53. Kapitel – „Die schwarze Katze“

10. Mai, 23 Uhr 15. Mein Geburtstag ist fast vorbei – und eine lange, aufreibende Nacht liegt vor uns.

Elie ist, nachdem er mit seinem Freund Mirko „Eyes wide shut“ gesehen hat – ein Film, den er laut FSK frühestens in 10 Jahren zu Gesicht bekommen dürfte – davongelaufen, um im Strasbourger Nachtleben seinen Liebeskummer zu betäuben.

Anatol und ich sind in höchster Sorge. Wie sollen wir Elie wiederfinden? Er kann im Grunde überall sein – wir müssen die einschlägigen Lokale eines nach dem anderen abklappern.

Die Polizei will ich nicht einschalten – mit dem Auge des Gesetzes haben wir, was Dinosaurierfragen angeht, keine allzuguten Erfahrungen gemacht. Wir müssen mit Bordmitteln arbeiten.

Welches Etablissement suchen wir zuerst auf? Anatol schlägt das Café des Anges vor. Dort werde Salsa getanzt – vielleicht habe Elie den Tanz lernen wollen, um Anna später damit zu beeindrucken? Wer seinerseits perfekt Salsa tanzt, brauchen wir nicht näher zu erwähnen: Angelo – Elies Erzrivale.

Innerhalb von 5 Minuten sind wir beim Café des Anges. Der Türsteher mustert mich abschätzig. Sieht man mir an, dass ich überhaupt nicht tanzen kann?

Nein, er habe keinen kleinen Plüschdinosaurier hereingelassen. Ja, da sei er sich ganz sicher. Auf weitere Nachfrage beginnt der Videur, wie man hier sagt, an seinem Handy herumzufingern. Ich halte dies für kein gutes Zeichen und ziehe es vor, mich zu verabschieden – bevor der gute Mann Verstärkung holt, um die sichtlich etwas derangierte, nicht mehr ganz so junge Dame aus dem Eingangsbereich des exquisiten Clubs zu entfernen.

Auf der Straße frage ich Anatol, ob er einen anderen Club kenne, der es Elie vielleicht angetan haben könne? Finde gar heute Nacht möglicherweise ein Kostümball in Strasbourg statt …? Das wäre sicher eine Adresse, die man aufsuchen müsse.

Anatol ist nichts dergleichen bekannt. „Lass uns noch mal im Salamandre gucken. Das ist ein Club, in den Studenten gehen. Angelo kann durchaus mal dagewesen sein – vielleicht hat er das in der Schule erzählt?“

Mir ist jeder Vorschlag recht. Auch vor diesem Etablissement steht ein Videur und kontrolliert, ob die Kleidervorschriften eingehalten werden. Allein dies deutet bereits darauf hin, dass Elie – soweit er sich nicht ganz neu eingekleidet hat! – hier im Grunde keinen Einlass gefunden haben kann. Dennoch befrage ich den Türsteher.

„So so. Sie suchen also einen Stoffdinosaurier, der Ihnen ausgebüxt ist. Warum lassen Sie ihn sich nicht mal ordentlich amüsieren?“ Der Muskelprotz bricht in ein hämisches, heiseres Lachen aus. Frostig stelle ich klar, dass mein Stoffdinosaurier heute bereits genügend Gelegenheit hatte, sich zu „amüsieren“ – und dass ich dem gnädigen Herrn außerordentlich verbunden wäre, wenn er mir die gewünschte Auskunft nun bitte erteilen würde. Der Videur durchbohrt mich mit einem stahlharten Blick, der mir Angst machen soll. Nein, da sei kein Stoffdinosaurier im Club. So etwas hätte er im Übrigen gar nicht erst hereingelassen. Bevor ich mich mit dem Gorilla darüber anlegen kann, was das „so etwas“ zu bedeuten habe, zerrt Anatol mich weg. Er flüstert wütend: „Merkst Du nicht, dass der Kerl es auf Dich abgesehen hat? Mit derlei Typen ist nicht zu spaßen!“

Verzweifelt konsultiere ich mein iPhone nach weiteren Bars und Nachtclubs. Wir können unmöglich all diese Örtlichkeiten nach Elie durchkämmen! Da hat Anatol eine Idee: Fridolin arbeite nachts in einem Club als Kellner. Den sollten wir sofort aufsuchen und fragen, ob er über seine Verbindungen Elie lokalisieren könne.

