132. Kapitel – Im Reich der schönen Melusine

Die großen Ferien haben begonnen. Einen ganzen Monat lang werden die Saurier und ich tun und lassen können, was wir nur wollen – ein wundervolles Gefühl.

Elie ist nicht dieser Meinung. „Wir haben überhaupt nichts geplant! Weder eine Reise noch irgendetwas anderes Interessantes. Die ganzen Ferien sind leere vier Wochen! Ich finde das so langweilig…“

Anatol und ich hingegen empfinden es als herrlich, nichts – oder fast nichts – vorzuhaben. Jeden Morgen entscheiden zu können, was man tun will (oder auch nicht), ist für uns der Inbegriff von Freiheit.

Dabei sind gewisse Dinge für diese Ferien aber doch bereits fest vorgesehen – darunter die alljährliche, langersehnte Radtour mit unserer Freundin T.

Dies kann indessen Elie gar nicht begeistern. „Bei über 30°C unter der gleißenden Sonne Hunderte von Höhenmetern im Schwarzwald hochzukriechen (denn Ihr tut ja eh nichts anderes als das Rad den Berg hochzuschieben, bei der Hitze!)  – nein, da mache ich nicht mit. Lawrence of Arabia im Glutofen der Sonne ist nichts dagegen! Ich geh rüber zu Anna, ihre Eltern haben das Planschbecken aufgepustet. Da hab ich’s schön!“

Anatol sieht mich zweifelnd an. Elie hat in der Tat nicht ganz Unrecht. Für den morgigen Tag, an dem die Radtour stattfinden soll, sind über 30°C angekündigt – und kein einziges Wölkchen am Himmel. Mit dem im Sommer recht unpraktischen Hauttypen I, der mir nach spätestens 5 Minuten in der Sonne schlimmsten Sonnenbrand verheisst, bin ich für eine Radtour bei diesen Wetterbedingungen, gelinde gesagt, nicht ideal ausgestattet.

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Elie leiht mir seine Sonnencreme. Anna hat ja noch eine!

Elie hat die rettende Idee. „Gestern war ich mit Anna im dm drüben in Kehl. Wir haben ganz viel Sonnencreme gekauft, weil wir am Pool – na ja, am Planschbecken – liegen wollen. Hier, ich leihe Dir meine Creme aus. Sie hat Lichtschutzfaktor 50; mehr haben wir nicht bekommen. Damit solltest Du ausreichend geschützt sein. Und da ich dann keine Sonnencreme habe, wird mir Anna sicher etwas von ihrer abgeben …“

Dass Elie dabei darauf spekuliert, vielleicht sogar von Anna mit deren Sonnencreme den Rücken eingecremt zu bekommen, verschweigt der Bursche geflissentlich – wir wissen es aber und kichern.

Während Elie von seinem Tag mit Anna „am Pool“ träumt, bereiten Anatol und ich unsere Tour vor. Das Fahrrad wird in unserer geliebten Fahrradwerkstatt einer Inspektion unterzogen: die Bremsbeläge werden erneuert, die Gangschaltung eingestellt und das Rücklicht repariert. Das Rad bekommt einen neuen Sattel, auf dem man auch nach 12 Stunden Fahrt noch gerne sitzen mag. Dann noch schnell die Reifen auf den perfekten Druck gebracht – und wir sind abfahrbereit.

In den Fahrradkorb kommen noch eine leichte Jacke, die Wasserflasche (die sich auf der Fahrt jedoch als viel zu klein herausstellen wird) und der Universalschlüssel – falls doch mal eine Schraube locker sein sollte … und dann geht es früh ins Bett, um am nächsten Morgen gut ausgeruht zu sein.

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Bei der Abfahrt in Kehl

Am 5. August um 8 Uhr 30 verlassen wir das Haus bei bedecktem Himmel und sehr angenehmen 18°C in Richtung Kehl, Bahnhof. Dort treffen wir um kurz vor 9 ein und begeben uns als erstes in die Apotheke, da sich beim Treten in die Pedale ein stechender Schmerz im Schienbein bemerkbar gemacht hat. Die besorgte Apothekerin gibt mir auf, während der heutigen Tour sehr viel zu trinken und mehrfach Magnesium zu nehmen. Für das Schienbein empfiehlt sie eine schmerzstillende Creme, die ich sofort auftrage.

Um 9 Uhr 34 sitzen wir im Zug nach Appenweier, wo wir nach kurzer Fahrt ankommen.

Unser lang erwartetes Treffen mit unserer Freundin T. wird gebührend gefeiert: mit Kaffee, Tee und Laugencroissant in einem Café in Appenweier. Schließlich müssen wir uns für die vor uns liegende Fahrt rüsten.

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Stärkung in Appenweier

Wie man auf dem Bild sieht, hat Anatol bereits ordentlich von dem Laugencroissant abgebissen!

Um 11 Uhr begeben wir uns gestärkt und bei strahlendem Sonnenschein auf die von T. wie immer perfekt geplante Melusinen-Tour. Diese soll uns von Appenweier zunächst über Nesselried und Ebersweier nach Schloss Staufenberg führen, welches auf einer Anhöhe von 320m liegt und dessen gefürchteten Anstieg wir vor der schlimmsten Mittagshitze unternehmen wollen, um dann die Mittagszeit in der Kühle der schattigen Schloßterrasse zu verplaudern.

Schnell sind die die Melusinentour anzeigenden Schilder gefunden, und wir radeln frohgemut los durch die Weinberge und Obstplantagen. Noch liegt eine morgendliche Frische in der Luft, aber die Sonne steigt schnell. Bald schon brennt die Gluthitze auf uns herunter – eine dicke Schicht von Elies Sonnencreme schützt mich glücklicherweise, ebenso wie mein Sonnenhut. Schatten bietet unser Weg zunächst gar nicht. Wir sind dem Glutofen gnadenlos ausgeliefert.

Bei Zusenhofen fällt uns auf, dass wir in die falsche Richtung geleitet worden sind – nämlich in Richtung Oberkirch – dass wir also Schloss Staufenberg erst am nachmittag erreichen werden, und den Anstieg daher in der größten Hitze werden bewältigen müssen.

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Am Gasthof „Zur Sonne“ in Oberkirch

Anatol ächzt. „Schaffen wir das überhaupt? Unsere Wasservorräte sind jetzt schon aufgebraucht…“ Unschlüssig sehe ich T. an. Diese ist jedoch sicher, dass wir ohne Schwierigkeiten bis Oberkirch kommen werden, dort einkehren könnten – hier hüpft Anatol vor Freude fast aus seinem Fahrradkorb, liebt er doch das Einkehren über alles – um am frühen Nachmittag gestärkt den Aufstieg zum Schloss in Angriff zu nehmen.

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Hier wäre der Saurier fast baden gegangen!

Eine Stunde später sind wir in Oberkirch, wo wir nach einem kurzen Besuch der Innenstadt, einem in letzter Minute verhinderten Bad des Sauriers im Stadbrunnen und einer Konsultation der ansässigen Touristenberatung im Gasthof „Zur Sonne“ einkehren. Hier werden wir mit Bratkartoffeln bewirtet, dazu gibt es sehr ausgiebig Cola.

Zum Nachtisch erbettelt der Saurier ein mit Espresso übergossenes Vanilleeis – dieses stellt sich später als eine sehr gute Wahl heraus, da es dem Butler einen regelrechten Energieschub verschafft: auf dem folgenden Photo ist das Untier mir schon wieder fast entwichen, um sich ob der großen Hitze in den hinter dem blumenverhängten gusseisernen Geländer befindlichen Bach zu werfen.

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Hier wollte Anatol stiften gehen – ich konnte ihn gerade noch packen.

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Der Bach mit seinen bizarren Figuren hat es Anatol angetan.

Wie man auf dem Photo sieht, kann ich den Saurier gerade noch packen, bevor er – juppheidi – über alle Berge ist. Nachdem ich den Spitzbuben in den sicheren Rucksack gestopft habe, geht die Reise weiter. Heraus darf das Biest erst, als kein Wasser mehr in Sicht ist. Dieses scheint den Saurier geradezu magisch anzuziehen.

Nach dem Mittagessen reiben wir uns erneut dick mit der Sonnencreme ein. Bisher sind keine Rötungen zu verzeichnen, die Hitze wird indessen immer unerträglicher. Die Strecke führt kilometerweit über freies Feld – Schatten suchen wir hier vergeblich.

Bei Bottenau entscheiden wir, den Weg durch die Weinberge und später durch den Wald zu nehmen. Dies bedeutet zwar zunächst einen steileren Aufstieg über Feld- und Waldwege – danach aber eine weitere Fahrt im Schatten. Diese Wahl erscheint uns allen einhellig als die bessere, denn unter der brennenden Sonne werden Temperaturen um 50°C erreicht.

Unser Weg führt uns hier in den rettenden, schattigen Wald, wo wir – erschöpft und überhitzt – eine Rast einlegen:

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Aufstieg in den Weinbergen!

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Der Blick über die Weinberge ist wunderschön.

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Anatol schafft den steilen Anstieg nur mit Mühe.

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Der Wasservorrat ist aufgebraucht.

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Erschöpft sitzen Anatol und ich neben unserem Fahrrad.

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Dennoch sind wir guten Muts, auch den Rest der Tour problemlos zu schaffen!

Unsere Wasservorräte sind nun zuende. Wir müssen sie, so bald es geht, wieder auffüllen. Um schnell zur nächsten Wasserstelle zu kommen, satteln wir die Fahrräder und nehmen unsere Route wieder auf, zunächst auf einem asphaltierten Weg durch den Wald, dann einen steilen Feldweg hinauf zum Gipfelkreuz.

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Anatol lenkt das Rad

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Auf der Suche nach dem Schatz der Sierra Madre

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Wieder Rast in den Weinbergen

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Das Gipfelkreuz

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Man sieht, wie steil es hier bergab geht.

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Von der Anstrengung etwas errötet

Nachdem wir das Gipfelkreuz erreicht und hinter uns gelassen haben, geht es bergab. Wir genießen die Fahrtluft und lassen uns erschöpft ins Tal rollen. Nicht ganz in der Talsohle angekommen treffen wir auf zwei Wanderer, die wir nach dem Weg zum Schloss Staufenberg fragen.

„Da geht es sehr steil hinan!“ warnt uns die Wandersfrau. Der Wandersmann bestätigt dies. „Sie werden schieben müssen.“ „Aber es lohnt sich!“ ruft uns die Wandersfrau nach, während wir winkend weiterfahren, dem Tal entgegen.

Die nächste Steigung wartet hinter der Kurve auf uns. Sie führt in den tiefen Wald hinein,  und ist so steil, dass das Fahrrad auf dem Schotter des Waldwegs wieder nach unten rutscht, wenn man es nicht sehr festhält.

Anatol zetert aus dem Rucksack heraus, der Aufstieg zum Schloss sei eine reine „Phantasterei“ und unmöglich zu schaffen. Man habe es ja gehört, was die Wandersleute gesagt hätten! Es sei zu steil, zu schwer, dazu noch ohne Wasser … dann gehen dem Saurier die Worte aus – ihm ist einfach zu heiss. Ich stopfe ihn ohne Vorwarnung in den Fahrradkorb, wo er zumindest etwas mehr frische Luft abbekommt als im Rucksack.

Plötzlich fängt das Tier doch wieder an, Spektakel zu machen. „Anhalten! Stop! Halt!“ krakeelt es. „Da ist ein Teufel auf dem Stein!! Und da steht etwas dabei! Das will ich lesen!“

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Die Sage vom Teufelsstein

Tatsächlich entdecken wir eine Steintafel, die uns über den sogenannten Teufelsstein aufklärt.

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Anatol auf dem Teufelsstein

Anatol will selbstverständlich sowohl auf dem Sagenstein als auch auf dem „echten“ Teufelsstein abgebildet werden. Denn Anatol behauptet, dass der Held der Geschichte gar nicht St Wendelin, sondern in Wirklichkeit St Anatol sei, der dem Teufel damals den Stein in Butter verwandelt habe, so dass er damit kein Unheil habe anrichten können.

Auf meine Bitte, dass St Anatol doch jetzt gleich unsere leere Wasserflasche in eine volle verwandeln möge, antwortet Anatol mit einem verächtlichen Schnauben. Die Wasserflasche bleibt indessen leer.

Die letzten Meter bis zur Terrasse von Schloss Staufenberg sind fast unüberwindbar steil.

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Die Schlossterrasse

Aber wir schaffen es – zitternd vor Anstrengung lassen wir uns auf die Klappstühle des Schlossrestaurants fallen. Dann lassen wir uns mit Apfelschorle und Eis bewirten.

Der freundliche Kellner sieht unsere geröteten Gesichter und empfiehlt uns, eine lange Pause einzulegen und sehr viel Flüssigkeit zu uns zu nehmen. Bei der großen Sommerhitze habe er den Notarzt leider fast täglich im Einsatz unter den radfahrenden Gästen – und nicht jeder Einsatz gehe positiv aus.IMG_3921

Wir schlucken. Als der Kellner weg ist, beginnt Anatol, Zeter und Mordio zu schreien! Wie wir überhaupt so eine gefährliche Reise hätten unternehmen können – und was, wenn nun der Notarzt nicht schnell genug ankäme?

IMG_3917Ich stopfe dem unmöglichen Biest mit Erdbeereis das Maul, so sitzt es schmatzend auf dem Tisch und hat den Notarzt schnell vergessen.

Danach studieren wir die Geschichte des Schlosses und genießen den leichten Wind, der hier oben geht.

IMG_3919 Am späteren Nachmittag treten wir den Rückweg an.

Dieser führt uns steil abwärts durch die Weinberge. Mehr als einmal sage ich mir, wie gut es war, die Bremsbeläge zu erneuern. Die alten waren fast bei der metallenen Einfassung angelangt …

IMG_3916So kommen wir gegen 18 Uhr in Offenburg an, wo leider unsere Radtour schon zuende ist. Wie jedes mal ist der Tag viel zu schnell vergangen.

Der August und unsere Ferien sind aber noch lang.

Vielleicht schaffen wir ja noch eine Radtour dieses Jahr?

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