Seit mehreren Monaten liegt sie mir auf der Seele – die unerbittlich näherrückende Dienstreise zum Starnberger See. Zwei ganze Tage und eine Nacht werde ich verreist sein – Katzen und Dinosaurier sind allein zu Haus !
Heute ist es so weit: Meine Reisetasche ist gepackt. Anatol hat mehrmals kontrolliert, ob ich auch alles habe. Schlafanzug, Seife, Shampoo … etwas Wäsche zum Wechseln und eine warme Jacke : alles hat er erst in einer Liste zusammengestellt und dann in Windeseile in die Tasche gepackt.
Ich hoffe, dass er nichts vergessen hat.
Für die Katzen ist gesorgt : eine liebe Freundin kommt zum Catsitten. Aber wird Tonio sein Medikament nehmen ? Werden Loup und Riri sich nicht hauen ? Und wird Noah die armen Katzenmädchen, die er so gern durch die Zimmer jagt, in Frieden lassen ?
All dies geht mir durch den Kopf – aber ich weiss ja, dass immer noch die beiden Butler da sind und notfalls eingreifen können.
Mein Zug geht um kurz vor 14 Uhr. Ich habe genügend Zeit, um vor der Abfahrt noch einmal nach Hause zu gehen, die Katzen zu füttern und mein glücklicherweise leichtes Reisegepäck abzuholen. Zum Bahnhof kann ich sogar mit dem Fahrrad fahren.
Von den Butlern keine Spur, als ich aus dem Haus gehe. Ich vermute, sie haben sich in den Park verdrückt, um meiner Reisenervosität zu entrinnen. Seit gestern schimpft Anatol, ich sei so aufgeregt, als ginge es auf eine Weltreise! Dabei würde ich nur für anderthalb Tage an den Starnberger See fahren – dies sei nun wirklich nichts, weshalb man sich so beunruhigen müsse.
Sicher hat er Recht. Aber derlei Reisen bringen mich einfach aus dem Konzept – immer befürchte ich, irgend etwas Wichtiges vergessen zu haben. Nun bin ich aber unterwegs – und üblicherweise legt sich die Aufregung, sobald ich losfahre.
Mein Fahrrad schließe ich am Bahnhof im überwachten Fahrradparkplatz an, und begebe mich dann aufs Gleis. Kurze Zeit später kommt der Zug. Ich steige ein – die Reise hat begonnen !
Meine freundliche Kollegin aus dem Büro hat mir einen komfortablen Fensterplatz reserviert, den ich schnell finde.
Meine Nervosität ist einem ordentlichen Hunger gewichen. Anatol hatte das vorhergesehen und mir deshalb schon heute morgen ein reichlich bemessenes Lunchpaket mit Butterbroten und etwas Salat eingepackt. Auf diesen Proviant freue ich mich nun sehr.
Ich öffne meine Tasche – und sehe entsetzt, dass ich nicht allein auf Reisen gegangen bin.
Gleich obenauf, in meinen Pulli eingemummelt, befinden sich zwei blinde Passagiere, für die ich keinerlei Reisegepäck geschweige denn eine Fahrkarte habe: Anatol und Elie haben sich in die Reisetasche hineingeschmuggelt und sind mitgekommen!
Anatol guckt mich spitzbübisch an. « Glaubst Du wirklich, wir hätten Dich allein zum Starnberger See fahren lassen ? Wir wollen schließlich auch etwas sehen von der Welt, und am Starnberger See soll es wunderschön sein ! » Elie fügt fröhlich hinzu : « Wir wollen mit auf die Abenteuerreise! »
Mir verschlägt es die Sprache. Mit den beiden Burschen kann ich auf dieser Reise überhaupt nichts anfangen ! Wie soll ich den anderen Teilnehmern der juristischen Konferenz erklären, dass ich mit zwei Stoffdinosauriern anreise ?
« Anatol, was hast Du Dir dabei gedacht ! Ihr fahrt gerade schwarz in der Bahn! Und das hier ist keine „Abenteuerreise“ – ich bin dienstlich unterwegs! Morgen findet eine Markenrechtskonferenz statt, an der ich teilnehme! Da könnt Ihr unmöglich auftauchen. Zudem werde ich den heutigen Abend und den ganzen Tag morgen mit meinen Kollegen verbringen – was wollt Ihr denn in der Zeit machen ? Allein am See lasse ich Euch auf keinen Fall ! Und wer passt jetzt auf die Katzen auf ? »
Ich bin außer mir.
