Heute habe ich dem Gequengel endlich nachgegeben: Anatol will seit Tagen auf den Weihnachtsmarkt. Nicht für Geld und gute Worte ist er davon abzubringen – nein: der Weihnachtsmarkt muss besucht werden, findet Anatol.
Dabei hatte ich gewichtige Argumente gegen diese Veranstaltung vorgebracht, nämlich:
- Es ist dort so voll, dass man die Stände nicht einmal sehen kann
- In Strasbourg gibt es kein Weihnachtskarussell
- Alles auf dem Weihnachtsmarkt ist überteuert
- Es ist kalt
- Der Weihnachtsmarkt dient (fast) nur dem Kommerz.
Elie hatte mir beigepflichtet. Er wolle nicht auf den Weihnachtsmarkt mit uns, hatte er schon vor der Eröffnung erklärt – weshalb, verstanden wir gestern: Anna, Elies beste Freundin (und heimliche Geliebte) hat auf dem Weihnachtsmarkt einen kleinen Stand, an dem sie für ein Kinderhilfswerk Plätzchen verkauft. An diesem Stand verbringt Elie nun jede freie Minute – da kann er natürlich nicht mit uns über den Weihnachtsmarkt schlendern.
Anatol hatte meine Argumente mit einer Handbewegung hinweggewischt. „Papperlapapp! Wenn wir recht spät am Abend hingehen, sind die meisten Leute schon weg. Ich möchte so gern wieder mal einen Glühwein (ohne Alkohol versteht sich) trinken… und dann gibt es da die leckeren Bredele … Strasbourg ist schließlich DIE Weihnachststadt. Das will ich mir nicht entgehen lassen!“
Schweren Herzens hatte ich mich daher bereiterklärt, am heutigen Sonntagabend mit Anatol und einer lieben Freundin den Strasbourger Weihnachtsmarkt zu besuchen.
Um 18 Uhr ist es soweit: Anatol und ich betreten die Innenstadt. Menschenmassen ungeahnten Ausmaßes strömen aus der Stadt heraus und wälzen sich durch die engen Straßen. Ich schlucke. „Anatol, Du hattest gesagt, ab 18 Uhr sei es hier ganz menschenleer!“
Ungehalten brummelt Anatol, dass in 10 Minuten sicher viel weniger Leute unterwegs wären. Ich solle mich „gefälligst nicht so anstellen.“ Nach diesem wenig freundlichen Hinweis versuche ich, bis zum Hauseingang unserer Freundin vorzudringen, was glücklicherweise auch gelingt.
Etwas später lassen wir uns zu dritt von der Menschenmenge in Richtung Weihnachtsbaum am Place Kleber schieben. Hier schaffen wir es leider nicht, bis zur Krippe vorzustoßen – immerhin glückt es uns, ein Photo von Anatol unter dem großen Strasbourger Weihnachtsbaum zu schießen.
Da Anatol doch etwas Angst bekommen hat wegen der vielen Menschen um uns herum, lässt er sich lieber von uns festhalten.
Wir beratschlagen. In der Nähe des Weihnachtsbaums ist nicht nur kein Fortkommen – die Geräuschkulisse ist auch ganz unerträglich. Attraktion des Weihnachtsmarkts ist nämlich unter anderem ein Lichtspiel, welches mit lautstarker Musikuntermalung mehr an ein Science-Fiction-Kinoerlebnis erinnert als an eine Weihnachtsvorstellung.
Ein kleiner Platz in der Nähe beherbergt auch einige Weihnachtsstände – dort hoffen wir eine etwas entspanntere und vor allem geräuschärmere Umgebung vorzufinden.
Der Saurier ist begeistert – und unverfroren: Kaum sind wir am Ziel angekommen, entwischt er aus meiner Handtasche und versucht, einen der Weihnachtsstände zu erklimmen! Im letzten Moment bekommt meine Freundin ihn am Schwanzzipfel zu fassen und kann das Biest festhalten – die hübschen Christbaumkugeln hatten es ihm offenbar sehr angetan.
Der Butler gelobt nun Mäßigung – allerdings erst nach einer gebührenden Maßregelung. Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn der Saurier auf dem überfüllten Weihnachtsmarkt verloren ginge!
Wir besuchen einen Stand mit Weihnachtsfigürchen, Anatol ist hier glücklicherweise brav und lässt sich ohne weiteres photographieren.
Nun verlangt das Tier allerdings etwas zu essen. Man könne nicht auf einen Weihnachtsmarkt gehen, ohne Weihnachtsgebäck zu sich zu nehmen!
Hier wartet die nächste Enttäuschung auf uns. Die Stände, an denen Bredele und Glühwein verkauft werden, sind so beliebt, dass sich endlose Schlangen davor gebildet haben. Da ich keine Viertelstunde auf ein paar Bredele und etwas warmen Orangensaft mit Gewürzen warte, spreche ich ein Machtwort: Es gibt heute weder Bredele noch Glühwein, sondern – mangels Warteschlange vor dem entsprechenden Stand – etwas, was wir früher ohne Hintergedanken, politisch jedoch gänzlich unkorrekt „Negerkuss“ genannt hätten und was hier auf dem Weihnachtsmarkt in den köstlichsten Varianten dargeboten wird: Rum-Rosine, Zimt, Mokka, weisse Schokolade … einen solchen spendiere ich Anatol.
Noch bevor ich ein Photo machen kann, hat der Saurier die Süßigkeit vertilgt. Ich bin enttäuscht – wollte ich doch die Szene der Nachwelt erhalten.
„Dann müssen wir wohl noch mal herkommen, wenn Du davon unbedingt ein Photo willst!“ feixt das Untier frech. Ich bin sprachlos ob dieser Unverschämtheit!
Nun ist es auch Anatol kalt geworden. Wir knipsen ein letztes Photo vor einem wunderschön dekorierten Uhrengeschäft und machen uns auf den Rückweg.
Bis zu Annas Stand sind wir nicht durchgedrungen. Vermutlich müssen wir als tatsächlich noch einmal auf den Weihnachtsmarkt.
Ob ich mich wirklich darauf freue, weiss ich heute Abend allerdings noch nicht.