was es versprach? Das hatte Anatol zwar nicht aus eigener Erfahrung belegen können, da er selbst noch nie etwas über Momox verkauft habe – er habe im Internet jedoch nur positive Bewertungen gelesen.

Schließlich hatte ich mich entschlossen, einen Versuch zu starten und Anatol erlaubt, ein Paket mit Büchern zusammenzustellen und abzusenden.

Das Päckchen war schnell verpackt und zum Hermesversand gebracht worden. Nun war nur noch darauf zu warten, dass es bei Momox ankam, dort Gefallen fand und bezahlt wurde.

In sicherer Erwartung des positiven Ausgangs unserer Transaktion ist Anatol heute geneigt, eine weitere Bücher- und CD-Sammelaktion vorzubereiten. Ich widersetze mich dem nicht – weiss ich doch, dass alle Bücher, bevor sie abgesendet werden, erst von mir freigegeben werden müssen.

Nach dem Osterspaziergang macht sich Anatol mit Unterstützung von Elie daran, alle Regale zu leeren, auszuwischen und dann Bücher, CDs und DVDs zu sortieren und zu kleinen Stapeln zusammenzustellen. Ich arbeite zwar an meiner Novelle, habe aber doch ein Auge auf die Saurier. Mit Wohlgefallen sehe ich, wie Anatol sorgfältig auswählt, welche Bücher nach vorheriger Absprache für Momox eingescannt werden – dies nimmt Elie mit dem Handy vor – und welche ins saubere Regal zurückkommen.

Das Endergebnis begutachte ich, bin einverstanden und gebe Anatol die Erlaubnis, den Verkauf am Computer abzuschließen. Dies besteht darin, die eingescannten Bücher zu überprüfen und dann den „Verkaufen“-Button anzuklicken.

Der Saurier erledigt dies und macht sich sodann an die Verpackung der Sachen.

Ich interessiere mich nun doch für den voraussichtlichen Verkaufspreis, den wir mit den Büchern erzielen könnten und frage „Was kriegen wir denn für das alles? Steht da schon ein Preis?“

Elie meint „Moment, ich sehe mal in unser Konto“ und tippt die Adresse des Momox-Accounts ein.

Obwohl dies bei Elie nicht sehr deutlich zu sehen ist, bemerke ich doch, dass der Saurier plötzlich blass wird.

„Was ist denn da passiert …“ flüstert er, sichtlich verwirrt. Anatol ist mit einem Satz am Computerbildschirm – und stösst einen Entsetzensschrei aus. Nun springe ich auch auf – irgendetwas muss bei dem Momox-Verkauf nicht so gelaufen sein, wie es hätte sollen.

Bildschirmfoto 2015-04-05 um 19.17.04 - Arbeitskopie 2Das Momox-Konto ist übersichtlich gestaltet. Gleich fällt mir die Präsenz von zwei Verkäufen auf. Diese ist logisch: wir haben vor ein paar Tagen ein erstes Paket an Momox versendet. Nicht richtig erscheint indessen der Betrag, den dieser erste Verkauf ausweist – ist er doch deutlich höher als der zunächst veranschlagte.

Ich sehe mir die Details der beiden Verkäufe an – und erstarre. Unser Verkauf von letzter Woche wird nun als deutlich „aufgestockt“ angezeigt: die Saurier haben offenbar die Bücher von heute mit dem Verkauf von letzter Woche zusammengefügt. Dies allein wäre noch kein Beinbruch, jedoch haben sie zusätzlich dazu jedes Buch ein weiteres Mal unter dem heutigen Datum verkauft.

Nicht nur ist somit der erste Versand unvollständig, sondern jedes Buch ist zweimal im Verkauf – so als gebe es von jedem Buch zwei Exemplare und nicht nur eines. Die Verkäufe sind auch bereits bestätigt und lassen sich nicht mehr korrigieren.

Ich explodiere.

„Wie ist es möglich, dass so ein unglaublicher Mist hier passiert, während ich noch daneben sitze !?“ brülle ich, die Zornesröte im Gesicht.

IMG_3565Die Saurier sind indes nicht mehr zu sehen.

