92. Kapitel – Eine Frage der Menschenrechte

Nachdem mir die Butler gestern klar zu verstehen gegeben hatten, dass ich mich nicht genug um sie kümmere, war ich in mich gegangen. Besonders Elie hatte ich in letzter Zeit vernachlässigt. Anatol hatte im September das schöne neue Victoria-Fahrrad bekommen – Elie war bisher leer ausgegangen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ihn zu Weihnachten mit dem langersehnten Tablet zu überraschen. Nun denke ich aber, dass am heutigen Samstag, den 25. Oktober, der richtige Zeitpunkt für das Tablet gekommen ist. Weihnachten muss dann eben etwas sparsamer ausfallen.

Damit die Saurier nicht nur Elektronik geschenkt bekommen, habe ich für Morgen – Sonntag –  einen gemeinsamen Fahrradausflug geplant. Ein Ausflug bei schönem Wetter ist immer noch das Höchste für uns alle – zumal das Wochende verspricht, wunderschön zu werden. Leider werden die Dinge anders kommen, als wir es uns wünschen.

Nach der Akupunktur – bei der mir auffällt, dass Fridolin nicht in der Praxis ist, was mich verwundert – begebe ich mich zunächst zu Darty, wo ich diverse Tablets ausprobiere, ohne jedoch fündig zu werden. Die ausgestellten Geräte in meiner Preislage lassen sich nur schwer bedienen oder funktionieren gleich gar nicht.

Unentschlossen betrete ich schließlich das Geschäft mit dem angebissenen Apfel. Eines der Tablets – ich vermute, ein Auslaufmodell – wird hier sogar zu einem recht annehmbaren Preis angeboten: ich lasse es mir von einem der zahlreichen Verkäufer erklären. Während ich noch darüber nachdenke, warum man in anderen Läden Jagd auf Verkäufer machen und sie anderen Kunden oft erst abluchsen muss, hat mir der junge Informatikexperte bereits mehr über das digitale Gerät erläutert, als mein analoger Verstand zu fassen imstande ist. Dennoch entnehme ich dem Wortschwall des freundlichen Verkäufers, dass das ausgesuchte Tablet – „iPad mini“ heißt es im Fachjargon – ein ganz hervorragendes Gerät ist, über das Elie sich sehr freuen wird. Ich höre mich sagen „Gut, dann nehme ich es… Kann man es in Raten bezahlen…?“

Der Verkäufer bejaht dies. Er bittet mich, vor einem überdimensionalen Computerbildschirm Platz zu nehmen und auf seine Kollegin zu warten, die mir bei der Ratenzahlung behilflich sein werde. Ich komme ins Schwitzen. Begehe ich nicht gerade eine rechte Eselei? Ist überhaupt noch Geld auf dem Konto?

Allerdings ist es nun zu spät für einen Rückzieher: das Gerät liegt bereit und der Kauf ist getätigt.

Um die Wartezeit zu überbrücken, wecke ich den riesigen Computer vor mir aus seinem Tiefschlaf auf und gebe die Adresse von Spiegel-Online ein. Was ich dort gleich in der ersten Schlagzeile lese, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.

Heute früh im Morgengrauen hat der Iran eine junge Frau hingerichtet. Sie war 26 Jahre alt und hieß Reyhaneh. Wir hatten mehrere Petitionen zur Begnadigung des jungen Mädchens unterzeichnet. Elie war mit seiner Schülergruppe für Amnesty international unterwegs gewesen, um Unterschriften zu sammeln. Auch an Briefaktionen, sogenannten urgent actions, hatte er sich beteiligt.
All dies war erfolglos geblieben. Das nach einem rechtsstaatlichen Prinzipien in keiner Weise genügenden Prozess ergangene Todesurteil war heute früh vollstreckt worden. Reyhaneh war tot.

Für einem Moment habe ich das Gefühl, nicht da zu sein. Müsste die Welt um mich herum nicht aufhören, sich zu drehen? Müssten sich nicht alle denkenden Menschen empören? Warum passiert nichts…?

