141. Kapitel – Anatol Effendi kocht Mokka

Von Merve haben Anatol und ich echten türkischen Mokka geschenkt bekommen: eine ganze Packung Kurukahveci der Marke Mehmet Efendi.

Diesen heisst es nun so authentisch wie möglich zuzubereiten – denn sonst kommen wir nicht in den Genuß des vollen Aromas der morgenländischen Köstlichkeit.

Als erstes begeben Anatol und ich uns daher auf die Suche nach dem für die Zubereitung des Mokkas unerläßlichen Cezve, eines winzigen Topfes mit langem Stiel, in dem der Mokka traditionell gekocht wird.

Wir werden enttäuscht: weder der orientalische Supermarkt noch der arabische Basar in Strasbourg führen zur Zeit einen Cezve. Sogar das türkische Geschäft in Kehl muss passen: der Cezve sei zwar bestellt und demnächst wieder im Sortiment, wann das genau sei, könne man aber nicht mit Sicherheit vorhersagen.

Anatol und ich beabsichtigen dennoch, allen Widrigkeiten zum Trotz auch in Ermangelung eines Cezve heute einen Mokka zu kochen.

Unser erster Versuch scheitert kläglich – in der Espressokanne. Der türkische Mokka ist fein wie Puderzucker – durch das Sieb der Espressokanne gleitet er in den unteren Teil der Kanne ab, wird von dort aber nicht mit aufgekocht. Das Ergebnis im oberen Teil der Kanne ist eine zart-braune, fast (aber leider nicht ganz) geschmacklose Flüssigkeit – kein Mokka.

Die Espressokanne müssen wir daher als Zubereitungsmittel für unseren Mokka verwerfen… halt: müssen wir das wirklich? Anatol hat eine Idee.

Aber seht selbst:

Der Mokka von Mehmet Efendi!

Der Mokka von Mehmet Efendi!

Diese Dinge können wie beiseite legen.

Diese Dinge können wir beiseite legen.

Unser Behelfs-Cezve

Unser Behelfs-, nein: MINIMALISTEN-Cezve

Ab damit auf die Kochplatte

Ab damit auf die Kochplatte.

Etwas Mokka ins kalte Wasser

Etwas Mokka ins kalte Wasser…

Umrühren

Umrühren…

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Der Mokka muss etwas aufkochen.

Wir rühren gut um, während der Kaffee köchelt

Wir rühren gut um, während der Kaffee köchelt.

Nun etwas Mokka in die Tasse füllen ...

Nun etwas Mokka in die Tasse füllen …

Womit fassen wir den heissen Mokkatopf nur an ...? Zum Glück hat Anatol eine Idee!

Womit fassen wir den heissen Mokkatopf nur an …? Zum Glück hat Anatol eine Idee!

Die Lösung!

Die minimalistisch-pragmatische Lösung!

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Fertig.

Fertig.

Der Mokka ist wohlschmeckend und kann Tote zum Leben erwecken.

Über die genaue Dosierung müssen wir uns noch klar werden.

140. Kapitel – Die Rückkehr

Epilog

Von Waldeck bis Giflitz mit dem Fahrrad, dann in der Eisenbahn über Frankfurt, Mannheim und Karlsruhe bis nach Kehl – so waren wir nach unserem schaurigen Aufenthalt am Edersee wieder zu Hause eingetroffen.

Elie springt die Treppen bis zur Wohnung so schnell hinauf, dass er schon oben angelangt ist, als Anatol und ich noch im zweiten Stock schnaufen.

„Zu Hause ist es am schönsten!“ kräht er durchs ganze Haus. Ich hingegen denke fast ein wenig melancholisch an die verzauberten Momente auf dem Belle-Epoque-Ball. Sind es wirklich alles nur Trugbilder – Ausgeburten der höllischen Phantasie des Wiedergängers – gewesen? So ist es wohl. Betrübt denke ich an den sonnigen Vormittag am Edersee zurück, der so unbeschwert und ganz ohne gespenstische Begebenheiten verstrichen war…

Anatol scheint meine Gedanken zu erraten. „Von Hollow hat uns insgeheim nur genau das gezeigt, was wir sehen wollten. Nichts von alledem war wirklich da – weder das Anwesen, noch die große Buche, noch unser Turmzimmer  – und auch nicht die Menschen auf dem Ball.“ Ich schüttle mich vor Unbehagen. Wie ich hätte dort enden können, wenn meine Saurier nicht so furchtlos und entschlossen gehandelt hätten – ich mag es mir nicht vorstellen.

Wir betreten die Wohnung. Hinter der Tür wartet – erfreulich real – der von den Katzen in unserer Abwesenheit hergerichtete Schweinestall. Streukrümel, Futterreste und Fellbüschel zieren großzügig den Fußboden, das Sofa und unsere anderen Habseligkeiten. Satt, aber sichtlich schlecht gelaunt liegen die Tiere auf meinem Bett und würdigen uns keines Blicks. Es hat ihnen an nichts gefehlt – dennoch muss man sein Missfallen daran zeigen, gleich mehrere Tage nicht die gewohnten Personen um sich gehabt zu haben: dies ist für eine Katze unverzeihlich.

Ganz unaufgefordert machen die Butler sich daran, ein Gemüsecurry aus den im Kühlschrank noch vorhandenen Resten zu köcheln, während ich die von unseren kätzischen Freunden verursachte Sauerei – jedes andere Wort wäre hier gänzlich unpassend – beseitige. Nach einer Stunde ist alles blitzblank und der Curryduft dringt aus der Küche … ein Glücksgefühl durchflutet mich.

„Warum sind wir eigentlich weggefahren?“ fragt Elie. „Zu Hause geht es uns doch am Besten. Hier versucht niemand, uns in irgendwelche Tümpel reinzuziehen! Und damit es bei uns noch schöner wird, haben Anatol und ich gerade beschlossen, ab morgen den Keller und unsere Gerümpelkammer auszuräumen. Alles muss raus! Nicht, dass sich in dem alten Krempel noch irgendwelche Geister einnisten!“

Der nächste Morgen beginnt früh. Anatol ist bereits um 5 Uhr auf – ich höre ihn in der Gerümpelkammer rumoren. Ich wühle mich aus dem Bett heraus, reibe mir die Augen und will mich in die Küche begeben – aber schon stehe ich, nur mit meinem Sommerpyjama bekleidet, auf der Treppe. Die Wohnungstür steht sperrangelweit auf, Anatol wirft Krempel in Größenordnungen auf den Gang, während Elie die Katzen am Entweichen ins Treppenhaus hindert.

Ich vermute, dass die Aufräumorgie eine Art „Gespenstertrauma-Bewältigungsstrategie“ für die Saurier sein muss: in ordentlichen Haushalten lassen sich bestimmt keine Wiedergänger nieder.

Ich gehe ich in die Küche und brühe mir einen starken Kaffee auf. Am Ende des Tages haben die Saurier ganze Kubikmeter Gerümpel aus Kammer und Keller geholt, in den gemieteten Lieferwagen getragen und zu Emmaüs gebracht.

Wir sind nun völlig gespensterfrei.

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139. Kapitel – Der Gasthof am Edersee VI

Eine Reiseerzählung – Teil 6: Die Flucht

„Blick auf den morgendlichen Edersee vom Waldecker Ufer aus“
Photo: Jan Kuchenbecker
Lizenz: CC-by-sa 3.0/de

Zurück zu Teil V

Bang sahen wir – Elie und ich, Anatol, der ich diese Zeilen schreibe – in die Augen der Tigerkatze. Sie war unsere einzige Hoffnung, aus unserem Gefängnis zu entkommen – hatte sie uns doch in die Bibliothek hineingeführt und uns, wenn auch ohne Worte, erklärt, mit welch mächtigen Gegenspieler wir es hier zu tun hatten.

Die Katze erklomm in Windeseile eines der Bücherregale. Fast unter der Decke der Bibliothek angekommen sah sie sich nach uns um. Wir sollten ihr nachkommen – wir kletterten daher so schnell es uns möglich war, ein Regalbrett nach dem anderen, hinan … bis wir in schwindelerregender Höhe das letzte Regalfach erreicht hatten. Nun sah ich, warum die Katze uns hierhin geführt hatte: über dem Regal führte eine winzige Luke nach außen – was bedeutet: an die Außenwand des Anwesens. Ich steckte meinen Kopf aus der Luke und wurde von Schwindel erfasst: hier ging es meterweit an einer glatten Wand in die Tiefe. Ein Abstieg war hier unmöglich.

Über der Luke indessen erspähte ich außen an der Wand eine in das Gemäuer eingelassene eiserne Halterung. Mit dem Mute der Verzweiflung ergriff ich sie und zog mich hoch. Innerlich jubilierend sah ich etwas weiter oben noch eine Halterung, gleichsam eine winzige metallene Trittleiter – an dieser zog ich mich Stück für Stück nach oben, bis ich auf einem balkonartigen Fenstervorsprung im vierten Stock angekommen war. Das Fenster war nur angelehnt – ich konnte also in das Zimmer (es erwies sich als das große Bad unter unserem Turmzimmer) hineinspringen: ich war in Sicherheit. Nein, fiel mir ein: in Sicherheit war ich erst, wenn ich das grauenhafte Spukschloss lebendig hinter mir gelassen hätte – und davon war ich weit entfernt.
Ich lief nach oben in unser Turmzimmer: alle unsere Sachen lagen dort unberührt noch am Platz. Von Hollow hatte hier offenbar nichts verändert – vielleicht war er auch nicht mehr im Turmzimmer gewesen. Der lange Schlüssel steckte im Türschloss: ich entschied, dass es den Versuch wert wäre, ihn an der Tapetentür auszuprobieren. Elie an der metallenen Räuberleiter bis in den vierten Stock klettern zu lassen erschien mir ein zu hohes Risiko – und für die Katze wäre es ganz und gar unmöglich gewesen.

Nach einem vorsichtigen Blick auf die Wendeltreppe – ich legte keinen Wert darauf, von Hollow zu begegnen! – eilte ich hinunter bis an die Tapetentür. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und versuchte, ihn zu drehen – er passte nicht. Vor Verzweiflung hätte ich am liebsten geschrieen – aber das hätte uns verraten. Voller Wut riss ich daher am Schlüssel herum – da platzte das ganze rostige Schloss, welches den kleinen Riegel hielt, ab – und die Tür sprang auf.

Elie und die Katze waren indessen von dem hohen Regal heruntergeklettert und warteten hinter der Tür. Elie wirkte gefasst, wenn auch voller Angst.

Ohne eine weitere Geste sprang die Katze die Treppe hinunter und lief durch die große Tür in den Schlosshof. Wir stürzten ihr hinterher – aber wir kamen zu spät: flugs war die Katze in die alte Buche geklettert und saß nun, sich putzend, auf ihrem Lieblingsast. Von uns nahm sie keine Notiz.

„Elie, die Katze kann uns nicht weiter helfen. Das sagt sie uns gerade. Sie hat uns bis hierher alles gezeigt, was wir brauchen, um uns aus diesem Spuk zu befreien – von jetzt an sind wir auf uns gestellt.“

Elie schluchzte leise auf. „Wir müssen doch Susanne retten! Wie tun wir das bloß?“
Ich erinnerte mich an den Reim, der in dem Märchen vom Müller und seiner Tochter gestanden hatte. Wie lautete er noch?

In Fluten muss sie untergehn
nimmermehr an Lande stehn
Wenn nicht des Buchenwaldes Meisters
verblühte Blumenpracht sie streifet.

Dies war allerdings äußerst unklar. Wer war der „Meister des Buchenwaldes“? Ein Waldgeist vielleicht? Wo fanden wir ihn? Und was sollte man sich unter einer „verblühten Blumenpracht“ vorstellen? Ratlos sahen wir uns an.

Nun kam die Katze doch von ihrer Buche herunter geklettert und gurrte uns zu. Sie sprang vom untersten Ast der Buche in das am Fuße des Baums relativ dicht wachsende Gesträuch und begann, an den Blättern des Strauchs zu knabbern.

