114. Kapitel – Mergers & Acquisitions

Nach gut zweiwöchiger „krankheitsbedingter Abwesenheit“ – so heisst es im Bürokratendeutsch – lässt Anatol mich endlich, wenn auch unter Protest, wieder ins Büro gehen. Mein grippaler Infekt hatte sich zu einer regelrechten Hongkong-Grippe ausgewachsen und mich für ganze 14 Tage ans Bett gefesselt. Ohne die Butler und deren Pflege hätte ich wohl kaum überlebt – dementsprechend streng wird meine Genesung überwacht.

Ich habe um spätestens 17 Uhr zu Hause zu sein, damit es um 18 Uhr Abendbrot gebe und ab 19 Uhr die für meine Gesundung so wichtige Nachtruhe einsetzen könne – dies hatte Anatol heute morgen unerbittlich festgelegt.

Folglich hatte ich den Chef darauf hingewiesen, dass ich heute bereits am späteren Nachmittag das Büro verlassen werde – was auch, in Anbetracht meiner immer noch recht klapprigen Verfassung, ohne weiteres bewilligt worden war.

Leider soll mein Feierabend eine andere Wendung nehmen, als Anatol geplant hat.

Um 16 Uhr werde ich von den Kollegen von einem juristischen Notfall in Kenntnis gesetzt, der eine sofortige telephonische Krisensitzung erfordert – ein internationaler „Deal“ sei kurz vor dem Platzen, und meine Teilnahme an den Verhandlungen unerlässlich.

Auf Grund der Tragweite des Problems ist die Sitzung auf 18 Uhr anberaumt: so sollen noch letzte juristische Überprüfungen vorgenommen werden – von mir. Als ich den Vorgang auf dem Schreibtisch habe, offenbart sich mir das ganze Elend juristischen Daseins: ein Fall mit komplizierten, grenzüberschreitenden Konstellationen im Bereich Mergers & Acquisitions.

Ich versuche, zumindest die einschlägigen Gesetzestexte ausfindig zu machen: diese Rechtsbereiche sind mir – flüchtig – im Studium das letzte Mal begegnet.

Der Chef sieht mich mit großen, hoffnungsvollen Augen an. „Du weisst doch, wie das geht?“ fragt er – voller Vertrauen in meine unerschöpflichen Fähigkeiten. Ich runzle die Stirn. „Genau so gut wie Du…“, antworte ich. Wir schlucken.

Der Chef hat eine Lösung. Ein Freund ist doch Spezialist – wenn wir den nun anrufen und um Rat fragen! Ich bitte darum, und weise darauf hin, dass ich an der Konferenz von zu Hause aus teilnehmen werde – bei einer Tasse Tee. Letzteres behalte ich allerdings für mich.

Sodann begebe ich mich erleichtert nach Hause. An den Verhandlungen werde ich zwar mitwirken, aber nur bezüglich der von mir beherrschten Problematiken. Den technischen, speziell Mergers & Acquisitions betreffenden Teil wird der Spezialist bestreiten – dies hat der Chef erreicht.

IMG_0055Um 18 Uhr sitze ich mit Computer, Telephon, Vertragstext und Teekanne bereit und wähle mich in die Konferenz ein. Die anderen Teilnehmer sind höflich, jedoch angespannt.

Der freundliche Mergers & Acquisitions-Spezialist meldet sich zu Wort – ich beginne, mich zu beruhigen. Zumindest dieser Teil der Verhandlungen wird nicht von mir geführt – das ist auch besser so.

Mitten im Satz bricht der Experte ab. Ich schüttle mein Telephon: der Spezialist bleibt stumm. Ein Murren der Verhandlungspartner lässt sich vernehmen. Ich verspreche, den Herrn sofort zu kontaktieren und die Schaltung wieder herzustellen.

Doch wie? Verzweifelt rufe ich den Chef an: wo ist unser Spezialist? Der Chef teilt mir zerknirscht mit, dass dieser sich zur Zeit altmodischerweise in der Eisenbahn und dort in einem Funkloch befinde – per Mail habe er dies noch mitteilen können, bevor auch die Internetverbindung abgebrochen sei. Nun sei es an mir, den Verhandlungsteil über Fusionskontrolle, Unternehmenskauf und Konsortiengründung zu führen. Schulterklopfend – dies schafft er sogar durchs Telephon – meint der Chef, ich werde das schon machen. Schließlich sei es keine Hexerei.

Um diese Erkenntnis reicher kehre ich in meine Konferenz zurück – Schweisstropfen auf der Stirn. Meine Kompetenzen in Sachen Konsortiengründung beziehe ich aus der Lektüre von Dagobert Duck-Heften – dies wird der anderen Seite wohl nicht verborgen bleiben.

Indessen sind die Butler auf den Plan getreten: unbemerkt von den Konferenzteilnehmern sitzen sie am Computer und suchen verzweifelt das Internet nach Lösungen ab. Anatol zischelt mir zu „Du musst Zeit gewinnen! Vielleicht fällt uns in der Zwischenzeit etwas ein!“

Souverän weise ich darauf hin, dass der vorliegende Sachverhalt nicht nur Aspekte der Konsortiengründung betreffe, sondern auch andere rechtliche Problematiken berge. Diese lege ich dar und stelle meine juristische Analyse vor. Indessen durchforsten die Butler diverse Webseiten nach Lösungen für das Konsortienproblem.

Als ich mit meiner Präsentation fertig bin, sehe ich die Butler erwartungsvoll an. Irgendetwas müssen sie doch gefunden haben? Anatol schüttelt beschämt den Kopf. „Das ist zu kompliziert!“ flüstert er. „Ich kapier nichts davon!“

Elie nimmt mir den Hörer aus der Hand. Ich sehe ihn entsetzt an – da spricht der Saurier bereits zu den Konferenzteilnehmern! „Ich bin der Merger-Spezialist. Soeben habe ich Ihren Sachverhalt überprüft und bin zu dem Schluß gekommen, dass hier kein Konsortium gegründet werden kann – und auch nicht muss.“

Die Konferenz ist baff. Man kann förmlich die berühmte Stecknadel zu Boden fallen hören. Ein Teilnehmer räuspert sich. „Könnten Sie das … noch etwas genauer erläutern, Herr … ich hatte Ihren Namen vorhin leider nicht verstanden?“

Elie bejaht dies. „Diese ganzen Sorten und Konsorten sind doch heutzutage gar nicht mehr üblich. Man bezahlt doch immer mit der Kreditkarte!“

Ich erstarre. Dies ist das Ende. Das Ende des Deals – und vermutlich meiner Karriere. Ich stammele eine Entschuldigung in den Hörer – da bemerke ich, dass der Saurier bereits den Knopf zum Auflegen gedrückt hat. Die Konferenz ist somit beendet.

Gerade will ich in Tränen ausbrechen, da kichert Anatol: „Dein Chef wird seinem Spezialisten, der soeben aus dem Funkloch aufgetaucht ist, morgen sicher den Kopf waschen!“

Schlagartig wird mir klar, dass Elies Intervention IMG_3480nicht mir, sondern dem vorhin aus dem Gespräch herauskatapultierten Mergers & Acquisition-Experten zugerechnet werden wird.

Anatol nimmt das Telephon an sich, wählt die Nummer des Pizzalieferdienstes und bestellt eine riesige Pizza für uns drei.

Dann meint er: „Wir feiern jetzt Deine erfolgreiche Verhandlung. Der Teil, den Du bestritten hast, war ja absolut einwandfrei!“

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