Elie hat mich heute morgen darauf aufmerksam gemacht, dass ich – obwohl wir schon den 26. Februar schreiben – immer noch nicht erzählt habe, was Anatol und Elie letztes Silvester erlebt haben.
Ja, das stimmt. Ich war mir bisher nicht sicher, ob es angezeigt sei, dieses « Abenteuer », wie die beiden es heute nennen, hier aufzuschreiben. Schließlich haben Anatol und Elie gegen geltendes Recht verstoßen. So etwas sollte man weder als Abenteuer bezeichnen, noch in irgendeiner Weise nachahmen.
Dies vorausgeschickt möchte ich die Geschichte aber dennoch schildern. Sie findet ein versöhnliches Ende, und Recht und Gesetz bleiben zu guter Letzt auch gewahrt.
Was ist am 31. Dezember 2013 passiert? Nachfolgend die Aufzeichnungen aus meinem Logbuch.
Tagebucheintrag vom 31. Dezember 2013
Das Jahr geht ausgesprochen mild zur Neige. Wohl deshalb sind Anatol und Elie heute schon früh aus dem Haus gegangen – wie ich vermute, um Freunde im Park zu treffen und sich darüber auszutauschen, was zu Silvester geplant ist, wer wo feiert und was es zu essen geben wird. Für einen Butler sind diese Informationen sehr wichtig !
Gegen 15 Uhr komme ich aus der Stadt zurück. Ich habe letzte Einkäufe für unseren Silvesterabend erledigt und will nun einen kleinen Mittagsschlaf halten, um heute abend gut ausgeruht zu sein. Schließlich bleibt man zu Silvester lang auf!
Anatol und Elie sind noch nicht wieder da – das wundert mich . Wir wollten nämlich spätestens gegen 16 Uhr beginnen, unser Silvesterfest vorzubereiten. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass sie vor mir zuhause sind.
Nun gut, sie werden schon kommen, sage ich mir. Ich lege mich aufs Sofa – und schlummere ein.
Zwei Stunden später – ich habe gehörig verschlafen ! – wache ich auf. Ein Kratzen an der Tür hat mich geweckt, und nun höre ich auch zwei leise Stimmchen, die sich zuflüstern, man solle bloß keinen Lärm machen ! Es kann kein Zweifel daran bestehen, um wen es sich da handelt!
Ich springe vom Sofa auf und öffne die Tür. Im Treppenhaus stehen die beiden Dinos – schmutzig, sehr übelriechend, und mit dem Versuch beschäftigt, sich mittels eines Lappens notdürftig zu säubern ! In dieser misslichen Lage überrascht, scheinen die beiden sehr darauf bedacht, alles « vollkommen normal » aussehen zu lassen. Elie gelingt dies nicht ganz, denn er bricht in Tränen aus.
« Ihr geht schnurstracks in die Badewanne, wascht Euch, und wenn Ihr wieder präsentabel seid, will ich einen genauen Bericht davon, was Euch widerfahren ist » sage ich streng.
Nicht einmal Anatol macht Widerworte. Ich lasse das Badewasser ein, gieße ein wenig Lavendel-Badeöl dazu, und schon hüpfen die beiden hinein – sichtlich froh, sich waschen zu können. Sprechen will keiner der beiden.
Jetzt liegen sie mit ihrer Wärmflasche im Nestchen und ich finde, es ist Zeit für eine Erklärung.
Stückchenweise kommt die Wahrheit ans Licht.
Anatol und Elie sind heute früh nicht in den Park gegangen. Nein – die beiden sind allein nach Kehl aufgebrochen! Erst wollten sie mit dem Bus fahren, aber die Stufen waren zu hoch – sie konnten nicht einsteigen, geschweige denn eine Fahrkarte lösen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn jemand sie mitgenommen hätte.
So marschierten sie also zu Fuß nach Deutschland hinüber, erst durch halb Strasbourg, dann über die große Rheinbrücke – und zwar um dort von ihrem Taschengeld Feuerwerksmaterial für heute abend zu kaufen. Im Lidl wurden sie fündig: Kracher, Chinaböller, Raketen. Im Grunde mehr, als sie tragen konnten.
Den ganzen Einkauf an Feuerwerkskörpern gut in einer Einkaufstasche verstaut und auf den Rücken geschnallt, machten sie sich wieder auf in Richtung Frankreich – und mitten hinein in eine Grenzsperre der französischen Polizei. An der Grenze wird besonders zu Silvester streng kontrolliert, denn das Silvesterfeuerwerk ist in Frankreich unter Strafe verboten! Es passieren einfach zu viele Unfälle beim Knallern.
Die französischen Flics dachten zunächst, dass es sich bei der wandelnden Einkaufstüte um eine ferngesteuerte Drohne handele, die die Feuerwerkskörper unbemerkt über die Grenze schmuggeln sollte.
Hier auch die Beweisphotos der französischen Polizei.
Bei näherem Betrachten bemerkte man jedoch, dass unter dem Sprengmaterial zwei kleine Saurier versteckt waren, die nun eilig weg wollten. Anatol und Elie hatten nicht mal einen Ausweis dabei!