Nun sprang Elie aufgeregt auf und ab. „Ich glaub mir fällt was ein! Wir haben das bei Frau Maier in Biologie gelernt, dass der Waldmeister – also die Pflanze, aus der das leckere Eis ist – in Buchenwäldern wächst! Es gibt sogar einen Waldmeister-Buchenwald! Der Reim sagt, wir sollen Waldmeister sammeln!“

Dann fügt er beklommen hinzu: „Aber jetzt im August blüht der Waldmeister nicht mehr. Die Blüte ist Ende Mai, spätestens im Juni vorbei. Hat uns Frau Maier extra gesagt …“

Nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Verblühte Blumenpracht – das ist der abgeblühte Waldmeister! Wir müssen eine Waldmeisterpflanze finden, die nicht mehr blüht, und Susanne damit übers Gesicht streichen!“

WaldmeisterAufgeregt gurrend und schnurrend lief nun die Tigerkatze in Richtung Wald – an dem alten Gemäuer vorbei, welches wir bei unserer Ankunft als erstes gesehen hatten und dann in das Dickicht des Waldes. Wir folgten ihr, so gut wir nur konnten. Schließlich standen wir vor einem Meer leicht aromatisch duftender halbhoher Pflanzen – es gab keinen Zweifel: dies war Waldmeister.

Elie und ich pflückten je zwei Handvoll Waldmeisterstengel mit Blättern und dem abgeblühten Blütenstand. Dann rannten wir, so schnell uns unsere Beine trugen, zum Gasthof zurück.

Es war indessen Abend geworden. Langsam breitete die sich Dämmerung über den Schlosshof, dessen bizarre Schatten uns nun mit Grauen erfüllten. Würden wir Susanne wiederfinden? Und wo? Elie meinte, wir sollten uns zur selben Zeit in den Ballsaal begeben, zu der  am gestrigen Tag das Fest stattgefunden habe. Feste wie das von gestern dauerten bisweilen mehrere Tage – darauf müssten wir hoffen.

Dann kletterten wir die steile Klippe hinab bis zum Seeufer und bereiteten unser Fahrrad für eine Flucht – sollte es denn zu einer solchen kommen – vor. Ach, wenn wir doch aus diesem Spukhaus unversehrt und alle miteinander entweichen könnten!

Tatsächlich drangen, als wir uns etwas später wieder dem Schloss näherten, aus dem Ballsaal Musik und Gelächter. Vorsichtig betraten wir den Saal, der heute genau so festlich ausgestattet war wie gestern…

Wo ist Susanne? Bang lassen wir unserer Blicke durch den Saal schweifen – immer auf der Hut vor dem unheimlichen von Hollow, hinter dem wir den Wiedergänger vermuten.
Da! Auf der Tanzfläche erblicken wir Susanne, mit einem der jungen Herren tanzend. Wie nur kommen wir unbemerkt an sie heran – mit unserem Strauß Waldmeister in Händen? Während wir noch überlegen, entfernen sich die beiden Tänzer von der Tanzfläche – der junge Mann scheint auf eine Tür an der anderen Seite des Saals zuzusteuern, seine Tänzerin an der Hand führend …

Es ist nun keine weitere Sekunde zu verlieren. In höchster Aufregung durchqueren wir den Ballsaal und erreichen unser Tänzerpaar, kurz bevor die beiden durch die Tür nach draußen schlüpfen können. In diesem Augenblick hat uns von Hollow, der aber am anderen Ende des Saals sich befindet, entdeckt – voller Wut eilt er ebenfalls auf uns zu!

Elie ruft: „Susanne, geh nicht mit ihm mit! Susanne!!“ Anstatt ihr mit dem Waldmeisterkraut sanft übers Gesicht zu streichen, schlagen, ja peitschen wir mit den Zweigen auf sie ein. Susanne wendet sich von ihrem Tänzer ab, reibt sich das Gesicht … verwundert sieht sie uns an…“

Wie aus einem Traum erwache ich… Vor mir sehe ich den betörenden jungen Mann, der mich offenbar zum Tanz aufgefordert hatte … aus der Ferne höre ich meinen Namen rufen, immer wieder … Der junge Mann wirft mir einen wehmütigen Blick zu, dann scheint er durch die Wand hindurchzutreten – und ist verschwunden.

Nun sehe ich Anatol und Elie vor mir, Zweige in der Hand … was soll das…? Anatol ruft: „Wir müssen hier weg! Lauf!!“ und nun sehe ich einen offenbar in Rage geradezu schäumenden von Hollow auf uns zulaufen. Schlagartig wird mir bewusst, dass ich keine klare Erinnerung an die letzten 24 Stunden habe und sich mir alles dreht. Drogen – man muss mich unter Drogen gesetzt haben!

Die Saurier ziehen mich mehr aus dem Saal heraus als ich selbst zu laufen vermag – die hintere Tür führt direkt zur Klippe. Der Abgrund scheint mir heute noch steiler und bedrohlicher als sonst – und plötzlich wird mir klar, warum von Hollow uns auf übereilte Abschiede gewisser Gäste hingewiesen hatte, die zu keinem guten Ende gekommen waren…

Die Treppenstufen bröckeln unter unseren Schritten weg, wir rutschen die Treppe mehr herunter als wir sie hinuntersteigen. Als wir auf der Straße angelangt sind, sehen wir von Hollow oben an der Klippe vor Wut brüllend und mit ausgebreiteten Armen wie eine riesige Fledermaus sich hinunter in die Tiefe stürzen! Einen derartigen Fall kann er nicht überleben – mein erster Reflex ist es, zum Treppenabsatz zurückzukehren und mich um den Verletzten zu kümmern.

Anatol schreit mit überschnappender Stimme: „Er ist nicht verletzt, er kommt uns holen! Lauf!!“ Wir rennen wie um unser Leben bis zum Ufer. Dort sehe ich das Fahrrad auf ein kleines Tretboot geschnallt – unser Fluchtfahrzeug? Ich verstehe nicht, was hier los ist, laufe aber durch das flache Wasser bis zum Tretboot, die Saurier im Arm haltend. Dann springe ich ins Boot, steige auf das Rad, welches wunderbarerweise mit der Kurbelmechanik des Bootes verbunden ist und trete, so fest ich kann, in die Pedalen.

In diesem Moment taucht eine dunkle Gestalt aus den Fluten vor dem Boot auf: von Hollow! Die Saurier schreien vor Angst laut auf – ich radle, was das Zeug hält. Der Geist – etwas anderes kann die Erscheinung im Wasser nicht sein! – schickt sich an, das Boot in die Tiefe zu ziehen! Mit aller Kraft versuche ich, dem teuflischen Geschöpf zu entkommen, aber der Bug des Bootes ist bereits von dem Geist unter die Wasseroberfläche gezogen.

Nun besinnen sich die Saurier ihres Waldmeisters – sie zupfen Blätter von den Zweigen und werfen sie ins Wasser um unser Gefährt. Das Gespenst heult laut auf – und verschwindet in den Tiefen des Sees.

Nach Atem ringend und vor Angst zitternd gleiten wir in unserem Gefährt über den nächtlichen See. Die Flucht über das Wasser ist riskant, die Waldwege und die unbefestigte Straße am Ufer war den Sauriern indessen noch gefahrvoller erschienen. Daher hatten sie sich entschlossen, ein Boot als Fluchtfahrzeug klarzumachen.

Nach und nach erzählen sie mir atemlos, was sie in den über 24 Stunden, in denen ich bewusstlos gewesen war, erlebt hatten. Aber war ich wirklich ohne Bewusstsein gewesen? Klare Erinnerungen habe ich keine. Ein vager Eindruck von angeregten Unterhaltungen in angenehmer Gesellschaft, Champagner und Tango bleibt – nicht anders jedoch als an einen verblassenden Traum…

Als wir im Morgengrauen in Waldeck am Steg des Gasthof „Seeblick“ anlegen, fallen uns die Augen zu.

Bevor wir auf den am Strandufer für die Gäste bereitgestellten Liegestühlen einschlafen, um Kraft für den Rückweg nach Hause zu sammeln, sehen wir auf dem hölzernen Landesteg eine kleine braungetigerte Katze stehen, die uns freundlich zublinzelt.

Edmee

Edmée

Ende

138. Kapitel – Der Gasthof am Edersee V

Eine Reiseerzählung – Teil 5: Der Plan

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Die Tapetentür stand nun weit offen. Beklommen ließen wir unsere Blicke durch den dahinter liegenden Raum schweifen. Enttäuschung bemächtigte sich unserer: in dem Zimmer waren ausschließlich Bücher untergebracht: Folianten und Schriftstücke der letzten Jahrhunderte lagerten hier. Wir mussten uns in der Bibliothek des „Alten Schlosses“ befinden.
Elie stöhnte. „Bücher! Nur Bücher … ich hatte gehofft, hier vielleicht das Verlies zu finden, in dem Susanne eingesperrt ist – denn das ist sie doch sicher: eingekerkert! Sonst würde sie doch zu uns zurück kommen – oder will sie vielleicht gar nicht mehr zu uns …?“ Ein ersticktes Schluchzen folgte.

Die Tigerkatze sprang grazil wie eine Ballett-Tänzerin in eines der oberen Regalfächer und rieb sich an den Einbänden der dort stehenden Bücher. Ich warf einen näheren Blick auf die Werke: es handelte sich um die Chroniken der Region Edersee – sie umfassten die Jahre 1908 bis 1914.

Unschlüssig ergriff ich einen der Bände und schlug ihn auf. Die Katze begann zu schnurren – offensichtlich hatte ich etwas gefunden, von dem sie wollte, dass ich es sah.

Die Chronik – sie war zu umfangreich, als dass ich sie hier in Gänze wiedergeben könnte – referierte den Bau der Edeltalsperre, beginnend mit den Planungen, der Errichtung der Staumauer, den ersten Stauungen und der Flutung von mehreren Ortschaften der Ederseeregion.

Hier unterbricht Elie mich. „Die alten Dörfer wurden überflutet? Aber was geschah denn mit den Menschen, die dort wohnten? Und mit den Tieren…?“ Ich blättere in der Chronik und finde den folgenden, nüchternen Satz:

Die Dörfer Asel, Bringhausen und Berich wurden abgetragen und versanken in den Fluten. Die Bewohner wurden teilweise in Gebiete oberhalb ihrer Dörfer und nach Neu-Berich bei Bad Arolsen umgesiedelt.

Dann lese ich mit Schaudern:

Bei Niedrigwasser kommen die überfluteten Reste der alten Dörfer wieder zum Vorschein: Mauerreste der alten Bericher Klosterkirche sowie die Ederbrücke von Asel, die sonst unter dem Wasserspiegel liegt. Bei besonders niedrigem Wasserstand kann man die Überreste der alten Bericher Hütte und die mit Betondecken versehenen Gräber des alten Friedhofs erkennen.

Elie flüstert: „Die alten Häuser sind also dort unten auf dem Seegrund …? Und wenn dort doch noch die Leute von damals in ihren Häusern – oder Gräbern – sind …?“ Vom Grauen geschüttelt verstummte Elie. Das Buch entglitt mir: mit einem schweren Poltern fiel es zu Boden. Ich wagte nicht, es aufzuheben – so als könnten dem Buch tatsächlich grausige Geistererscheinungen entspringen.

Ein Knarren ertönte, dann vernahmen wir ein leises Klicken. Die Tapetentür war hinter uns zugefallen! Mit einem Satz war ich an der Tür und versuchte, sie zu öffnen: es gelang mir nicht! Die Tür besaß auch auf der Innenseite keine Klinke, und der Schlüssel steckte aussen – dort steckte er doch noch? Zitternd spähte ich durch das Schlüsselloch, in dem kein Schlüssel mehr zu erkennen war… Durch die Öffnung sah ich indessen unseren Wirt, Herrn von Hollow, sich langsam entfernen, den langen, altmodisch verschnörkelten Schlüssel in der Hand.

Es gab keinen Zweifel: unser Gastgeber hatte uns absichtlich in der Bibliothek eingeschlossen. Wir waren gefangen.

