Gestern hatte Anatol ganz entgegen seiner Gewohnheit den Kellerschlüssel verlangt. Er überlässt es sonst mir, in den Keller zu gehen – allenfalls trägt er Elie oder mir auf, ihm etwas aus dem Keller heraufzubringen, aber auch dies geschieht recht selten. Verblüfft hatte ich ihm den Schlüssel ausgehändigt und Anatol war tatsächlich höchstpersönlich in den Keller herabgestiegen.
Kurze Zeit später hatten wir ein lautes Klappern und Klirren im Treppenhaus gehört. Anatol war mit einem großen Beutel auf dem Rücken hereingekommen und hatte dann in der Küche unsere Marmeladengläser ausgepackt. Diese werden im Keller gelagert und nur, wenn Marmelade gekocht werden soll, heraufgeholt.
Ich hatte begonnen, mich zu freuen. Anatol beabsichtigte offensichtlich, Marmelade herzustellen! Dies waren ganz wunderbare Aussichten.
„Glaub ja nicht, dass Du hier nicht mit eingespannt wirst!“ hatte Anatol geknurrt. „Alles kann ich nun nicht allein machen! Du bringst mich jetzt zum Markt, denn ich muss Obst aussuchen. Und ich brauche jemanden, der das alles trägt.“
Ich schlucke. Einen Kommandoton hat das Biest wieder am Leib – es ist unglaublich. Da ich aber an seinen Marmeladen-Kochkünsten interessiert bin, gebe ich nach.
Kurze Zeit später sind wir auf dem Markt. Anatol kauft Obst in Größenordnungen – mir ist schleierhaft, wie er das alles verarbeiten will. Bezahlen darf natürlich ich.
Schließlich ist alles in die Wohnung hochgetragen und in der Küche ausgepackt. Anatol ordnet an, dass zwei Drittel des Obstes (vorwiegend hat er Zwetschgen gekauft) sofort gewaschen und entkernt werden. Diese Arbeit bleibt selbstverständlich auch an mir hängen: Elie hat sich in weiser Voraussicht gleich nach dem Abwaschen der Pflaumen zu Anna nach Gegenüber geflüchtet.
Ich darf nun also schnipseln und entkernen.
Als 4 kg Pflaumen fertig entkernt sind, zuckert Anatol die eine Hälfte ein und stellt den Topf beiseite. „Das muss jetzt bis morgen Saft ziehen. Aus diesen Pflaumen möchte ich Konfitüre kochen – die anderen werden zu Pflaumenmus verarbeitet. Das sind zwei ganz unterschiedliche Rezepte.“
Die weiteren 2 kg Pflaumen gibt Anatol in die tiefe Backform. Ich merke an, dass die Backform für unsere Kochplatten ungeeignet sei, dass aber der zweite große Topf noch sauber sei.
Anatol schnaubt verächtlich. „Wer kocht heutzutage denn noch Pflaumenmus auf der Kochplatte. Nein – das Mus wird im Backofen gebacken!“
Ich bin baff. Dass man Pflaumenmus im Backofen machen könne, war mir gänzlich unbekannt. Anatol belehrt mich eines Besseren: die Backofenmethode sei deutlich bequemer und das so gebackene Mus schmecke zudem viel besser als das von der Kochplatte. Schließlich verrät mir Anatol auch sein Rezept. Ich bin nun außerordentlich gespannt.
Als erstes wärmt Anatol den Backofen auf ca. 160°C vor. Dann stellt er die Backform mit den Pflaumen, über die er ein wenig Vanillezucker gestreut hat, in den Ofen. Die Pflaumen müssten nun mindestens 4 Stunden backen. Ab und zu sei es angezeigt, einen Blick in den Ofen zu werfen, und gegebenenfalls auch umzurühren.
Sehr spät am Abend ist das Mus fertig. Es hat mehr als 5 Stunden vor sich hingeköchelt und ist dabei zu einer fast schwarzen, zähen Masse geworden. Diese füllt Anatol in ein Marmeladenglas ab und verschließt es. Danach zieht er sich in sein Sauriernest zurück und schläft ein.
