130. Kapitel – Unfreiwilliger Urlaub

Ich bin bis auf weiteres vom Dienst suspendiert.

Am Mittwoch werde ich aus meinem Büro gerufen und zur Personalchefin „gebeten“. Dort eröffnet man mir, eine interne Untersuchung habe unzweifelhaft ergeben, dass der Hackerangriff der vergangenen Woche vom Laptop in meiner Wohnung ausgegangen sei. Wie dies möglich sei, könne man sich nicht erklären, da ich zur Zeit des Angriffs nachweislich nicht zu Hause, sondern im Büro gewesen sei.

Da ich jedoch offenbar unbefugten Personen Zugang zu meinem Laptop gewährt habe – oder aber letzteres nicht ausreichend gesichert habe – sei man gezwungen, mich vorerst aus dem Dienst zu entfernen. Die unfreiwillige Pause werde andauern, bis man die Schuldigen überführt habe. Über weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen werde man dann nachdenken. Mein Gehalt sei bis auf weiteres „eingefroren“.

Darauf bittet man mich, meinen Arbeitsplatz umgehend zu räumen.

Wie betäubt begebe ich mich zu meinem Chef und meinen Kollegen, die mir fassungslos einen Karton mit meinen Sachen übergeben.

Dann verlasse ich das Haus.

Auf dem Heimweg schwankt mein Befinden zwischen Verzweiflung und unbändiger Wut. Die Schuldigen – die ich natürlich der Personalchefin nicht nennen kann – sind mir bekannt: es handelt sich um meine Haussaurier, die offenbar ausgedehnte Hacking-Aktivitäten entfaltet haben, während ich bei der Arbeit war.

Als ich die Tür aufschließe, höre ich ein leises Rascheln – das Geräusch, welches entsteht, wenn recht kleine Wesen unter einem Bett oder Schrank verschwinden. Ich entschließe mich, die Übeltäter nicht zu beachten. Nachdem ich Wasser aufgesetzt habe, um mir einen Tee aufzubrühen, setze ich mich auf den Küchenboden und fange an, zu weinen. Meine Arbeit ist weg – wovon sollen wir nun leben?

Eine flauschige Pfote tatzelt mich. Es ist Elie. Er ist unter dem Bett hervorgekrochen und sieht so schuldbewusst aus wie noch nie. Anatol sitzt betreten mitten im Flur.

„Es tut uns so leid…“ flüstert Elie. „Wir wollten doch nur Ferien in Deinem Urlaubsmanager-Tool eintragen, weil Du so überarbeitet bist…“ Er beginnt zu weinen. „Edouard hatte dafür so einen USB-Stick dabei… ja, da muss irgendwie ein fieser Hacking-Virus drauf gewesen sein.“ Elie schluchzt. „Und was machen wir jetzt?“

Ich weiss es nicht. Während mir die Tränen übers Gesicht laufen, lasse ich mich einfach auf den Küchenboden gleiten. Dort bleibe ich regungslos liegen. Ohne meine Arbeit bin ich erledigt.

Anatol scharrt unschlüssig mit den Tatzen auf dem Parkett. Dann knurrt er: „Also ich finde es ungerecht! Wie können die Dich einfach suspendieren, obwohl Du doch für den Virenangriff gar nichts kannst! Nach allem, was Du für die getan hast, und Dich halb totgearbeitet hast!“ Nun hat sich das Tier in Rage geredet: voller Wut zetert es los: „Denen zeig ichs, das wirst Du noch sehen! Die dürfen Dich gar nicht einfach so rausschmeißen, ohne Gehalt und so! Die spinnen doch! Ich ruf jetzt Deinen Chef an und erklär ihm alles. Der wird sich bestimmt für Dich einsetzen!“

Ich verbitte mir jegliche weitere Einmischung in meine beruflichen Angelegenheiten. Dann schleppe ich mich bis ins Schlafzimmer, falle ins Bett und schlafe ein.

Am späten Nachmittag schrillt das Telephon und reisst mich aus einem bleiernen Schlaf. Mein Kopf dröhnt – zu allem Übel hat sich nun noch eine böse Migräne hinzugesellt. Ich hebe ab.

Am Telephon ist mein Chef. Er eröffnet mir als erstes, dass meine Suspendierung aufgehoben sei. Nachdem er und die Kollegen eine erneute Untersuchung gefordert hätten, sei der EDV aufgefallen, dass der angebliche Hackingangriff nur der untaugliche Versuch gewesen sei, von außen auf das Urlaubsmanagement-Tool Zugriff zu nehmen. Der Zugang von außen sei technisch zwar nicht ausgereift, aber seine Nutzung sei auch kein verbotener Eingriff. Dass dabei ein zur Zeit umgehender Informatik-Virus in die firmeneigene EDV eingeschleust worden sei, sei ein unglücklicher Zufall gewesen, der bei jedem befugten Zugriff hätte passieren können. Die Suspendierung sei daher nicht berechtigt gewesen und auch bereits aufgehoben. Dennoch solle ich erst am kommenden Montag wieder zum Dienst erscheinen, da ich nach der Aufregung dringend ein paar Tage Urlaub benötige.

Die Erleichterung, die ich verspüre, kann ich nicht in Worte fassen. Ich schaffe es, mein Migränemedikament aus der Hausapotheke herauszukramen, trinke eine halbe Tasse Tee und lege mich zurück ins Bett.

Als ich am Abend wieder aufwache, höre ich Stimmen im Treppenhaus. Die Saurier sind dabei, den Keller aus- und aufzuräumen: eine Fronarbeit, die eigentlich für die Sommerferien (und für mich…) vorgesehen war. Vom schlechten Gewissen getrieben haben die beiden Missetäter offenbar einiges in Ordnung zu bringen …

Ich schalte das Radio ein und setze mich aufs Sofa. Den heutigen Tag möchte ich so schnell es geht aus meinem Gedächtnis streichen.

Nun kommen die Butler aus dem Keller hochgestürmt. „Wir haben was gefunden!“ kräht Elie. „Ein ganz altes Heft! Guck mal hier – aus Kanada kommt es …“

Ich bin sprachlos. Die Saurier haben das alte Kanada-Tagebuch, das meine Schwester und ich 1985 nach unseren Abenteuerferien in British Columbia verfasst hatten, wiedergefunden! Die Schrift ist vergilbt, die Photos verschossen … aber man kann alles lesen und die Photos sind auch nach so langer Zeit noch schön.

Nun fällt mir auf, dass das Buch 30 Jahre alt ist. Unsere Reise ist eine Ewigkeit her…

Anatol findet das allerdings nicht. Für jemanden, der dem Oberjura entstammt, sind 30 Jahre ein Wimpernschlag.

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