Kurze Zeit später betreten wir das berühmte „Le Trou „. Interessanterweise scheint Anatol hier nicht unbekannt zu sein – ich nehme mir vor, ihn danach später genauer zu befragen – zumindest werden wir sofort eingelassen und sehr zuvorkommend behandelt. Augenblicklich sitzen wir an einem Tisch – zwei Cocktails, deren Genuß ich Anatol sofort verbiete, vor uns. Der Servierer teilt uns mit, Fridolin sei gerade in der Pause, er werde ihn aber rufen.

Die Cocktails duften verführerisch, aber gefährlich hochprozentig. Ich lasse sie zurückgehen und bestelle Anatol einen Apfelsaft und mir ein alkoholfreies Bier. Wir müssen einen klaren Kopf bewahren.

Da setzt sich Fridolin auch schon an unseren Tisch. „Was für ein seltenes Vergnügen, Euch hier zu sehen!“ Fridolin freut sich sichtlich, zwei bekannte Gesichter begrüßen zu können. „Ihr könnt die Cocktails auch ohne Alkohol bekommen – ich bestelle sie Euch sofort. Ihr seid natürlich eingeladen – noch dazu an Deinem Geburtstag!“ Fridolin macht dem Kellner ein Zeichen.

„Fridolin, wir sind nicht zum Feiern da. Elie ist getürmt, und wir vermuten, dass er sich in einem Nachtclub herumtreibt.“ Anatol sieht Fridolin besorgt an.

Fridolin versteht sofort. „Es gibt da eine oder zwei Personen, die ich kontaktieren könnte. Allerdings nicht offiziell. Namen kann ich keine nennen. Vielleicht finden wir so etwas heraus … ja könnte klappen. Komme gleich wieder. Ihr trinkt jetzt Eure Cocktails – so etwas Verkrampftes wie Euch beide habe ich hier lange nicht bewirtet. Nein, keine Angst: kein Alkohol, keine Drogen.“

Er verschwindet hinter dem Tresen und flüstert dem zweiten Kellner etwas zu. Dieser nimmt den Hörer eines altertümlichen, fest an der Wand installierten Telephons mit Wählscheibe ab und wählt eine Nummer. Dann spricht er eindringlich in den Hörer. Was er sagt, hören wir nicht. Anatol leert seinen alkoholfreien Cocktail in einem Zug – ich lasse mir etwas mehr Zeit. Unter anderen Umständen hätte ich den Cocktail genossen. Heute Nacht überwiegt die Angst um Elie.

Leutselig kehrt Fridolin an unseren Tisch zurück. Er reibt sich die Hände: „Elie ist tatsächlich gesehen worden. Fragt mich bitte nicht nach meinen Quellen – die kann ich Euch nicht offenlegen. Elie muss versucht haben, zu verschiedenen Clubs Zutritt zu bekommen – im Aviateurs haben sie ihn nicht hereingelassen, im Seven ebenfalls nicht. Einen weiteren Kontakt ruft mein Kollege gerade an – allerdings hoffe ich, dass Elie dort nicht hingegangen ist.“

Der Schreck fährt mir in die Glieder. „Was wäre denn dabei so schlimm, an diesem „Lokal“…?“ frage ich besorgt.

„Es handelt sich um Die Schwarze Katze„, sagt Fridolin. „Das ist ein Club, in dem junge Leute wie Elie überhaupt nichts zu suchen haben – wenn Ihr versteht, was ich meine.“

Ich verstehe – und hoffe inständig, dass wir Elie in einem harmlosen Café bei einem Kakao oder meinetwegen auch einem alkoholfreien Cocktail auffinden mögen …

Fridolin wird nun ans Telephon gerufen. Er nimmt den Hörer, erstarrt kurz – und gestikuliert dann wild: offensichtlich wurde Elie gesichtet! Anatol und ich stürzen zu Fridolin ans Telephon.

Der Geschäftsführer der Schwarzen Katze ist am Apparat: vor etwa 10 Minuten sei ein mit einem dunklen Kapuzenschal bekleideter beigefarbener Plüschdinosaurier am Eingang erschienen, habe ein dem Türsteher gänzlich unbekanntes „Passwort“ geflüstert und um Einlass gebeten. Da dem Türsteher die Angelegenheit nicht geheuer gewesen sei, habe er das Stofftier nicht hereinlassen wollen. Da dieses aber auf Zutritt bestanden habe, habe sich der Aufpasser den Dinosaurier kurzerhand geschnappt und ihn in den Gewahrsam der Barkeeperin gegeben – um genauer zu sein, in deren Kanarienvogelkäfig gesperrt. Darin sitze er auch jetzt noch und könne abgeholt werden.

