20. Kapitel – Silvester

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Elie hat mich heute morgen darauf aufmerksam gemacht, dass ich – obwohl wir schon den 26. Februar schreiben – immer noch nicht erzählt habe, was Anatol und Elie letztes Silvester erlebt haben.

Ja, das stimmt. Ich war mir bisher nicht sicher, ob es angezeigt sei, dieses « Abenteuer », wie die beiden es heute nennen, hier aufzuschreiben. Schließlich haben Anatol und Elie gegen geltendes Recht verstoßen. So etwas sollte man weder als Abenteuer bezeichnen, noch in irgendeiner Weise nachahmen.

Dies vorausgeschickt möchte ich die Geschichte aber dennoch schildern. Sie findet ein versöhnliches Ende, und Recht und Gesetz bleiben zu guter Letzt auch gewahrt.

Was ist am 31. Dezember 2013 passiert? Nachfolgend die Aufzeichnungen aus meinem Logbuch.

Tagebucheintrag vom 31. Dezember 2013

Das Jahr geht ausgesprochen mild zur Neige. Wohl deshalb sind Anatol und Elie heute schon früh aus dem Haus gegangen – wie ich vermute, um Freunde im Park zu treffen und sich darüber auszutauschen, was zu Silvester geplant ist, wer wo feiert und was es zu essen geben wird. Für einen Butler sind diese Informationen sehr wichtig !

Gegen 15 Uhr komme ich aus der Stadt zurück. Ich habe letzte Einkäufe für unseren Silvesterabend erledigt und will nun einen kleinen Mittagsschlaf halten, um heute abend gut ausgeruht zu sein. Schließlich bleibt man zu Silvester lang auf!

Anatol und Elie sind noch nicht wieder da – das wundert mich . Wir wollten nämlich spätestens gegen 16 Uhr beginnen, unser Silvesterfest vorzubereiten. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass sie vor mir zuhause sind.

Nun gut, sie werden schon kommen, sage ich mir. Ich lege mich aufs Sofa – und schlummere ein.

Zwei Stunden später – ich habe gehörig verschlafen ! – wache ich auf. Ein Kratzen an der Tür hat mich geweckt, und nun höre ich auch zwei leise Stimmchen, die sich zuflüstern, man solle bloß keinen Lärm machen ! Es kann kein Zweifel daran bestehen, um wen es sich da handelt!

Ich springe vom Sofa auf und öffne die Tür. Im Treppenhaus stehen die beiden Dinos – schmutzig, sehr übelriechend, und mit dem Versuch beschäftigt, sich mittels eines Lappens notdürftig zu säubern ! In dieser misslichen Lage überrascht, scheinen die beiden sehr darauf bedacht, alles « vollkommen normal » aussehen zu lassen. Elie gelingt dies nicht ganz, denn er bricht in Tränen aus.

« Ihr geht schnurstracks in die Badewanne, wascht Euch, und wenn Ihr wieder präsentabel seid, will ich einen genauen Bericht davon, was Euch widerfahren ist » sage ich streng.

Nicht einmal Anatol macht Widerworte. Ich lasse das Badewasser ein, gieße ein wenig Lavendel-Badeöl dazu, und schon hüpfen die beiden hinein – sichtlich froh, sich waschen zu können. Sprechen will keiner der beiden.

IMG_1700Jetzt liegen sie mit ihrer Wärmflasche im Nestchen und ich finde, es ist Zeit für eine Erklärung.

Stückchenweise kommt die Wahrheit ans Licht.

Anatol und Elie sind heute früh nicht in den Park gegangen. Nein – die beiden sind allein nach Kehl aufgebrochen! Erst wollten sie mit dem Bus fahren, aber die Stufen waren zu hoch – sie konnten nicht einsteigen, geschweige denn eine Fahrkarte lösen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn jemand sie mitgenommen hätte.

So marschierten sie also zu Fuß nach Deutschland hinüber, erst durch halb Strasbourg, dann über die große Rheinbrücke – und zwar um dort von ihrem Taschengeld Feuerwerksmaterial für heute abend zu kaufen. Im Lidl wurden sie fündig: Kracher, Chinaböller, Raketen. Im Grunde mehr, als sie tragen konnten.

IMG_1825Den ganzen Einkauf an Feuerwerkskörpern gut in einer Einkaufstasche verstaut und auf den Rücken geschnallt, machten sie sich wieder auf in Richtung Frankreich – und mitten hinein in eine Grenzsperre der französischen Polizei. An der Grenze wird besonders zu Silvester streng kontrolliert, denn das Silvesterfeuerwerk ist in Frankreich unter Strafe verboten! Es passieren einfach zu viele Unfälle beim Knallern.

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Die französischen Flics dachten zunächst, dass es sich bei der wandelnden Einkaufstüte um eine ferngesteuerte Drohne handele, die die Feuerwerkskörper unbemerkt über die Grenze schmuggeln sollte.

Hier auch die Beweisphotos der französischen Polizei.

Bei näherem Betrachten bemerkte man jedoch, dass unter dem Sprengmaterial zwei kleine Saurier versteckt waren, die nun eilig weg wollten. Anatol und Elie hatten nicht mal einen Ausweis dabei!

