60. Kapitel – Ein ganz gewöhnlicher Samstag

Es ist 5 Uhr 20. Ein sonniger Sommermorgen bricht an. Schon bald soll sich die Stadt in einen Glutofen verwandeln – für 9 Uhr sind bereits 30°C angekündigt.

Anatol hat daher angeordnet, dass bis spätestens 7 Uhr gelüftet wird, dann alle Fenster geschlosssen und die Rolläden bis auf einen kleinen Spalt heruntergelassen werden. So halte man in südlichen Ländern das Haus innen schön kühl. Heute sei es notwendig, auch so zu verfahren.

Vorerst ist es in der Wohnung noch kühl. Die Katzen streichen um mich herum – offenbar hat man großen Appetit und will sofort frühstücken.

Mein heutiger Samstag soll recht entspannt werden. Nach der üblichen Wohnungsputzprozedur und dem Einkauf auf dem Markt steht ein Besuch bei Fridolin an – ich habe heute einen Termin zur Akupunktur. Dann bin ich bei einer Freudin eingeladen und später soll es in der Trattoria Pasta geben. Am Nachmittag habe ich einen Friseurtermin, und danach muss ich noch einmal kurz nach Kehl, um eine Bestellung abzuholen. Zwischen den jeweiligen Terminen liegt viel Zeit – heute soll es vor allem keinen Stress geben.

Anatol gefällt mein Programm. Er verkündet, er komme heute mit in die Stadt.

Elie hingegen möchte lieber zu Hause bleiben, er wird sich nämlich zum Mittagessen mit Lilian treffen. Ein Einkaufsbummel in der Stadt – nein, danach sei ihm gar nicht zumute, schon gar nicht bei einer solchen Hitze.

Anatol sitzt bereits in meiner Handtasche – ich fahre los.

Im Wartezimmer meines Hausarztes treffen wir Fridolin. Er hat einiges mit Anatol zu bereden, während ich meine Akupunktur-Séance habe. Was auch immer die beiden zu besprechen haben – ich soll es offenbar nicht erfahren; etwas Angenehmes scheint es eher nicht zu sein. Wie ich schon länger vermute, stimmt irgendetwas mit Fridolin nicht. Möglicherweise kann ich nachher etwas darüber aus Anatol herauskitzeln.

Kaum dass wir die Praxis verlassen haben, versucht Anatol unauffällig, mich wieder in den Levi’s Store zu lotsen – darauf hatte ich mich allerdings eingestellt. Heute wird es ihm aber nicht gelingen. Schließlich soll es nun keine Klamotten mehr geben – oder nur so wenig wie möglich.

IMG_2494 Wir fahren auf dem schnellsten Weg zu Isabelle, wo ein wunderbarer Jasmintee auf uns wartet.

Anatol und ich dürfen es uns auf dem Balkon gemütlich machen und die dort im Schatten noch angenehm frische Luft genießen. Wir fühlen uns so wohl, dass wir eigentlich gar nicht mehr weg wollen.Anatol bei Isabelle

Isabelle gießt uns einen Tee nach dem anderen ein und bietet uns herrliche Datteln und Feigen aus Marokko an.

Eigentlich sind wir hier im Schlaraffenland angekommen.

Anatol fragt „Müssen wir unbedingt in die Trattoria…? Hier ist es doch viel schöner …!“

In Wirklichkeit möchte der eitle Fatzke aber nur weiter von Isabelle photographiert werden – er hat nämlich gemerkt, dass Isabelle wunderschöne Photos macht. Nun will Anatol natürlich sein eigenes Portrait!

Isabelle tut ihm den Gefallen und schießt ein paar Bilder von Anatol, der sich bemüht, auf den Photos möglichst nicht zu lächeln – das sähe einfältig aus.

 

Anatol bei Isabelle2

Anatol groß

Leider ruft nun schon die nächste Verabredung – wir müssen Isabelle für heute verlassen. Aber wir werden bald wiederkommen!

In der Trattoria ist es unerträglich heiss. Der Pizzaofen arbeitet auf vollen Touren und alle 4 Gasflammen des Herds züngeln wild unter den Pasta-Töpfen hervor. Anatol ächzt. „Mir ist es viel zu warm hier! Können wir nicht zurück zu Isabelle…?“

„Anatol, wir müssen auf die Pasta warten. Gleich ist sie fertig. Wir nehmen sie dann mit zu Saït: in seinem Atelier ist es schön kühl. Da essen wir die Pasta.“

„Pasta, Pasta, Pasta – dieses neumodische Geschwätz geht mir auf die Nerven! Es sind NUDELN, ganz einfach. Warum muss man das heute hochtrabend „Pasta“ nennen?“

Anatol scheint die Sonne tatsächlich etwas zu sehr auf den Kopf geschienen zu haben. Normalerweise ist es nämlich er, der sich dieser Bobo-Terminologie befleißigt. Ich persönlich sage nie „Pasta“ – aber hier sind wir in einer italienischen Trattoria, und dort heisst es eben so. Diese Erklärung scheint Anatol für heute auszureichen, jedenfalls schimpft er nicht weiter. Vermutlich ist es ihm einfach zu heiss.