Ich sitze mitten in einem vor Menschen wimmelnden Apple Store, lese den Spiegel und kann nicht fassen was dort steht … Um mich herum lachen und schwatzen die Besucher des Stores, beladen mit Einkaufstüten voller Elektronikgeräte, die sie nicht brauchen (schon bald werde ich dasselbe tun, denn dafür bin ich hier…) – während in einem anderen Teil dieser Welt eine Familie ihre durch den eigenen Staat ermordete Tochter beweint.

Ich möchte nun nur noch weg – auch wenn ich weiß, dass das nichts hilft. Ich bringe den Kauf hinter mich und verlasse den Store. Was ist zu tun? Ich kann nichts tun, gar nichts.

Als ich zu Hause ankomme und Elie wortlos sein neues Tablet überreichen möchte, höre ich unter der Saurierbettdecke ersticktes Schluchzen. Ich streichle Elie über den Kopf und lege das Tablet neben ihn. Elie schiebt es weg. „Ich will kein Tablet. Ich will gar nichts. Doch – ich will, dass das Mädchen wieder lebt! Sonst will ich nichts. Wie könnt Ihr Erwachsenen nur so etwas zulassen!“ Ich habe darauf keine Antwort.

Anatol hat uns einen Tee gekocht. Schweigend sitzen wir da.

Heute Abend werden wir eine Kerze für Reyhaneh anzünden.

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91. Kapitel – Stillstand ?

Gestern Abend war es soweit. Als ich nach fast 13-stündiger Abwesenheit um kurz vor 20 Uhr die Haustür aufschließen wollte, ließ sich der Schlüssel nicht drehen. Trotz mehrmaliger Versuche blieb die Tür verschlossen.

Ich drücke auf die Klingel – ein Schrillen ertönt. Katzenpfotengetrappel hinter der Tür und ein leises Schlurfen von Sauriertatzen … ein Schlüssel wird im Schloß gedreht und die Tür öffnet sich mit einem Knarren.

„Ach, Dich gibt es noch?“ fragt Anatol. „Wir dachten, Du kommst nicht mehr. Wir sehen Dich ja kaum noch. Da wollten wir das Schloss auswechseln – falls irgend jemand Deinen Schlüssel gefunden hat und damit hier einbricht.“

Mir bleibt der Mund offenstehen. Die Biester wollten mich aussperren!

Lauthals protestiere ich gegen diese üble, unangemessene Behandlung. „Ihr wisst ganz genau, dass es bei der Arbeit im Moment großen Stress gibt. Schließlich gehe ich nicht nur aus Spaß dorthin! Ihr könntet Euch durchaus etwas verständnisvoller zeigen!“

Ich bin müde und abgekämpft. Da kann ich solche Spielchen gar nicht gut vertragen.

Elie mischt sich ein. „Wir sind sauer! Du gehst um 7 Uhr aus dem Haus. Danach sehen wir Dich vor 19 oder gar 20 Uhr nicht mehr. Abends setzt Du Dich vor Deinen Computer und bearbeitest Emails, sprichst nicht mit uns und den Katzen, und um kurz vor 10 müssen wir alle ins Bett. Im Blog schreibst Du auch nichts mehr von uns. Ich will so nicht mehr leben!“

Anatol zischt wütend „Genau so ist es! Wir sollten Dich eigentlich einfach hier alleine sitzen lassen. Wenn Du Dich nicht nur von Kopfschmerzentabletten ernähren würdest, und ich mir nicht größte Sorgen um Dich machen würde, wären wir schon längst weg.“

Betroffen sehe ich zu Boden. Leider stimmen die Vorwürfe. Im Büro sind mir soviele Projekte übertragen worden, dass ich nicht einmal weiss, wann ich sie überhaupt anfangen soll. Den Kollegen und dem Chef geht es nicht besser. Wir sind alle hoffnungslos überlastet. Da ich nicht als Versager dastehen will, habe ich meine Arbeitszeiten einfach um mehrere Stunden täglich ausgedehnt. Ich komme viel früher und gehe später. Seit Monaten ist es so. Abends will ich nur noch schlafen – der Blog leidet darunter, da ich kaum noch zum Schreiben komme… aber vor allem die beiden Butler und die Katzen. Ja – und ich auch.

Zur Zeit weiss ich nicht, wie es weitergehen soll.

Ich verspreche den Butlern, nach einer Lösung zu suchen. Vorerst bitte ich sie allerdings um etwas Geduld und Unterstützung.

