123. Kapitel – Tor

Eben komme ich von der Arbeit nach Hause. Abgespannt und müde freue ich mich auf eine ruhige Mittagspause, bevor ich zurück ins Büro muss…

Das Essen steht schon auf dem Tisch – die Butler haben sich einmal mehr selbst übertroffen. Bratkartoffeln mit Zwiebelchen, dazu Löwenzahnsalat und Apfelmus zum Nachtisch: glücklich hänge ich meine Jacke an die Garderobe, wasche mir schnell die Hände und setze mich voller Erwartung an den Mittagstisch.

Die Butler indessen diskutieren aufgeregt in der Küche. Ungeduldig rufe ich die beiden Saurier ins Esszimmer, werde jedoch keines Blicks gewürdigt. In ihr Gespräch vertieft setzen sich die Butler zwar an den Tisch, gedenken aber nicht, auch nur ein Wort an mich zu richten.

Dies kann ich so nicht dulden. Obwohl mir solch dramatische Gesten sonst nicht liegen, schlage ich mit der flachen Hand auf den Tisch. Teller, Besteck, Salatschüssel und auch die beiden Saurier heben durch die Erschütterung einige Millimeter von der Tischplatte ab – klirrend landet das Geschirr wieder an seinem Platz. Die Butler verstummen und sehen mich aus vorwurfsvollen Augen an.

„Ja, ich bin auch hier!“ vermelde ich. „Man kann sogar mit mir sprechen! Vielleicht sagt Ihr mir, was Euch so beschäftigt?“

Anatol verdreht die Augen. „Es tut mir leid, aber das verstehst Du sowieso nicht!“

Elie pflichtet ihm bei. „Ja, es ist wirklich was Kompliziertes. Ich glaube nicht, dass Du damit etwas anfangen kannst.“

Auf meinen erbosten Blick hin beeilt sich Elie, mir die Sache doch zu erklären. „Hast Du nicht mitgekriegt, dass sie TV5 Monde gehackt haben? Mir macht das Angst!“

In der Tat hatte ich im Radio gehört, dass der Sender TV5 Opfer einer außerordentlich virulenten Cyberattacke geworden war. Dass Elie vor solchen Angriffen Angst hat, kann ich zwar verstehen – dennoch hoffe ich (möglicherweise zu Unrecht?) auf die Kompetenz unserer Regierungen, uns vor derlei Unbill in Zukunft zu schützen.

„Daran merkt man schon, dass Du gar keine Ahnung hast!“ wirft Elie ein. „Unsere Regierungen werden uns ganz sicher nicht vor diesen Attacken schützen. Im Gegenteil – sie wollen uns nur noch mehr ausspionieren und alle unsere Daten abgreifen! Die NSA macht es ja bereits – und unsere Regierungen tun nichts dagegen! Vorratsdatenspeicherung sag ich nur! Wenn sie dann alles über uns wissen, stecken sie uns ins Gefägnis!“

Anatol nickt. „Genauso ist es. Wir müssen uns selbst schützen!“

Ich bin sprachlos. Sind meine Saurier in die Fänge einer von meinen Eltern vermutlich als „linke Zelle“ bezeichneten Gruppierung geraten? Zu Schulzeiten waren coole Klassenkameraden bei den Trotzkisten; an deren Äußerungen erinnern mich die Erklärungen meiner Butler gerade – obwohl unsere damaligen Diskussionen mit den heutigen Problemen in der Tat wenig zu tun haben.

Elie holt weiter aus. „Lilian hat es heute erzählt! Er kann über Whatsdino mit Angelo in Amerika chatten – und der hat ihm erklärt, dass die NSA alles weiss. Lilian behauptet, Angelo arbeite an einem Forschungsprojekt der Uni Harvard mit: da geht es um Internetüberwachung. Angelo sagt, es gebe keine Sicherheit Internet. Er habe den Hackerangriff auf TV5 daher vorhergesehen! Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis so etwas passieren würde. Bald wisse der IS alles über uns und werde unsere Konten lahmlegen und ausrauben!“

Anatol knurrt „Ja ja. Der Besserwisser!“ Elie findet das egal. Besserwisser oder nicht – die Information sei wichtig!

Ich gebe zu bedenken, dass die Information zwar von hoher Bedeutung sei, aber in keiner Weise neu. Letztens hätte ich sogar in der Frankfurter Allgemeinen einen Artikel darüber gelesen. Man müsse daher nicht einmal die Fachpresse bemühen, um darüber Bescheid zu wissen. Was das von Angelo vorhergesagte Ausspionieren unserer Konten durch den IS angehe, so wage ich dies doch zu bezweifeln. Unsere Banken nutzten allesamt sichere Software – schon deren Eigennutz gebiete das.

„Das glaubst nur Du!“ schreit Elie. „Wenn Du unseren Banken wirklich so blind vertraust, solltest Du vielleicht mal über eine Betreuung nachdenken! Und ja – die Misere mit dem Hacking wird überall erwähnt, aber was tun unsere Regierungen dagegen? Nichts!“ Elie hat sich in Rage geredet. „Lilian sagt, es gebe nur eine Möglichkeit, der Überwachung zu entgehen, und das sei Tor!“

Ich runzle die Stirn. Den Saurier muss ich mir demnächst zur Brust nehmen – ich bin vielleicht nicht mit allen digitalen Besonderheiten vertraut, die heutige Schüler aus dem Effeff beherrschen, aber mir eine Betreuung anzuraten, ist eine Unverschämtheit. Ich beschließe, an dieser Stelle nichts dazu zu sagen, behalte mir aber eine klare Erwiderung zu einem späterem Zeitpunkt vor.

