„…fröhlich verrauscht des Markts
Geschäft’ger Lärm; in stiller Laube
Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.“
31. Juli 2014 – Heute war mein letzter Arbeitstag vor den großen Sommerferien. Müde schleppe ich mich durchs Treppenhaus bis in den vierten Stock. Die Nachbarn sind schon beim Abendessen. Man hört fröhliche Stimmen und Lachen durch die Türen dringen, der Duft von köstlichen Speisen liegt in der Luft.
Hungrig und abgekämpft komme ich an die Wohnungstür. Ich drehe den Schlüssel im Schloss und hoffe inständig, dass mich die Butler nicht vergessen haben. Jetzt eine dunkle, verlassene Wohnung vorzufinden – es wäre deprimierend.
Aber nein – eine solche Wohnung erwartet mich glücklicherweise nicht. Als ich die Tür öffne, höre ich die Saurier in der Küche lachen und schwatzen. Der große Schmortopf steht auf dem Herd – ein herrlich duftendes Curry köchelt darin. Anatol hat dazu einen Salat vorbereitet und entkorkt gerade eine Flasche Wein. Der Tisch im Esszimmer ist gedeckt; die Butler haben zur Feier des Tages sogar Kerzen angezündet. Ein Candle-Light-Dinner mit den Sauriern – ich bin erfreut. So schön hatte ich mir den heutigen Abend nicht ausgemalt.
Elie hüpft von der Küchenanrichte herunter. „Wir haben endlich Ferien!“ ruft er vergnügt. „Fahren wir denn auch weg? Alle meine Freunde sind verreist – Angelo ist sogar in Amerika!“
Anatol weiss, dass Wegfahren schon wegen der Katzen gar nicht möglich ist. Er dämpft Elies Elan und meint „Lass uns jetzt erst mal zu Abend essen. Vielleicht können wir dabei die eine oder andere Ferien-Aktion planen?“
Nachdem das Curry verspeist und der Nachtisch (selbstgemachtes veganes Himbeer-Joghurt-Eis) serviert ist, beginnt Anatol, auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen. Unentschlossen druckst er herum, und rückt schließlich mit der Sprache heraus.
„Ihr wisst ja, dass ich so gut wie den ganzen Tag und einen Teil des Abends in unserer Küche verbringe. Die Küche ist mein Haupt-Arbeitsplatz!“
Wir nicken.
„Ja – aber diese Küche ist eine einzige Katastrophe! Man kann darin nicht arbeiten. Nichts ist an der richtigen Stelle, wir haben keine Schubladen, aus denen man schnell die Utensilien hervorholen kann, es gibt keine Hängeschränke über der Arbeitsplatte – diese Küche ist unbrauchbar!“
Anatol hat sich in Rage geredet – sein grünes Dinosaurierköpfchen hat eine rötliche Farbe angenommen. Ich weiss, dass mit dem Butler dann nicht zu spaßen ist.
„Anatol, das ist mir alles bewusst. Aber was können wir tun? Diese Küche ist nun mal so – daran kann ich nichts ändern.“
„Papperlapapp! Die Küche ist riesig – wir müssten sie nur einmal richtig einrichten. So zum Beispiel!“ Anatol springt auf und kramt in einem Zeitschriftenstapel herum. Endlich hat er gefunden, was er uns zeigen will: den Möbel-Prospekt eines schwedischen Einrichtungshauses.
„Da! Guck Dir diese Traumküche an! Und die will ich haben!“
Ich seufze. „Ja Anatol. Diese Küche möchte ich auch haben. Dabei bleibt es aber leider: beim „ich möchte„. Wir können uns erstens eine solche Küche nicht leisten, und haben zweitens hier gar keinen Platz dafür. Wo willst Du denn das alles unterbringen, was Du da auf dem Bild siehst?“
Anatol schluckt. Er weiss, dass die Küchenphantasie eine Utopie bleiben wird. Dennoch sollten wir Verbesserungen in Küche und Wohnzimmer anbringen, findet er.
Da er hiermit Recht hat, stehe ich auf und reserviere das Car-Sharing-Auto für den nächsten Morgen. „Anatol, morgen geht es zu Ikea. Da lassen wir uns inspirieren! Vielleicht finden wir ja die eine oder andere gute Idee, um die Wohnung praktischer und wohnlicher zu gestalten.“
Anatol liebt Besuche bei Ikea.
Elie hingegen lässt traurig den Kopf hängen. „Ich hasse Ikea. Ich hasse Möbelgeschäfte und Baumärkte. Nur Ihr beiden wollt da immer hin! Was soll ich denn morgen machen? Tolle Ferien sind das…!“ Elies Stimme zittert.
„Elie, Du könntest morgen ins Schwimmbad gehen!“ schlägt Anatol vor.
„Ja toll – allein? Du weisst doch, dass alle meine Freunde wegefahren sind – es ist niemand mehr da, den ich kenne! Im Schwimmbad sind jetzt nur die Großen – die, die mich letztes Jahr immer geärgert haben! Vor denen habe ich Angst, wenn ich da allein bin – die schmeissen mich ins tiefe Becken und tauchen mich unter!“
Es stimmt – ein Schwimmbadbesuch ganz ohne Begleitung ist keine gute Idee.
Halbherzig schlage ich vor, dass Elie ins Ikea-Kinderparadies gehen könne, während Anatol und ich die Möbel ansehen. Nun bricht Elie in Geheul aus. „Das Ikea-Kinderparadies hasse ich noch mehr als Ikea und Baumarkt zusammen! Da werde ich immer unter diesen bescheuerten Bällen begraben – schrecklich ist das! Ihr könnt mich mal!“ schreit er.
Ich sehe ein, dass das Ikea-Kinderparadies für Elie ein weiterer Ort des Schreckens ist und biete eine Alternative an: „Elie, möchtest Du morgen vormittag vielleicht einfach zu unseren netten Nachbarn aus dem ersten Stock? Vielleicht gehen sie sogar ins Schwimmbad!“
Elie akzeptiert dies nach kurzem Zögern, wenn auch widerwillig. „Wehe, wenn ich meine ganzen Ferien bei den Nachbarn im ersten Stock verbringen muss – nur weil Ihr die ganze Zeit Wohnungsverschönerung betreibt! Ich will, dass wir auch was Richtiges unternehmen – so wie normale Menschen das in ihren Ferien tun!“
Ich überlege. Welche Ferienattraktion könnte sich bieten, die einerseits gut erreichbar und andererseits nicht zu ruinös ist? Ich erinnere mich an einen Ausflug, den ich vor bald 40 Jahren mit meinen Eltern, meiner Schwester und unserem damals ganz jungen Hund Trolli an die Edertalsperre gemacht habe – im Sommer 1975 muss das gewesen sein. Es ist lang her.
„Elie, wir könnten nächste Woche an den Edersee fahren und dort Boot fahren. Wenn Ihr brav seid, könnten wir sogar darüber nachdenken, dort eine Nacht zu bleiben – im Zelt oder unter freiem Himmel! Voraussetzung wäre allerdings, dass wir jemanden finden, der die Katzen versorgt. Und es muss natürlich warm genug sein.“
Elie strahlt. Die Ferien sind gerettet.
Vorerst steht jedoch der Besuch bei Ikea an.
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