56. Kapitel – Intendanzprobleme II

Nach dem Frühstück begebe ich mich als erstes zu meinem Hausarzt, zur Akupunktur.

IMG_2316Dort treffe ich Fridolin, der wie üblich damit beschäftigt ist, Krankenakten zu sortieren, die im Wartezimmer ausliegenden Zeitschriften zu ordnen und Termine zu vergeben. Fridolin erledigt seine Aufgaben zügig und unaufgeregt – er strahlt Ruhe und Souveränität aus. Es heisst, dass manche Patienten nur hier zum Arzt gehen, um Fridolin zu treffen. Allein seine Anwesenheit scheint sich auf viele Patienten positiv auszuwirken.

Dennoch habe ich auch heute wieder den Eindruck, dass Fridolin angespannt ist – so gut er es zu verbergen sucht. Aber auch diesmal ergibt sich leider keine Gelegenheit, ihn diskret darauf anzusprechen.

Die Sommerkollektion von Somewhere erwähne ich aber – ich weiss, dass Fridolin samstags nach Praxisschluss zu Somewhere geht, um dort im Lager zu arbeiten. Zudem ist er auch für die Dekoration der Boutique zuständig – daher kennt er die Kollektion perfekt.

„Fridolin, Anatol und Elie haben alle meine Sommertops in die Kleidersammlung gegeben.“ Hier flunkere ich ein klein wenig. „Es wird jetzt Sommer – letzte Woche hatten wir ja schon 28°C. Ich brauche also dringend ein paar anständige Sommersachen. Habt Ihr so etwas in der Kollektion? Es sollte auch bürogeeignet sein. Am liebsten aus Leinen – das kühlt am besten.“

Ich weiss, dass ich dabei bin, mein „Konsum-Verzichts-Gelübde“ sträflichst zu missachten. Aber was soll ich tun – ich habe kaum noch Sommertops, und schon bald wird es wieder warm werden.

Fridolin denkt kurz nach. „Ja, ich denke, da müssten wir ein paar hübsche Sachen haben. Die aktuelle Sommerkollektion ist eine der schönsten, die ich dort gesehen habe. Wenn Du nicht so viel Geld loswerden möchtest, rate ich Dir, die Schals und Halstücher lieber nicht anzusehen. Sie sind absolut tödlich. Aber auch wenn es nur ein oder zwei schöne Tops sein sollen, dann wirst Du sicher Dein Glück finden.“

Ich danke Fridolin und suche nach einer Rechtfertigung vor mir selbst… soll ich mir die Tops ansehen? Ich weiss, dass ich dann sicher etwas kaufen werde. Schließlich habe ich zum Geburtstag etwas Geld geschenkt bekommen, mit der Auflage, davon etwas Schönes zu erstehen …

IMG_2319Vor der Boutique zögere ich. Soll ich das Geschäft wirklich betreten?

Kurzentschlossen drücke ich die Tür auf – und bin von wunderschönen Kleidungsstücken umgeben, die ich unmöglich alle ansehen, geschweige denn anprobieren kann.IMG_2323

Der eigentliche Zweck meines Besuchs in dem Modetempel ist es ja, die fehlenden Sommertops zu ersetzen – und zwar durch etwas, das ich auch im Büro tragen kann. Gleich finde ich zwei wunderschöne Oberteile in hellgrau und weiss, die ich sofort zurücklegen lasse.

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Wie Fridolin bereits andeutete, sind die Halstücher bestrickend schön. Ich erliege einer dieser Kostbarkeiten, und verlasse schließlich mit Sommertops, einer Matrosenbluse aus Leinen und einem exotisch eleganten Foulard die Boutique. Aufgrund meiner Geburtstags-Punkte und der hier sogenannten „Ventes privées“ zahle ich nur die Hälfte des eigentlichen Preises. Das wird den Butlern sicher gefallen !IMG_2353

Mit einer nicht exzessiv großen Tüte komme ich nach Hause.

„Anatol! Elie!“ rufe ich. „Fridolin hat mich großartig beraten. Ich habe ein paar wunderschöne Teile als Ersatz für die weggegebenen Tops gefunden!“

Anatol guckt betreten aus dem Schlafzimmer. Elie sitzt auf dem Kleiderschrank und sieht ebenfalls recht verlegen aus. Kleinlaut meint Anatol, man habe nach der morgendlichen Kontroverse etwas aufräumen wollen und dabei auch weniger genutzte Fächer des Schrankes ausgeräumt. Hierbei sei eine Kiste aufgefallen, die man geöffnet habe.

Die Kiste habe alle vermissten Tops – fein säuberlich zusammengelegt – beherbergt. Offenbar habe man letztere nämlich nicht in die Kleidersammlung gegeben, sondern in der Kiste verwahrt.

Ich muss mich setzen.

„Heisst das, dass ich nicht nur neue Klamotten in einen dem Minimalismus verpflichteten Haushalt gebracht habe, sondern dass die gesamten Altlasten immer noch da sind?“ frage ich entsetzt.

„Ja, genau das heisst es“ gibt Anatol beschämt zu.