Elie findet, dass ich wieder einmal überreagiere. « Wir sind absolut brav während Deiner Konferenz. Notfalls schlafen wir einfach in Deiner Tasche. Aber heute abend und morgen früh können wir doch an den See ! Warum soll das nicht möglich sein ? »
« Und die Fahrkarte, die Ihr beiden nicht gelöst habt ? Was machen wir, wenn Ihr kontrolliert werdet ? » flüstere ich – denn wer weiss, wer hier gerade mithört!
Anatol behauptet schlichtweg, die Beförderung von Dinosauriern mit der Bahn sei kostenlos. Er habe die allgemeinen Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn genauestens studiert – und nirgendwo stünde, dass Dinosaurier einen Fahrschein zu lösen hätten.
Ich bin mir nicht sicher, ob diese Argumentation frei von Denkfehlern ist, vermute aber, dass es wohl das Beste sein wird, wenn wir dem Schaffner nicht sagen, dass noch zwei Dinos mitreisen. Auch wenn mir nicht sehr wohl dabei ist, denke ich aber doch, dass wir so einigen Problemen aus dem Weg gehen werden.
Der Zug kommt in Stuttgart an ; die Butler haben sich nun wieder brav im Koffer versteckt. Wir müssen hier nach München umsteigen – aber die Bahn macht uns einen Strich durch die Rechnung : der Anschlusszug ist über eine halbe Stunde verspätet. Wo er abfahren wird und wann genau – es kann uns niemand sagen. Ziellos irren wir durch den Bahnhof, der einer Großbaustelle gleicht – es muss doch hier eine Auskunft geben… !
Ein freundlicher junger Mann versichert mir, dass der Zug nach München ganz bestimmt auf Gleis 15 abfährt – allerdings erst in etwa einer halben Stunde.
Wir setzen uns auf eine Bank und warten. Der Wind pfeift über die Gleise – es ist kalt geworden. Ich bin froh, dass Anatol heute morgen darauf bestanden hat, dass ich doch die warme Jacke mitnehme. Die Butler sitzen in der Reisetasche, weich und warm in meinen Pulli eingekuschelt. Mittlerweile freue ich mich, dass sie mitgekommen sind. Bald werden wir zu dritt den Starnberger See unsicher machen !
Endlich fährt unser Zug ein – und wenige Stunden später sind wir an unserem Ziel angekommen. Ich befehle den Butlern, sich in meiner Reisetasche zu verstecken und dort mucksmäuschenstill zu sein. Ich werde nämlich am Bahnhof von einer Kollegin abgeholt, die mich nicht in Begleitung von zwei Stoffdinosauriern in Empfang nehmen soll.
Unsere erste Fahrt geht in die Kanzlei meiner Kollegin. Dort sind bereits alle anderen Teilnehmer der Konferenz versammelt.
Da es in der Tasche fiept und rumort, tippe ich leicht mit dem Fuß daran. Nun muss absolute Ruhe herrschen ! Ich kann mich hier nicht zum Spott aller Kollegen machen. Schließlich habe ich einen Ruf zu verlieren.
Die Tasche bleibt nun still – in einem unbeobachteten Moment kann ich aber doch einen Blick hineinwerfen, mich überzeugen, dass dort alles ok ist, und eine weitere eindringliche Ermahnung an die Saurier aussprechen !
Das Abendprogramm der Konferenz beginnt.
Zunächst steht ein Besuch im weltberühmten Buchheim-Museum an. Das Museum, welches unter anderem eine beeindruckende Sammlung expressionistischer Gemälde beherbert, liegt direkt am Starnberger See. Um es zu erreichen, müssen wir durch einen Park spazieren – da ich allerdings nicht allein, sondern mit meinen Juristenkollegen unterwegs bin, können die Butler hier nicht mit.
Oder doch? Ich habe eine Idee. Unter dem Vorwand, etwas im Auto vergessen zu haben, laufe ich noch einmal zurück zum Parkplatz. Dort lasse ich die beiden Saurier aus der Reisetasche heraus und schärfe ihnen ein, der Gruppe – und vor allem mir! – in gebührendem Abstand zu folgen und dann vorsichtig mit ins Museum zu kommen, immer gut versteckt. Schließlich möchte ich ihnen den Besuch dieses außergewöhnlichen Ortes mit so unterschiedlichen Kunstsammlungen nicht vorenthalten. Außerdem befürchte ich, dass die beiden Butler, wenn sie zu lange in der Tasche eingeschlossen sind, doch irgendwann anfangen, zu randalieren – eine Situation, deren Peinlichkeit ich mir gar nicht vorstellen möchte.
Der Parkweg führt uns durch einen Wald vorbei an einem chinesischen Pavillon herunter zum See und zum Museum. Unsere Konferenzleiterin macht ein Photo von mir.