Elie ließ sich auf den Steinboden der Bibliothek gleiten. Weinend flüsterte er „Das ist das Ende. Wir werden hier sterben!“ Die Katze rieb ihren Kopf an Elies Bein. Dann sprang sie auf das hinter uns befindliche Bücherbrett und begann, ihre Krallen an einem besonders ansprechend-rauhen Bucheinband zu schärfen. Dabei verhakte sie sich mit der einen Pfote in den Stoffeinband, zog das Buch wie zufällig aus der Reihe heraus und warf es uns geradewegs vor die Füße. Das Buch klappte in der Mitte auf und blieb offen liegen.

Elie und ich lasen nun voller Entsetzen, was dort stand:

Es war einmal ein reicher Müller, der besaß ein Mühlwerk am Fluss. Tagaus, tagein arbeitete er in seiner Mühle, ließ das Mühlrad sich fröhlich drehen und mahlte das Getreide, das die Bauern ihm brachten, zu feinstem Mehl.

So verging Jahr um Jahr. Der Müller mahlte, die Bauern bauten ihren Roggen und Weizen an und die Tochter des Müllers, die Edmée hiess, wuchs in der Mühle zu einer liebreizenden jungen Frau heran.

Eines Tages aber erließ der Kaiser ein Gesetz, nach welchem der Fluss zu einem Stausee aufgestaut werden sollte, um die nahe gelegenen Städte und Dörfer mit Wasser zu versorgen. Die Mühle, das Mühlrad und alle Besitztümer des Müllers sollten unter den Wassermassen begraben werden. Der Kaiser bot dem Müller eine hohe Entschädigung, nämlich 1000 Goldtaler, für den Verlust seiner Mühle an. Aber der Müller hing sehr an seinem Gehöft und weigerte sich, die Goldtaler anzunehmen. Er wollte seine Mühle behalten.

Die Müllerstochter sah, wie alle Nachbarn das Geld des Kaisers annahmen, ihr Hab und Gut packten und sich weiter entfernt wieder ansiedelten. Sie schalt ihren Vater, die Entschädigung ausgeschlagen zu haben. „Vater, wie sollen wir leben, wenn die Staumauer gebaut ist? Unser Haus, die Mühle – alles was wir haben – wird überflutet werden!“
Der Müller blieb unbeugsam bei seinem Entschluss, die Mühle zu behalten.

Indessen wurde die Staumauer gebaut und mehrere Jahre zogen ins Land. Der Müller war verbittert, da keiner seiner alten Nachbarn mehr mit ihm sprach. Sie wohnten nun weit weg und kamen nie mehr zur Mühle. Nur selten verirrte sich einer der Bauern in die alte Mühle.

Berich vor der Flutung

Berich vor der Flutung

Der Tag kam, an dem die Staumauer fertiggestellt wurde. Unnachgiebig und eisenhart setzte sich der Müller an sein Mühlwerk und wartete. Wenn die Fluten kamen, würde er mit seiner Mühle untergehen – die Mühle war ihm mehr wert als sein eigenes Leben.

Keiner der Nachbarn wagte es, den Müller von seiner Entscheidung abzubringen, denn der Müller war ein harter Mann, der keinen Widerspruch duldete.

Als die Flut kam, war die Müllerstochter die einzige, die versuchte, ihren Vater aus dem Wasser zu retten.

Weder sie noch ihr Vater wurde je lebend wiedergesehen.

Seither gibt es jedoch die Legende eines Wiedergängers, welcher bei Niedrigwasser aus den Fluten zurückkehre und die Gesellschaft von Menschen suche. Da er auf dem Grunde des Sees sehr einsam ist, nimmt er junge Frauen, deren Gesellschaft ihm angenehm ist, mit sich in die Fluten. Auch Ertrunkene, deren Leiche verschwunden bleibt, sollen bei ihm ein neues Zuhause finden… Es gibt nur eine Möglichkeit, die Menschen, die er als Spielgefährten erwählt hat, aus seinen Fängen zurückzuholen:

Wiedergänger am Seengrund
verzaubern magst Du manch Maiden Mund –
In Fluten muss sie untergehn
nimmermehr an Lande stehn
Wenn nicht des Buchenwaldes Meisters
verblühte Blumenpracht sie streifet.

Nur wenn man dies genau befolgt, kann man den Fluch, der über dem Opfer des Wiedergängers liegt, brechen. Ansonsten fällt man selbst dem Wiedergänger anheim. Es wird auch erzählt, dass die schöne Tochter des Müllers seither versucht, die Unseligen, die in die Fänge des Wiedergänger geraten sind, zu befreien…

Und da sie schon gestorben sind, so geistern sie noch heute.

Ich blickte auf und sah Elie an. Wir mussten aus der Bibliothek, in der wir gefangen waren, herauskommen und dann den Vers befolgen, der das Gegenmittel für den Zauber beschrieb. Sonst war Susanne – und auch wir – verloren.

zur Fortsetzung

137. Kapitel – Der Gasthof am Edersee IV

Eine Reiseerzählung – Teil 4: Das Fest

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Der folgende Morgen ist kühl und sonnig. Als ich erwache, liegt die Tigerkatze zusammengerollt am Fußende des Betts und schläft. Offenbar hat die gestrige Drohung  unseres Wirts bei ihr keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Die Saurier sind schon auf – im Zimmer kann ich sie nirgends entdecken. Sie müssen sich früh aus dem Staub gemacht haben, als ich noch tief und fest schlief. Ich gehe in das kleine Bad, das sich an unser Zimmer anschließt. Zu meinem Entsetzen finde ich dort nur eine mit Wasser gefüllte Emaillekanne und eine Waschschüssel – aber kein fließendes Wasser, geschweige denn eine Dusche! Mit Mühe unterdrücke ich einen Entsetzensschrei. Wie soll ich mir die Haare waschen? Nach dem gestrigen Gewaltmarsch durchs Unterholz bin ich nicht mehr präsentabel – und das möchte ich schleunigst ändern.

Auf Zehenspitzen schleiche ich aus dem Zimmer auf den Gang – dabei falle ich beinahe über das vor der Tür auf mich wartende Frühstückstablett mit frischen Brötchen, hausgemachter Erdbeermarmelade und einer Kanne Darjeeling. Es ist genau das Frühstück, welches ich mir in eben diesem Moment erträumt hatte – unser Gastgeber scheint meine Wünsche zu erahnen, noch bevor ich sie äußern kann.

Ich stelle das Tablett auf die Kirschholzkommode und nehme mir vor, das Frühstück erst einzunehmen, wenn ich eine halbwegs moderne Waschgelegenheit gefunden habe. Auf der Etage unter unserem Zimmer entdecke ich – dem Himmel sei Dank! – ein geräumiges, helles Bad mitsamt einer altmodischen Badewanne mitten im Raum, die auch über eine Dusche verfügt. Ich atme auf. Die Ferien sind gerettet.

„Ich weiss nicht, wie Du Deine Reise durch die Wüste ertragen hast – eine ganze Woche ohne Dusche!“ Anatol kommt eben die Treppe hochgesprungen und weiss sofort, was ich als erstes gesucht habe nach dem Aufstehen. “Das große Bad nebenan ist wirklich komfortabel, wir haben es heute früh schon ausprobiert. Elie wollte unbedingt ein heisses Bad nehmen!“

Ich gieße mir eine Tasse Tee ein und beisse in mein Marmeladenbrötchen. Die Ferien am Edersee beginnen, mir zu gefallen! Wir sitzen im sonnendurchfluteten Turmzimmer, Tee und Brötchen vor uns – ein herrlicher Tag erwartet uns. „Anatol, wir sollten gleich das Rad aus diesem Schuppen holen und es nach unten auf die Straße bringen. Dann kommen wir schneller zum See und können auch eine richtige Tour am Seeufer machen.“

Anatol druckst etwas herum, dann rückt er mit der Sprache heraus. „Wir waren heute früh schon da und wollten das Rad holen… aber der Schlüssel war nicht mehr da. Elie hat sich durch einen Spalt in der Bretterwand in den Verschlag hineingewunden – das Rad stand noch drin, aber die Reifen waren platt. Ob die auf der Fahrt durch den Wald gestern kaputtgegangen sind? Vielleicht haben sich Dornen in die Reifen gebohrt? Wie dem auch sei: Elie konnte die Tür von innen aufmachen, da auf der Innenseite so ein Drehknopf angebracht ist. Wir haben das Rad jetzt – platt wie es ist – nach draußen geschoben und hinter einem Busch an der Klippe versteckt, damit es niemanden stört. Der Herr von Hollow mag es nicht, wenn Fahrräder im Schlosshof rumstehen, habe ich das Gefühl.“

Ich runzle die Stirn. Dass beide Reifen gleichzeitig platt sind, ist ungewöhnlich. Nun gut, so etwas kommt vor. Sicher kann man die Reifen flicken lassen – oder aber Flickzeug kaufen. Notfalls müssen wir den Schaden eben selbst reparieren, auch wenn ich das in meinen Ferien lieber vermeiden würde.

Gestärkt und bester Laune verlassen wir den Gasthof gegen 9 Uhr morgens. Herrn von Hollow – oder andere Bedienstete des Gasthofs – haben wir heute noch gar nicht gesehen, auch wenn uns jemand das Frühstück zubereitet und gebracht haben muss…
Sicher ist man mit den Vorbereitungen für das heutige Fest vollauf beschäftigt. Wir beschließen daher, heute früh niemanden mit unseren Fragen zu belästigen und die Gegend auf eigene Faust zu erkunden.

Unser Fahrrad wartet hinter den Büschen an der Klippe auf uns. Beide Reifen sind platt – Beschädigungen wie von Dornen oder Scherben kann ich jedoch nicht erkennen. Die Reifen wirken vollkommen unversehrt. Schnell pumpen wir das Rad auf – dies ist mit der Luftpumpe, die Anatol glücklicherweise noch beim Fahrradladen in Kehl erstanden hatte, kurz bevor wir losgefahren waren, schnell erledigt.

Unsere Entscheidung, das Rad über die steile Treppe nach unten auf die Straße zu transportieren erweist sich als äusserst riskant. Die Treppenstufen sind so uneben und bröckelig und der Abstieg so jäh, dass wir mehrfach kurz vor dem Absturz stehen. Auf den letzten Metern geht die Treppe fast senkrecht in die Tiefe – wir können das Rad nicht weiter halten. Schließlich bleibt uns nichts anderes übrig, als  es den Abhang hinunter bis auf die Straße rutschen zu lassen.

Scheppernd kommt das Rad am Treppenabsatz mit wild sich drehendem Hinterrad zum Liegen. Wenig später sind wir ebenfalls unten und begutachten unseren geschundenen Liebling: das Rad ist verschmutzt und hat ein paar oberflächliche Kratzer davongetragen, ansonsten erscheint es heil und ohne weiteres fahrtüchtig. Wir steigen auf und folgen der Straße in Richtung Seeufer – bald sind wir am Strand, wo wir uns unter den hohen, alten Bäumen ein schattiges Plätzchen suchen.

Ein ruhiger Vormittag am See verstreicht. Wir schwimmen, lassen flache Steine übers Wasser springen und werfen den blauen Nivea-Ball in den See, bis Elie vom Apportieren so müde ist, dass er sich mit seinem Ball unter dem Handtuch verkriecht und einschläft. Dann nicken auch wir ein.

Als ich erwache, steht die Sonne hoch am Himmel. Siedend heiss fällt mir ein, dass wir ob unserer Vollpension das Mittagessen im Gasthof serviert bekommen – wie spät ist es eigentlich? Anatols Handy zeigt 13 Uhr. Wir packen die Badesachen zusammen, legen den schlafenden Elie in den Korb und gehen zu Fuß zum Gasthof zurück. Das Fahrrad lassen wir angeschlossen in der Nähe des Bootsverleihs am Seeufer. Dort stört es nicht. Die Reifen sind weiter fest aufgepumpt – jemand muss des Nachts die Luft herausgelassen haben, anders lässt es sich nicht erklären. Ein befremdlicher Scherz!

Zurück am Gasthof betreten wir als erstes den großen Rittersaal, in dem wir gestern Nacht unser Souper zu uns genommen haben. Ein Tisch am Fenster ist bereits gedeckt – für drei Personen. Hat Herr von Hollow die beiden Saurier als „echte“ Gäste gehandelt? Dies wäre ja wünschenswert.

Wir setzen uns. Eine Vorspeise in Form eines Gazpacho im Glas ist schon serviert – sie schmeckt köstlich.

Nun eilt unser Gastgeber aus einem der hinteren Räume auf uns zu. „Wie ich sehe, haben Sie Ihren Tisch bereits entdeckt. Ich hoffe, Sie finden alles zu Ihrer Zufriedenheit. Bitte entschuldigen Sie, dass ich mich heute noch gar nicht um Sie gekümmert habe – die Vorbereitungen für das heutige Fest nehmen mich ganz in Beschlag, so dass ich mich meinen Gästen nicht so widmen kann, wie es sich eigentlich gehörte.“

Ich danke unserem Wirt und versichere ihm, dass alles ganz nach Wunsch sei. Wir seien sogar bereits am See zum Baden und Spazieren gewesen und hätten darüber fast das Mittagessen vergessen. Den Vorfall mit dem Rad erwähne ich nicht. Sicher kann Herr von Hollow nichts dafür – einer seiner Bediensteten, von denen wir indessen noch keinen einzigen zu Gesicht bekommen haben, muss sich mit uns nur einen groben Spaß erlaubt haben.

Den Nachmittag verbringen wir lesend und zum großen Teil dösend im Schatten der großen Buche im Schlosshof. Unser Gastgeber hat uns Zugang zur Küche gewährt, wo wir uns einen alkoholfreien Obstcocktail nach dem anderen mischen und dann genüsslich in unseren Liegestühlen schlürfen.

Um 17 Uhr begebe ich mich in unser Turmzimmer, um mich für das Fest umzukleiden und frisch zu machen. Fast bin ich ein wenig aufgeregt. Wann ich das letzte Mal an einem Kostümfest – oder kann man hier geradewegs von einem Maskenball sprechen? – teilgenommen habe, weiss ich nicht einmal mehr…

Art Nouveau KleidGegen 19 Uhr betrete ich in meinem weissen Chiffonkleid, welches in der Tat eher an die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnert als an die Mode vor dem Ersten Weltkrieg, den Ballsaal des „Alten Schlosses“. Um meiner Erscheinung etwas mehr zu einem „art nouveau Stil“ zu verhelfen, habe ich mir Bänder und Blumen in die Haare gewunden – und hoffe, so nicht zu sehr aus dem Rahmen zu fallen.

Der Ballsaal entstammt ersichtlich dem Jugendstil und ist prachtvoll ausgestattet – ich hatte ihn bisher noch gar nicht gesehen und führe das darauf zurück, dass Herr von Hollow ihn als „Überraschung“ für seine Gäste unzugänglich gehalten haben musste.

Aufwendige Orchideengestecke auf den Tischen und an den Wänden verleihen dem Saal einen lieblichen, aber schweren Duft. Das pudrige, balsamische Parfum, das die Blumen verströmen, wird durch die gedeckte Beleuchtung, die nur von kleinen, über den Tischen hängenden Lampions ausgeht, gleichsam verstärkt. Wie unser Gastgeber es verstanden hat, die Atmosphäre des fin de siècle mit ihrer Morbidität und Dekadenz geradezu perfekt einzufangen, ist mir ein Rätsel.

Der Saal ist ersichtlich für einen Ball arrangiert. Die Tische, die jeweils für zwei oder für vier Personen gedeckt sind, befinden sich an den Wänden, was den größten Teil des Saals für den Tanz freiläßt. Servierer in altmodischer Livree eilen mit Tabletts durch den Saal und bieten den Gästen Champagner in Tulpengläsern mit goldenen Arabesken an … was mag die Ausrichtung dieses Fests gekostet haben?

Aus diesen Gedanken reißen mich drei junge Herren, die groß und dunkelhaarig in ihren Belle-Epoque-Anzügen geradewegs der „Suche nach der verlorenen Zeit“ zu entspringen scheinen.

„Mademoiselle, würden Sie uns die Freude machen, diesen Abend mit Ihrer charmanten Gegenwart zu adeln? Jede Minute, die wir ohne Sie verstreichen lassen, erscheint uns geradezu als sträfliche Missachtung Ihrer bezaubernden Person. Sie möchten doch sicher nicht, dass wir uns den Rest des Abends in desolater Verfassung nach Ihnen verzehren..?“

Mit einem unwiderstehlichen Lächeln sieht der junge Mann mich an und bedeutet mir mit einer einladenden Handbewegung, mich doch an den bereits gedeckten Tisch zu ihnen zu setzen.

„Sollten wir Ihnen mit unserer Konversation nicht das Vergnügen bereiten, das Sie legitimerweise von uns erwarten dürfen, werden wir Sie natürlich sofort den Talenten der anderen Herren überlassen – auch wenn wir dann untröstlich und mit für immer gebrochenem Herzen hier zurückbleiben würden!“ Wir lachen ob dieser wehmütig-heiteren Ansprache und ich entscheide mich, zu bleiben.

Sofort hält mir der junge Herr den Stuhl, damit ich mich setzen kann. Der andere beeilt sich, mir – trotz aller Proteste meinerseits – eine Champagnerschale mit perlendem Crémant zu füllen, während der dritte junge Mann mir formvollendet verschiedene Vorspeisen präsentiert.

Bald sind wir in eine lebhafte, mokante Unterhaltung verwickelt, bei der ich mich wie selten amüsiere. Ich vergesse, dass ich mich auf einem Maskenfest befinde – so echt erscheint die Kostümierung und das Verhalten der jungen Herren, dass ich mich wirklich in die frühen Jahre des 20. Jahrhunderts versetzt glaube …“

An dieser Stelle endet der Bericht. Susanne hat seit diesen letzten Sätzen nichts mehr geschrieben und auch mit Elie und mir nicht mehr gesprochen.

Dies schreibe ich, Anatol, am 22. August des Jahres 2015 in brennender Sorge und größter Furcht vor dem, was uns hier erwartet.

Aber ich muss ausholen. Was ist passiert, seit Susanne die letzten – ach, ich hoffe nicht ihre letzten! – Zeilen schrieb?

Das Kostümfest war anfangs durchaus vergnüglich. Elie und ich hatten – welch unverzeihlicher Fehler, den ich mir nicht genug vorwerfen kann – Susanne in der Obhut der drei jungen Herren gelassen, so man in diesem Fall überhaupt von „Obhut“ sprechen kann: „in den Fängen“ wäre wohl der treffendere Ausdruck! Ob es sich zudem wirklich um „junge“ Herren handelt, ist alles andere als sicher.

Elie hatte mit zwei charmanten jungen Damen getändelt; der Champagner war ihm aber bald zu Kopfe gestiegen und ich hatte ihn ins Turmzimmer zum Schlafen gebracht. Danach war ich zum Fest zurückgekehrt – es muss kurz nach Mitternacht gewesen sein.

Die gehobene, heitere Stimmung war nun einer dunkleren Note gewichen. Ein Streichquartett spielte melancholisch-düsteren Tango, spärlich bekleidete Damen rauchten Zigaretten an langen Spitzen, viele waren verlarvt… Wie in Trance tanzten Paare, aneinandergeklammert, Tango …

Susanne saß noch am Tisch mit den drei Herren, die nun offen schäkerten! Ich bedeutete ihr, dass es Zeit sei, zu gehen, aber sie nahm mich nicht wahr. Wie ich auch rief, bat – flehte: sie bemerkte mich nicht. Ich war nicht existent, für niemanden auf der Feier. Verzweifelt lief ich die Turmtreppe hinauf, zum tief schlafenden Elie. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass ich in dieser Nacht kein Auge zutat.

Als ich in höchster Not und Pein meine Verzweiflung aus dem Turmfenster ins Dunkel hinausschrie, ohne Hoffnung auf Antwort, sah ich im Geäst der Buche die flammenden Augen der Tigerkatze. Sie saß nicht weit vom Fenster auf einem Ast und starrte mich an. War auch sie uns feindlich gesonnen? Hatte sich denn alles gegen mich verschworen?

Je länger die Katze mich ansah, desto mehr erschien es mir, als versuchte sie, mir etwas zu sagen. Indessen konnte ich in meiner Angst nicht klar denken – und nicht verstehen, was sie mir vermitteln wollte. Je mehr ich mich anstrengte, desto weniger begriff ich.

Der Morgen brach an, und ich fühlte mich wie ausgelaugt. Die Katze lag jetzt auf unserem Bett und schlief. Ich schloß daraus, dass ich auch schlafen solle … sofort war ich eingenickt und kam erst am späten Vormittag wieder zu mir.

Ich war allein: weder Elie noch die Tigerkatze waren zugegen. Ich verfluchte meinen Entschluß, mich dem Schlafe hinzugeben! Ohne eine Sekunde zu zögern, stürzte ich die Treppen hinunter bis in den Saal, wo gestern das Fest stattgefunden hatte.

Der Saal war leer – von der gestrigen Feier gab es keine Spur. Kein Tisch, keine Blumen – der Raum war wie leergefegt.

Das Grauen bemächtigte sich meiner – wo waren wir hier nur hingeraten, in was für ein Haus!

Da – Stimmen drangen an mein Ohr. Ich lief zum Fenster und sah hinaus in den Schlosshof: dort sah ich Elie mit der Tigerkatze spielen. „Dem Himmel sein Dank“ schoss es mir durch den Kopf. „Zumindest Elie!“ „Elie!“ schluchzte ich. „Elie – ich bin hier!“

Elie drehte sich zu mir um. „Ja, das sehe ich. Warum weinst Du…? Wo ist Susanne?“ Der arme Elie hatte das Ausmaß des Schreckens noch gar nicht begriffen. Ich beschloss, ihm die ganze Wahrheit zu sagen. Es war sowieso nicht möglich, diese vor ihm zu verheimlichen.

Als ich fertig war, standen Elie der Tränen in den Augen. „Was tun wir jetzt?“ flüsterte er. „Wir müssen unbedingt Susanne wiederfinden!“

Die Tigerkatze rieb sich plötzlich an Elie’s Bein. Ich bückte mich zu ihr nieder, um sie zu streicheln, aber da lief sie fort – ins Schloss hinein. Auf dem Türabsatz drehte sie sich zu uns um und blinzelte uns zu. Dann sprang sie die große steinerne Wendeltreppe hinauf, höher und höher. Atemlos folgten wir ihr.

Zwischen dem dritten und vierten Geschoss blieb sie mitten auf der Treppe stehen – hier war eine kleine Tür in die Wand eingelassen. Diese war uns bisher nicht aufgefallen, da sie keine Klinke besaß, sondern nur ein Schlüsselloch.

Die Katze begann, mit beiden Pfoten auf den Stufen zu scharren. Dann blickte sie zu uns auf. Ich besah mir die Treppenstufe näher – und  bemerkte, dass am Übergang der Treppe zur Wand ein Klinkerstein nicht richtig verputzt war. Elie zischte: „Der Stein da, kann man den etwa herausnehmen?“ Der Klinker stand in der Tat einige Millimeter aus der Wand heraus. Ich zog und ruckelte an dem Backstein, und da – ich hielt den Stein in der Hand. Hinter ihm eröffnete sich eine winzige Kammer, die wie ein kleines Geheimfach erschien: in dieser lag ein großer, altmodischer Schlüssel.

Die Katze saß nun entspannt auf der Treppe und putzte sich geruhsam die Vorderpfoten. Ich schloß hieraus, dass wir bisher ihre Weisungen so befolgten, wie sie das wollte … Dann steckte ich den Schlüssel in das Schlüsselloch. Der Schlüssel drehte sich quietschend und knirschend im Schloss – langsam und mit einem hässlichen Knarren öffnete sich die Tür.

Fortsetzung folgt!

136. Kapitel – Der Gasthof am Edersee III

Eine Reiseerzählung – Teil 3: Das alte Schloss

Foto: Axel Hindemith / Lizenz: Creative Commons CC-by-sa-3.0 de

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Stirnrunzelnd sehe ich Anatol an. „Die Bezeichnung ‚verkehrstechnisch nicht gut angebunden‘ ist für diesen Gasthof ein Euphemismus!“ schimpfe ich. „Wie soll es nun weitergehen? Ich jedenfalls sehe hier keinen Fahrradweg!“

Elie bemerkt, man könne etwas tiefer im Wald eine Art Fährte erahnen. Bei näherem Besehen stellt sich diese als ein vom Unterholz nicht gänzlich überwachsener Pfad heraus, auf den der Pfeil tatsächlich zu zeigen scheint.

Ich frage mich, wann die letzten Besucher diesen Pfad wohl genutzt haben müssen? Anatol meint, der Gasthof sei sicher noch aus anderen Richtungen zu erreichen – dies könne unmöglich der einzige Weg zum „Alten Schloß“ sein.

Leise fluchend schiebe ich das Fahrrad durchs Dickicht. Der Pfad erlaubt es an manchen Stellen tatsächlich, zu fahren – dann wieder ist das Unterholz zu dicht und wir müssen absteigen. Hier und da sind weitere Pfeilschilder „Zum alten Schloß“ angebracht, allerdings ohne eine Angabe der noch vor uns liegenden Strecke.

Die Dämmerung beginnt, sich über den Wald zu legen. Ich schreie mein Unbehagen lauthals heraus. „Wo zum Teufel sind wir hier?! Anatol, was hast Du uns eingebrockt mit dieser Reise!“

Der Saurier sitzt beschämt im Fahrradkorb und studiert die von ihm kürzlich noch so belächelte Karte. Dann lässt er die Karte sinken und gibt zu: „Ich habe keine Ahnung, wo es hier langgeht. Es tut mir so leid!“ Dann treten ihm die Tränen in die Augen.

Verzweiflung steigt in mir hoch. Wir sind kilometerweit von jeder Straße und Siedlung entfernt, das Dickicht hält uns fest umschlossen. Das Fahrrad ist kaum noch voranzubringen, der Rucksack wird schwerer und schwerer. Überflüssig zu erwähnen, dass es keinerlei Funkverbindung gibt. Die einzige positive Nachricht ist, dass es mit 25°C noch sommerlich warm ist – erfrieren werden wir also nicht.

Plötzlich ruft Elie: „Guckt mal da! Schimmert da nicht ein Licht durch die Bäume? Das ist doch bestimmt der Gasthof… oder?“

Photo Axel Hindemith

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In der Tat scheint sich mehrere hundert Meter entfernt eine Art Gehöft zu befinden. Wie erlöst eilen wir auf das Gebäude zu. Schließlich stehen wir vor einem uralten Gemäuer – allein die Grundmauern und eine einzige Wand, auf der oben ein paar wegbröckelnde Zinnen stehen, sind noch vorhanden. Dies muss das „Alte Schloß“ sein. Hier lebt niemand.

Wo war das Licht, das Elie gesehen hatte? Nun erst fällt uns auf, dass etwas abseits von dem Gemäuer sich ein stattliches Anwesen mit hell erleuchtetem Eingang und hohen Sprossenfenstern befindet. Mir ist schleierhaft, dass wir es erst jetzt bemerken – der Wald im Katzenstein muss ungewöhnlich dicht sein.

Ein älterer Herr, der offenbar bis jetzt auf einer Bank vor dem Anwesen gesessen und die nun abendlich angenehmen Temperaturen bei einer Pfeife genossen hatte, kommt auf uns zu.

„Seien Sie willkommen in meinem Haus, junge Dame!“ Zuvorkommend nimmt er mir den mittlerweile unerträglich schwer gewordenen Rucksack ab. Darauf, dass ich strenggenommen keine „junge“ Dame mehr bin, weise ich den Herrn nicht hin.

„Sie haben den beschwerlichsten Weg gewählt, um zu uns zu kommen, junges Fräulein. Seit Jahrzehnten ist dort niemand mehr entlanggegangen. Unsere Besucher kommen für gewöhnlich aus dieser Richtung.“ Er zeigt auf einen gepflasterten Weg vor dem Haus, der zu einer Klippe führt, welche mindestens 30 Meter steil in die Tiefe abfällt. Eine offenbar ins Gestein eingemeißelte Treppe windet sich bis zum Fuße der Klippe hinunter. Am unteren Treppenabsatz erkennen wir eine schmale Straße, welche Reisende in kurzer Zeit bis nach Waldeck in die eine und nach Nieder-Werbe in die andere Richtung bringen dürfte. Von der Straße aus scheint der Gasthof gar nicht sichtbar zu sein – und offenbar legt man darauf auch keinen Wert: ein Hinweisschild auf die Gaststätte ist unten an der Straße nicht zu sehen.

Auf der Klippe hat man einen atemberaubenden Blick über den gesamten Edersee: das Panorama ist überwältigend. Für einen Augenblick stehe ich wie verzaubert am Abgrund und bewundere den Ausblick.  Eine Bemerkung des älteren Herrn (ob es sich bei ihm wohl um Herrn von Hollow, an den wir das Geld überwiesen haben, handelt?) reisst mich aus meinen Träumereien.

„Mit dem Fahrrad – und auch ganz allgemein – ist die Treppe natürlich ein schwer zu überwindendes Hindernis. Übrigens gilt dies nicht nur für die Ankunft, sondern auch für die Abreise aus unserem Haus. Schon manche unserer Gäste sind bei der Abfahrt auf dieser Treppe zu Schaden gekommen. Sie sollten es bei Ihrer Abreise nicht zu eilig haben, junge Dame.“

Während ich mich noch frage, ob dies als freundlich gemeinte Warnung oder aber als Drohung aufzufassen sei, fährt der ältere Herr fort: „Bitte entschuldigen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Heinrich von Hollow. Das Anwesen „Zum alten Schloß“ ist seit Jahrhunderten im Besitz der Familie von Hollow. Ich bemühe mich, meinen Gästen das Leben auf Gut Hollow so angenehm wie möglich zu machen – so angenehm, dass sie am liebsten gar nicht mehr abreisen würden!“

Ich stelle mich ebenfalls vor und versichere unserem Gastgeber, dass der Aufenthalt mir bereits jetzt sehr gut gefalle. Dann frage ich Herrn von Hollow, ob mein Zimmer denn schon fertig sei? Ich sei nach der langen Reise recht müde und würde mich vor dem Abendessen gern umkleiden und auch ein wenig ausruhen.

„Wie unaufmerksam von mir! Aber natürlich, Ihr Zimmer wartet bereits auf Sie. Kommen Sie, hier entlang… Ihr Fahrrad stellen wir in den alten Pferdestall; ich würde Ihnen raten, es während des Aufenthaltes gar nicht mehr zu nutzen – die steile Treppe werden wir es kaum heruntertragen können, befürchte ich – Sie würden sich in Gefahr begeben, dabei verletzt zu werden oder auf der Treppe zu stürzen.“

Ich nicke. Insgeheim behalte ich mir jedoch vor, das Fahrrad mit Hilfe der Saurier gleich morgen früh doch über die Treppe auf die unten gelegene Straße zu bugsieren und dann an der Straße an einen Baum anzuschließen. So wären wir mobiler und am Seeufer nicht darauf angewiesen, gar noch ein Fahrrad mieten zu müssen.

Dies sage ich aber Herrn von Hollow nicht, da ich nicht will, dass er sich verpflichtet fühlt, mir dabei behilflich zu sein.

„Wollten Sie nicht zwei Haustiere mitbringen?“ fragt unser Gastgeber. „Uns sind selbstverständlich auch Ihre vierbeinigen Begleiter willkommen.“

„Sie sitzen im Fahrradkorb“ kläre ich Herrn von Hollow auf. Wie auf Kommando stecken die beiden Butler ihre Köpfe aus dem Korb – so brav wie selten guckend.

„Basilisken!“ ruft Herr von Hollow bewundernd aus. „Zwei Kinder der Dunkelheit – faszinierend!“

„Was meint der denn?“ flüstert Elie verzagt. „Keine Bange,“ meine ich. „Ich glaube, der gute Mann ist ein wenig überspannt – vielleicht wird man so, wenn man lang auf einem so abgelegenen Anwesen lebt?“

Herr von Hollow ist vorgegangen; er zeigt uns erst den Stall, den er  gewissenhaft verschließt, nachdem er mein Rad dort sicher untergebracht hat. Ich merke mir genau, an welchen Haken er den Schlüssel hängt, damit ich später nicht danach fragen muss.

Dann bringt Herr von Hollow uns in unser Zimmer – dies ist das sogenannte Turmzimmer, hoch über dem Anwesen und nur über eine winzige Wendeltreppe zu erreichen, die bis fast in den Himmel führt, wie uns beim Aufstieg erscheint.

Das Turmzimmer ist sehr ansprechend eingerichtet. Unter dem Fenster, in das die Äste der alten Buche, die im Schlosshof steht, fast hineinragen, steht ein gemütliches, altmodisches Kastenbett, an der Wand rechts neben dem Bett eine antike Kirschholzkommode. Links scheint eine kleine Tür zum Badezimmer zu führen. Ein hübscher Knüpfteppich taucht das Zimmer in angenehme Rottöne.

Mitten auf dem Bett liegt zusammengeringelt und wohlig schnurrend eine kleine, braungetigerte Katze.

Als ich die Hand ausstrecke, um die Katze zu streicheln, stößt Herr von Hollow einen unterdrückten Wutschrei aus. „Ist das verwünschte Untier doch wieder hereingekommen!“

Die Katze springt leichtfüssig auf die Fensterbank. Von dort aus ist sie mit einem Satz in der großen Buche. Als sie sich kurz zu uns umdreht, bevor sie im Geäst des Baumes verschwindet, blinzelt sie mir freundlich zu – dann ist sie nicht mehr zu sehen.

Ich drehe mich zu Herrn von Hollow um und versichere ihm, dass die Katze bei mir jederzeit willkommen sei. Auch meine beiden „Basilisken“ seien durchaus Katzenfreunde. Ich bäte ihn darum, die Katze nicht mehr zu verjagen.

Von Hollow geht darauf nicht ein. Plötzlich kurz angebunden teilt er uns mit, dass das Souper in einer dreiviertel Stunde unten auf uns warten würde. Alles weitere würde er uns dann erklären, so auch die „Kleiderordnung“ für das morgige Fest. Dann lässt er uns allein.

„Kleiderordnung?“ frage ich konsterniert. „Was soll denn das?“

Anatol druckst ein wenig herum, dann rückt er mit der Sprache heraus. „Auf der Webseite stand etwas von einem großen Kostümfest morgen Abend. Dafür solle man entsprechend gekleidet sein. Das Fest wird im Stil der Jahrhundertwende ausgestattet sein – man soll Mode der Jahre 1900 bis 1914 tragen. Ich habe Dein weisses Chiffonkleid und die Onyxkette eingepackt. Damit solltest Du gut angezogen sein, auch wenn es eigentlich eher den zwanziger Jahren zuzuordnen ist. Aber das ist sicher nicht so schlimm. Herren erscheinen im Ausgeh-Anzug der Epoche. Für Elie und mich habe ich daher je eine weisse Fliege vorgesehen.“

Ich bin sprachlos. Das Biest hat die Unterkunft am „Alten Schloß“ offenbar nur gebucht, weil es an einem historischen Kostümfest teilnehmen wollte – und uns deshalb über Stock und Stein durch den Wald gejagt. „Ferien am See“ sind anscheinend vollkommen nebensächlich für die Wahl des Orts gewesen!

Verschämt gibt Elie zu, dass er auch auf die Kostümparty wollte. Schließlich habe ich gesagt „Ihr dürft Euch die Ferien aussuchen, die Ihr wollt!“ – jetzt könne ich mich nicht beschweren.

