61. Kapitel – Im Glutofen der Sonne

Anatol ist seit 4 Uhr morgens wach. Er hat alle Fenster aufgerissen und für Durchzug gesorgt. Leider ist die Luft draußen auf der Straße kaum kühler als hier in der Wohnung.

Heute soll der heisseste Tag des Jahres werden. Es sind 38°C angekündigt.

Anatol wedelt mit dem Thermometer herum. „Die ganze Nacht über hatten wir hier in der Wohnung 28°C. Das ist sehr, sehr warm. Wir müssen viel trinken, und vor allem dafür sorgen, dass auch die Katzen ausreichend Flüssigkeit zu sich nehmen.“

Katzen sind leider sehr schlechte Trinker, was ihnen nicht gut tut.

IMG_1537Elie hingegen freut sich über die Hitze. „Ich ziehe nachher meinen Chèche über, und gehe zu Lilian! Der hat ein ganz tolles Planschebecken, ein richtiges aus blauem Eisen, nicht nur so ein Gummibecken zum Aufblasen! Dort spielen wir ‚Lawrence of Arabia‘ !“

Richtig. Das Planschebecken. Ich erinnere mich: auch wir hatten, als wir Kinder waren, ein solches Planschebecken. Es wurde nur zu ganz seltenen Anlässen aufgepustet – dies erledigte mein Vater, der jedesmal danach vor Atemnot fast in Ohnmacht fiel, denn wir hatten keine Pumpe! – und dann mit etwa 10 cm Wasser befüllt. Wasser war schließlich teuer und man musste sparen. Ich denke aber auch, dass meine Eltern Angst hatten, dass in dem Becken etwas passieren könnte, wenn zuviel Wasser darin war.

Deshalb war das Planschebecken zwar jedesmal ein riesiges Fest, aber mehr als die Füße baden konnte man darin nicht wirklich.

Als wir noch in Leichlingen wohnten, hatten Nachbarn auch so ein Becken wie Lilian. Es war auch blau und musste nicht aufgeblasen werden, da es aus Metall war. Allerdings durften wir dort nur unter strenger Aufsicht planschen, denn das Becken war gut 40 cm tief. Ich war damals erst 2 oder 3 Jahre alt. Dementsprechen verschwommen sind meine Erinnerungen an dieses gigantische blaue Becken.

Anatol reisst mich aus meinen Gedanken. „Elie, Lilian wollte doch heute mit seinen Eltern zur Großmutter nach Meppen fahren. Das wird also nichts mit dem Planschbecken. Lilian ist heute nicht da.“

Fataler hätte die Wirkung nicht sein können. Elie bricht in verzweifeltes Wutgeheul aus. „Ich WILL aber heute ins Planschbecken! Dann müssen wir eben ins Freibad gehen!!“

Es ist nicht mal 7 Uhr, wir haben 30°C, die Katzenklos quellen über und ein Saurier dreht durch: Ich ertappe mich bei dem Wunsch, ebenfalls vor Wut zu heulen. Vor allem: bei 38°C gehe ich nicht in ein Freibad. Allein die Vorstellung von den Menschenmassen im Wasser lässt mich erschauern – vom Geräuschpegel einmal ganz abgesehen. Elie weiss das – um so größer ist seine Verzweiflung.

Glücklicherweise hat Anatol eine rettende Idee. „Wir könnten auf dem Balkon ein Planschbecken aufbauen. Vielleicht kann ich sogar ein Sonnensegel aufziehen. Dann haben wir etwas Schatten.“

Schlagartig verstummt das Geheul. Anatols Idee war gut. Elie beruhigt sich – zumindest vorübergehend. Ich spreche jedoch ein Machtwort. „Ihr beiden macht Euch jetzt bitte fertig. Währenddessen kümmere ich mich um die Katzen und putze die Küche. Danach gehe ich in die Dusche und Ihr bereitet bitte das Frühstück vor. Und wenn wir dann gefrühstückt haben, dann überlegen wir, wie wir das Planschbecken auf dem Balkon einrichten. Erst wird gefrühstückt – keine Widerrede!“

Die Butler sind mit diesem Ablauf glücklicherweise einverstanden.

Kurze Zeit später sind die Katzen gefüttert, die Küche ist geputzt und wir haben gefrühstückt.

Anatol fällt ein, dass der eine Trinkbrunnen von Keramik im Hof nicht in Betrieb ist. Den könnte man als Planschbecken einsetzen.

Meinen Regenschirm werde er zur Markise umfunktionieren, kündigt Anatol an, während ich die Trinkbrunnenschale abspüle und mit Wasser fülle. Elie holt indessen das Tüchlein von der „Sendung mit der Maus“ aus dem Badezimmer. Das sei ein prima Badehandtuch, findet er.

Bald ist alles aufgebaut. Die Saurier planschen fröhlich in dem Trinkbrunnen und spritzen sich gegenseitig naß. Jauchzen und Plätschern dringen vom Balkon in die Wohnung.

IMG_2499„Gibt es auch Eis?“ ruft Elie.

Nein, Eis gibt es nicht. Ich stelle aber in Aussicht, dass wir möglicherweise später am Nachmittag zur Eisdiele gehen und jedem eine Kugel Eis kaufen – wenn es bis dahin etwas kühler geworden ist.

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