Der Verdacht, dass die beiden „Packesel“ einer kriminellen Bande sein mussten, lag nahe. Anatol und Elie wurden daher unverzüglich verhaftet – und ohne lange zu fackeln ins Hôtel de Police gebracht! „Au poste!“ sagt man hier dazu.

IMG_1855Elie habe die ganze Zeit geweint, sagt Anatol. Den Polizisten sei es sichtlich peinlich gewesen, einen heulenden Stoffdinosaurier festzunehmen – aber Gesetz ist nun mal Gesetz. Anatol selbst habe keinen Mucks gemacht. Die Polizisten hätten daraus geschlossen, dass er der Rädelsführer sein müsse (was ich ehrlich gesagt auch vermute!) und Elie nur ein harmloser Mitläufer. Als beide Butler darauf beharrten, sie hätten das Feuerwerk ausschließlich für den eigenen Verbrauch gekauft, und nicht für irgendwelche „Auftraggeber“, seien sie zum Zwecke der Beugehaft in die Ausnüchterungszelle gesteckt worden. Und darin haben sie mehrere Stunden zugebracht.

Leider sind die Ausnüchterungszellen hierzulande keine empfehlenswerte Unterkunft. Daher auch der äußerst unangenehme Geruch, den die beiden vorhin an sich hatten.

Anatol habe bald großes Spektakel veranstaltet. Er habe geschrien, gebrüllt, sich an die Tür geworfen – und nach einem Anwalt verlangt !

Nach einiger Zeit sei dann ein Polizist mit einem Telephon gekommen – und Anatol konnte Fridolin anrufen, den Tyrannosaurus, der bei meinem Hausarzt arbeitet. Da Fridolin im Wartezimmer des Hausarztes mit den Patienten spricht, hat er Kontakte in alle Milieus – und auch zu guten Strafverteidigern. Fridolin setzte sich ohne zu Zögern mit Maître Prawosaur in Verbindung, eine bekannte Anwältin, vor der sogar die Polizei Angst hat.

Diese machte dem zuständigen Kommissar unmissverständlich klar, dass Stoffdinosaurier weder strafmündig sind noch in polizeilichen Gewahrsam genommen werden dürfen. Die Festnahme sei rechtswidrig und sie werde für ihre Mandanten Schadensersatz sowie Schmerzensgeld insbesondere dafür einklagen, dass man Anatol und Elie in Beugehaft genommen habe.

Das missfiel den Polizisten. Noch Geld für diese Stoffdinosaurier zahlen zu müssen, und von der Hierarchie gar wegen einer „bavure“ (so wird hier polizeiliches Fehlverhalten genannt) zur Rechenschaft gezogen zu werden … das wollten sie nicht. So haben sie Anatol und Elie freigelassen. Und nicht nur das: bis vor die Tür hat der eine Polizist die beiden mit dem Polizeiwagen gebracht. Dem taten sie nämlich leid, als sie da wie zwei kleine Häuflein Elend vor dem Hôtel de Police saßen und nicht einmal wussten, wie sie nun nach Hause kommen sollten. Das war sehr lieb von dem Polizisten.

Die Feuerwerkskörper sind allerdings auf der Wache geblieben – sie wurden beschlagnahmt, da half nichts.

Mich wollten Anatol und Elie offenbar nicht anrufen, da sie das Ganze hofften geheimhalten zu können. Das hat allerdings nicht geklappt.

Die beiden sind zwar froh, nicht mehr in der Ausnüchterungszelle zu sitzen … aber mit Knallerei wird es nun nichts! Müde, enttäuscht und mit sichtlich schlechtem Gewissen sitzen sie in ihrem Nestchen. Elie fängt schon wieder an, zu schlucken…

Obwohl sie es nicht verdient haben, tun sie mir ein wenig leid. Ich verspreche also, gleich nachher im Keller nach Wunderkerzen zu gucken. Da müsste ich nämlich noch welche haben. Vielleicht können die das Feuerwerk ersetzen. Aber ob ich sie finde? Und ob sie überhaupt noch brennen werden … ?

Anatol hat offenbar noch nicht genug Abenteuer erlebt und will mit in den Keller. Elie bleibt lieber im kuschligen Nestchen. Ihm reicht die Aufregung für heute !

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Nun kramen wir im Keller …. der ist so vollgestellt, wir finden die Wunderkerzen nicht … Schon will ich aufgeben, aber Anatol quengelt!

Und da – ENDLICH: Wir haben sie ! Nun müssen sie nur noch funktionieren, denn leider ist es im Keller sehr feucht und darunter können Wunderkerzen leiden.

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Aber versuchen werden wir es.

Anatol und Elie sind selig. Nun sind sie sehr brav und machen sich ans Kochen, denn heute zu Mitternacht soll es ein Gemüsecurry geben.

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Es ist Mitternacht. Draußen gibt es in der Tat vereinzelt Geböller – aber die französische Polizei war sehr gründlich: so wenig Feuerwerk hatten wir noch nie. Die Katzen und ich sind froh, denn die Knallerei mögen wir gar nicht.

Dennoch haben wir unser eigenes kleines Neujahrsfeuerwerk – ganz ohne Lärm:

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Meine beiden Saurier sind gerade sehr glücklich!

