70. Kapitel – Der 19. August 1900

Heute vor 114 Jahren wurde meine Omi geboren – weit, weit weg von hier, im schönen Jastrow. Damals war es eine Stadt in Pommern – heute heisst es Jastrowie und liegt in Polen.

Elie und Anatol sind sehr traurig, dass sie diesen Geburtstag nicht mehr mit Omi feiern können – und ich natürlich auch. Anders als Anatol und Elie durfte ich aber viele wunderschöne Geburtstage mit Omi erleben.

An einen erinnere ich mich ganz besonders: den allerersten, den ich bewusst erlebt habe. Es mag Omis 73. oder 74. Geburtstag gewesen sein; ich weiss, dass ich damals noch nicht zur Schule ging. Gefeiert wurde er in der alten Wohnung in Leichlingen – die ganze Familie war da.

Im Esszimmer, das zwischen den beiden großen Flügeltüren lag, war der Tisch ausgezogen worden, um Platz für unzählige Kuchen und Torten zu bieten. Dies weiss ich noch ganz genau: der Geburtstagstisch beherbergte die köstlichsten Kuchen, die ich je gesehen hatte. Ob Omi sie alle selber gebacken hatte? Möglich ist es.

Eine Torte hatte es mir ganz besonders angetan. Sie hatte dunkelbraune und weisse Schichten und einen wunderschön gefältelten Sahneüberzug mit jeweils einer dunkelroten, glänzenden Kirsche auf jedem Stück. Ehrfürchtig und begierig zugleich stand ich vor dieser Torte und zeigte mit dem Finger darauf: „Die Torte da, die möchte ich essen!“

Mama – in ihrem weissen Sommerkleid mit den großen roten Punkten wunderschön – beeilte sich zu sagen „Diese Torte ist leider nicht für Kinder! Erstens ist sie viel zu mächtig, und dann ist auch noch viel Alkohol darin. Davon kannst Du leider kein Stück haben. Du würdest es sowieso nicht aufessen können.“

Gebrüll war meine – berechtigte! – Antwort. Sofort eilte Omi zur Hilfe.

„Das ist doch die Schwarzwälderkirschtorte. Meine Lieblingstorte! Davon darf sie ein kleines Stückchen probieren. Was übrig bleibt, esse ich auf, keine Sorge. Und Alkohol ist so gut wie keiner drin!“ sagte Omi augenzwinkernd und servierte mir ein aus meiner Sicht riesiges Stück, welches ich in der Tat nicht mal zu einem Drittel schaffte. Die übrigen zwei Drittel kamen auf Omis Teller und verschwanden alsbald.

Seitdem war die Schwarzwälderkirschtorte nicht nur Omis, sondern auch meine Lieblingstorte. Leider ist es sehr schwer, eine richtig gute wie die von Omis Geburtstag zu finden. Anatol verspricht mir deshalb gerade, sich das Rezept näher anzusehen und eine vegane Alternative zu entwerfen!

Herzlichen Glückwunsch zum 114. Geburtstag, liebe Omi!

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