Nach kurzer, wütender Suche entdecke ich sie unter dem Schrank, wo ich sie am Schlafittchen packe und aus dem Versteck hervorziehe. Elie heult – Anatol zittert am ganzen Leib.

Schlagartig verfliegt meine Wut. Im Grunde bin ich selbst schuld an der Momox-Misere: warum habe ich die beiden Saurier nicht besser überwacht, oder zumindest den Verkaufsvorgang beobachtet?

Ich verhänge eine General-Momoxamnestie für die Saurier und nehme die gesamte Schuld auf mich, woraufhin sich die Butler ein wenig beruhigen.

Allerdings möchte ich nun wissen, was zu der jetzigen verfahrenen Situation hatte führen können. Wie konnten die Bücher doppelt verkauft werden und noch dazu zu dem schon versendeten Paket hinzugefügt werden?

Elie schnieft. „Ich habe immer schön mit dem Handy die Bar-Codes eingescannt. Hier: so! IMG_3567Die Sachen werden dann im Handy so lange gespeichert, bin man auf „Kauf abschließen“ geht. Danach kommt eine Mail, und mit der überträgt man die Bücher in das Kundenkonto. Das mit der Mail hat immer Anatol gemacht.“

Anatol gibt dies zähneknirschend zu. Es sei denkbar – wenngleich nicht sicher! –  dass er mehrere dieser Mails gleichzeitig bearbeitet habe. Dies könne möglicherweise dazu geführt haben, dass mehrere Verkaufsvorgänge geöffnet worden seien. Da diese dann nebeneinander existierten, habe das Progamm eventuell nicht beachtet, dass es sich um die gleichen Artikel gehandelt habe … anders könne er sich den Sachverhalt nicht erklären.

Was das Zusammenfügen der Verkaufsvorgänge angehe, so könne er sich vorstellen – ohne dies allerdings sicher attestieren zu können – dass man dies angeklickt habe, weil man davon ausgegangen sei, es handele sich um die heutigen Verkäufe, nicht aber den von letzter Woche.

Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich von all dem neudeutschen Geschwätz (Verkäufsvorgänge werden „geöffnet“, „zusammengefügt“, „existieren nebeneinander“ und werden „in Kundenkonten übertragen“) gar nichts verstehe. Was ich jedoch verstehe, ist dies: die Momox-Geschichte ist gründlich schiefgegangen, und zwar allein durch unser – bzw. mein – Verschulden.

Eine Lösung für die Misere zeichnet sich indessen nicht ab. Wer hier allein helfen kann, ist Momox – allerdings nicht an Feiertagen. Wir werden uns daher bis Dienstag gedulden müssen, bis wir Momox das Desaster darlegen und um Nachsicht oder besser: um Gnade bitten können.

Elie weint immer noch. „Kommen wir jetzt ins Gefängnis?“ schluchzt er. Diese Frage kann ich glücklicherweise verneinen.

Nachdem ich die allgemeinen Geschäftsbedingungen von Momox genauer konsultiert habe, bin ich sicher, dass uns auch kein zivilrechtliches Ungemach drohen dürfte. Dennoch wird es mir besser gehen, wenn die Sache mit Momox am Dienstag – hoffentlich – geklärt werden kann.

Die Butler bekommen für die nächste Woche ein strenges Entrümpelungs- und Momoxverbot. Nicht, dass sie am Ende noch unsere Wohnung vermomoxen – wir sind nur Mieter.

56. Kapitel – Intendanzprobleme II

Nach dem Frühstück begebe ich mich als erstes zu meinem Hausarzt, zur Akupunktur.

IMG_2316Dort treffe ich Fridolin, der wie üblich damit beschäftigt ist, Krankenakten zu sortieren, die im Wartezimmer ausliegenden Zeitschriften zu ordnen und Termine zu vergeben. Fridolin erledigt seine Aufgaben zügig und unaufgeregt – er strahlt Ruhe und Souveränität aus. Es heisst, dass manche Patienten nur hier zum Arzt gehen, um Fridolin zu treffen. Allein seine Anwesenheit scheint sich auf viele Patienten positiv auszuwirken.

Dennoch habe ich auch heute wieder den Eindruck, dass Fridolin angespannt ist – so gut er es zu verbergen sucht. Aber auch diesmal ergibt sich leider keine Gelegenheit, ihn diskret darauf anzusprechen.

Die Sommerkollektion von Somewhere erwähne ich aber – ich weiss, dass Fridolin samstags nach Praxisschluss zu Somewhere geht, um dort im Lager zu arbeiten. Zudem ist er auch für die Dekoration der Boutique zuständig – daher kennt er die Kollektion perfekt.

„Fridolin, Anatol und Elie haben alle meine Sommertops in die Kleidersammlung gegeben.“ Hier flunkere ich ein klein wenig. „Es wird jetzt Sommer – letzte Woche hatten wir ja schon 28°C. Ich brauche also dringend ein paar anständige Sommersachen. Habt Ihr so etwas in der Kollektion? Es sollte auch bürogeeignet sein. Am liebsten aus Leinen – das kühlt am besten.“

Ich weiss, dass ich dabei bin, mein „Konsum-Verzichts-Gelübde“ sträflichst zu missachten. Aber was soll ich tun – ich habe kaum noch Sommertops, und schon bald wird es wieder warm werden.

Fridolin denkt kurz nach. „Ja, ich denke, da müssten wir ein paar hübsche Sachen haben. Die aktuelle Sommerkollektion ist eine der schönsten, die ich dort gesehen habe. Wenn Du nicht so viel Geld loswerden möchtest, rate ich Dir, die Schals und Halstücher lieber nicht anzusehen. Sie sind absolut tödlich. Aber auch wenn es nur ein oder zwei schöne Tops sein sollen, dann wirst Du sicher Dein Glück finden.“

Ich danke Fridolin und suche nach einer Rechtfertigung vor mir selbst… soll ich mir die Tops ansehen? Ich weiss, dass ich dann sicher etwas kaufen werde. Schließlich habe ich zum Geburtstag etwas Geld geschenkt bekommen, mit der Auflage, davon etwas Schönes zu erstehen …

IMG_2319Vor der Boutique zögere ich. Soll ich das Geschäft wirklich betreten?

Kurzentschlossen drücke ich die Tür auf – und bin von wunderschönen Kleidungsstücken umgeben, die ich unmöglich alle ansehen, geschweige denn anprobieren kann.IMG_2323

Der eigentliche Zweck meines Besuchs in dem Modetempel ist es ja, die fehlenden Sommertops zu ersetzen – und zwar durch etwas, das ich auch im Büro tragen kann. Gleich finde ich zwei wunderschöne Oberteile in hellgrau und weiss, die ich sofort zurücklegen lasse.

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Wie Fridolin bereits andeutete, sind die Halstücher bestrickend schön. Ich erliege einer dieser Kostbarkeiten, und verlasse schließlich mit Sommertops, einer Matrosenbluse aus Leinen und einem exotisch eleganten Foulard die Boutique. Aufgrund meiner Geburtstags-Punkte und der hier sogenannten „Ventes privées“ zahle ich nur die Hälfte des eigentlichen Preises. Das wird den Butlern sicher gefallen !IMG_2353

Mit einer nicht exzessiv großen Tüte komme ich nach Hause.

„Anatol! Elie!“ rufe ich. „Fridolin hat mich großartig beraten. Ich habe ein paar wunderschöne Teile als Ersatz für die weggegebenen Tops gefunden!“

Anatol guckt betreten aus dem Schlafzimmer. Elie sitzt auf dem Kleiderschrank und sieht ebenfalls recht verlegen aus. Kleinlaut meint Anatol, man habe nach der morgendlichen Kontroverse etwas aufräumen wollen und dabei auch weniger genutzte Fächer des Schrankes ausgeräumt. Hierbei sei eine Kiste aufgefallen, die man geöffnet habe.

Die Kiste habe alle vermissten Tops – fein säuberlich zusammengelegt – beherbergt. Offenbar habe man letztere nämlich nicht in die Kleidersammlung gegeben, sondern in der Kiste verwahrt.

Ich muss mich setzen.

„Heisst das, dass ich nicht nur neue Klamotten in einen dem Minimalismus verpflichteten Haushalt gebracht habe, sondern dass die gesamten Altlasten immer noch da sind?“ frage ich entsetzt.