19. Kapitel – Die Drachenfliegerin

Antonia PaketSicher habt Ihr Euch schon gefragt, was es denn Neues von Antonia gibt. Antonia war im letzten Herbst in einem Paket von Bea hierhergekommen. Schnell hat sie sich mit Anatol und Elie angefreundet und hat auch eine ganze Weile hier mit den beiden gewohnt.

Besonders Elie hat sich sehr eng an Antonia angeschlossen. Die beiden können stundenlang unter einem Baum im Park liegen, in den Himmel gucken und sich Geschichten erzählen. Oft sehen sie den vorbeiziehenden Wolken nach und denken sich aus, von wo sie herkommen mögen, und wo sie wohl noch hinfliegen.

Antonia seufzt dann immer: „Wenn ich doch nur auf so eine Wolke steigen könnte. Um die ganze Welt würde ich reisen! Was ich da alles sehen und erleben würde … es wäre zu schön!“

Elie fragt: „Gefällt es Dir denn nicht bei uns, Antonia?“ „Doch, sehr sogar … aber die Ferne zieht mich unwiderstehlich an … Wenn ich mich irgendwo eingelebt habe, denke ich, nun ist es Zeit, weiterzuziehen und ein anderes Leben zu beginnen.“ „Möchtest Du denn nie irgendwo bleiben?“ Antonia lacht. „Ich weiss es nicht. Später vielleicht! Aber nun möchte ich doch noch so viel erleben, fremde Länder und Dinosaurier sehen …“ „Aber … kommst Du dann niemals wieder zu uns …?“ Elie weint fast! Er kann Antonias Lebenseinstellung nicht verstehen. Er braucht sein Zuhause, das sich möglichst nicht verändern soll. Anatol ist da ähnlich – er mag Veränderungen auch nicht so gern. Antonia ist deutlich abenteuerlustiger!

„Du musst nicht weinen, Elie. Ich bin einfach so. Ich kann mir nicht vorstellen, jeden Tag das Gleiche zu sehen, am gleichen Ort zu leben und immer dasselbe zu tun. So würde ich ersticken… Ich brauche die Abwechslung! Ich sollte vielleicht eine Pilotin des Drachenflugdienstes fragen, ob ich dort arbeiten kann – dann könnte ich in die weite Welt reisen, aber auch immer wieder zurückkommen zu den Dinos, die ich mag!“

Elie findet Antonia sehr mutig. Er selbst nimmt nicht so gern den Drachenflugdienst. Er hat nämlich beim Fliegen etwas Angst! Die Luft ist einfach kein Element für Dinosaurier, sagt er dann. Dabei vergisst er allerdings vollkommen, dass es auch Flugsaurier gibt.

Heute beim Mittagessen hat Antonia ihre Entscheidung verkündet. „Ihr Lieben! Ich muss Euch etwas Wichtiges sagen. Ihr wisst doch, dass ich mich beim Drachenflugdienst als Flugbegleitung beworben habe.“

„Ja, das wissen wir“ knurrt Anatol. „Und ich finde es gar keine gute Idee!“ Anatol liebt es, mit Antonia Musik zu machen – Anatol spielt nämlich Geige – und Antonia hat eine schöne Stimme. Die beiden haben schon kleine Hauskonzerte für Elie und mich gegeben, die wir sehr genossen haben. Geige und Gesang – ein wunderbares Duo. Auf das gemeinsame Musizieren möchte Anatol in Zukunft auf gar keinen Fall verzichten.

„Ich denke, es ist nicht nur eine gute Idee. Es ist auch genau das Richtige für mich! Ich will etwas von der Welt sehen. Das ist sehr wichtig für mich. Gestern habe ich eine Antwort vom Drachenflugdienst bekommen! Sie nehmen mich – schon diesen Freitag soll ich anfangen! Mein erster Flug geht nach New York!“

Ich bin beeindruckt. Antonia hat bereits alles vorbereitet. Sie wird die erste Zeit in New York in einem Loft wohnen, das sie mit einer anderen Dino-Flugbegleiterin teilen wird. Von dort aus wird sie weiter in alle Welt reisen – und ab und zu auch uns besuchen.

Elie fängt leise an zu schluchzen. Er möchte sich nicht von seiner neuen Freundin trennen! Anatol guckt auch sehr traurig. Er kann aber, anders als Elie, besser verstehen, warum das Reisen für Antonia so wichtig ist. Antonia hat das bisher nur Anatol und mir erzählt; Elie war dafür noch ein wenig klein.

Heute ist aber der Moment gekommen, wo sie auch Elie ihre Familiengeschichte erzählt. Damit er besser versteht, was in ihr vorgeht.

„Elie, ich bin als kleines Dinosauriermädchen von meiner Familie getrennt worden. Was aus meine Eltern und meinem Bruder geworden ist, weiss ich nicht … seit ich denken kann, suche ich sie. Und nun habe ich eine Spur gefunden, die nach Amerika führt. Ich muss dieser Spur folgen. Kannst Du das verstehen?“

Elie nickt. Seine Tränen tropfen fleissig in den Teller mit der guten Kohlsuppe, der vor ihm steht.

Anatol räuspert sich. „Ich glaube, wenn ich an Deiner Stelle wäre, Antonia, würde ich auch sofort nach Amerika reisen, und nach meiner Familie suchen!“ Elie möchte dem zustimmen, aber der Satz geht in einem Schluchzen unter.