Dann räuspere ich mich und frage „Und was ist dieses „Tor“? Ihr spielt doch sonst keinen Fußball?“

Anatol stöhnt auf.

Elie starrt mich entsetzt an. „Du willst uns jetzt nicht sagen, Du hast noch nie von „Tor“ gehört?“ Fast will seine Stimme überschnappen. Ich beeile mich daher, meine Fußballanspielung ins Lächerliche zu ziehen.

„Das war nur ein Witz,“ erkläre ich, zugegenermaßen etwas lahm. „Trotzdem würde ich mich freuen, wenn man mir jetzt darlegen könnte, was das für ein Tor ist!“

„Sie weiss es wirklich nicht“ seufzt Elie. „Tor ist ein Browser, mit dem man völlig anonym im Netz surfen kann. Niemand kann Dich dort ausspionieren! Lilian sagt, damit habe man fast 100%ige Sicherheit.“

Anatol nickt zustimmend. „Und den richten wir nachher auf Deinem Computer ein!“

Ich erstarre. Schlagartig erinnere ich mich an einen Artikel, den ich vor einiger Zeit Im Internet gelesen hatte … in diesem war es um einen Zwiebel-Router, der ins Darknet führe, gegangen. Kriminelle, Terroristen, Pornohändler und Drogendealer tummelten sich angeblich dort.

Ich verleihe meinem Entsetzen durch einen wilden Wutschrei Ausdruck: „AUF GAR KEINEN FALL WIRD SO ETWAS AUF MEINEM COMPUTER EINGERICHTET!“

Wutschnaubend stehe ich vom Tisch auf, schnappe das Laptop, das Tablet und mein iPhone und lasse den gesamten digitalen Klimbim in meinem Rucksack verschwinden.

„Jetzt ist Schluß mit Internet! Die größte Gefahr für meine Daten geht offenbar von Euch beiden aus! Die Geräte kommen ins Büro und bleiben dort. Hier im Haus gibt es das nicht mehr. Kein Internet – keine Gefahr, von Regierung, IS oder NSA ausspioniert zu werden. Basta!“

Elie heult auf. „Und wie soll ich jetzt mit Anna chatten? Und mit Lilian??“

„Vielleicht gehst Du einfach zu ihnen rüber?“ Ich erinnere Elie daran, dass Anna gegenüber und Lilian gleich nebenan im Rasenweg wohne.

Anatol versucht, mich zu besänftigen. „Warum reagierst Du denn jetzt so über? Tor ist ein absolut sicherer Browser – da kann gar nichts passieren. Also, das sagt jedenfalls Lilian!“

Ich erinnere Anatol daran, dass es  sich bei Lilian um einen etwa 10jähriger Stoffdinosaurier handele, der seine Informatikerweisheiten über Whatsdino von Angelo, einem gleichaltrigen altklugen Klassenkameraden beziehe. Dass ich die wohlgewählten Browsereinstellungen auf meinem Laptop keinesfalls verändern werde, nur weil zwei minderjährige Plüschtiere dies empföhlen.

Hier bringt Anatol indessen ein gewichtiges Argument vor. „Sogar Dein Freund, der Captain, empfiehlt Tor! Also zumindest spricht er in seinem Blog „Linux ohne Angst“ davon.“

Es stimmt, dass der Captain mir oft von Email-Verschlüsselungen wie Enigmail berichtet hat. Gleich einen Zugang ins Darknet zu legen – das hat er mir indessen nie nahegelegt.

Ich werde mich jedoch mit den Möglichkeiten, die Tor bietet, auseinandersetzen und insbesondere den Audioblogeintrag des Captains über Tor genauestens studieren. Vorerst schreckt mich vor allem die Tatsache ab, dass ich nicht einmal ansatzweise verstehe, was es mit Tor, dem Darknet und der Zwiebelgeschichte auf sich hat.

Geschicktes Nachfragen bei den Sauriern bestätigt meinen Verdacht, dass es bei ihnen nicht anders aussieht – auch wenn sie dies zu verbergen suchen. So glauben die beiden beispielsweise, dass die Cyberattacke auf TV5 hätte verhindert werden können, wenn TV5 Tor gehabt hätte.

Es wird noch viel Nachhilfe in Medienkompetenz nötig sein.

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Comments

  1. says

    Eure Darknet(un)kenntnisse sind etwas erschreckend für mich. Tor verbindet euch nicht mit Pädophilen sondern verbirgt zb eure IP vor anderen. Das hat rein gar nichts mit kriminellen Machenschaften im Internet zu tun.

  2. majorneryz says

    Die Unkenntnis ist nicht nur für Dich erschreckend.

    Unsere Wissenslücken sind schlimm. Aber was willst Du von Leuten erwarten, die nicht einmal einen Momox-Verkauf abschließen können, ohne ein heilloses Durcheinander anzurichten …

    Dennoch sind wir entschlossen, technisches Know-How aufzuholen. Gestern haben wir uns noch weiter in die Materie vertieft und den Audioblog auf „Linux ohne Angst“ gehört.

    Es ist noch viel Nachhilfe vonnöten. Wir bleiben dran 😉

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