Anatol und ich umarmen Fridolin – unser Dank lässt sich nicht in Worte fassen. Im Handumdrehen sitze ich auf dem Fahrrad, Anatol in meiner Tasche, und fliege förmlich in Richtung „Schwarze Katze „.

Der dortige Türsteher ist freundlicher als seine Kollegen, die wir heute im Laufe der Nacht kennenlernen durften. Er führt uns an die Bar des in der Tat für Jugendliche nicht geeigneten Etablissements, wo ein altmodischer, gusseiserner Vogelkäfig von der Decke herabhängt – einen Stoffkanarienvogel und Elie mitsamt meinem Kapuzenschal beherbergend. Anatol wollte das unglaubliche Bild, das sich uns hier bot, photographieren – aber Photos sind in der Schwarzen Katze streng verboten.

Die Barkeeperin bietet uns sehr liebenswürdig einen Tisch an – auch Getränke stehen schon bereit. Ich will jedoch diesen – obwohl tatsächlich sehr gastfreundlichen – Ort schleunigst verlassen.

Es ist mittlerweile 3 Uhr morgens. Elie hat sich in meinen Kapuzenschal gekuschelt und war offenbar direkt nach seiner Arretierung in der Volière eingeschlafen. Von dem fröhlichen Treiben in der Schwarzen Katze hat er sichtlich nichts mitbekommen. Ich werde ihm morgen gehörig den Kopf waschen.

Auch ein ernstes Gespräch mit Mirko nehme ich mir vor.

Endlich sind wir zu Hause – Anatol schlummert nun auch in meiner Tasche.

Ich setze die Butler in ihr Nest und decke sie zu. Dann lege ich mich auf mein Bett und schlafe augenblicklich ein.

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52. Kapitel – Geburtstag mit Überraschungen

Nach einem etwas holprigen Start in meinen Geburtstag beginne ich, mich auf das heutige Programm zu freuen. Als erstes gehe ich zur Bäckerei und bestelle für Montag einen Himbeerkuchen, den ich meinen Freunden bei der Arbeit mitbringen möchte. Anatol backt zur Zeit nicht – er ist in sein Physikreferat vertieft und wird daran wohl auch die nächsten Tage arbeiten. Zum Glück ist auf meinen Bäcker an der Ecke Verlaß.

IMG_2249Bei der Akupunktur treffe ich Fridolin. Er gratuliert mir herzlich zum Geburtstag – anders als meine Butler hat er mich nicht vergessen! Fridolin bemüht sich, professionell und gutgelaunt wie immer aufzutreten. Dennoch bemerke ich, dass ihn etwas bedrückt. Leider bleibt bis zu meinem Termin nicht ausreichend Zeit, um nachzufragen – auch sind andere Patienten anwesend, und ich möchte Fridolin in dieser Umgebung nicht mit möglicherweise privaten Dingen belästigen. Ich nehme mir aber vor, Anatol heute abend zu bitten, sich um Fridolin zu kümmern – wenn sein leidiges Referat endlich abgeschlossen ist.

Nach der Akupunktur bekomme ich einen Geburtstagstee bei einer lieben Freundin, und dann gibt es Spaghetti a l´arrabiata – meine Lieblingsnudeln.

IMG_2258Das Highlight des Tage steht mir jedoch noch bevor: der Geburtstagsnachmittag bei meiner besten Freundin. Hier werde ich mit Kuchen, Erdbeeren und Schlagsahne verwöhnt – und bekomme eine herrlich rosa-weiss blühende Phalaenopsis geschenkt.

Der Nachmittag vergeht viel zu schnell – nach einem Spaziergang ist es 18 Uhr 30 und ich muss schleunigst nach Hause zurück, mich um die Katzen kümmern. So wie es aussieht, werden meine Saurier wohl nichts weiter erledigt haben. Die sich anbahnende unumgängliche Aussprache gedenke ich, morgen zu führen – heute will ich nichts Unangenehmes mehr in Angriff nehmen.

Um 19 Uhr betrete ich die Wohnung. Wie ich schon erwartet habe, ist nichts aufgeräumt. Die Küche präsentiert sich so, wie sie auch heute nachmittag schon ausgesehen hatte. Immerhin ist Marmelade gekauft worden – ansonsten ist im Haushalt überhaupt nichts geschehen.IMG_2251

Als ich die beiden Übeltäter zur Rede stellen will, bemerke ich, dass weder Elie noch Anatol zu Hause sind. Am Kühlschrank klebt ein Zettel:

„Bin bei Edouard, das Referat besprechen. Elie ist zu Mirko, einen Film gucken. Bin nicht vor 20 Uhr zurück. Anatol“

Diese Nonchalance geht mir nun doch zu weit. Kurzerhand rufe ich Anatol auf dem Handy an und beordere ihn unverzüglich nach Hause. Elie hat noch kein eigenes Handy. Also wähle ich die Nummer von Mirkos Eltern (zum Glück finde ich sie in den Schulunterlagen) – aber es geht dort niemand ans Telephon.