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„Ihr helft mir doch packen, oder?“ Aber natürlich!

Amelia-Earhart-Plane

18. Kapitel – La soupe aux choux

Anatol hat heute mit mir geschimpft. Das tut er leider manchmal. Anatol findet, dass ich mich zu einseitig ernähre: nämlich vorwiegend von Gemüsecurry, Paprikaschmortopf und Marmeladenbroten. Von der veganen Leberwurst ab und zu mal abgesehen. Und da Anatol für die Küche verantwortlich ist, hat er meine heutige Bestellung (Gemüsecurry) einfach ignoriert und einen riesigen Wirsingkohl gekauft, der nun gekocht werden soll.

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Ich stehe der Kohl-Aktion skeptisch gegenüber. Der Kohl ist gigantisch! Wie soll der auch nur in einen unserer Töpfe passen? Aber da es ja Anatol ist, der sich um die Zubereitung kümmert, versuche ich, mir darüber keine Sorgen zu machen.

Elie guckt sich den Kohlkopf einmal an, entscheidet, dass dies eine Nummer zu groß für ihn ist, und zieht sich mit einem Buch ins Nestchen zurück. „Ruft mich einfach, wenn es fertig ist!“ sagt er noch – und vertieft sich in seinen neuen Schmöker.

Anatol ist ein versierter Koch. Erst will ich ihn ja allein werkeln und köcheln lassen, aber dann bin ich doch zu neugierig, wie er diesem Kohl zu Leibe rücken mag. Ich nehme also meinen Photoapparat zur Hand und halte Anatols Kohlkochkünste hier fest:

Zuerst nimmt Anatol den Kohl Blatt für Blatt auseinander und schneidet die Strünke heraus. Dann wäscht er die Blätter und blanchiert sie. Das bedeutet, dass er sie kurz in kochendem Wasser wendet und sie dann mit kaltem Wasser abschreckt. Das ist etwas aufwendig, aber Anatol behauptet, dass der Kohl so bekömmlicher wird und auch besser schmeckt.

Hier sieht man ihn mit dem fertig blanchierten Kohl:

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Nun bereitet Anatol einen Sud vor. Er erhitzt etwas Wasser in unserem größten Topf und gibt Salz dazu. In den Sud kommen dann: eine ganze Zwiebel, eine Knoblauchzehe, Lorbeerblätter, Pfefferkörner, 2 Chilischoten (die kleinen scharfen!), ein paar Körner Piment, Olivenöl, ein Stückchen Knollensellerie, 2 kleine Kartoffeln und eine Möhre:

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Das wird nun etwas angeköchelt, mit Wasser aufgegossen, und dann kommt der Kohl hinzu. Zum Schluß gibt Anatol noch ein klein wenig Zucker hinzu.

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Der Topf ist randvoll. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der nicht überkocht! Anatol ist aber zuversichtlich und meint, das müsse jetzt mindestens eine Stunde kochen. Dann wolle er abschmecken.

Ich bin gespannt!

Die Suppe köchelt nun seit fast einer Stunde. Anatol hat noch etwas Muskatnuss gerieben und in die Suppe gegeben. Diese Suppe muss einfach köstlich werden.

17. Kapitel – Für Judith

Die Geschichte von der Leberwurst

cropped-cropped-foto.jpgHeute habe ich Anatol und Elie zum Einkaufen in die Stadt geschickt. Gerade mit den Einkaufskünsten meiner beiden Butler bin ich sehr zufrieden: die Haus-Saurier finden sich selbst im dichtesten Getümmel der Fußgängerzone perfekt zurecht und bringen nicht nur alle Einkäufe, sondern auch das Wechselgeld wohlbehalten nach Hause. Immer ist es auf Heller und Pfennig abgerechnet – dafür sorgt Elie, der bei solchen Dingen äußerst genau ist. Ich bin sehr stolz auf die beiden. Hier sieht man sie (links Elie in beige, rechts Anatol in grün).

So sieht es gewöhnlich aus, wenn die Butler vom Einkaufen kommen: die herangeschafften Vorräte werden begutachtet und danach in Windeseile verstaut.

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Natürlich dürfen Anatol und Elie sich bei Görcke, unserem geliebten Tante-Emma-Laden gleich um die Ecke, jedesmal eine Kleinigkeit aus dem Süßigkeitenregal kaufen. Meist suchen sie sich da die leckeren Weingummischlangen für 5 Pfennig – pardon : Cents heisst es ja jetzt – aus. Für jeden gibt es eine oder zwei Gummischlangen : das ist eine angemessene Belohnung für den Einkauf, finde ich. Bis sie zu Hause sind, haben sie die Gummischlangen meist auch schon aufgefuttert.

Heute vormittag sind die beiden mit ihrem Freund, dem Schäfchen Mirko, im Park und spielen, als ich sie bitte, den Einkauf zu übernehmen.

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Mirko will natürlich auch mit in die Stadt. Er ist allerdings nicht immer so vorsichtig und besonnen, aber da Anatol und Elie ja dabei sind, kommt Mirko sicher nicht in Gefahr bei der Einkaufstour. So denke ich jedenfalls.

Sehr lang ist der Einkaufszettel heute nicht, aber es steht eine ganz wichtige Sache drauf : die gute vegane Leberwurst von Klages, dem Feinkost-Bioladen in der Theaterstraße.

Bis zu Klages ist es ein ordentlicher Fußweg. Meist gehen die beiden nebenan bei Görcke einkaufen oder auch mal bis zum Markt, der nicht weit weg ist. Die vegane Leberwurst gibt es aber nur bei Klages. Anatol und Elie zockeln also gleich los – Schäfchen Mirko im Schlepptau.

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Ich bin froh, dass sie mir den Einkauf abnehmen, denn ich habe noch viel zu tun und will eine dicke Akte, die ich von der Arbeit mit nach Hause genommen habe, endlich erledigen. Dabei freue ich mich schon auf das Mittagessen mit frischem Gersterbrot, veganer Leberwurst und Salat, das die beiden nachher servieren werden.

Ein paar Stunden verstreichen: bei der Arbeit merkt man gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht. Plötzlich ist es schon 1 Uhr mittags ! Anatol und Elie hätten längst wieder da sein müssen – ich gerate in Sorge.

Schnell werfe ich meinen Mantel über und setze mich aufs Fahrrad. Der Weg in die Stadt führt durch den Park – aber dort sehe ich weder Elie noch Anatol, noch Mirko. Ich bekomme Angst. Was, wenn jemand meine beiden Butler und Schäfchen Mirko entführt hat? Was sage ich Mirkos Familie?

Auf der anderen Seite des Parks komme ich am Rohnschen Badehaus vorbei zur Stadthalle, wo der Springbrunnen schon fleissig Wasser speit. Ich werfe einen Blick in das Becken – aber dort ist weder ein Dino noch ein Schäfchen zu sehen. Meine Befürchtung, dass hier ein Unfall hätte passiert sein können, bewahrheitet sich glücklicherweise nicht.

Ich fahre weiter. Auf dem um diese Zeit ausgestorbenen Schulhof der Albani-Schule sehe ich ebenfalls keinen Dinosaurier … also weiter hinein in die Stadt. Zunächst muss ich allerdings wieder etwas nach rechts hochfahren, um dort den Zebrastreifen zu überqueren. Und da … auf der anderen Straßenseite, auf dem Mäuerchen direkt vor dem Gesundheitsamt, sehe ich die Bande! Anatol und Mirko hocken vor einem heulenden Elie und reden auf ihn ein. Elie sitzt da wie angewurzelt und will sichtlich nicht weg. Ob er sich wehgetan hat ?

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Schnell fahre ich über den Zebrastreifen und ertappe mich dabei, wie meine erste Regung die ist, sowohl Anatol als auch Elie gewaltig auszuschimpfen, weil ich mir solche Sorgen gemacht habe. Ich unterdrücke das, denn ich bin für eine auch verbal gewaltfreie Haltung von Sauriern. Stattdessen frage ich Anatol nur mit sehr verärgerter Stimme, was das denn solle – ob er denn wisse, dass es schon fast 2 Uhr mittags sei, und dass ich mir Sorgen gemacht habe, was ihnen und Mirko hätte passiert sein könnte !

Anatol ist der Älteste der drei und deshalb natürlich für alles verantwortlich. Aber nicht er, sondern Mirko antwortet mir : « Das tut uns wirklich sehr leid. Aber wir mussten doch bei Elie bleiben. Er will einfach nicht mehr hier weg ! »

Anatol nickt zustimmend. In der Tat sitzt Elie tränenüberströmt auf dem Mäuerchen und macht keinerlei Anstalten, aufzustehen. Er hält das Gesichtchen mit seinen Händen bedeckt, zwischen den Dino-Fingerchen laufen die Tränen hindurch. Elie ist nicht ansprechbar.

Da Mirko sichtlich der Einzige ist, der noch einigermaßen sinnvoll antworten kann (Anatol scheint auch recht mitgenommen zu sein!), wende ich mich direkt an ihn und frage, was denn mit Elie passiert sei.

Mirko äußert unumwunden, dass mit Elie gar nichts passiert sei. Schuld sei nur die falsche vegane Leberwurst. Ich gucke erstaunt – denn wie soll eine vegane Leberwurst erstens falsch und zweitens schuld am Nervenzusammenbruch eines kleinen Dinos sein ?

Mirko kann auch das erklären. Auf dem Hinweg zum Feinkostladen in der Theaterstraße sei Elie noch bester Laune gewesen. An der Wursttheke habe sich Anatol um alles gekümmert, die vegane Wurst ausgesucht, sie einpacken lassen und bezahlt. Sie hätten sich dann gleich wieder auf den Rückweg gemacht, die Theaterstraße hoch, am Theater, am Max-Planck-Gymnasium und am Museum für Völkerkunde vorbei. Anatol und er seien sogar schon an der Stadthalle gewesen, da hätten sie gemerkt, dass Elie fehlte !

Schnell seien sie zurückgelaufen – und hätten Elie auf dem Mäuerchen vor dem Gesundheitsamt sitzend – mit verdicktem Kopf (ein untrügliches Zeichen für sehr schlechte Laune bei Elie) – gefunden. Erst sei Elie nur « beleidigt » gewesen, dann habe er angefangen, bitterlich zu weinen.