Der Verdacht, dass die beiden „Packesel“ einer kriminellen Bande sein mussten, lag nahe. Anatol und Elie wurden daher unverzüglich verhaftet – und ohne lange zu fackeln ins Hôtel de Police gebracht! „Au poste!“ sagt man hier dazu.
Elie habe die ganze Zeit geweint, sagt Anatol. Den Polizisten sei es sichtlich peinlich gewesen, einen heulenden Stoffdinosaurier festzunehmen – aber Gesetz ist nun mal Gesetz. Anatol selbst habe keinen Mucks gemacht. Die Polizisten hätten daraus geschlossen, dass er der Rädelsführer sein müsse (was ich ehrlich gesagt auch vermute!) und Elie nur ein harmloser Mitläufer. Als beide Butler darauf beharrten, sie hätten das Feuerwerk ausschließlich für den eigenen Verbrauch gekauft, und nicht für irgendwelche „Auftraggeber“, seien sie zum Zwecke der Beugehaft in die Ausnüchterungszelle gesteckt worden. Und darin haben sie mehrere Stunden zugebracht.
Leider sind die Ausnüchterungszellen hierzulande keine empfehlenswerte Unterkunft. Daher auch der äußerst unangenehme Geruch, den die beiden vorhin an sich hatten.
Anatol habe bald großes Spektakel veranstaltet. Er habe geschrien, gebrüllt, sich an die Tür geworfen – und nach einem Anwalt verlangt !
Nach einiger Zeit sei dann ein Polizist mit einem Telephon gekommen – und Anatol konnte Fridolin anrufen, den Tyrannosaurus, der bei meinem Hausarzt arbeitet. Da Fridolin im Wartezimmer des Hausarztes mit den Patienten spricht, hat er Kontakte in alle Milieus – und auch zu guten Strafverteidigern. Fridolin setzte sich ohne zu Zögern mit Maître Prawosaur in Verbindung, eine bekannte Anwältin, vor der sogar die Polizei Angst hat.
Diese machte dem zuständigen Kommissar unmissverständlich klar, dass Stoffdinosaurier weder strafmündig sind noch in polizeilichen Gewahrsam genommen werden dürfen. Die Festnahme sei rechtswidrig und sie werde für ihre Mandanten Schadensersatz sowie Schmerzensgeld insbesondere dafür einklagen, dass man Anatol und Elie in Beugehaft genommen habe.
Das missfiel den Polizisten. Noch Geld für diese Stoffdinosaurier zahlen zu müssen, und von der Hierarchie gar wegen einer „bavure“ (so wird hier polizeiliches Fehlverhalten genannt) zur Rechenschaft gezogen zu werden … das wollten sie nicht. So haben sie Anatol und Elie freigelassen. Und nicht nur das: bis vor die Tür hat der eine Polizist die beiden mit dem Polizeiwagen gebracht. Dem taten sie nämlich leid, als sie da wie zwei kleine Häuflein Elend vor dem Hôtel de Police saßen und nicht einmal wussten, wie sie nun nach Hause kommen sollten. Das war sehr lieb von dem Polizisten.
Die Feuerwerkskörper sind allerdings auf der Wache geblieben – sie wurden beschlagnahmt, da half nichts.
Mich wollten Anatol und Elie offenbar nicht anrufen, da sie das Ganze hofften geheimhalten zu können. Das hat allerdings nicht geklappt.
Die beiden sind zwar froh, nicht mehr in der Ausnüchterungszelle zu sitzen … aber mit Knallerei wird es nun nichts! Müde, enttäuscht und mit sichtlich schlechtem Gewissen sitzen sie in ihrem Nestchen. Elie fängt schon wieder an, zu schlucken…
Obwohl sie es nicht verdient haben, tun sie mir ein wenig leid. Ich verspreche also, gleich nachher im Keller nach Wunderkerzen zu gucken. Da müsste ich nämlich noch welche haben. Vielleicht können die das Feuerwerk ersetzen. Aber ob ich sie finde? Und ob sie überhaupt noch brennen werden … ?
Anatol hat offenbar noch nicht genug Abenteuer erlebt und will mit in den Keller. Elie bleibt lieber im kuschligen Nestchen. Ihm reicht die Aufregung für heute !
Nun kramen wir im Keller …. der ist so vollgestellt, wir finden die Wunderkerzen nicht … Schon will ich aufgeben, aber Anatol quengelt!
Und da – ENDLICH: Wir haben sie ! Nun müssen sie nur noch funktionieren, denn leider ist es im Keller sehr feucht und darunter können Wunderkerzen leiden.
Aber versuchen werden wir es.
Anatol und Elie sind selig. Nun sind sie sehr brav und machen sich ans Kochen, denn heute zu Mitternacht soll es ein Gemüsecurry geben.
Es ist Mitternacht. Draußen gibt es in der Tat vereinzelt Geböller – aber die französische Polizei war sehr gründlich: so wenig Feuerwerk hatten wir noch nie. Die Katzen und ich sind froh, denn die Knallerei mögen wir gar nicht.
Dennoch haben wir unser eigenes kleines Neujahrsfeuerwerk – ganz ohne Lärm:
Meine beiden Saurier sind gerade sehr glücklich!