Am Wochenende werden wir etwas Schönes planen – das Wetter wird gut werden. Vielleicht sollten wir einen Fahrradausflug machen – und dabei keine Emails von der Arbeit checken.

Und im Blog sollen bald auch wieder neue Geschichten erscheinen. Das ist nämlich in Wahrheit das größte Problem der Butler: sie wollen wieder Geschichten von ihren heldenhaften Abenteuern lesen!

Ein wenig kann ich das ja sogar verstehen.

90. Kapitel – Die Dampfnudeln

Seit Montag freue ich mich darauf: auf die Dampfnudeln, die der chef unseres französischen Betriebsrestaurants für diese Woche angekündigt hat. Das Restaurant hat eine deutsche Woche ausgerufen und kocht seit Wochenbeginn deutsche – vor allem süddeutsche – Köstlichkeiten. Ich habe mich vorwiegend an die Süßspeisen gehalten und vorgestern einen herrlichen Apfelstrudel mit Vanilleeis (welcher, wie Eva ganz richtig bemerkt, nicht aus Deutschland, sondern aus Österreich stammt – in unserer Küche kennt man den Unterschied allerdings nicht; auch da gibt es einiges aufzuarbeiten…) und gestern einen leckeren bayrischen Apfelkuchen genossen.

Allein die Dampfnudeln stehen noch aus. Heute soll es sie geben: frohgemut begebe ich mich in unsere Kantine – um dort feststellen zu müssen, dass meine Dampfnudeln von der Speisekarte gestrichen sind.

Ich bin sprachlos. Was ist unserem Koch nur eingefallen? Vorwurfsvoll blicke ich den maître queux an.

Zerknirscht gibt dieser zu, im letzten Moment vor den Dampfnudeln gekniffen zu haben. Man habe sich einfach nicht getraut, dieses Gericht herzustellen. Keiner der französischen Kochgehilfen – und er selbst auch nicht – habe jemals Dampfnudeln zubereitet. Daher habe man sie kleinlaut wieder aus dem Programm genommen.

Dann fragt der Koch mich doch tatsächlich, ob nicht mein legendärer Butler aushelfen wolle. Man brauche ganz klar einen erfahrenen cordon bleu, um die Dampfnudeln zu kochen. Ob Anatol sich nicht bereiterklären wolle, einzuspringen… man wisse sich sonst keinen Rat mehr.

Ich verspreche, Anatol darum zu bitten. Der Gute wird irgendwann vor Einbildung nicht mehr durch die Tür passen.

89. Kapitel – Der Tag der deutschen Reinheit

Morgen ist Feiertag in Deutschland. Anatol und Elie freuen sich auf einen freien Tag – ich muss allerdings arbeiten, denn hier in Frankreich ist der 3. Oktober ein normaler Arbeitstag.

Umso mehr beglückt mich jetzt die Aussicht auf einen geruhsamen Abend mit den Butlern und den Katzen. Leider wird es anders kommen, als ich es mir vorgestellt habe.

Um 19 Uhr betrete ich die stille Wohnung und gebe als erstes den Pelztieren zu fressen. Dies wird dankbar entgegengenommen.

Die Butler scheinen gar nicht zuhause zu sein – oder doch? Ein Kratzgeräusch dringt aus dem Schlafzimmer.

Ich begebe mich in selbiges – hier schlägt mir ein äußerst unangenehmer Geruch entgegen: ein Geruch, den man mit Krankheit, starkem Unwohlsein und Zeitmangel in Verbindung bringt!

Das Bett – mein Bett – zeigt nun leider die Spuren einer sehr extensiven Nutzung. Offenbar ist einem meiner tierischen MItbewohner sein Mittagessen nicht bekommen. Betreten sehen die Tiere mich an, während ich mit entsetztem Blick das Ausmaß der Katastrophe entdecke: Ein See von Übelkeit erstreckt sich über die Hälfte meiner Bettüberdecke, zieht sich über den Bettrand bis aufs Parkett hin und verschwindet dann unter dem Bett.

Ich wähne mich einer Ohnmacht nah.

