Anatol wird von einer Gang von Schulkameraden unter der Führung des charismatischen Angelo gemobbt. Nach eingehender Beratung mit Elie und Mina sind wir entschlossen, den Kampf gegen die Schikane, deren Opfer Anatol täglich wird, aufzunehmen.
Unsere erste Maßnahme besteht darin, einen Coach für Anatol zu suchen. Dies gelingt dank der heimlichen Hilfe von Herrn Hildebrandt, Anatols Vertrauenslehrer, zum Glück schnell.
So lange es Anatol nicht besser geht, soll er nicht in die Schule. Deshalb machen wir auch einen Termin beim Hausarzt aus, der nach kurzer Schilderung des Sachverhalts Anatol heute noch sehen will. Einmal mehr fehlt uns Fridolin schmerzlich. Seit Monaten haben wir nichts von ihm gehört. Ich nehme mir insgeheim vor, bald Nachforschungen anzustellen.
Der Hausarzt schreibt Anatol für die kommende Woche krank – so niedergeschlagen ist der Saurier. Im Bett liegen wird er aber nicht. Nein – Anatol wird einen Anti-Mobbing-Kurs mitsamt einem Schlagfertigkeitstraining besuchen.
Mein frecher, fast schon unverschämter Butler braucht Nachhilfe in Schlagfertigkeit – im Grunde kann ich es kaum glauben. Einmal mehr wird mir klar, dass Mobbing jeden treffen kann. Wenn ich jemanden als undenkbares Mobbingopfer angesehen hätte, wäre das Anatol gewesen. Und doch …
Heute früh ist Anatol mit hängendem Kopf zu seinem ersten Anti-Mobbing-Kurs aufgebrochen. Dem Rat der Coachin folgend habe ich ihn allein losgeschickt. Der Kurs dauert den ganzen Tag.
Nun wird es langsam Abend. Anatol ist immer noch nicht zurück – Elie und ich warten gespannt auf seine Rückkehr und die Erzählungen aus dem Kurs. Vielleicht können wir ja ein paar gute Tipps aus dem Schlagfertigkeistraining mitnehmen?
Vorsorglich bestelle ich uns eine riesige Pizza Marguerita bei unserem Lieblingspizzalieferanten – dann kann ein hoffentlich gemütlicher, entspannter Abend beginnen.
Da – aus dem Treppenhaus ertönt ein wohlbekanntes Geräusch: Anatol hüpft voller Energie die vier Stockwerke hoch. Seit Wochen ist das nicht geschehen! Die Tür springt auf und ein freudestrahlender Saurier betritt die Wohnung. Siegesgewiss reckt er die Arme in die Höhe und ruft: „Ich krieg ihn! Ich schaff es!“
Offenbar ist bereits nach dem ersten Tag des Anti-Mobbing-Trainings eine regelrechte Spontanheilung der Depression des Butlers eingetreten: Anatol scheint vor Selbstbewusstsein geradezu zu strotzen. Zweifelnd wirft Elie mir einen Blick zu. So schnell kann man ein Mobbing-Opfer eigentlich nicht wieder aufbauen… ich dämpfe daher den Tatendrang des Sauriers, indem ich ihn bitte, die imaginäre geistige Vernichtung des Feindes auf später zu verschieben und sich zum Abendessen zu setzen.
Gierig greift Anatol zur Pizza. Eine, zwei – drei Pizzaecken verschwinden in Windeseile, während der Butler mit vollem Munde von dem Schlagfertigkeitstraining erzählt.
Mehrere Techniken seien ihm beigebracht worden – die sogenannte „Selber-Technik“, die „Technik der unerwarteten Zustimmung“ und die des „glasklaren Richtigstellens“. Letztere habe er zwar noch nicht ganz verstanden, aber man werde daran noch vertieft arbeiten.
Außerdem habe die Coachin ihn darum gebeten, heute abend eine Liste seiner Stärken zusammenzustellen – diese solle morgen diskutiert werden. Er sei mit der Liste schon recht weit vorangekommen (seine Stärken habe er selbstverständlich im Kopf), er hoffe indessen auf unsere Unterstützung, da er die Liste noch erweitern wolle. Bisher habe er Folgendes aufgeführt:
„Überdurchschnittliche Intelligenz bei gleichzeitiger emotionaler Klugheit. Ausgeprägte Kreativität und Originalität. Pragmatische Herangehensweise an Probleme aller Art. Makelloses Aussehen.“
Elie runzelt die Stirn.
„Das Wort Genie fehlt in Deiner Aufzählung, Anatol. Vielleicht solltest Du das noch einfügen?“
Eifrig nickt der Butler. „Das werde ich… “ Anatol unterbricht sich. „Willst Du mich verkohlen?“ knurrt er missmutig.
Ich beeile mich, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben und weise darauf hin, dass die besagte Liste nicht der – wenngleich oft heilsamen! – Selbstbeweihräucherung dienen solle, sondern dazu da sei, sich seiner echten Stärken, die einen auch in den Augen anderer zu einem liebenswerten Mitsaurier machen, bewusst zu werden. Daher schlage ich vor, dass Elie die Liste erarbeiten soll, um eine neutrale und somit wahrhaftige Aufzählung von Anatols guten Seiten abzufassen. Zudem verspreche ich, die Zusammenstellung Korrektur zu lesen.
Eine Stunde später liegt diese, von Elie verfasste Liste vor, die Anatol gerührt in Empfang nimmt:
Mein Kumpel Anatol ist nicht nur klug und einfallsreich, sondern auch ein warmherziger, treuer Freund. Auf Anatol kann man sich verlassen! Er hat immer originelle und witzige Ideen. Anatol steht zu seiner Meinung, auch wenn es ihm Nachteile bringen kann. Er ist unkonventionell und kreativ. Er setzt sich mutig für Schwächere ein und lässt sich durch Kritik nicht beirren. Ich will ganz sicher nie mehr ohne Anatol leben!
Anatol faltet das Blatt Papier zusammen und steckt es in seinen Schulranzen. Sollte es ihm möglicherweise mehr Kraft geben als der Schlagfertigkeitskurs? Wir werden sehen.
Der Tag hat Anatol müde gemacht: gleich nach dem Abendbrot verschwindet er in seinem Nestchen und schläft ein.
Elie sieht mich skeptisch an. „Was hältst Du von diesem Training? Angelo ist so geschickt – ich kann mir nicht vorstellen, dass Anatol – oder wer auch immer – ihm nach einem solchen Kurs etwas entgegenhalten kann. Ehrlich gesagt, habe ich Angst, dass das Ganze in einer Katastrophe endet.“
Ich gebe zu bedenken, dass der Kurs von einer renommierten Coachin, um deren Schulungen sich selbst Manager reissen, gegeben wird. Da könne es doch kein Risiko geben?
Elie bleibt misstrauisch. Gerade habe er im Internet ein großartiges, geradezu „obercooles“ Video gefunden. Er hoffe, dass Anatols Schlagfertigkeitstraining nicht zu diesen Ergebnissen führen werde: