50. Kapitel – Frau Holle in der Waschmaschine

Letzte Woche hätte ich meine Butler am liebsten auf den Mond geschossen. Ich hatte Anatol morgens gebeten, sich um die Bettwäsche und die Bettdecken zu kümmern. Die Bettsachen brauchten eine ordentliche Wäsche, und das sollten die Butler an diesem Tag erledigen.

Ich muss zugeben, dass ich mich schon mittags darauf gefreut hatte, an diesem Abend in ein komplett frischgewaschenes und flauschig weich-getrocknetes Bett fallen zu können. Wir haben nämlich seit kurzem eine Waschmaschine, die auch trocknen kann – Anatol hat mich zu diesem Kauf genötigt. Jahrelang hatte ich mich gegen einen Trockner gewehrt. Warum Energie verschwenden, wenn die Wäsche auch ganz kostenlos und umweltfreundlich an der Luft trocknen kann?

Hier hatte Anatol Argumente vorgebracht. An regnerischen Tagen, wenn er die Wäsche nicht auf den Balkon stellen könne, sei es ihm ganz unmöglich, große Wäscheteile wie gerade die Bettsachen trocken zu bekommen. Tagelang stünden die Wäscheständer in der Wohnung – und die Katzen trieben ihr Schindluder mit der herunterhängenden Wäsche! Er sei dann hauptsächlich damit beschäftigt, die Katzen von der Wäsche fernzuhalten – und könne sich nicht um den restlichen Haushalt kümmern. Das habe er endgültig satt!

Zudem sei die Energiebilanz der heutigen Waschtrockner nicht mehr ganz so verheerend wie das früher der Fall gewesen sei. Auch könne man die Trockenfunktion sparsam und immer nur dann einsetzen, wenn Lufttrocknung nicht möglich sei. So würde man die Wäsche durchaus verantwortungs- und umweltbewusst trocknen.

Als die alte Waschmaschine endgültig ihren Geist aufgab, wurde der heißersehnte Waschtrockner angeschafft.

Dieser – so hatte Anatol mir versprochen – sollte nun an diesem großen Waschtag eingesetzt werden.

Als ich aus dem Haus ging, war Anatol schon damit beschäftigt, die Bettdecken abzuziehen und die Wäsche zu sortieren – Anatol ist sehr darauf bedacht, dass alles mit der richtigen Temperatur und nach Farben getrennt gewaschen wird. Nichts hasst er mehr als ungepflegte, verfärbte Wäsche.

Am Abend hatte ich ausnahmsweise schon etwas früher von der Arbeit gehen können. Ich freute mich auf einen schönen Abend mit den Butlern und den Katzen, der heute wegen der gewonnenen Zeit hoffentlich etwas entspannter würde ablaufen können als normalerweise.

Gerade stehe ich vor der Wohnungstür und will aufschließen – da dringen seltsame Geräusche aus der Wohnung! Ich vernehme ein metallisches Klappern und durcheinandersprechende, hallende Stimmen, die sich so anhören, als kämen sie aus einem riesigen Klangkörper. Schnell betrete ich die Wohnung, um nach dem Rechten zu sehen – und entdecke schockiert diese Szene:

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Was muss ich sehen:

Anatol auf einem Kopfkissenbezug, offensichtlich damit beschäftigt, die Füllung meines armen Kopfkissens aus der Waschmaschine in den Bezug zu schaufeln; Elie in der Waschmaschinentrommel, einen kleinen Handfeger in der Hand – Polyesterbällchen aus der Trommel fegend, und die winzige Mina, die weisse Polyesterfetzchen aus der Gummidichtung der Waschmaschinentrommel herausprokelt!

IMG_2231Ich bin entsetzt! Was war nur passiert? Elie nimmt kein Blatt vor den Mund: „Frau Holle hat vorhin versucht, sich in der Waschmaschine umzubringen. Wir konnten sie gerade noch retten und sammeln nun die Reste Deines Kopfkissens hier raus. Wir sind fast fertig!“

Mir stockt der Atem. „Anatol, was hat das zu bedeuten? Habt Ihr etwa mein wunderbares, einzigartiges, fast neues Kopfkissen geschreddert? Wie konnte das passieren!?“

Anatol antwortet recht zerknirscht. „Ich hatte die ganze Bettwäsche sortiert. Das Weisse mit dem Weissen, das Farbige zum Farbigen. Die bunte Bettwäsche habe ich mit dem Colorwaschpulver gewaschen. Sie ist sogar schon trocken. Aber die Bettdecken und das Kissen – die sind weiss. Sie müssen mit Vollwaschmittel gewaschen werden – bei 60°. Und da habe ich also den farbigen Bezug von dem Kopfkissen abgenommen, denn ich wollte das ganze Kissen mit Vollwaschpulver waschen. Am liebsten hätte ich es gekocht – das hätte es jedenfalls dringend nötig gehabt!“

Langsam aber sicher redet sich Anatol in Rage. „Man darf nur ganz stark geschleuderte Wäsche in den Trockner stecken. Sonst verbraucht er zuviel Energie! Du hast mir selbst gesagt, dass alles, was in den Trockner soll, vorher mit 1400 Umdrehungen zu schleudern ist! Wegen der Umwelt! Und daran habe ich mich nur gehalten. Dass Dein altes Kissen das nicht überleben würde, das kann ich ja nicht wissen! Es ist im Schleudergang von der Waschmaschine aufgerissen und zerfetzt worden. Die ganze Trommel war voll mit dem Zeug! Seit einer Stunde sind wir jetzt mit Mina dabei, die Waschmaschine wieder klarzukriegen von dieser Polyesterfüllung. Mina ist sogar hinter die Trommel gekrochen, um dort Polyesterbällchen zu entfernen! “ Vorwurfsvoll – ja geradezu kampflustig sieht mich der Butler an. In seinen Augen funkelt Wut.

Ich widerspreche: „Das Kissen ist nicht alt! Es ist sogar fast noch neu – Mama hat es mir erst 1992 geschenkt!“

Anatol schnaubt. „Dein Kissen ist 22 Jahre alt! Denk doch mal nach, wie alt Kissen normalerweise werden!“

Ich bin pikiert, aber auch etwas verzweifelt. Mehrfach schon habe ich versucht, das Kissen gegen ein neueres auszutauschen. Jedoch konnte ich auf keinem noch so teuren Kissen schlafen. Nackenschmerzen und Verspannungen trieben mich jedesmal zurück in die Arme meines guten alten Kissens von 1992.

IMG_2233Anatol weiss das. „Wir haben uns eine Notlösung überlegt. Eigentlich dachten wir, wir können die ganze Misere vor Dir verstecken. Ja, ich weiss, dass das nicht ok ist. Aber wir wollten Dir keine Sorgen bereiten.“

Mina habe die zündende Idee gehabt. Sie habe vorgeschlagen, das Innenleben des zerfetzten Kissens einfach in einen der Reissverschlußbezüge einzufüllen – ohne das aufgerissene Kisseninlet. So würde ich nicht einmal einen Unterschied bemerken. Von außen würde das Kissen so aussehen wie immer – frisch gewaschen und weich.

Ich gebe zu, dass es sich zumindest nicht schlecht anhöre – füge aber hinzu, dass das auf keinen Fall eine Dauerlösung sein könne. Wie wolle man schließlich den Kissenbezug wechseln, wenn sich darin Millionen von winzigen, losen Polyesterbällchen tummelten.

Ein neues Kopfkissen muss angeschafft werden, das ist unumgänglich.

Ich begebe mich also am Sonnabend früh zu Betten Leitermann in Kehl, und schildere die missliche Lage. Der freundliche Herr bescheinigt meinem Kopfkissen ein „biblisches Alter“ – und bezeichnet es als ein Wunder, dass es überhaupt so lange gehalten habe.

Leider hat er kein für meinen schwierigen Nacken geeignetes Kissen auf Lager. Allen neuartigen Kissen, die er mir mit der Begeisterung des Fachmanns zeigt, stehe ich mehr als misstrauisch gegenüber.

Mina, die mich begleitet, hat auch hier die rettende Idee. Sie schlägt vor, einfach nur einen weissen, dünnen Bezug mit Reissverschluss zu kaufen, diesen zum Kisseninlet umzufunktionieren und mit den Polyesterballresten meines alten Kissens zu befüllen.

Der zuvorkommende Herr von Betten Leitermann ist ob der unorthodoxen Methode schockiert, sucht mir aber doch den für diesen Zweck am besten geeigneten Bezug aus – einen herrlich glatten, feinen Baumwollsatin. Er schlägt mir sogar vor, noch zusätzliches Füllmaterial, was man dort in 100g Packungen erstehen kann, hinzuzufügen. Die fachmännische Beratung gefällt mir. Ich mag Betten Leitermann. Leider kann ich mir die wunderschönen Bettsachen, die es dort gibt, nicht leisten – zumal sowieso alles den Krallen der bepelzten Massenvernichtungswaffen zum Opfer fallen würde.

Den neuen Kissenbezug in der Tasche verlasse ich das schöne Geschäft. Mina und ich haben eine absolut minimalistische Lösung gefunden – ich bin stolz auf uns. Wir mussten nur einen Bezug kaufen, und nicht gleich ein ganz neues Kissen.

Nun muss ich nur noch eine Schlafprobe auf dem „neuen“ Kissen machen. Die wird mir nicht schwerfallen!

 

 

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