Kurze Zeit später haben wir unsere Nudeln vor uns auf dem Teller. Anatol erleidet hier weiteres Ungemach: seine „Pasta arrabiata“ ist derart „arrabiata“, dass sich der Saurier in einen feuerspeienden Drachen verwandelt.

Anatols Laune ist auf ihrem Tiefpunkt angelangt.

Einige Gläser Wasser löschen den Brand notdürftig, dann fahre ich mit einem zeternden und schimpfenden Saurier in der Handtasche zu meinem Friseurtermin. Ich schwöre mir, den Butler nie wieder bei einer solchen Hitze in die Stadt mitzunehmen.

Beim Friseur ist es angenehm kühl, und Anatol schläft – dem Himmel sei dank – endlich in meiner Tasche ein.

Nun steht noch unsere letzte Etappe an: die Fahrt nach Kehl. Da ich das Carsharing-Auto mit der Klimaanlage reservieren konnte, gehe ich davon aus, dass diese Fahrt nicht zu weiteren Verwerfungen führen sollte. Ich radle also frohgemut los.

Das Handy klingelt. Anatol schreckt aus seinem Mittagsschlaf hoch – ich hebe ab.

Eine vollkommen aufgewühlte Freundin meldet sich. Katze Edmee geht es sehr schlecht. Edmee kann nicht mehr aufs Katzenklo gehen, sie hat starke Schmerzen und scheint eine Harnblockade zu haben. Dies kann ein unmittelbar lebensbedrohender Zustand sein. Jedenfalls ist so etwas extrem schmerzhaft – es handelt sich um einen tierärztlichen Notfall und bedarf sofortiger Behandlung.

Fieberhaft denke ich nach. Nach Kehl fahre ich nun sowieso. Wenn ich das Auto länger reserviere, haben wir Zeit genug, um Edmee in die Tierklinik zu bringen.

Das Problem: Katze Edmee findet Fahrten zum Tierarzt noch schlimmer als ihre Krankheit und will sich nicht in den Katzenkorb bugsieren lassen. Die Verfrachtung in den Transportkorb kann leider etwas Zeit in Anspruch nehmen – das kenne ich bereits.

Ich drücke Anatol das Handy in die Pfoten. „Bitte reserviere das Auto bis 20 Uhr, Anatol. Dann rufst du bei Edmee an und fragst, ob sie schon im Korb ist – und organisierst den Treffpunkt etc.  Ich trete in die Pedalen und fahre so schnell es geht zum Auto, dabei kann ich nicht telephonieren.“

Vor Aufregung bebend tippt Anatol auf die Handytastatur. Es gelingt ihm, das Auto bis 20 Uhr zu buchen. Danach erfährt er, dass Edmee sogar schon im Kennel ist. Sie ist sehr geschwächt und konnte glücklicherweise überrumpelt werden. Wir können sie also schnellstens abholen.

Eine knappe Stunde später stehen wir mit Edmee vor der Tierklinik. Edmee hyperventiliert – ihr Mäulchen steht sperrangelweit auf. Bei Katzen ist das ein ganz schlechtes Zeichen.

Dementsprechend beklommen sind meine Freundin und ich.

Anatol versucht, Edmee durch gutes Zureden zu beruhigen.

Eine freundliche junge Tierärztin, die ich noch gar nicht kenne, kümmert sich sofort um Edmee. Edmee hat eine Blasenentzündung und braucht dringend Schmerzmittel und Entzündungshemmer. Nach 2 Spritzen beginnt Edmee, sich etwas besser zu fühlen – sie wird ruhiger und scheint deutlich weniger Schmerzen zu haben. Wir werden entlassen, sollen Edmee aber die nächsten Tage isolieren, um sie besser beobachten zu können. Notfalls sollen wir sofort wieder in die Klinik kommen, wenn sich der Zustand nicht bald verbessert.

Bis wir Edmee nach Hause gebracht und in den 5. Stock geschleppt haben, das Auto zurückgegeben haben und uns endlich auf den Heimweg machen können, ist es nach 19 Uhr.

Zuhause warten hungrige Katzen und der abendliche Hausputz auf uns.

Anatol möchte einen solchen Samstagsmarathon nicht noch einmal mitmachen müssen. Er verkriecht sich auf dem schnellsten Weg in sein Sauriernestchen. Der Großputz bleibt mir überlassen.

Ein ganz gewöhnlicher Samstag…

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