Heute morgen ist Anatol schon um 5 Uhr 30 in der Küche. Er will nicht nur die Pflaumenmarmelade, die wir gestern angesetzt haben, kochen, sondern noch ein anderes Pflaumenmusrezept ausprobieren. Da dies bis mindestens 10 Uhr dauern wird und er danach sowohl das MIttag- als auch das Abendessen kochen will, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sehr früh anzufangen.
Die Pflaumenmarmelade wird zunächst langsam erhitzt, bis sie schön vor sich hinköchelt. In diesem Zustand überwacht Anatol sie mit Argusaugen. Er lässt die Marmelade nun aufkochen – und will dabei mit dem langen Holzlöffel umrühren, damit die Marmelade nicht anbrennt.
Aber wo ist der lange Holzlöffel? Ratlos sehe ich Anatol an. „Wir hatten doch noch nie einen langen Holzlöffel, Anatol … also jedenfalls nicht, dass ich wüsste!“
Anatol schäumt vor Wut. Er stampft mit der Plüschtatze auf, dass es nur so knallt. „Wie soll ich denn jetzt die kochende Marmelade umrühren?! Kannst Du mir das mal verraten?“ brüllt er mit hochroten Kopf.
Leider kann der Butler manchmal gewisse Anfälle von Jähzorn nicht unterdrücken – ganz besonders, wenn ihm beim Kochen ein Strich durch die Rechnung gemacht wird.
Das Problem brennt uns nun im wahrsten Sinne des Wortes auf den Nägeln. Die Marmelade ist zur Weissglut gebracht – entsetzt sieht Anatol, wie sie wallet und siedet und brauset und zischt!
Todesmutig ziehe ich mir den Backhandschuh über, nehme einen Esslöffel zur Hand und rühre die brodelnde Masse, so gut es eben geht. Anatol fiept, da ihn ein Marmeladenspritzer getroffen hat. Ja, das brennt!
Nach 30 Minuten ist die Marmelade immer noch nicht fest. Ein übler Verdacht drängt sich mir auf. Hat das Untier etwa keinen Gelierzucker verwendet?
Anatol rümpft pikiert die Nase. „Gelierzucker ist erstens unnatürlich und zweitens überflüssig! Das Obst enthält schon Pektin. Zusätzliches Geliermittel macht die Marmelade zu Beton! Das wollen wir hier nicht.“
Dass unsere Marmelade nun dünnflüssig wie Wasser ist, wischt Anatol mit einer Handbewegung weg. „Papperlapapp!“ knurrt er. „Die wird schon fest werden!“
Endlich darf ich die Marmelade in die von Anatol vorbereiteten Gläser füllen. Von „wird schon fest werden“ kann jedoch keine Rede sein. Anatol schwenkt daher um auf „Die Marmelade schmeckt flüssig sowieso viel besser“.
In der Tat schmeckt die Marmelade köstlich. Wir werden sie eben mit Löffeln essen, soweit das nötig ist.
Das nächste Rezept steht an. Wie gestern soll es ein Pflaumenmus werden – im Backofen zubereitet. Diesmal aber nicht mit Vanillezucker, sondern mit etwas Zimt. Anatol liebt „Aachener Pflümli“ und gedenkt, mit der Zugabe eines Teelöffels Zimt quasi das Original herbeizuzaubern.
Schließlich sind die Pflaumen gewaschen, entkernt und mit ein wenig Zimt in der Backform. Anatol schiebt sie in den vorgeheizten Ofen.
Danach beginnt er, das MIttagessen vorzubereiten: es soll den capverdischen Eintopf mit rotem Quinoa geben.
Anatol wird die Küche heute wohl nicht mehr verlassen. Die gesamte Bügelwäsche hat er nämlich auch noch zu machen.
Ich stelle mich mental auf Tarifverhandlungen ein – der Butler wird die günstige Gelegenheit sicher nicht verstreichen lassen, heute abend eine Gehaltserhöhung zu verlangen. Ich kenne meine Pappenheimer.
Eine Prämie hat sich der Butler heute aber auf jeden Fall verdient.
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