„Ja, genau das heisst es“ gibt Anatol beschämt zu.

„Tja.“ sage ich nur. „Daran kann man wohl nun nichts mehr ändern.“

Überglücklich, dass mein geliebtes, altes, grünes Top, dass so perfekt zu meinem Lieblingsanzug passt, wieder da ist, beginne ich, die neu erstandenen Oberteile auszupacken.

Minimalismus ist toll. Aber manchmal darf er auch etwas warten.

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50. Kapitel – Frau Holle in der Waschmaschine

Letzte Woche hätte ich meine Butler am liebsten auf den Mond geschossen. Ich hatte Anatol morgens gebeten, sich um die Bettwäsche und die Bettdecken zu kümmern. Die Bettsachen brauchten eine ordentliche Wäsche, und das sollten die Butler an diesem Tag erledigen.

Ich muss zugeben, dass ich mich schon mittags darauf gefreut hatte, an diesem Abend in ein komplett frischgewaschenes und flauschig weich-getrocknetes Bett fallen zu können. Wir haben nämlich seit kurzem eine Waschmaschine, die auch trocknen kann – Anatol hat mich zu diesem Kauf genötigt. Jahrelang hatte ich mich gegen einen Trockner gewehrt. Warum Energie verschwenden, wenn die Wäsche auch ganz kostenlos und umweltfreundlich an der Luft trocknen kann?

Hier hatte Anatol Argumente vorgebracht. An regnerischen Tagen, wenn er die Wäsche nicht auf den Balkon stellen könne, sei es ihm ganz unmöglich, große Wäscheteile wie gerade die Bettsachen trocken zu bekommen. Tagelang stünden die Wäscheständer in der Wohnung – und die Katzen trieben ihr Schindluder mit der herunterhängenden Wäsche! Er sei dann hauptsächlich damit beschäftigt, die Katzen von der Wäsche fernzuhalten – und könne sich nicht um den restlichen Haushalt kümmern. Das habe er endgültig satt!

Zudem sei die Energiebilanz der heutigen Waschtrockner nicht mehr ganz so verheerend wie das früher der Fall gewesen sei. Auch könne man die Trockenfunktion sparsam und immer nur dann einsetzen, wenn Lufttrocknung nicht möglich sei. So würde man die Wäsche durchaus verantwortungs- und umweltbewusst trocknen.

Als die alte Waschmaschine endgültig ihren Geist aufgab, wurde der heißersehnte Waschtrockner angeschafft.

Dieser – so hatte Anatol mir versprochen – sollte nun an diesem großen Waschtag eingesetzt werden.

Als ich aus dem Haus ging, war Anatol schon damit beschäftigt, die Bettdecken abzuziehen und die Wäsche zu sortieren – Anatol ist sehr darauf bedacht, dass alles mit der richtigen Temperatur und nach Farben getrennt gewaschen wird. Nichts hasst er mehr als ungepflegte, verfärbte Wäsche.

Am Abend hatte ich ausnahmsweise schon etwas früher von der Arbeit gehen können. Ich freute mich auf einen schönen Abend mit den Butlern und den Katzen, der heute wegen der gewonnenen Zeit hoffentlich etwas entspannter würde ablaufen können als normalerweise.

Gerade stehe ich vor der Wohnungstür und will aufschließen – da dringen seltsame Geräusche aus der Wohnung! Ich vernehme ein metallisches Klappern und durcheinandersprechende, hallende Stimmen, die sich so anhören, als kämen sie aus einem riesigen Klangkörper. Schnell betrete ich die Wohnung, um nach dem Rechten zu sehen – und entdecke schockiert diese Szene:

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Was muss ich sehen:

Anatol auf einem Kopfkissenbezug, offensichtlich damit beschäftigt, die Füllung meines armen Kopfkissens aus der Waschmaschine in den Bezug zu schaufeln; Elie in der Waschmaschinentrommel, einen kleinen Handfeger in der Hand – Polyesterbällchen aus der Trommel fegend, und die winzige Mina, die weisse Polyesterfetzchen aus der Gummidichtung der Waschmaschinentrommel herausprokelt!

