96. Kapitel – Der Rotkohl

Seit mehreren Wochen liegt mir Anatol mit dem Rotkohl in den Ohren.

„Wir müssen unbedingt Rotkohl kaufen! Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Den dürfen wir nicht verpassen!“

Ich für meinen Teil habe es mit dem Rotkohl nicht so eilig. Der Kohlkopf ist schwer und unhandlich. Das Kleinschneiden ist mühsam – und meine Aufgabe, da der Butler dafür zu klein ist. Davor schrecke ich etwas zurück. Allerdings hat Anatol mit einem Recht: gut zubereiteter Rotkohl ist eine Delikatesse.

Daher habe ich mich am Samstag breitschlagen lassen und Anatol erlaubt, einen riesigen Rotkohl vom Markt mitzubringen.IMG_3218 Der mittlere Topf ist damit überfordert: Anatol klaubt ganz hinten aus dem Küchenschrank den riesigen Kochtopf hervor. In diesen wird der Kohl hoffentlich hineinpassen.

Auf die Waage bringt der stattliche Kohlkopf ganze 3 kg.

Anatol trägt mir nun auf, das Kohlmonstrum in vier Teile zu schneiden, zu waschen und dann in feinste Streifchen zu hobeln – diese Arbeit sei selbstverständlich unter seiner Würde.

Während ich den Kohl schneide, brät Anatol in dem Topf Äpfelchen und Zwiebelchen mit etwas Olivenöl und viel Zucker an.

Wir lassen uns von dem Rezept unserer Omi aus Pommern inspirieren – original hätte dazu noch Gänseschmalz gegeben werden müssen, aber Anatol kocht ja rein vegan. Daher wird der Rotkohl mit ein wenig Olivenöl zubereitet.

Der Kohl ist nun so fein gehobelt, wie mir das nur möglich ist. Dennoch ernte ich üble Beschimpfungen des Butler, der mich anbrüllt:

„Was ? Das soll feingeschnitten sein ? Noch grober konntest Du es wohl nicht schnippeln ? Höchstens 2mm dick dürfen die Kohlstreifen sein! Mit diesem groben Kram kann ich nichts anfangen! Ich sag es immer wieder: in der Küche bist Du mir ein Klotz am Bein!“

Ich packe das unverschämte Biest und halte es drohend über den Kochtopf. Dies beruhigt den selbsternannten Küchentyrannen etwas.

„Ist ja schon gut – ich werde versuchen, doch noch etwas aus diesen groben „Abschnitten“ zu zaubern. Aber sogar ich kann da nichts versprechen“ fügt er herablassend hinzu.

IMG_3219Auf die gedünsteten, leicht angebratenen Zwiebeln und Äpfel darf ich nun den Kohl geben.

Sogleich träufelt Anatol Essig über den Kohl – so bekomme dieser seine schöne lila, ins tiefblaue gehende Farbe, sagt der Saurier.

Anschließend wird der Kohl gezuckert, und es kommen Gewürznelken, ein paar Pfefferkörner und Salz hinzu.

Der Kohl muss nun – zunächst ohne Deckel – vor sich hinköcheln. Ab und zu rührt Anatol um.

Der Topf ist bis an die Oberkante voller Kohl. Wir hoffen, dass nichts überkochen wird.IMG_3220 Schließlich kann der Topf mit dem Deckel geschlossen werden, und der Kohl muss nun mehrere Stunden schmoren.

Ab und zu schmeckt Anatol ab: unter Gefauche und Geschimpfe – da die Kohlstreifen zu grob geraten sind – werde ich zurechtgewiesen, dass ich den Kohl verhunzt habe. Dass so grob geschnittener Kohl gar nicht schmecken könne – aller Kochkünste zum Trotz, deren Anatol fähig sei.

Ich ziehe mich zu Elie aufs Sofa zurück, schlage ein Buch auf und überlasse Anatol die Küche. Zeternd und mit Küchenutensilien klappernd macht sich der Butler daran, die Kartoffeln aufzusetzen, die zum Kohl serviert werden sollen. Die Kohlaffäre scheint für den Saurier eine rechte Haupt- und Staatsaktion zu sein.

Kohl und Kartoffeln köcheln nun fleißig vor sich hin. IMG_3224Anatol baut indessen das Bügelbrett auf und beginnt, die Bügelwäsche zu bearbeiten – nicht ohne Elie und mich mit scharfem Unterton darauf hingewiesen zu haben, dass in diesem Haushalt nichts funktionieren würde, wenn er, Anatol, sich nicht um alles kümmerte.

Ob wir Anatol in Zukunft wohl noch duzen dürften, fragen Elie und ich spitzbübisch – oder ob Seine Herrlichkeit nun fordere, dass man sie im Pluralis Majestatis anspreche?

Darauf erleidet unser Haustyrann einen Wutanfall. Blindwütig stampft er mit der Plüschtatze auf den Boden, dass es nur so knallt. Elie springt vor Schreck vom Sofa auf.

„Ab jetzt streike ich!“ brüllt Anatol. „Alles bleibt an mir hängen! Ihr sitzt wie die Ölgötzen auf dem Sofa, und ich darf arbeiten!“

Ich lasse mich von dem Tobsuchtsanfall des Butlers nicht beeindrucken. Das Biest ist ein hervorragender Schauspieler.

„Anatol, ich habe Dir in der Küche geholfen, bis Du mich als „Klotz am Bein“ bezeichnet und wüst beschimpft hast. Gib es zu: Du hast nur Angst, dass Dir der Kohl nicht gelingt – und suchst nun einen Schuldigen!“

Elie fügt leise hinzu „Also ich esse den Kohl auch, wenn er nicht zu 100% gelungen ist… “

Schlagartig verfliegt der Zornausbruch. Zerknirscht gibt Anatol zu, dass irgendwas mit dem Kohl „nicht stimme“. Aber was das nun sei – ob es an dem groben Zuschnitt, den Äpfeln oder der Nelke läge oder am Olivenöl, das wisse er noch nicht.

Ich probiere den Kohl. Er ist nur nicht ausreichend durchgezogen. Zudem fehlt etwas Salz. Ansonsten ist der Kohl jedoch perfekt – wenn auch etwas zu grob geschnitten, das muss ich zugeben.

IMG_3229Stunden später serviert uns der Butler bester Laune einen köstlichen, wunderbar durchgegarten, süß-säuerlichen Rotkohl mit Salzkartoffeln.

Ich nehme mir dreimal nach, Elie und Anatol viermal.

Unser Starkoch ist selig.