Anatol und Elie haben bereits begonnen, unter dem Bett aufzuwischen. Angesichts des Umfangs der Verschmutzung können sie hier allerdings kaum etwas ausrichten. Eine brutalstmögliche Reinigungsaktion ist erforderlich.

Die Bettüberdecke wandert in die Waschmaschine, um dort bei 90° hoffentlich porentief sauber zu werden … dann entdecke ich, dass auch der Teppich betroffen ist.

Es wird eine lange Nacht des Putzens – die dann morgen hoffentlich in einen Tag deutsch-französisch-dinosaurischer, blütenfrischer Reinheit übergehen wird.

Nachtrag: es ist fast 22 Uhr. Die zweite Ladung Wäsche zappelt in der Waschmaschine. Das Bett ist frisch bezogen, die Kissen und Decken sind enthaart (ich weigere mich, das Innere meiner Waschmaschine in einen Yeti zu verwandeln: was darin gewaschen wird, muss vorher enthaart werden), der Boden abgespachtelt und großflächig gewischt.

Anatol hat mir derweil einen leckeren Salat zubereitet – den darf ich nun essen, und dann muss ich schnellstens ins Bett, denn morgen klingelt der Wecker wieder um 5 Uhr 20.

Topiramat : dreifaches Risiko für Depressionen und Selbstmord

Anatol machte mich heute auf diesen sehr informativen Beitrag von Violetta aufmerksam.

Es ist mir ein Anliegen, ihn auch hier im Blog zu verbreiten, deshalb stelle ich ihn auch bei uns ein.

Das Migräne Projekt

AntiepilepsieDeprWenn es ganz schlimm kommt, dann gibt es für Migräniker die Option, sich mit einem Epilepsiemittel prophylaktisch behandeln zu lassen. Das ist nicht so weit hergeholt, schließlich gibt es eine Menge Ähnlichkeiten zwischen Epilepsie und Migräne.
Der Wirkstoff, der hier vor allem verschrieben wird heißt Topiramat, das Produkt heißt Topamax. Seit 2009 ist das Patent ausgelaufen und der Wirkstoff sollte auch als Generika zu erhalten sein.

Ich habe Topamax auch mal verschrieben bekommen, und meine Neurologin bringt es immer wieder mal ins Gespräch. Ich habe mich aber schon vor über zehn Jahren, nachdem ich den Beipackzettel gelesen habe, dagegen entschieden und bleibe auch dabei. Meine Gründe damals waren vor allem die hohe Lebertoxizität des Medikaments und die hohe Wahrscheinlichkeit, ein Glaukom zu bekommen. Hinzugekommen im Laufe der Jahre sind unendlich viele anekdotische Berichte darüber, dass Leute das Gefühl haben, ihr IQ würde um die Hälfte sinken, wenn sie das Medikament…

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88. Kapitel – Leseratten

Eben erst komme ich von der Arbeit nach Hause. In letzter Zeit werden meine Arbeitstage länger und länger – sie beginnen immer früher und enden immer später. Die Butler haben bereits mehrfach angemahnt, dass ich doch bitte zu einer „anständigen Uhrzeit“ zum Abendessen erscheinen solle. Heute hatte ich eigentlich eine erneute Standpauke befürchtet, aber diese bleibt aus.

IMG_3088Die beiden Saurier sitzen vor dem Laptop und lesen. Offenbar haben sie einen packenden neuen Blog im Netz gefunden, neben den vielen schönen Blogs, die sie bereits lesen.

Ich werde kaum bemerkt. Auf kurze Nachfrage, was es denn da zu lesen gebe, bekomme ich nur ein „Pstttt – es ist grad so spannend!“ zu hören.

Mein Abendbrot werde ich mir wohl nun selber machen müssen … die Saurier sind beschäftigt.

Nur die Auskunft, dass es in dem Blog um die Reiseabenteuer einer mutigen kleinen Schildkröte und ihres Freundes, eines Pariser Streunerkaters, geht, kann ich ihnen ablocken – sowie den Namen und die Adresse des Blogs: Leo & Luzi.

Desillusioniert gehe ich in die Küche. Das Internet macht nirgendwo halt – und nun sind auch meine Butler ihm verfallen.

Nun gibt es erst einmal einen Salat, dann werde auch ich mir diesen Blog näher ansehen!