Seufzend gebe ich den Sauriern Recht. Ich muss mir wohl das Kostümfest der Jahrhundertwende antun … nun, es gibt Schlimmeres.

Das Souper im sogenannten Rittersaal verläuft ohne Vorkommnisse – Herr von Hollow bedient uns mit Rücksicht auf die vorgerückte Stunde (es ist bald Mitternacht) höchstpersönlich. Die leichte Verstimmung wegen der Tigerkatze scheint vergessen. Stattdessen lobt Herr von Hollow die Ausflugsziele am See, die wir morgen aufsuchen wollen, in den höchsten Tönen. „Wenn Sie die Treppe zur Straße hinabsteigen und dann kurz links und gleich wieder geradeaus gehen, sind Sie nur 50 Meter vom Seeufer entfernt. Etwa 200 Meter weiter westlich gibt es einen Bootsverleih. Ich wünsche Ihnen morgen einen schönen Tag! Und vergessen Sie nicht unser Fest – es beginnt schon um 18 Uhr.“

Als wir die Treppe zum Turmzimmer müde erklimmen, ist es weit nach Mitternacht. In der alten Buche sitzt mit funkelnden Augen die Tigerkatze.

Bald fallen wir in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

… zur Fortsetzung!

135. Kapitel – Der Gasthof am Edersee II

Eine Reiseerzählung – Teil 2: Die Reise

Foto: Axel Hindemith / Lizenz: Creative Commons CC-by-sa-3.0 de

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Der Kellner des Restaurants „Seeblick“ scheint nicht gut auf Agamenmixe zu sprechen zu sein. Er lässt sich, nachdem ich meine Bestellung aufgegeben habe, nicht mehr sehen. Stattdessen kommt eine Dame mittleren Alters, offenbar die Chefin des Restaurants, und serviert mir die begehrten Bratkartoffeln und den Salat.

Betont unbeteiligt fragt sie mich, während sie mir das Besteck hinlegt, wo denn mein Feriendomizil liege? Ob ich nicht vielleicht erwägen möchte, hier im „Seeblick“ – welches auch über schöne Gästezimmer verfüge – zu bleiben? Ganz unerwartet sei morgens nämlich noch ein Zimmer freigeworden.

Ich danke der Dame für den freundlichen Vorschlag, erkläre ihr aber, dass unsere Unterkunft bereits gebucht und bezahlt sei, und zwar im „Alten Schloss“, wohin ich mich im Übrigen gleich nach dem Mittagessen zu begeben gedächte. Ob die Zimmer dort schon Nachmittags für die ankommenden Gäste zur Verfügung stünden?

Mein Domizil scheint keine Gnade vor den Augen der Restaurantchefin zu finden. „Hat er doch wieder angefangen!“ murmelt sie für sich – sichtlich verstimmt. Mir wirft sie nur ein knappes „Familiengeschichten – Sie verstehen!“ zu und geht. Als ich an der Theke zahle – weder Kellner noch Chefin scheinen mehr an meinen Tisch kommen zu wollen – flüstert mir die Bedienung zu: „Ich würde nicht zum alten Schloß gehen! Wenn Sie möchten, halte ich Ihnen das Zimmer bei uns frei. Bitte überdenken Sie Ihre Entscheidung!“

Freundlich dankend lehne ich ab. Die Konkurrenz unter den Gasthöfen scheint groß zu sein, wenn derart um Gäste gekämpft wird! Kopfschüttelnd besteige ich das Rad und fahre los, die alte Wanderkarte aus den 70er Jahren über den Lenker ausgebreitet. Den Weg hatte uns niemand erklären wollen – ich hatte allerdings auch darauf verzichtet, die Frage noch einmal ausdrücklich zu stellen.

Die Karte verzeichnet – auch nach 40 Jahren noch zuverlässig! – den „Sechs Buchen“ genannten bewaldeten Gipfel, in dessen Nähe angeblich unser Gasthof liegen soll. Ein „Altes Schloss“ suchen wir indessen vergeblich auf dem vergilbten Papier.
Anatol kratzt sich am Kopf. „Die genaue Adresse des Gasthofs lautet: ‚Am Katzenstein unter den sechs Buchen, bei Schloß Waldeck‘. Das muss doch auf der Karte irgendwie einzugrenzen sein!“

Das Gegenteil ist der Fall. Ich zeige Anatol die Karte – die sogenannte „genaue Adresse“ bezeichnet ein ausgedehntes Areal, welches unter anderem das Naturschutzgebiet „Katzenstein“ einschließt. Dieses beschreibt uns Elie nach einem Blick in sein Tablet, das tatsächlich hier Internetanschluss hat, folgendermaßen: „Der Katzenstein gehört zu den floristisch reichsten Waldnaturschutzgebieten in Hessen. Er liegt nördlich des Edersees ca. einen Kilometer westlich von Waldeck. Es handelt sich um einen lang gestreckten Bergrücken mit einer breit abgeflachten Kuppe, der nahezu vollständig bewaldet ist.

Ich beginne zu bereuen, das Zimmer im „Seeblick“ nicht angenommen zu haben. Wie sollen wir unseren Gasthof auf dem „langgestreckten Bergrücken“ finden? Eine Telefonnummer hatte Anatol bei der Reservierung nicht bekommen, ebensowenig eine Emailadresse. Fast glaube ich, einem schlechten Scherz aufgesessen zu sein – wogegen allerdings spricht, dass der Gasthof im „Seeblick“ offenbar bekannt und als Konkurrenz gefürchtet ist.

Verdrossen und müde trete ich in die Pedale. Der vor uns liegende Waldweg führt direkt über den Katzenstein. Ich verkünde mit Nachdruck, dass es nun genau zwei Möglichkeiten gäbe: entweder der Gasthof „Zum alten Schloß“ liegt an unserem Waldweg im Katzenstein und wir fänden ihn daher in Kürze – oder aber es geht umgehend zum „Seeblick“ zurück, wo wir das uns angebotene Zimmer nehmen würden. Das bereits überwiesene Geld für den Gasthof „Zum alten Schloß“ werde in letzterem Fall vom Taschengeld der Saurier abgezogen.

Protestgeschrei ertönt! Ich bleibe indessen hart. Seit über 10 Stunden bin ich auf den Beinen, ein Gasthof ist nicht in Sicht – meine Geduld neigt sich dem Ende zu.

„Achtung! Halt!“ ruft Elie plötzlich. „Da ist ein kleiner Holzpfeil am Baum. Mit einer Inschrift!“ In der Tat steckt – mit einem rostigen Nagel angeheftet – an einer alten, etwas abseits vom Weg stehenden Buche ein verwittertes Schildchen in Form eines Pfeils. „Zum alten Schloß“ steht dort, mit einem Messer eingeschnitzt.

Der Pfeil zeigt direkt in den Wald hinein.

…zur Fortsetzung!

134. Kapitel – Der Gasthof am Edersee I

Eine Reiseerzählung – Teil 1: Die Abfahrt

Edersee_Panorama_Waldeck

Photo Axel Hindemith

Anatol hat meinen Vorschlag, einen Wochenendausflug zu unternehmen, nicht vergessen. Mit Feuereifer sind er und Elie dabei, im Internet ein Reiseziel auszuwählen. Ich habe den beiden Sauriern dafür freie Hand gelassen. Sie sollen sowohl unseren Aufenthaltsort als auch die Unterkunft aussuchen – so kann ich sicher sein, dass später keine Beschwerden auf mich niederprasseln werden.

Bald ist unser Feriendomizil gefunden – ein verwunschener kleiner Gasthof am Edersee, an den ich nach langen Jahren zurückkehren möchte. Mit meinen Eltern und meiner Schwester sowie Hund Trolli (damals nicht einmal ein Jahr alt) war ich 1974 schon einmal am Edersee gewesen. Einen ganzen Nachmittag lang waren wir in einer winzigen Jolle über den See gerudert, waren geschwommen und hatten den Hund Stöckchen aus dem Wasser apportieren lassen.

Verträumt und etwas melancholisch entsinne ich mich der lang vergangenen Momente. Ich freue mich, den Ort der schönen Kindheitserinnerung bald wiederzusehen.

Anatol klappt das Laptop zu. „Ich habe eben die Reservierung aufgegeben. Unser Gasthof heisst „Zum alten Schloß“ und hatte noch einige Zimmer frei – mit Vollpension! So müssen wir uns um nichts kümmern und vor allem nicht kochen. Der Preis ist durchaus annehmbar – 20 Euro pro Nacht für eine Person. Ich habe nur für eine Person reserviert. ‚Tiere’ ….“ – hier räuspert Anatol sich – „…sogenannte ‚Tiere‘ sind im Übrigen ausdrücklich zugelassen.“

Ich ziehe die Augenbrauen hoch und frage misstrauisch: „20 Euro pro Nacht mit Vollpension? Das kann doch nur eine üble Absteige sein, Anatol!“

Anatol verteidigt seine Wahl mit dem Hinweis darauf, dass alle anderen Pensionen ausgebucht seien. Ein Doppelzimmer mit Vollpension koste ansonsten in der Ederseeregion um die 40 Euro pro Nacht – wenn es verkehrsmäßig gut angebunden sei.

Der Gasthof „Zum alten Schloß“ sei jedoch mit dem Auto gar nicht zu erreichen. So erkläre sich der günstige Preis. Von Waldeck aus müsse man mit dem Fahrrad über Feld- und Waldwege in Richtung „Katzenstein – Sechs Buchen“ fahren; an einem der Waldwege fände sich der Gasthof – nicht weit vom See entfernt.

Elie hüpft aufgeregt hin und her. „Das klingt nach einem richtigen Abenteuer!“

Ich bin skeptisch. „Anatol, wie kommen wir da hin? Mit dem Fahrrad werden wir es wohl kaum bis zum Edersee schaffen…! Ich möchte nun auch die Webseite des Gasthofs sehen, auf der Du die Vollpension gebucht hast.“

Stolz erklärt Anatol, unsere Reise würde uns mit einer speziellen Buslinie, die auch das Fahrrad mitnähme, bis nach Giflitz führen. Von dort aus müssten wir allerdings mit dem Fahrrad bis nach Waldeck und dann zu unserem Gasthof fahren. Dies seien aber nur knapp12 km.

Seufzend willige ich ein. Zu diesem Zeitpunkt weiss ich noch nicht, dass unsere Busreise um 6 Uhr 30 beginnen und ganze 8 Stunden dauern wird, während derer wir fünf mal werden umsteigen dürfen.

Verwundert durchsucht Anatol den Cache des Laptops. „Ich verstehe das nicht … ich finde die Webseite, auf der ich eben gebucht habe, nicht mehr … aber die Adresse habe ich notiert. Gasthof „Zum alten Schloß“, am Katzenstein unter den sechs Buchen, bei Schloß Waldeck, Hessen. Überwiesen habe ich das Geld ja auch schon.“

Die Überweisung in Höhe von 60 Euro – drei Übernachtungen – geht an die „Dark Eder GmbH, Geschäftsführer Heinrich v. Hollow“. Zumindest ein Konto scheint also zu existieren.

Unser Rucksack ist schnell gepackt. Im letzten Moment fällt mir ein, dass ich noch eine alte Landkarte der Gegend um den Edersee besitze. Diese packe ich in die kleine vordere Tasche meines Rucksacks. Abschätzig sieht Anatol auf die Karte. „Die ist doch total veraltet!“ meint er verächtlich.

Ich schüttle den Kopf. „Die Waldwege werden wohl dort eingezeichnet sein. So etwas ändert sich nicht.“

IMG_3947Am nächsten Morgen verlassen wir um halb sechs Uhr das Haus – den Rucksack auf dem Gepäckträger, die Saurier verschlafen, aber aufgeregt vorn im Fahrradkorb.  Unsere Reise beginnt.

Die Katzen bleiben für die kommenden Tage in der Obhut einer Freundin.

