Unsere neue Küche steht. Der Bar-Tisch ist fertig abgeschliffen und geölt, das Katzenmöbel aufgebaut und in Betrieb genommen.
Eben haben wir zum ersten Mal am neuen Tisch gefrühstückt. Es ist ein ganz besonderes Erlebnis, an einem Tisch, den man selbst entworfen und gebaut hat, zu essen. Am liebsten würde Anatol nun alle unsere Möbel bauen – davon kann ich ihn glücklicherweise mit dem Hinweis, dass wir ja eigentlich alles haben, was wir brauchen, abhalten.
Das Telephon klingelt. Meine Freundin T. ist am Apparat – sie hat unsere traditionelle Sommer-Fahrradtour geplant und möchte mir die Strecke mitteilen. Da der morgige Tag schönes Wetter verspricht, schlägt sie vor, die Tour gleich für morgen anzusetzen. Ich bin einverstanden – und hoffe, dass Elie, der unter unseren Bauarbeiten doch recht gelitten hatte, die Fahrradtour positiv aufnehmen wird.
Stattdessen meint Elie nur knapp: „Ich kann da nicht mit. Annas Papa nimmt Anna und mich doch morgen nach Bremke in die Waldbühne mit – dort spielen sie Schneewittchen und die sieben Zwerge! Das hatte ich doch gestern gesagt …“
Es stimmt. Das Waldbühnen-Theaterstück hatte ich ganz vergessen. Anatol und ich sind dafür nun doch schon etwas zu alt … ich schlage also vor, dass Elie allein mit Anna und Annas Vater zur Waldbühne zu Schneewittchen und den sieben Zwergen fährt, und Anatol und ich mit dem Fahrrad in den Schwarzwald. Elie hat sowieso nur Augen für Anna, daher ist er sofort einverstanden.
Anatol hat nun viel vorzubereiten, denn das Fahrrad muss durchgecheckt, der Fahrplan studiert und aufgeschrieben und wichtige Utensilien in den Rucksack gepackt werden.
Elie darf heute abend bei Anna übernachten, damit die Abfahrt zur Waldbühne in aller Frühe auch reibungslos klappt. Er ist selig. Ich freue mich, dass diese Sommerferien nun doch noch richtig schön für Elie werden.
Früh klingelt der Wecker.
Angesichts unseres jüngsten Debakels bei der SNCF hat Anatol hat darauf bestanden, die SNCF zu meiden, direkt nach Kehl zum Bahnhof zu fahren und dort den Zug der Deutschen Bahn nach Offenburg zu besteigen. Mit der SNCF möchte Anatol nicht so bald wieder reisen, und idealerweise auch im Strasbourger Hauptbahnhof nicht mehr zusteigen. Ob unser unschönes Erlebnis den Saurier traumatisiert hat?
Der Weg nach Kehl beschert uns nun immerhin eine zusätzliche Strecke von 8 km. Diese sind allerdings schnell zurückgelegt. Kurze Zeit treffen wir in Offenburg ein und steigen dort in T.´s Zug zu.
Anatol versteht sich prächtig mit T. Die beiden beginnen sofort, sich angeregt zu unterhalten – mich überfällt hingegen eine bleierne Müdigkeit, da mir unsere Heimwerkerarbeit offenbar doch noch in den Knochen steckt. Ich werde den Beginn unserer Reise vollständig verschlafen.
Plötzlich tatzelt mir etwas Plüschiges ins Gesicht. Es ist Anatols Pfote. „Susanne, wir sind da. Du musst aufwachen! Wir steigen hier in Hausach aus.“
Schlaftrunken zerre ich mein Fahrrad aus dem Zug und frage mich entgeistert, wie ich bloß hierhergekommen bin? Dann erst fällt mir ein, dass heute unsere Fahrradtour stattfindet – ich reibe mir die Augen und denke, dass wir zunächst ein Frühstück brauchen. Meine beiden Reisebegleiter teilen diese Ansicht – und so kehren wir im schönen Hausach erst einmal ein.
Dann fahren wir los, den Kinzigtalradweg in Richtung Haslach entlang. DIe Sonne scheint, aber es ist kühl geworden – der Herbst steht vor der Tür. Anatol fröstelt; schnell wickelt er sich in mein Halstuch ein und verschwindet damit in meinem Rucksack. Dort schläft er tief und fest ein und meldet sich erst zum Mittagessen wieder. Ich hingegen genieße die angenehm kühler Temperatur – mir ist ja immer zu warm.