Die Reise beginnt, mir Spaß zu machen. Ich denke, man sieht es auf dem Photo.
Etwa 50 Meter hinter uns sehe ich die Saurier durchs tiefe Gras schleichen. Sie sind außerordentlich vorsichtig und diskret – niemand bemerkt die beiden, nicht einmal, als sie hinter einem Museumstransporter versteckt durch eine Nebentür heimlich ins Museum schlüpfen.
Das Museum hat für gewöhnliche Besucher bereits geschlossen. Wir bekommen eine eigens für uns bestellte Privatführung – außer uns befindet sich niemand im Museum! Die Räume sind hoch und sehr hell, die Architektur erinnert an das berühmte Bauhaus. Wenn man das Museum vom See aus betrachtet, stellt man fest, dass es die Form eines Schiffes hat. Die streng moderne, vollkommen schnörkellose Bauweise lässt für unsere Saurier fast keine Verstecke.
Ich beginne, mir Sorgen zu machen: und wenn meine Idee, die beiden mit ins Museum zu lassen, uns nun auffliegen lässt?
Mit einem mulmigen Gefühl sehe ich, wie die beiden Spitzbuben sich zunächst in der völkerkundlichen Sammlung afrikanischer Stammesmasken verbergen. Regungslos verharren sie hinter und neben den Masken – sie fügen sich so gut in die Sammlung ein, dass niemand sie bemerkt. Ich atme etwas auf.
Wir erfahren, dass Lothar-Günther Buchheim der Autor des Romans „Das Boot“ ist. Den gleichnamigen Film von Wolfgang Petersen kennt wohl jeder – ein weiterer meiner Lieblingsfilme. Das Museum hat ein nachgebautes U-Boot ausgestellt, welches die beklemmende Atmosphäre des Films sehr eindrucksvoll wiedergibt. Besucher dürfen den Nachbau allerdings nicht betreten – dies beruhigt mich, denn Anatol und Elie haben sich in einer der U-Boot-Kojen versteckt – keck schielen sie aus ihrem Schlupfwinkel hervor. Ich merke, dass es bald Zeit für eine Ermahnung ist! Die beiden werden mir etwas zu übermütig
Die Museumsführerin, die mitreissend Lebenslauf und künstlerischen Werdegang Lothar-Günther Buchheims erzählt, zeigt uns nun die spektakuläre Expressionisten-Sammlung, die das Museum ausstellt. Diese zieht meine Kollegen und mich so in ihren Bann, dass wir keine Augen mehr für anderes haben. Die Butler nutzen dies aus und stromern ganz unbehelligt durch das Museum, hier und da ein expressionistisches Werk bewundernd. Besonders Elie bleibt bei manchen Bildern der Mund offenstehen. Er wird mich später fragen, ob er auch Maler werden dürfe – so wie Emil Nolde und Ernst Ludwig Kirchner, deren Bilder es ihm besonders angetan haben.
Viel zu schnell ist die Führung vorbei. In einem unbeobachteten Moment sammle ich meine Butler auf, wickle sie in meinen Pulli ein und stopfe sie – „Keine Widerrede!“ – in meine Handtasche. Wir können jetzt kein Risiko eingehen.
Kurze Zeit später sind wir im Restaurant, direkt am Seeufer. Anatol und Elie bleiben brav in meiner Handtasche versteckt; schließlich sitzen sie jetzt inmitten einer größeren Juristenrunde – das macht ihnen ausreichend Angst, um sie ruhig zu halten. Von Zeit zu Zeit stecke ich ihnen einen Leckerbissen zu, was glücklicherweise unbemerkt bleibt.
Der Abend ist sehr gesellig und geht erst gegen Mitternacht zuende.
Müde stolpere ich in mein Hotelzimmer – unser Hotelzimmer, um genau zu sein.
Dort stelle ich mit Entsetzen fest, dass die Heizung auf Hochtouren läuft und sich weder durch Drehen am Thermostat noch durch gutes Zureden davon abbringen lässt, weiter zu heizen.
Ich kann allerdings nur ohne Heizung schlafen – wenn es nicht sehr kühl in meinem Zimmer ist, brauche ich an Nachtruhe nicht zu denken.
Anatol werkelt noch eine Weile an der Heizung herum, gibt dann aber zu, dass er hier nichts ausrichten kann. Es ist halb ein Uhr Nachts. Die Heizung glüht.
In meiner Verzweiflung begebe ich mich zurück ins Restaurant, das zum Hotel gehört. Ein freundlicher Herr sagt zu, die Heizung sofort zu reparieren – also abzustellen.