IMG_2231Ich bin entsetzt! Was war nur passiert? Elie nimmt kein Blatt vor den Mund: „Frau Holle hat vorhin versucht, sich in der Waschmaschine umzubringen. Wir konnten sie gerade noch retten und sammeln nun die Reste Deines Kopfkissens hier raus. Wir sind fast fertig!“

Mir stockt der Atem. „Anatol, was hat das zu bedeuten? Habt Ihr etwa mein wunderbares, einzigartiges, fast neues Kopfkissen geschreddert? Wie konnte das passieren!?“

Anatol antwortet recht zerknirscht. „Ich hatte die ganze Bettwäsche sortiert. Das Weisse mit dem Weissen, das Farbige zum Farbigen. Die bunte Bettwäsche habe ich mit dem Colorwaschpulver gewaschen. Sie ist sogar schon trocken. Aber die Bettdecken und das Kissen – die sind weiss. Sie müssen mit Vollwaschmittel gewaschen werden – bei 60°. Und da habe ich also den farbigen Bezug von dem Kopfkissen abgenommen, denn ich wollte das ganze Kissen mit Vollwaschpulver waschen. Am liebsten hätte ich es gekocht – das hätte es jedenfalls dringend nötig gehabt!“

Langsam aber sicher redet sich Anatol in Rage. „Man darf nur ganz stark geschleuderte Wäsche in den Trockner stecken. Sonst verbraucht er zuviel Energie! Du hast mir selbst gesagt, dass alles, was in den Trockner soll, vorher mit 1400 Umdrehungen zu schleudern ist! Wegen der Umwelt! Und daran habe ich mich nur gehalten. Dass Dein altes Kissen das nicht überleben würde, das kann ich ja nicht wissen! Es ist im Schleudergang von der Waschmaschine aufgerissen und zerfetzt worden. Die ganze Trommel war voll mit dem Zeug! Seit einer Stunde sind wir jetzt mit Mina dabei, die Waschmaschine wieder klarzukriegen von dieser Polyesterfüllung. Mina ist sogar hinter die Trommel gekrochen, um dort Polyesterbällchen zu entfernen! “ Vorwurfsvoll – ja geradezu kampflustig sieht mich der Butler an. In seinen Augen funkelt Wut.

Ich widerspreche: „Das Kissen ist nicht alt! Es ist sogar fast noch neu – Mama hat es mir erst 1992 geschenkt!“

Anatol schnaubt. „Dein Kissen ist 22 Jahre alt! Denk doch mal nach, wie alt Kissen normalerweise werden!“

Ich bin pikiert, aber auch etwas verzweifelt. Mehrfach schon habe ich versucht, das Kissen gegen ein neueres auszutauschen. Jedoch konnte ich auf keinem noch so teuren Kissen schlafen. Nackenschmerzen und Verspannungen trieben mich jedesmal zurück in die Arme meines guten alten Kissens von 1992.

IMG_2233Anatol weiss das. „Wir haben uns eine Notlösung überlegt. Eigentlich dachten wir, wir können die ganze Misere vor Dir verstecken. Ja, ich weiss, dass das nicht ok ist. Aber wir wollten Dir keine Sorgen bereiten.“

Mina habe die zündende Idee gehabt. Sie habe vorgeschlagen, das Innenleben des zerfetzten Kissens einfach in einen der Reissverschlußbezüge einzufüllen – ohne das aufgerissene Kisseninlet. So würde ich nicht einmal einen Unterschied bemerken. Von außen würde das Kissen so aussehen wie immer – frisch gewaschen und weich.

Ich gebe zu, dass es sich zumindest nicht schlecht anhöre – füge aber hinzu, dass das auf keinen Fall eine Dauerlösung sein könne. Wie wolle man schließlich den Kissenbezug wechseln, wenn sich darin Millionen von winzigen, losen Polyesterbällchen tummelten.

Ein neues Kopfkissen muss angeschafft werden, das ist unumgänglich.

Ich begebe mich also am Sonnabend früh zu Betten Leitermann in Kehl, und schildere die missliche Lage. Der freundliche Herr bescheinigt meinem Kopfkissen ein „biblisches Alter“ – und bezeichnet es als ein Wunder, dass es überhaupt so lange gehalten habe.