Den Grund habe er ihnen sogar noch gesagt : Anatol habe die falsche Leberwurst gekauft, nämlich die feine. Elie möge nur die grobe. Eine echte Katastrophe.

Mirko habe dann vorgeschlagen, schnell zu Klages zurückzugehen und dort einfach noch etwas von der groben veganen Wurst zu holen. Elie habe sofort aufgehört zu weinen ! Jedoch habe ein ein kurzer Blick in das von Anatol verwaltete Portemonnaie gezeigt, dass das noch vorhandene Geld nicht einmal mehr für die kleinste Leberwurst ausreichte.

Daraufhin habe Elie wieder angefangen zu weinen – und seitdem nicht aufgehört.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich nun lachen oder auch weinen soll. Als erste packe ich die ganze Bande zu mir auf Fahrrad und sage Elie, zuhause sei noch ein Rest grobe Leberwurst im Kühlschrank. Den dürfe er ganz allein haben. Schlagartig wird das Weinen eingestellt.

Mirko – der mich hier wirklich sehr positiv überrascht – erklärt Elie, das ganze Drama sei doch leicht zu vermeiden gewesen, wenn er gleich im Laden gesagt hätte « Ich mag aber die feine vegane Leberwurst nicht – kauf‘ doch bitte die grobe! ». Elie nickt. Aber er habe es irgendwie nicht geschafft, das zu sagen. Erst auf dem Nachhauseweg sei ihm klar geworden, wie schlimm es für ihn sei – dass es jetzt eine ganze Woche lang nur die feine Wust geben würde, bevor neue gekauft werden könne. Und dann habe er eben angefangen zu weinen.

Damit es nicht wieder losgeht mit dem Weinen, stelle ich klar : von jetzt an wird immer sofort gesagt, wenn etwas nicht so abläuft, wie man es gerne hätte. Denn zu Anfang ist ja oft noch etwas zu ändern. Anatol, Elie und Mirko finden das eine gute Idee.

Zuhause muss ich Mirkos Verspätung bei seiner Familie entschuldigen – aber zum Glück sind wir ja wohlbehalten zurück, und so bekommen wir keine Schimpfe.

Zum Mittagessen gibt es heute Gemüsesuppe – die vegane Leberwurst wandert erst einmal in den Kühlschrank.

Anatol gibt eben zu, dass er geheult hätte, wenn die grobe Leberwurst gekauft worden wäre.

Göttingen, im Sommer 1979

16. Kapitel – Antonia

Tagebucheintrag vom 25. Oktober 2013

Es sind ein paar Tage vergangen seit meinem letzten Eintrag. Elie geht es besser; er konnte sogar gestern einen ganz kleinen Spaziergang mit Anatol machen (ich war aus Sicherheitsgründen auch dabei). Leider hat er sein Gedächtnis bisher nicht wiedererlangt. Er weiss weiterhin weder, woher er kommt, noch von wem er angegriffen wurde. Es versteht sich von selbst, dass wir bei jedem Ausgang sehr vorsichtig sind und dass Elie vorerst auf keinen Fall auf die Straße, geschweige denn in den Park darf.

Unser „Stubenarrest“ wird eben sehr angenehm unterbrochen: Der Briefträger bringt nämlich ein großes Paket von Emil, Rasmus und Bea:

PäckchenBEA

Anatol und Elie freuen sich wie die Schneekönige! Das Päckchen soll gleich ausgepackt werden … da bemerkt Elie, dass es sich bewegt! Ängstlich springt er einen Schritt zurück. Er hat sich richtig erschrocken!

Anatol klettert eilig von dem Päckchen herunter und hält sein Ohr an den Karton. Plötzlich ruft er: „Ich höre jemanden sprechen! In dem Paket! Da ist jemand drin!!“

So schnell ich kann, hole ich eine Schere und schneide das Päckchen auf – und was sehen wir da … ? Ein ganz grünes Dinosauriermädchen, das sichtlich froh ist, endlich aus dem Karton befreit zu werden:

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Anatol und Elie müssen sich erst einmal von ihrem Schrecken erholen. Beide gucken mit großen Augen auf das mutige Sauriermädchen, das da in dem Päckchen gereist ist! Ich habe das Gefühl, dass keiner der beiden sich das getraut hätte …

Die junge Dame stellt sich vor: „Ich heisse Antonia. Vor ein paar Wochen bin ich von Rasmus, Emil und Bea aufgenommen worden… Und da habe ich erfahren, dass hier viele Dinos leben! Dann hab ich Bea gebeten, mich hier her zu schicken – Dinosaurier leben nun mal lieber mit ihren Artgenossen zusammen. Ich hoffe, Ihr seid nicht böse, dass ich einfach so gekommen bin …“

Elie bleibt die Sprache weg. Anatol will gerade zu einer längeren Rede ansetzen und erklären, dass zwei Dinosaurier in einer Wohnung im Grunde schon eine „volle Besetzung“ darstellen – sprich, dass für eine Dinosaurierdame eigentlich kein Platz mehr da sei – da sieht er, dass Antonia feuchte Augen bekommt. Anatol hat das Gefühl, dass sie kurz davor ist, in Tränen auszubrechen. Sie sieht müde und mitgenommen aus. Schließlich war sie 2 Wochen in dem Paket … Schnell sagt Anatol: „Herzlich willkommen, Antonia! Es ist toll, dass Du da bist! Ich freu mich sehr, und Elie ganz bestimmt auch – er ist nur etwas schüchtern, deshalb sagt er grad nichts. Hattest Du denn eine gute Reise? Du musst Hunger haben – wie wäre es, wenn wir Dir erst mal etwas zu Essen machen? Magst Du etwas essen?“

Antonia nickt. Sie braucht dringend eine Stärkung!