„Tja.“ sage ich nur. „Daran kann man wohl nun nichts mehr ändern.“

Überglücklich, dass mein geliebtes, altes, grünes Top, dass so perfekt zu meinem Lieblingsanzug passt, wieder da ist, beginne ich, die neu erstandenen Oberteile auszupacken.

Minimalismus ist toll. Aber manchmal darf er auch etwas warten.

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55. Kapitel – Intendanzprobleme I

Fassungslos durchwühle ich meine T-Shirt-Schublade.

„Anatol!“ rufe,  nein: schreie ich. „Wo sind meine Trägertops!?“ Ich bin außer mir.

Verschlafen reibt Anatol sich die Augen. Der Faulpelz hatte noch geschlafen – obwohl es schon 7 Uhr 30 durch ist!

„Deine Trägertops…? Wo die sind? Ja keine Ahnung! Woher soll ich das denn wissen. DU trägst die doch.“

„Sieh Dir meine Schublade an! Sie ist leer!! Hier sollten alle meine Tops drin sein – die grünen, die in rosa und die weissen. Aber jetzt liegen hier nur noch 3 weisse Tops drin! Wo sind die anderen?!“

Anatol zuckt die Schultern.

„Oh Du Spitzbube, Du weisst es doch ganz sicher!“ rufe ich und will den Butler packen. In Windeseile ist er da aber schon aufs Regal geklettert – und befindet sich außerhalb meiner Reichweite. Er weiss, dass ich sehr ungemütlich werde, wenn es um meine Klamotten geht.

Elie lugt aus der Küche hervor. Zumindest er hat sich schon am Kühlschrank zu schaffen gemacht – ich denke, um das Frühstück vorzubereiten.

„Ist heute dicke Luft?“ fragt er schüchtern.

Anatol gibt – vom sicheren Regal aus – ein Schnauben von sich. „Sie hat ihre Sachen nicht aufgeräumt, findet nichts mehr und ICH soll Schuld sein.“

Elie druckst herum. Irgendetwas will er uns nicht sagen. „Elie!“ sage ich mit drohendem Unterton. „Wo sind meine Sachen!?“

„Aber die haben wir doch alle aussortiert. Für die Kleidersammlung. Weisst Du noch – als wir entrümpelt haben. Im März. Du hast noch einen ganzen Blogeintrag dazu geschrieben, und sogar eine Kategorie „Entrümpeln“ in den Blog eingefügt.“

Siedend heiss fällt es mir ein. Ja, da war etwas gewesen. Kann es sein, dass ich selbst meine guten alten Trägertops aussortiert habe??

Anatol krabbelt vom Regal herunter. „Ich bin dann ja wohl entlastet. Gibt es mal einen Kaffee für mich, bitte? So ein böses Erwachen an einem Samstag Morgen hatte ich lange nicht.“ Er wirft mir einen scharfen Blick aus dem Augenwinkel zu.

So geht es nun nicht. „Wieso hast Du mich nicht davon abgehalten, all die schönen Sachen wegzugeben, Anatol! Das gehört klar zu Deinen Aufgaben!“ Ich bin außerordentlich aufgebracht.

Anatol schüttelt den Kopf. „Wenn DU etwas weggeben willst, dann ist das Deine Entscheidung. Und jetzt will ich nichts mehr davon hören. Die alten Klamotten waren sowieso zu klein geworden – und ich kann nichts dafür, dass Du Dir dieses Jahr keine neuen kaufen willst. Nun musst Du den Sommer eben mit 3 Trägertops überstehen.“

Ich würde am liebsten in Tränen ausbrechen. Mein schönes grünes Top, das ich mir 2001 gekauft hatte, und das so gut zu dem einen Anzug passte – das konnte ich doch unmöglich weggegeben haben…

Elie gießt mir einen Tee ein. Er meint, es sei doch gut, in der Schublade wieder soviel Platz zu haben. Ich sollte mich nicht so grämen wegen der alten Klamotten. Er selbst trage außer seinem Chèche oder meinem Kapuzenschal eigentlich nie Kleider. Sowas sei ganz überflüssig.

Letzterem kann ich mich nicht anschließen. Mir fällt aber ein, dass ich gerade erst einen Gutschein für meinen Lieblingsladen Somewhere bekommen habe… aber da gibt es ja noch meine Kleider“diät“ … was soll ich tun?

Elie flüstert mir zu: „Fridolin hat mir gesagt, dass sie bei Somewhere eine wunderschöne Sommerkollektion haben. Du kannst doch heimlich da mal gucken …? Vielleicht haben sie das eine oder andere kleine Trägertop für Dich.“

Elie ist ein Schatz. Ich weiss allerdings noch nicht, ob ich seinen Rat befolgen werde.

Nun gibt es Frühstück – ohne dicke Luft.

Hier geht es zur Fortsetzung: Intendanzprobleme II

 

40. Kapitel – Schranken des Minimalismus

IMG_2121Verstohlen öffne ich die Wohnungstür. Ich versuche, dabei so wenig Lärm zu machen wie nur möglich. Den Schlüsselbund in der einen Hand, eine große Tüte in der anderen betrete ich die Wohnung. Auf Zehenspitzen versuche ich, das Schlafzimmer zu erreichen, um dort die verdächtige Tüte im Schrank verschwinden zu lassen.