Leider hat er kein für meinen schwierigen Nacken geeignetes Kissen auf Lager. Allen neuartigen Kissen, die er mir mit der Begeisterung des Fachmanns zeigt, stehe ich mehr als misstrauisch gegenüber.

Mina, die mich begleitet, hat auch hier die rettende Idee. Sie schlägt vor, einfach nur einen weissen, dünnen Bezug mit Reissverschluss zu kaufen, diesen zum Kisseninlet umzufunktionieren und mit den Polyesterballresten meines alten Kissens zu befüllen.

Der zuvorkommende Herr von Betten Leitermann ist ob der unorthodoxen Methode schockiert, sucht mir aber doch den für diesen Zweck am besten geeigneten Bezug aus – einen herrlich glatten, feinen Baumwollsatin. Er schlägt mir sogar vor, noch zusätzliches Füllmaterial, was man dort in 100g Packungen erstehen kann, hinzuzufügen. Die fachmännische Beratung gefällt mir. Ich mag Betten Leitermann. Leider kann ich mir die wunderschönen Bettsachen, die es dort gibt, nicht leisten – zumal sowieso alles den Krallen der bepelzten Massenvernichtungswaffen zum Opfer fallen würde.

Den neuen Kissenbezug in der Tasche verlasse ich das schöne Geschäft. Mina und ich haben eine absolut minimalistische Lösung gefunden – ich bin stolz auf uns. Wir mussten nur einen Bezug kaufen, und nicht gleich ein ganz neues Kissen.

Nun muss ich nur noch eine Schlafprobe auf dem „neuen“ Kissen machen. Die wird mir nicht schwerfallen!

 

 

40. Kapitel – Schranken des Minimalismus

IMG_2121Verstohlen öffne ich die Wohnungstür. Ich versuche, dabei so wenig Lärm zu machen wie nur möglich. Den Schlüsselbund in der einen Hand, eine große Tüte in der anderen betrete ich die Wohnung. Auf Zehenspitzen versuche ich, das Schlafzimmer zu erreichen, um dort die verdächtige Tüte im Schrank verschwinden zu lassen.

„Du brauchst gar nicht zu schleichen!“ tönt es da aus dem Wohnzimmer. Anatol und Elie sitzen mit versteinerten Mienen am Tisch. „Wir wissen alles. Fridolin hat Dich in der Stadt gesehen – bei Somewhere. Er hat heute dort im Lager gearbeitet – sie haben die neue Kollektion eingeräumt. Ja – wir wissen, was Du getan hast. Was hast Du dazu zu sagen?“

Ich lasse die Tüte zu Boden gleiten und stelle mich dem improvisierten Sauriertribunal. Was habe ich zu sagen? Nicht viel … ich habe mein Gelübde, in diesem Jahr überhaupt keine neuen Klamotten zu kaufen, schändlich gebrochen. Ich habe meine mir selbst auferlegten Minimalismus-Anforderungen nicht eingehalten. Das ist schwach und inkonsequent. Mehr noch: es ist schlecht.

„Anatol, Elie. Ich weiss ja, dass ich das nicht mehr tun wollte. Aber nun wird es Sommer. Ich wollte so gern dieses Leinen-T-Shirt, das ich letztes Jahr nicht mehr gefunden habe, weil meine Größe ausgegangen war. Nun ist es wieder in der neuen Kollektion dabeigewesen. Deshalb habe ich es gekauft.“

„Ach so! Und weil Du ein T-Shirt haben wolltest, hast Du also zwei gekauft. Interessant!“ Anatol klingt messerscharf.

Nun muss ich mich wehren. „Ich habe ein dunkelgraues und ein hellgraues T-Shirt gekauft. Und sie waren nicht teuer! Darf ich daran erinnern, dass ICH hier das Geld verdiene und mir damit immer noch das kaufen darf, was ich möchte?“ Letzteres sage ich mit Nachdruck, um möglichen Weiterungen einen Riegel vorzuschieben.

„Und deshalb darfst Du T-Shirts bekommen – aber ich muss auf ein Tablet verzichten! Das ist so unfair!“ zetert Elie.