Eine halbe Stunde später scheint der Thermostat-Schaden behoben, und ich falle beruhigt ins Bett.
Früh werde ich durch eindringliches Zureden geweckt. Die Butler sind schon länger wach und möchten nun zum See.
Am liebsten möchte ich mich auf die andere Seite drehen und weiterschlafen, aber um 10 Uhr wird die Konferenz beginnen, und vorher will auch ich unbedingt an den See. Ich springe auf, mache mich fertig, und schon sind wir auf dem Weg ans Seeufer:
Anatol und Elie können gar nicht genug vom See bekommen. Aber um 10 Uhr beginnt meine Konferenz, und wir haben noch nicht gepackt.
Den Rest des Tages werde ich nur eingeschränkt mitbekommen. Kurze Zeit, nach dem die Konferenz angefangen hat, setzt unvermittelt eine Migräne ein, wie ich sie in dieser Intensität selten erlebe. Von Medikamenten zeigt sie sich vollkommen unbeeindruckt, vermittelt mir aber bald, dass alles bisher Eingenommene schnellstens und auf dem gleichen Weg, wie es in meinen Magen gekommen ist, wieder heraus muss.
Ich schaffe es noch, mich bei meinen Kollegen zu entschuldigen und verbringe die Mittagspause abwechselnd auf einer Bank liegend hinter ein paar Tischen versteckt und in den sonstigen in solchen Fällen einschlägigen Örtlichkeiten.
Anatol und Elie sind außer sich vor Sorge, und sie sind damit nicht allein, denn meine liebe Kollegin, die die Konferenz leitet, möchte einen Arzt rufen, so verheerend sehe ich aus. Zum Glück kann ich das verhindern.
An Peinlichkeit ist die Situation dennoch nicht mehr zu überbieten.
Zum Glück geht es mir am späteren Nachmittag zumindest so weit besser, dass ich den Rest der Konferenz am Tisch sitzend mitverfolgen kann.
Erst im Zug, als wir in München Pasing einfahren, sagt eine Kollegin „Sie fangen gerade an, wieder ein wenig Farbe ins Gesicht zu bekommen. Geht es Ihnen besser?“ Ich kann dies bejahen; wirklich gut geht es mir allerdings erst in Stuttgart.
Im Nachhinein möchte ich vor Scham in den Boden versinken, aber die Kollegen sagen einhellig, für Migräne könne niemand etwas, und sie hofften, mich beim nächsten Treffen bei besserer Gesundheit begrüßen zu können.
Anatol schimpft allerdings, ich hätte den Termin beim Neurologen schon vor Monaten ausmachen sollen. Ich weiss, dass er wieder einmal Recht hat, und bin zum ersten Mal froh darüber, dass der Termin nun endlich näher rückt.
Um eine Geschichte der Kategorie „Dein peinlichstes Erlebnis mit der Migräne“ reicher, gedenke ich, Violetta in ihrem Migräne-Blog recht bald von der blamablen Begebenheit zu erzählen: Wenn man schon Migräne hat, muss man zumindest ab und zu mal darüber lachen können.
Um 21 Uhr treffen wir in Strasbourg ein; die Katzen sind wohlauf und haben sich mit meiner Freundin sichtlich wohl gefühlt.
Wir können also demnächst wieder auf Reisen gehen – nur bitte ohne Migräne.
Wortman says
Steht da immer noch dieses verrostete Auto vor dem Museum herum und behauptet, es sei Kunst?
majorneryz says
Ja, das steht da immer noch 😉
Wortman says
*auweia* 🙂
Ich war dort auf Reha in Höhenried. Ich hab das Museum gemieden….
majorneryz says
Ich fand das Museum wunderschön … allerdings waren wir auch abends da, bei wunderbarem Wetter, es war ganz leer und wir hatten eine tolle Privatführung. Nicht alle Abteilungen haben mir gleich gut gefallen – aber die Expressionisten sind schon überragend.
Wortman says
Bin eh nicht so der große Kunstfreund 😉
magguieme says
Da schließe ich mich deinen Kolleg:innen an: Für Migräne kann niemand was. Die Kategorien peinlich und blamabel würden für mich daher ausscheiden.
Dass es viele Geschichten zu erzählen gibt, das glaube ich gerne. Schön, dass es da einige Plätze dafür gibt.
majorneryz says
🙂 danke Dir!
Auf der Konferenz ging es mir so schlecht, dass ich zunächst an „ist das peinlich“ gar nicht denken konnte … das setzte erst so nach und nach ein. Man will ja immer perfekt, smart und topfit erscheinen … aber manchmal klappt es einfach nicht.