Ich beruhige mich, indem ich mir einrede, dass Mirkos Eltern Elie vermutlich gerade nach Hause bringen.

Es klingelt. „Das muss Elie sein“ denke ich – aber es ist Anatol, der allein die Treppe hochspringt – etwas bockig ob der Unterbrechung seines Abends bei Edouard. Wütend herrsche ich den Butler an: „Wo ist Elie? Wieso seid Ihr nicht schon längst zu Hause? Ihr wisst ganz genau, dass Ihr um 18 Uhr 30 nichts mehr draußen zu suchen habt – und nun ist es schon fast 20 Uhr!“

Anatol verteidigt sich. „Elie ist um drei zu Mirko gegangen – ich weiss nicht, warum er noch nicht wieder da ist! Die beiden wollten einen Film gucken und dann spielen gehen. Über das Referat habe ich die Zeit vollkommen vergessen.“ Anatol ist zerknirscht.

„Es ist schon gut,“ beruhige ich Anatol, da er sichtlich nichts falsch gemacht hat. „Ich war ja auch nicht zu Hause. Ich verstehe nur nicht, warum bei Mirko niemand ans Telephon geht – ich mache mir Sorgen!“

Anatol meint, vielleicht seien Elie und Mirko zu Anna gegangen? Anna wohne im selben Haus wie Mirko – möglicherweise seien sie dort zum Abendessen eingeladen worden?

Ich halte das für höchst unwahrscheinlich – schließlich ist Anna der Grund für Elies Liebeskummer – aber ich rufe dennoch Annas Eltern an. Diese sind ausgegangen: Anna ist am Telephon. „Nein, Elie und Mirko sind nicht hier. Mirkos Eltern sind heute Abend gar nicht da: sie sind bei der selben Feier eingeladen wie meine Eltern. Mirko ist vorhin zu seiner Großmutter gegangen – aber Elie ist nicht dabeigewesen, das habe ich gesehen.“

Ich bedanke mich bei Anna für die Auskunft. Meine Sorgen werden von Minute zu Minute größer.

„Anatol, Elie ist verschwunden. Er ist nicht bei Mirko, und bei Anna auch nicht. Gibt es etwas, was Du mir verschwiegen hast? Das solltest Du mir nun allerschnellstens sagen!“

Anatol beteuert, Elie habe ihm nur gesagt, er wolle zu Mirko – einen Film gucken. Da Elie sowieso fast jeden Nachmittag bei Mirko verbringe, habe er sich nichts dabei gedacht! Anatols Stimme zittert.

Mir kommt ein Verdacht. „Was wollten die beiden denn eigentlich für einen Film gucken, Anatol? Hat Elie Dir etwas gesagt?“

„So genau nicht … es war ein englischer Titel … den Regisseur kannte ich nicht – kann also nichts so Besonderes gewesen sein. Irgendwas mit „K“ … Kubus oder so.“

Mir schwindelt. „Kubrick …?“ frage ich – und hoffe, dass Anatol das verneint. Die Hoffnung wird enttäuscht. „Ja, das muss der Name gewesen sein. An den Titel des Films kann ich mich nicht mehr erinnern – irgendwas auf englisch; wenn ich es richtig verstanden habe, ging es um geschlossene Augen … für einen Film ja ein total blöder Titel!“

Ich muss mich setzen. Elie hat mit seinem außerordentlich frühreifen Freund Mirko „Eyes wide shut“ gesehen – um danach spurlos zu verschwinden.

„Anatol, wir müssen Elie sofort suchen gehen. Und ich glaube, ich weiss, wo wir suchen müssen.“ Anatol springt mit einem Satz in meine Tasche – ich werfe meine Jacke über und verlasse eilig das Haus.

Es ist kurz nach 23 Uhr. Mit etwas Glück können wir Elie abfangen, bevor die in Frage kommenden Etablissements ihre Pforten öffnen.

Ein nächtlicher Gewaltmarsch durch die einschlägigen Bars und Nachtclubs beginnt. Um seinen Liebeskummer zu betäuben, muss Elie in die Rolle des Bill Harford aus Eyes wide Shut geschlüpft sein.

Diese Rolle sollte er nicht zu lange spielen.

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