Wir haben indessen Haslach hinter uns gelassen und fahren in Richtung Zell. In Zell ist nämlich ein Besuch der legendären Keramikmanufaktur „Hahn & Henne“ geplant!
Kurz vor Zell schwinden meine Kräfte rapide. Ich merke, dass ich in den letzten Tagen zu viel gearbeitet und zu wenig geschlafen habe. Fast möchte ich mich ins Gras legen und aufgeben … Anatol ruft mich zur Ordnung. „Du fährst weiter! Was soll Deine Freundin denn von Dir denken? Dass Du eine völlig untrainierte Sofakartoffel – oder eher ein fauler Kartoffelsack! – geworden bist? Auf jetzt – gleich kehren wir ein!“
Ich bin so müde, dass ich das unverschämte Biest nicht einmal rüffeln kann. In der Tat brauche ich vor allem dringend eine Stärkung. Diese wartet im Landgasthof „Zum Pflug“ in Form von wunderbaren Bratkartoffeln auf uns.
Gestärkt brechen wir zu unserer nächsten Etappe auf: es gilt nun, die Keramikmanufaktur „Hahn & Henne“ in Zell zu erreichen – hier treffen wir etwa eine Stunde später ein.
Die Manufaktur bietet direkt an ihrem Standort einen Werksverkauf an, den Anatol sofort begeistert in Augenschein nimmt. Ganz besonders angetan hat es ihm die „Bienen-Kollektion“, von der er gar nicht mehr lassen will. Ich gebe nach und erstehe ein wunderschönes kleines Honigtöpfchen für den Butler, den ich darauf hinweise, dass Honig in seiner rein veganen Ernährung normalerweise nichts zu suchen hat.
Verschämt gibt Anatol zu, dass selbst streng vegan lebende Saurier wie der Stegosaurus und der Diplodocus durchaus manchmal Honig naschten. Dem will ich selbstverständlich nicht entgegentreten – zumal auch ich dem Honig alles andere als abhold bin.
Das Honigtöpfchen geht daher mit uns auf die weitere Reise. Wenn es einen veganen Inhalt bekommen soll, wird es auch Marmelade ganz wunderbar beherbergen, da sind wir uns sicher.
Unsere letzte Etappe ist das Städtchen Gengenbach. Malerisch inmitten der Weinberge gelegen, gilt Gengenbach als die „Perle unter den romantischen Fachwerkstädten“. Wir schlendern über den Marktplatz mit seinen Cafés und Konditoreien, und malen uns aus, wie herrlich jetzt eine echte Schwarzwälderkirsch-Torte schmecken müsse. Anatol zappelt im Rucksack: hiermit gibt er mir zu verstehen, dass auch er einer solchen Torte nicht abgeneigt wäre.
Ein kleines, verstecktes Café bietet als einziges noch Schwarzwälderkirsch-Torte an. Wir vergessen ob der Köstlichkeit alles um uns herum und sehen erst um 18 Uhr wieder auf die Uhr.
Schrecken erfasst uns. Unser Zug fährt gegen 19 Uhr in Offenburg ab! Anatol beginnt zu zittern – das Trauma des verpassten Zuges nach Montbard hängt ihm tatsächlich immer noch nach! Schnell springen wir auf unsere Fahrräder – bis Offenburg sind es 12 km.
Auf der Fahrt gegegnen wir freundlichen Ziegen
und fahren am Fuße einer alten Burg durch die Weinberge:
Vier Minuten vor Abfahrt unseres Zuges treffen wir am Offenburger Hauptbahnhof ein. Ich trage das Fahrrad die Treppen hoch bis ans Gleis, springe mitsamt dem Rad in den Zug – die Türen schließen sich und der Zug fährt ab. Zitternd lassen Anatol und ich uns auf einen Behelfs-Sitz fallen: diesmal haben wir es geschafft!
Nun blieb kaum Zeit für eine ordentliche Verabschiedung von unserer Freundin. WIr können sie aber über SMS erreichen: auch sie hat ihren Zug bekommen und ist auf dem Weg nach Hause.
Die heutige Tour war großartig. Wir möchten die nächste Fahrradtour eigentlich am liebsten noch in diesem Jahr unternehmen!
Wie mag Elie wohl den Tag in der Bremker Waldbühne verbracht haben?
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