Unsere Busfahrt führt uns bei schönstem Sommerwetter über Offenburg, Karlsruhe, Mannheim, Frankfurt und Marburg bis nach Giflitz. Als wir den Bus in Giflitz – nach fünfmaligem Umsteigen – mit unserem Fahrrad verlassen und weitere 12 km über Waldwege bis zum Gasthof vor uns haben, verfluche ich Anatol, der die Reise geplant hat. Mein Rücken schmerzt, die Beine sind von der langen Fahrt eingeschlafen. Schimpfend setze ich mich aufs Rad. Die beiden Butler schlummern derweil friedlich im Fahrradkorb.

IMG_3948Von Giflitz aus nehme ich die Wildunger Straße und folge dann den Schildern, die mich nach Waldeck führen. Eine Dreiviertelstunde später treffe ich entkräftet dort ein, und beschließe, einzukehren – auch wenn es bis zu unserem Gasthof nun nicht mehr weit ist. Das Gasthaus „Seeblick“ lädt mit seiner beschatteten Terrasse und dem Ausblick über den See noch jetzt am frühen Nachmittag zu einem „gutbürgerlichen Mittagessen“. Glücklich setze ich mich an einen  der Tische.

Nun erwachen die Saurier. Nichtsahnend streckt Elie den Kopf aus dem Korb, gerade als der freundliche Kellner mich fragt, was ich bestellen möchte. Schockiert ob des unerwarteten Anblicks stößt der Kellner einen spitzen Schrei aus – und fragt dann mit zitternder Stimme, was das denn für eine Echse sei? Elie ist indessen erschrocken im Korb untergetaucht.

Etwas entnervt kläre ich den unseligen Servierer auf – die „Echse“ sei eine Kreuzung zwischen einer südamerikanischen Agame und einem Hapalops. Es handele sich dabei um ein kleines, pelziges und völlig harmloses Tier, dem man ähnlich einem Papageien sogar einige Worte beibringen könne. Ich besäße gleich zwei dieser niedlichen Geschöpfe – diese hielten gerade im Korb ihren Mittagsschlaf und gehorchten aufs Wort. Diese Version über Anatols und Elie „Abstammung“ hatten wir uns nach längerer Beratung während der Busfahrt zurechtgelegt.

Dem Kellner steht der Mund offen. Ungläubig sieht er mich an. „Und diese Tiere bleiben  ganz bestimmt in dem Korb…? Sind die denn gar nicht angeleint?“ fragt er unsicher. Ich bejahe dies und werfe einen drohenden Blick in Richtung Korb. „Beissen die nicht…?“

Ich schwindle etwas, als ich dem Kellner versichere, dass die Agamenkreuzung ausschließlich Salatblätter zu sich nehme und noch nie gebissen habe.

Um den braven Servierer auf andere Gedanken zu bringen, bestelle ich flugs Bratkartoffeln mit Salat und frage ihn dann nach dem Weg zum Gasthof „Zum alten Schloß“, da ich dort ein Zimmer reserviert habe.

Eilig verspricht der Servierer, die Bratkartoffeln sofort zu bringen – auf meine Frage nach dem Weg zum „Alten Schloß“ geht er indessen nicht ein. Ich nehme mir vor, ihn später darauf anzusprechen. Vom Restaurant „Seeblick“ gehen verschiedene Wege in unterschiedlichste Richtungen ab – und ich möchte mich nicht verfahren.

…zur Fortsetzung

133. Kapitel – Ein Ausflug nach Kehl

Mittagessen bei Dreher

Anatol ist langweilig. Seit heute früh quengelt er vor sich hin. „Was unternehmen wir heute?“ fragt er gerade zum fünften Mal.

„Siehst Du!“ triumphiert Elie. „So ist das, wenn man nichts geplant hat! Über kurz oder lang wird es öde! Wie gut, dass ich nachher mit Anna einen Ausflug mache.“ Neidisch schielt Anatol auf den gepackten Rucksack, den Elie schon an die Tür gestellt hat. Dann weint er los. „Und was machen wir jetzt? Du hast was von ‚großer Freiheit‘ erzählt – aber jetzt ist es einfach nur langweilig!“

Ein untauglicher Versuch, Anatol zu erklären, dass „Freiheit“ eben auch heißt, dass man nicht immer beschäftigt ist, endet im Verzweiflungsgeheul Anatols. Auch der Hinweis darauf, dass der Keller noch darauf wartet, ausgeräumt zu werden, kann ihn nicht beruhigen.

Ich entschließe mich zum Äußersten. „Dann fahren wir heute nach Kehl zu Dreher. Dabei können wir nach der Tastatur für das Tablet gucken und bei dm ein paar Sachen kaufen. Mittags essen wir bei Dreher Salat und Pflaumenkuchen.“

Auch wenn dieser Plan laut Anatol „nicht der Hit“ ist, vermag er zumindest dem lauten Geheul des Sauriers Einhalt zu bieten. Um 10 Uhr 30 begeben wir uns daher auf die Reise nach Kehl – fröhlich pfeifend auf dem Fahrrad, bei gerade noch erträglichen 26°C.

Um 11 Uhr sind wir – ob der Hitze in Auflösung begriffen – beim Computerladen in Kehl. Der freundliche Verkäufer erklärt uns, dass die von uns begehrte Tastatur für unser Tablet in weiß – wenn sie denn überhaupt noch existiert – bestellt werden müsste. Um letzteres bitten wir. Der Verkäufer verspricht, alles in seiner Macht stehende zu tun, um die Tastatur zu beschaffen – versprechen könne er aber nichts. Derlei „Zubehör“ veralte schnell und könne dann kaum noch aufgetrieben werden. Dies wundert mich, scheint die Tastatur doch ein regelrechter Standardartikel zu sein. Jedoch war uns bereits in Strasbourg im Apple Store gesagt worden, dass die deutsche Tastatur, die wir benötigen, nicht bestellbar sei.

Beklommen verlassen wir das Ladenlokal. Es wäre ärgerlich, wenn es die Tastatur nicht mehr gäbe. Der Verkäufer verspricht uns, gleich anzurufen, sobald er das ersehnte Gerät fände.

IMG_0072Es ist zwar erst 11 Uhr 30, die Hitze ist aber schon jetzt geradezu unerträglich geworden. Wir entschließen uns, gleich bei Dreher, unserem liebsten Ausflugsziel, einzukehren und dort die schlimmste Mittagshitze abzuwarten. Der Saurier will sofort eine Cola – das kann ich ihm einfach nicht abgewöhnen. Dazu gibt es einen leckeren Salat.

Verstohlen nippt der Butler an seiner Cola. Er möchte lieber nicht gesehen werden und versteckt sich daher im Rucksack. Von dort aus beobachtet er das Lokal. Sofort hat er mit seinen scharfen Stegosaurieraugen den Pflaumenkuchen erspäht. „Du, hier gibt es den tollen Kuchen! Den will ich als Nachtisch!“ kräht er aus dem Rucksack heraus.

Die liebenswürdige Bedienung dreht sich um und sieht mich verwundert an. „Ich bring Ihnen den Kuchen gleich – Sie brauchen nicht zu schreien…“ Ich laufe dunkelrot an, murmele eine Entschuldigung und versetze dem Rucksack einen etwas festeren Schlag. „Au!“ schreit es aus dem Rucksack. Ich sehe, wie die beiden Serviererinnen miteinander tuschelnd zu mir herüberschielen. Ostentativ hole ich mein Handy hervor, schwenke es und erkläre mit fester Stimme, so dass es auch die Kellnerinnen hören „Da muss mir schon wieder jemand den Klingelton verstellt haben!“

Dann zische ich wütend in den Rucksack: „Noch einmal so ein Aufstand, und es gibt keinen Pflaumenkuchen!“ Bockig und mit verdicktem Kopf (ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Saurier schmollt) sitzt Anatol im Rucksack. Als der Pflaumenkuchen serviert wird, lehnt er ihn ab. „Ich bin Dir ja sowieso egal“ erklärt er mit erstickter Stimme. „Dann will ich auch keinen Kuchen.“

Das hatte gerade noch gefehlt. Ein heulender Anatol im Rucksack, dazu der schöne, eben servierte Pflaumenkuchen – und keine Möglichkeit, diskret das Lokal zu verlassen. Mein Zuspruch, dass ich nichts dafür könne, wenn Tiere jeglicher Art in Bäckereien und Restaurants keinen Zutritt hätten und dass nicht ich es sei, die den Saurier zur Rucksackhaft verpflichtete, hat einen Schwall von Vorwürfen zur Folge.

„Dann denk Dir irgendwas aus, damit ich hier rauskann! Ich will nicht weiter eingesperrt sein. Das schlägt aufs Gemüt!“ – „Da gibt es nichts auszudenken, Anatol. In eine Bäckerei darf man keine Haustiere mitbringen, weder Hunde noch Katzen noch Dinosaurier. So ist das nun mal. Manche Menschen haben vor Tieren Angst oder ekeln sich sogar davor. Daran kann ich nichts ändern, so leid es mir tut.“

IMG_3936„Ja, und ich ekele mich vor manchen Menschen! Trotzdem dürfen sie in die Bäckerei. Das ist ungerecht!“ Schmatzend macht sich der Saurier jetzt glücklicherweise daran, den Pflaumenkuchen zu vertilgen – von neugierigen Blicken abgeschirmt durch unseren Fahrradkorb.

Ich sehe ein, dass die Ferien für Anatol nun doch langweilig werden, und dass die uns bevorstehenden zwei Wochen zur Hölle werden könnten, wenn ich den Butler nicht beschäftige.

Entgeistert höre ich mich sagen „Vielleicht sollten wir einen Ausflug übers Wochenende machen… was meinst Du, Anatol?“

Anatol ist so perplex, dass er mich nur mit großen Augen und offenstehendem Mund anstarrt. Dann klatscht er seine Kuchengabel in die Schlagsahne auf dem Pflaumenkuchen, dass es nur so spritzt, und schreit: „TOLL!“

Über das, was dann folgt, breiten wir den Schleier der Barmherzigkeit.

Bei Dreher können wir uns so bald nicht wieder blicken lassen.

132. Kapitel – Im Reich der schönen Melusine

Die großen Ferien haben begonnen. Einen ganzen Monat lang werden die Saurier und ich tun und lassen können, was wir nur wollen – ein wundervolles Gefühl.

Elie ist nicht dieser Meinung. „Wir haben überhaupt nichts geplant! Weder eine Reise noch irgendetwas anderes Interessantes. Die ganzen Ferien sind leere vier Wochen! Ich finde das so langweilig…“

Anatol und ich hingegen empfinden es als herrlich, nichts – oder fast nichts – vorzuhaben. Jeden Morgen entscheiden zu können, was man tun will (oder auch nicht), ist für uns der Inbegriff von Freiheit.

Dabei sind gewisse Dinge für diese Ferien aber doch bereits fest vorgesehen – darunter die alljährliche, langersehnte Radtour mit unserer Freundin T.

Dies kann indessen Elie gar nicht begeistern. „Bei über 30°C unter der gleißenden Sonne Hunderte von Höhenmetern im Schwarzwald hochzukriechen (denn Ihr tut ja eh nichts anderes als das Rad den Berg hochzuschieben, bei der Hitze!)  – nein, da mache ich nicht mit. Lawrence of Arabia im Glutofen der Sonne ist nichts dagegen! Ich geh rüber zu Anna, ihre Eltern haben das Planschbecken aufgepustet. Da hab ich’s schön!“

Anatol sieht mich zweifelnd an. Elie hat in der Tat nicht ganz Unrecht. Für den morgigen Tag, an dem die Radtour stattfinden soll, sind über 30°C angekündigt – und kein einziges Wölkchen am Himmel. Mit dem im Sommer recht unpraktischen Hauttypen I, der mir nach spätestens 5 Minuten in der Sonne schlimmsten Sonnenbrand verheisst, bin ich für eine Radtour bei diesen Wetterbedingungen, gelinde gesagt, nicht ideal ausgestattet.

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Elie leiht mir seine Sonnencreme. Anna hat ja noch eine!