„Elie, bitte. Du weisst genau, dass ein T-Shirt bei weitem nicht dasselbe kostet wie ein Tablet!“

„Mit den ganzen T-Shirts, die Du Dir schon gekauft hast, könnte ich mindestens 3 Tablets bezahlen!“ erwidert Elie pikiert.

Ich setze mich zu den Butlern an den Tisch. „Es stimmt. Ich habe mein Versprechen nicht eingehalten. Ich wollte das ganze Jahr kein einziges neues Kleidungsstück kaufen, und nun hab ich es nicht geschafft. Es ärgert mich selbst! Aber ich hab mich im letzten Sommer so gegrämt, weil das schöne graue T-Shirt nicht mehr zu haben war … und deshalb wollte ich es jetzt unbedingt kaufen. Ok, dass ich dann noch den wunderschönen rosa-abricot-farbenen Foulard gekauft habe … das war nicht wirklich nötig. Aber Ihr werdet sehen – er ist phantastisch.“

IMG_2127Die beste Überzeugungsarbeit leistet immer noch die Sache selbst. Ich packe die T-Shirts also aus – und auch den Schal. Nun ändert sich die Tonlage! Anatol murmelt etwas wie „Sieht wirklich nicht schlecht aus“, während Elie sich den Schal schnappt. „Ist der schön!“ ruft er. „Und so weich! Das sind genau meine Farben – darf ich den morgen in den Park mitnehmen? Bitte!“

„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, Elie. Der Schal ist ganz leicht und fein, mit dem bleibst Du an jedem Busch hängen, und würdest ihn zerreissen. Es wäre sehr schade um den schönen Schal. Aber Du darfst ihn gerne heute Abend umnehmen, wenn Du magst.“

Damit ist Elie einverstanden.

IMG_2130Ich bin erleichtert. Die Butler haben sich schneller einsichtig gezeigt, als ich es gedacht hätte. Nun muss ich nur noch mit meinem eigenen Gewissen klarkommen – wegen des Bruchs meines Minimalismus-Gelöbnisses.

Muss man, wenn man minimalistisch leben möchte, wirklich auf jedes T-Shirt verzichten? Vermutlich schon. Es ist schlecht für die Umwelt, neue Klamotten zu kaufen – und oft ist der Kleiderschrank ja sowieso schon übervoll. Wozu so viel Kleidung …?

Es baut einfach auf, ab und zu mal etwas Neues zu erstehen. Vielleicht ist es mit einem gemäßigten Minimalismus zu vereinbaren, wenn man nur das Nötigste kauft – und sich nur sehr selten eine neue Klamotte gönnt. Ich hoffe das.

IMG_2131Denn über meine beiden T-Shirts und den wundervollen Schal freue ich mich. Minimalismus hin oder her – sie tun mir einfach gut.

Ob ich den Rest des Jahres nun kauffrei überstehe? Wir werden sehen.

 

 

 

27. Kapitel – Feng Shui I

„Entrümple Dein Leben“ – diesen Slogan hat Anatol im Internet entdeckt. Zu lesen bekommt man ihn auf Seiten über den neuen „Minimalismus“ wie Simplify your life, in Blogs wie z.B. Becoming minimalist oder auch in der ganzheitlichen Lebenslehre des Feng-Shui.

Anatol ist begeistert vom Minimalismus. Sofort will er die neuen Ideen in die Tat umsetzen. Ihm schwebt eine Umgestaltung der Wohnung in etwas wie diesen Tempel der Wohnkultur vor.

Ich muss Anatol enttäuschen. Eine solche Einrichtung werden wir niemals haben. Dafür sorgen bereits unsere pelzigen Mitbewohner, die von meinen Freunden als „Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet werden. In Bezug auf schöne Möbel werden sie dieser Bezeichnung leider gerecht.

Doch was bedeutet „Minimalismus“?

Es handelt sich dabei nicht einfach um Aufräumen. Nein, es geht um „Loslassen“, um „Weniger besitzen“. Die Engländer nennen es „de-own“ – die  eigenverantwortete, bewusste Selbstenteignung, um es in ordentlichem Juristendeutsch auszudrücken.