„Du brauchst gar nicht zu schleichen!“ tönt es da aus dem Wohnzimmer. Anatol und Elie sitzen mit versteinerten Mienen am Tisch. „Wir wissen alles. Fridolin hat Dich in der Stadt gesehen – bei Somewhere. Er hat heute dort im Lager gearbeitet – sie haben die neue Kollektion eingeräumt. Ja – wir wissen, was Du getan hast. Was hast Du dazu zu sagen?“

Ich lasse die Tüte zu Boden gleiten und stelle mich dem improvisierten Sauriertribunal. Was habe ich zu sagen? Nicht viel … ich habe mein Gelübde, in diesem Jahr überhaupt keine neuen Klamotten zu kaufen, schändlich gebrochen. Ich habe meine mir selbst auferlegten Minimalismus-Anforderungen nicht eingehalten. Das ist schwach und inkonsequent. Mehr noch: es ist schlecht.

„Anatol, Elie. Ich weiss ja, dass ich das nicht mehr tun wollte. Aber nun wird es Sommer. Ich wollte so gern dieses Leinen-T-Shirt, das ich letztes Jahr nicht mehr gefunden habe, weil meine Größe ausgegangen war. Nun ist es wieder in der neuen Kollektion dabeigewesen. Deshalb habe ich es gekauft.“

„Ach so! Und weil Du ein T-Shirt haben wolltest, hast Du also zwei gekauft. Interessant!“ Anatol klingt messerscharf.

Nun muss ich mich wehren. „Ich habe ein dunkelgraues und ein hellgraues T-Shirt gekauft. Und sie waren nicht teuer! Darf ich daran erinnern, dass ICH hier das Geld verdiene und mir damit immer noch das kaufen darf, was ich möchte?“ Letzteres sage ich mit Nachdruck, um möglichen Weiterungen einen Riegel vorzuschieben.

„Und deshalb darfst Du T-Shirts bekommen – aber ich muss auf ein Tablet verzichten! Das ist so unfair!“ zetert Elie.

„Elie, bitte. Du weisst genau, dass ein T-Shirt bei weitem nicht dasselbe kostet wie ein Tablet!“

„Mit den ganzen T-Shirts, die Du Dir schon gekauft hast, könnte ich mindestens 3 Tablets bezahlen!“ erwidert Elie pikiert.

Ich setze mich zu den Butlern an den Tisch. „Es stimmt. Ich habe mein Versprechen nicht eingehalten. Ich wollte das ganze Jahr kein einziges neues Kleidungsstück kaufen, und nun hab ich es nicht geschafft. Es ärgert mich selbst! Aber ich hab mich im letzten Sommer so gegrämt, weil das schöne graue T-Shirt nicht mehr zu haben war … und deshalb wollte ich es jetzt unbedingt kaufen. Ok, dass ich dann noch den wunderschönen rosa-abricot-farbenen Foulard gekauft habe … das war nicht wirklich nötig. Aber Ihr werdet sehen – er ist phantastisch.“

IMG_2127Die beste Überzeugungsarbeit leistet immer noch die Sache selbst. Ich packe die T-Shirts also aus – und auch den Schal. Nun ändert sich die Tonlage! Anatol murmelt etwas wie „Sieht wirklich nicht schlecht aus“, während Elie sich den Schal schnappt. „Ist der schön!“ ruft er. „Und so weich! Das sind genau meine Farben – darf ich den morgen in den Park mitnehmen? Bitte!“

„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, Elie. Der Schal ist ganz leicht und fein, mit dem bleibst Du an jedem Busch hängen, und würdest ihn zerreissen. Es wäre sehr schade um den schönen Schal. Aber Du darfst ihn gerne heute Abend umnehmen, wenn Du magst.“

Damit ist Elie einverstanden.

IMG_2130Ich bin erleichtert. Die Butler haben sich schneller einsichtig gezeigt, als ich es gedacht hätte. Nun muss ich nur noch mit meinem eigenen Gewissen klarkommen – wegen des Bruchs meines Minimalismus-Gelöbnisses.

Muss man, wenn man minimalistisch leben möchte, wirklich auf jedes T-Shirt verzichten? Vermutlich schon. Es ist schlecht für die Umwelt, neue Klamotten zu kaufen – und oft ist der Kleiderschrank ja sowieso schon übervoll. Wozu so viel Kleidung …?

Es baut einfach auf, ab und zu mal etwas Neues zu erstehen. Vielleicht ist es mit einem gemäßigten Minimalismus zu vereinbaren, wenn man nur das Nötigste kauft – und sich nur sehr selten eine neue Klamotte gönnt. Ich hoffe das.

IMG_2131Denn über meine beiden T-Shirts und den wundervollen Schal freue ich mich. Minimalismus hin oder her – sie tun mir einfach gut.

Ob ich den Rest des Jahres nun kauffrei überstehe? Wir werden sehen.