Während Anatol und Elie sich um ihre neue Freundin kümmern, packe ich den Karton weiter aus. Bea hat Antonia Geschenke für die Katzen und auch für mich mitgegeben! Ich bin so gerührt. Im Päckchen finde ich Katzenspielzeug, Kaustangen und Glückspfennige für die Katzen:

Glückspfennige

… und für mich: MARZIPAN! Marzipan liebe ich über alles:

Antonia Geschenke

Einen ganz lieben Brief von Bea hat Antonia auch mitgebracht.

Aus der Küche höre ich Lachen und Schwatzen. Ich freue mich für die drei Dinos. Dem Brief aber entnehme ich, dass Antonias Geschichte eine traurige ist. Um so glücklicher bin ich, dass Antonia von Anatol und Elie mit viel Zuneigung und Freundschaft aufgenommen wird.

Bettchen

15. Kapitel – Am Eaton Place

Tagebucheintrag vom 21. Oktober 2013

Elie ist immer noch sehr angeschlagen. Er hat die Reise zwar verkraftet, aber er kann noch nicht wieder aufstehen. Er muss im Nestchen bleiben und sich ausruhen.

Anatol umsorgt ihn unermüdlich. Fast ist es schon zu viel für den armen Elie.

Ich beende also das geschäftige Umhereilen meines Butlers, verordne eine Ruhezeit und setze die beiden kleinen Saurier vor den Fernseher, wo sie „Das Haus am Eaton Place“ gucken dürfen.

So große Augen habe ich lange nicht gesehen.

14. Kapitel – Elie kommt zurück

Tagebucheintrag vom 19. Oktober 2013

Elie hat sich so weit erholt, dass er morgen mit dem Drachenflieger zurück zu uns reisen darf. Als Anatol das hört, überschlägt er sich vor Freude regelrecht! Nun ist er sehr aufgeregt und will sofort alles für Elies Rückkehr vorbereiten.

Als erstes müssen wir auf den Markt: schließlich soll es morgen ein Festessen für den kleinen Dino-Kumpel geben! Anatol überwacht den Einkauf mit Argusaugen:

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Am Abend will Anatol ein ganz besonders leckeres Apfelkompott für Elie vorbereiten. Hier hat er alles zusammengestellt, um gleich mit dem Kochen loszulegen:

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Gerade hat er angefangen, die Äpfelchen zu schälen, kleinzuschneiden und in den Schmortopf zu geben. Dazu kommt etwas Weisswein, Zucker und Zimt. Und dann muss es eine Weile schmoren.

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Das ist der Moment, in dem Anatol etwas langweilig wird …  Zudem hat er auch solchen Durst – und dann ist da ja der gute Weisswein… Und so …

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… nimmt das Unglück seinen Lauf – bzw. der Wein nimmt seinen Lauf: direkt in Anatols Mäulchen hinein.

Ich höre aus der Küche ein lautes RRRRRUMMMMS – sofort komme ich angerannt, und sehe dies:

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Einen nicht mehr zurechnungsfähigen Butler! Und das Apfelkompott ist ihm auch angeschmort:

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Anatol ist für heute außer Gefecht. Ich kann ihn nur noch in sein Nestchen legen, ansprechbar ist er nicht mehr. Kein Wunder – Dinosaurier vertragen keinen Alkohol!

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Ich werde wohl morgen ein ernstes Wort mit meinem Butler reden müssen.

Tagebucheintrag vom 20. Oktober 2013

Ich hätte Anatol heute früh sicher eine Standpauke gehalten, wegen des gestrigen Alkoholexzesses. Nur ging es Anatol so schlecht, dass ich es nicht über mich gebracht habe, ihn auch noch auszuschimpfen. Der arme Butler konnte nur noch wimmern „Ich tus nie wieder, nie wieder, nie wieder … mir geht es ja soooooo schlecht!“.

Nach einer Kopfschmerztablette und sehr viel Fencheltee geht es ihm zumindest so gut, dass er aufstehen und etwas Toastbrot mit Butter essen kann.

Ich lasse Anatol am Nachmittag ein Weilchen allein zu Haus (dass er weitere Dummheiten anstellt, ist in seinem Zustand ausgeschlossen) und gehe einmal selbst in den Park.

Nach meinem Sonntagsspaziergang ist es Zeit, langsam zum Dino-Flugplatz zu gehen. Ich hole Anatol von zu Hause ab, und stelle voller Freude fest, dass er wieder ganz der Alte ist. Später bemerke ich, dass er sich an meinem Alka-Seltzer-Vorrat zu schaffen gemacht und diesen erheblich dezimiert hat.

Nun ist es 17 Uhr. Um 17 Uhr 30 soll Elie landen… Anatol ist schon vorausgelaufen und steht am Rollfeld – dieses ist mittlerweile sogar asphaltiert worden: Offenbar hat der Drachenflugdienst expandiert.