„Wozu soll das gut sein?“ fragt Elie. „Schließlich habe ich lange gespart, um mir endlich meinen tollen Chèche zu kaufen! Und nun soll ich den weggeben? Nein – ohne mich!“

IMG_1537Elie hat in der Tat lange Zeit seine Steinzeittaler angespart, weil er in einer Boutique einen wunderschönen tunesischen Wüstenschal (den „Chèche“) gefunden hatte, den er beim Sommer-Treffen der „Söhne der Wüste“ tragen will. Der Chèche ist sein ganzer Stolz, und um nichts in der Welt würde er ihn hergeben.

Ich versuche, es Elie zu erklären. „Elie, auf keinen Fall musst Du Deinen Chèche abgeben. So funktioniert Minimalismus nicht. Es geht um etwas anderes, nämlich darum, Sinnloses und Überflüssiges hinter sich zu lassen.“

Anatol pflichtet mir bei. „Ein Chèche ist gut. Zehn Chèches, die Du nie trägst, ist Anti-Minimalismus. Und das wollen wir nicht mehr.“

Nun wird Elie etwas ungehalten. „ICH habe nur einen einzigen Chèche. Und sonst habe ich GAR kein Kleidungsstück. Dieser Minimalismus geht mich deshalb nichts an. Die einzige Person, die hier Kleidung in 100facher Ausführung besitzt, so dass die Schränke überquellen und alles an den Türen hängen muss, weil in die Schränke nicht einmal mehr ein hauchdünnes Pfefferminzblättchen hineinpasst – von den Schuhen mal ganz zu schweigen! – ist Susanne!“

Elie hat damit ins Schwarze getroffen. Betreten schaue ich zu Boden. „Elie, Du hast ja recht. Es geht hier vor allem um mich und meinen Kram. Er nimmt einfach zu viel Platz weg. Und daran wollen wir etwas ändern. Ich habe ja schon beschlossen, in diesem Jahr kein einziges neues Kleidungsstück zu kaufen. Bisher habe ich mich daran gehalten.“

Elie bemerkt etwas spitz, dass es mit dem „nichts Neues mehr kaufen“ ja schön und gut sei – dass aber eine sinnvolle Nutzung der Wohnung seiner Meinung nach erst wieder möglich sei, wenn mindestens ein Drittel der vorhandenen Kleidungsstücke entfernt würde. Ich schlucke.

Anatol erinnert nun daran, dass der materielle Teil (das Aufräumen und Weggeben von Sachen) nur ein Aspekt des Minimalismus sei. Es gehe dabei vor allem um die Einstellung zum Konsum. Um Nachhaltigkeit – aber auch um Verzicht auf den neuesten technischen Schnickschnack und allgemein auf alles Unwesentliche.

Elie guckt sehr skeptisch. Er ist – was ihn selbst betrifft – sichtlich nicht von der Idee des Verzichts angetan. Deshalb muss ich mir etwas einfallen lassen, das ihn überzeugt. Und schon habe ich eine Idee.

„Ihr Lieben, wann habt Ihr eigentlich das letzte Mal in Eurem Nestchen das Gefühl gehabt, dass es dort bequem und angenehm war? So dass Ihr beide Platz hattet, um Euch mal richtig auszustrecken?“

Anatol druckst etwas herum und weiss sichtlich nichts zu antworten. Elie wird rot bis hinter beide Ohren (die bei ihm nicht sehr ausgebildet sind). Der Grund liegt auf der Hand – seit Tagen sieht das Nestchen so aus:

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Man kann es mit Fug und Recht als einen wahren Schweinestall bezeichnen.

Die erste Aufgabe für die frischgebackenen Minimalisten ist es also, das eigene Nestchen auszuräumen und dann gemäß Feng Shui zu ordnen. Mit Feuereifer machen sich die beiden an die Arbeit.

Über den Fortgang des „Feng Shui à la Anatol“ werden wir berichten!

16. März 2014

Und so sieht ein schön aufgeräumtes, entrümpeltes Dino-Nestchen aus:

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Anatol und Elie fühlen sich sichtlich wohler darin und wollen nun die ganze Wohnung entrümpeln. Gut, dass ich eine Woche Ferien habe und das Ganze überwachen kann …