Elie hat die rettende Idee. „Gestern war ich mit Anna im dm drüben in Kehl. Wir haben ganz viel Sonnencreme gekauft, weil wir am Pool – na ja, am Planschbecken – liegen wollen. Hier, ich leihe Dir meine Creme aus. Sie hat Lichtschutzfaktor 50; mehr haben wir nicht bekommen. Damit solltest Du ausreichend geschützt sein. Und da ich dann keine Sonnencreme habe, wird mir Anna sicher etwas von ihrer abgeben …“

Dass Elie dabei darauf spekuliert, vielleicht sogar von Anna mit deren Sonnencreme den Rücken eingecremt zu bekommen, verschweigt der Bursche geflissentlich – wir wissen es aber und kichern.

Während Elie von seinem Tag mit Anna „am Pool“ träumt, bereiten Anatol und ich unsere Tour vor. Das Fahrrad wird in unserer geliebten Fahrradwerkstatt einer Inspektion unterzogen: die Bremsbeläge werden erneuert, die Gangschaltung eingestellt und das Rücklicht repariert. Das Rad bekommt einen neuen Sattel, auf dem man auch nach 12 Stunden Fahrt noch gerne sitzen mag. Dann noch schnell die Reifen auf den perfekten Druck gebracht – und wir sind abfahrbereit.

In den Fahrradkorb kommen noch eine leichte Jacke, die Wasserflasche (die sich auf der Fahrt jedoch als viel zu klein herausstellen wird) und der Universalschlüssel – falls doch mal eine Schraube locker sein sollte … und dann geht es früh ins Bett, um am nächsten Morgen gut ausgeruht zu sein.

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Bei der Abfahrt in Kehl

Am 5. August um 8 Uhr 30 verlassen wir das Haus bei bedecktem Himmel und sehr angenehmen 18°C in Richtung Kehl, Bahnhof. Dort treffen wir um kurz vor 9 ein und begeben uns als erstes in die Apotheke, da sich beim Treten in die Pedale ein stechender Schmerz im Schienbein bemerkbar gemacht hat. Die besorgte Apothekerin gibt mir auf, während der heutigen Tour sehr viel zu trinken und mehrfach Magnesium zu nehmen. Für das Schienbein empfiehlt sie eine schmerzstillende Creme, die ich sofort auftrage.

Um 9 Uhr 34 sitzen wir im Zug nach Appenweier, wo wir nach kurzer Fahrt ankommen.

Unser lang erwartetes Treffen mit unserer Freundin T. wird gebührend gefeiert: mit Kaffee, Tee und Laugencroissant in einem Café in Appenweier. Schließlich müssen wir uns für die vor uns liegende Fahrt rüsten.

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Stärkung in Appenweier

Wie man auf dem Bild sieht, hat Anatol bereits ordentlich von dem Laugencroissant abgebissen!

Um 11 Uhr begeben wir uns gestärkt und bei strahlendem Sonnenschein auf die von T. wie immer perfekt geplante Melusinen-Tour. Diese soll uns von Appenweier zunächst über Nesselried und Ebersweier nach Schloss Staufenberg führen, welches auf einer Anhöhe von 320m liegt und dessen gefürchteten Anstieg wir vor der schlimmsten Mittagshitze unternehmen wollen, um dann die Mittagszeit in der Kühle der schattigen Schloßterrasse zu verplaudern.

Schnell sind die die Melusinentour anzeigenden Schilder gefunden, und wir radeln frohgemut los durch die Weinberge und Obstplantagen. Noch liegt eine morgendliche Frische in der Luft, aber die Sonne steigt schnell. Bald schon brennt die Gluthitze auf uns herunter – eine dicke Schicht von Elies Sonnencreme schützt mich glücklicherweise, ebenso wie mein Sonnenhut. Schatten bietet unser Weg zunächst gar nicht. Wir sind dem Glutofen gnadenlos ausgeliefert.

Bei Zusenhofen fällt uns auf, dass wir in die falsche Richtung geleitet worden sind – nämlich in Richtung Oberkirch – dass wir also Schloss Staufenberg erst am nachmittag erreichen werden, und den Anstieg daher in der größten Hitze werden bewältigen müssen.

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Am Gasthof „Zur Sonne“ in Oberkirch

Anatol ächzt. „Schaffen wir das überhaupt? Unsere Wasservorräte sind jetzt schon aufgebraucht…“ Unschlüssig sehe ich T. an. Diese ist jedoch sicher, dass wir ohne Schwierigkeiten bis Oberkirch kommen werden, dort einkehren könnten – hier hüpft Anatol vor Freude fast aus seinem Fahrradkorb, liebt er doch das Einkehren über alles – um am frühen Nachmittag gestärkt den Aufstieg zum Schloss in Angriff zu nehmen.

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Hier wäre der Saurier fast baden gegangen!

Eine Stunde später sind wir in Oberkirch, wo wir nach einem kurzen Besuch der Innenstadt, einem in letzter Minute verhinderten Bad des Sauriers im Stadbrunnen und einer Konsultation der ansässigen Touristenberatung im Gasthof „Zur Sonne“ einkehren. Hier werden wir mit Bratkartoffeln bewirtet, dazu gibt es sehr ausgiebig Cola.

Zum Nachtisch erbettelt der Saurier ein mit Espresso übergossenes Vanilleeis – dieses stellt sich später als eine sehr gute Wahl heraus, da es dem Butler einen regelrechten Energieschub verschafft: auf dem folgenden Photo ist das Untier mir schon wieder fast entwichen, um sich ob der großen Hitze in den hinter dem blumenverhängten gusseisernen Geländer befindlichen Bach zu werfen.

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Hier wollte Anatol stiften gehen – ich konnte ihn gerade noch packen.

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Der Bach mit seinen bizarren Figuren hat es Anatol angetan.

Wie man auf dem Photo sieht, kann ich den Saurier gerade noch packen, bevor er – juppheidi – über alle Berge ist. Nachdem ich den Spitzbuben in den sicheren Rucksack gestopft habe, geht die Reise weiter. Heraus darf das Biest erst, als kein Wasser mehr in Sicht ist. Dieses scheint den Saurier geradezu magisch anzuziehen.

Nach dem Mittagessen reiben wir uns erneut dick mit der Sonnencreme ein. Bisher sind keine Rötungen zu verzeichnen, die Hitze wird indessen immer unerträglicher. Die Strecke führt kilometerweit über freies Feld – Schatten suchen wir hier vergeblich.

Bei Bottenau entscheiden wir, den Weg durch die Weinberge und später durch den Wald zu nehmen. Dies bedeutet zwar zunächst einen steileren Aufstieg über Feld- und Waldwege – danach aber eine weitere Fahrt im Schatten. Diese Wahl erscheint uns allen einhellig als die bessere, denn unter der brennenden Sonne werden Temperaturen um 50°C erreicht.

Unser Weg führt uns hier in den rettenden, schattigen Wald, wo wir – erschöpft und überhitzt – eine Rast einlegen:

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Aufstieg in den Weinbergen!

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Der Blick über die Weinberge ist wunderschön.

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Anatol schafft den steilen Anstieg nur mit Mühe.

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Der Wasservorrat ist aufgebraucht.

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Erschöpft sitzen Anatol und ich neben unserem Fahrrad.

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Dennoch sind wir guten Muts, auch den Rest der Tour problemlos zu schaffen!

Unsere Wasservorräte sind nun zuende. Wir müssen sie, so bald es geht, wieder auffüllen. Um schnell zur nächsten Wasserstelle zu kommen, satteln wir die Fahrräder und nehmen unsere Route wieder auf, zunächst auf einem asphaltierten Weg durch den Wald, dann einen steilen Feldweg hinauf zum Gipfelkreuz.

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Anatol lenkt das Rad

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Auf der Suche nach dem Schatz der Sierra Madre

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Wieder Rast in den Weinbergen

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Das Gipfelkreuz

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Man sieht, wie steil es hier bergab geht.

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Von der Anstrengung etwas errötet

Nachdem wir das Gipfelkreuz erreicht und hinter uns gelassen haben, geht es bergab. Wir genießen die Fahrtluft und lassen uns erschöpft ins Tal rollen. Nicht ganz in der Talsohle angekommen treffen wir auf zwei Wanderer, die wir nach dem Weg zum Schloss Staufenberg fragen.

„Da geht es sehr steil hinan!“ warnt uns die Wandersfrau. Der Wandersmann bestätigt dies. „Sie werden schieben müssen.“ „Aber es lohnt sich!“ ruft uns die Wandersfrau nach, während wir winkend weiterfahren, dem Tal entgegen.

Die nächste Steigung wartet hinter der Kurve auf uns. Sie führt in den tiefen Wald hinein,  und ist so steil, dass das Fahrrad auf dem Schotter des Waldwegs wieder nach unten rutscht, wenn man es nicht sehr festhält.

Anatol zetert aus dem Rucksack heraus, der Aufstieg zum Schloss sei eine reine „Phantasterei“ und unmöglich zu schaffen. Man habe es ja gehört, was die Wandersleute gesagt hätten! Es sei zu steil, zu schwer, dazu noch ohne Wasser … dann gehen dem Saurier die Worte aus – ihm ist einfach zu heiss. Ich stopfe ihn ohne Vorwarnung in den Fahrradkorb, wo er zumindest etwas mehr frische Luft abbekommt als im Rucksack.

Plötzlich fängt das Tier doch wieder an, Spektakel zu machen. „Anhalten! Stop! Halt!“ krakeelt es. „Da ist ein Teufel auf dem Stein!! Und da steht etwas dabei! Das will ich lesen!“

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Die Sage vom Teufelsstein

Tatsächlich entdecken wir eine Steintafel, die uns über den sogenannten Teufelsstein aufklärt.

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Anatol auf dem Teufelsstein

Anatol will selbstverständlich sowohl auf dem Sagenstein als auch auf dem „echten“ Teufelsstein abgebildet werden. Denn Anatol behauptet, dass der Held der Geschichte gar nicht St Wendelin, sondern in Wirklichkeit St Anatol sei, der dem Teufel damals den Stein in Butter verwandelt habe, so dass er damit kein Unheil habe anrichten können.

Auf meine Bitte, dass St Anatol doch jetzt gleich unsere leere Wasserflasche in eine volle verwandeln möge, antwortet Anatol mit einem verächtlichen Schnauben. Die Wasserflasche bleibt indessen leer.

Die letzten Meter bis zur Terrasse von Schloss Staufenberg sind fast unüberwindbar steil.

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Die Schlossterrasse

Aber wir schaffen es – zitternd vor Anstrengung lassen wir uns auf die Klappstühle des Schlossrestaurants fallen. Dann lassen wir uns mit Apfelschorle und Eis bewirten.

Der freundliche Kellner sieht unsere geröteten Gesichter und empfiehlt uns, eine lange Pause einzulegen und sehr viel Flüssigkeit zu uns zu nehmen. Bei der großen Sommerhitze habe er den Notarzt leider fast täglich im Einsatz unter den radfahrenden Gästen – und nicht jeder Einsatz gehe positiv aus.IMG_3921

Wir schlucken. Als der Kellner weg ist, beginnt Anatol, Zeter und Mordio zu schreien! Wie wir überhaupt so eine gefährliche Reise hätten unternehmen können – und was, wenn nun der Notarzt nicht schnell genug ankäme?

IMG_3917Ich stopfe dem unmöglichen Biest mit Erdbeereis das Maul, so sitzt es schmatzend auf dem Tisch und hat den Notarzt schnell vergessen.

Danach studieren wir die Geschichte des Schlosses und genießen den leichten Wind, der hier oben geht.

IMG_3919 Am späteren Nachmittag treten wir den Rückweg an.

Dieser führt uns steil abwärts durch die Weinberge. Mehr als einmal sage ich mir, wie gut es war, die Bremsbeläge zu erneuern. Die alten waren fast bei der metallenen Einfassung angelangt …

IMG_3916So kommen wir gegen 18 Uhr in Offenburg an, wo leider unsere Radtour schon zuende ist. Wie jedes mal ist der Tag viel zu schnell vergangen.

Der August und unsere Ferien sind aber noch lang.

Vielleicht schaffen wir ja noch eine Radtour dieses Jahr?