Der Drachenflieger schießt aus den Wolken hervor und setzt zum Landeanflug an. Ich muss Anatol die Ohren zuhalten, der Motorenlärm ist ohrenbetäubend.

Schließlich steht das Flugzeug vor uns auf der Landebahn. Die Gangway klappt herunter, und viele kleine Dinos mit ihren Reiseköfferchen steigen aus. Wo ist Elie denn nur?

Da! Als letzter Passagier kommt er die Gangway herunter. Schüchtern blinzelt er zu uns herüber, als er unten auf dem Rollfeld steht. Anatol kann nun nichts mehr halten. Er reisst sich los, springt über die Absperrung und rennt so schnell er nur kann auf Elie zu:

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Weitere Worte erübrigen sich.

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13. Kapitel – Wird Elie gesund ?

Tagebucheintrag vom 17. Oktober 2013

Anatol streicht mir seit heute früh um die Beine – er hat sich das von den Katzen abgeguckt. Zum 100. Mal fragt er: „Wann rufen wir endlich in der Zwergenklinik an?!“

Ich antworte – ebenfalls mindestens zum 100. Mal: „Anatol, es ist noch viel zu früh. So früh kann man dort nicht anrufen. Du musst Dich noch ein bisschen gedulden.“

In Wirklichkeit ist es aber nicht so früh. Was ich Anatol nicht sagen möchte, ist, dass es mir bei dem Anruf nicht wohl ist. Was, wenn es Elie schlechter geht? Wenn es vielleicht keine Hoffnung mehr gibt? So schiebe ich das Telephonat seit heute morgen vor mir her.

Trotz allem muss ich nun anrufen. Anatol wird immer ungeduldiger, und ich kann den Anruf nicht weiter hinauszögern. Ich hebe ab und wähle die Nummer der Intensivstation der Tierklinik der Zwerge.

Der mittlere Zwerg hat heute Dienst. Er weiss sofort, um wen es geht. Anatol krallt sich regelrecht an mir fest, so aufgeregt ist er.

Der Zwerg hat aber recht gute Nachrichten! Elie hat sich ein wenig erholt, hat etwas gegessen und sogar nach Anatol gefragt. Ich hätte mir nicht mal träumen lassen, dass es dem kleinen Kerl so schnell besser geht!

Wir bekommen von der Klinik sogar ein Photo von Elie geschickt – darauf sieht man, wie gut es ihm schon wieder geht:

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Anatol kann sich gar nicht mehr einkriegen. Er sitzt vor dem Computer und guckt sich das Photo von Elie immer und immer wieder an.

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Mir fällt ein Stein vom Herzen!

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12. Kapitel – Anatol räumt auf

Tagebucheintrag vom 16. Oktober 2013

Anatol hat nicht nur die Katzen gefüttert und mir das Frühstück gemacht, er hat auch die ganze Wohnung aufgeräumt! Wie ein kleiner Putzteufel ist er nun dabei, zu wischen und zu wienern, was das Zeug hält. Ich habe das Gefühl, selten in einer so sauberen Wohnung gelebt zu haben …

Auf meine Frage, was das denn zu bedeuten habe, antwortet er nur kurz: „Das ist für Elie. Elie kommt bald wieder! Dann soll alles für ihn schön aufgeräumt sein.“ – und wendet sich sofort wieder seiner Putzaktion zu. Mehr ist nicht aus ihm herauszukriegen.

Ich setze mich in meinen Sessel und schlage ein Buch auf. Aber ich kann mich nicht in die Geschichte vertiefen. Irgendetwas stimmt nicht mit Anatol.

Gerade will ich ihn fragen, ob er nicht lieber in den Park gehen möchte, da sehe ich, dass Anatol weint. Es laufen dicke Tränen aus seinen Dinosaurieräuglein, aber man hört ihn nicht weinen. Die Tränen laufen einfach herunter, während er mit dem Putzlappen durch die Wohnung wischt.

„Anatol … was ist denn los …“ sage ich, nehme ihn hoch und setze ihn neben mich auf den Sessel. Er zappelt unwillig und möchte runter – aber dann bricht es aus ihm heraus. Er schluchzt nur noch – zwar will er etwas sagen, aber er kann nicht. Ich streichle ihm einfach das Köpfchen und sage nichts. Es braucht keine Worte, um zu verstehen, was in ihm vorgeht. Sein neuer Freund Elie liegt schwer verletzt auf der Intensivstation einer Tierklinik, und niemand weiss, ob Elie überleben wird. Ich kann nur versuchen, Anatol zu trösten, indem ich ihn in den Arm nehme und ihm sage „Anatol, ich bin sicher, es wird alles für Elie getan. Er ist in guten Händen, und sie tun dort alles Menschenmögliche, um ihn zu retten.“

Nach einer Weile geht es etwas besser. Anatol möchte weiterputzen. Ich sage ihm, es sei nun gut. Es sei alles vorbereitet und sauber für Elie.

Aber Anatol möchte noch das Nestchen ganz schön machen. Hier zieht er es glatt.

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Ich wage es nicht mir vorzustellen, was werden soll, wenn Elie nicht wiederkommt.

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