46. Kapitel – Muß es sein? Es muß sein!

muss es sein

Die beiden Butler sitzen am Wohnzimmertisch und haben mich heute – Ostermontag – zu einem „Familienrat“, wie sie das nennen, einbestellt.

Beide sehen mich mit ersten Gesichtern an, als ich mich dazusetze. Mir wird mulmig. „Nun macht aber halblang! Es geht hier doch nicht um ein Begräbnis?“

„Doch“ sagt Anatol. „Es geht um DEIN Begräbnis – das sehe ich nämlich mit hundertprozentiger Sicherheit auf uns zukommen. Tagtäglich sehen wir Dich Deine Migränemedikamente schlucken wie Smarties. Man darf sie nicht so überdosieren! Wenn man sie zu oft nimmt, lösen sie noch zusätzlich Kopfschmerzen aus. Wir haben das alles recherchiert. Du hast chronische Migräne und Du musst etwas dagegen tun.“

Elie nickt beipflichtend. Er sieht sehr besorgt aus.

Ich fühle mich in die Enge getrieben. Diese Butler sind etwas zu fürsorglich. Ich weiss selbst recht gut, wie ich mich zu verhalten habe!

Anatol lässt sich nicht abwimmeln. „Du weisst das alles. Nur willst Du nicht bei der Arbeit fehlen, und immer in Form sein. Wenn Du am Wochenende oder in den Ferien Migräne hast, versteckst Du Dich tagelang in Deinem Bett und sagst es keinem. So merkt niemand, wie schlimm es ist! Nur wir merken es! Es kann so nicht weitergehen.“

Ich schlucke. Leider hat Anatol recht. Wie so oft.

„Seit Wochen sehen wir es mit an. Nein – seit Monaten! Und wir haben das gesamte Internet abgesucht, um ein Heilmittel zu finden.“

Nun bin ich gespannt.

„Es gibt kein Heilmittel gegen Migräne. Migräne ist eine genetische, neurologische Krankheit, und die ist unheilbar. Aber es gibt Medikamente, die die Anfälle zurückdrängen. Es soll bei vielen Menschen sehr gut helfen!“

All das weiss ich. Über Migräne weiss ich mehr als die meisten Ärzte, die ich deswegen aufgesucht habe. Oft wird man ja nur mit einem „dann machen Sie eben etwas mehr Sport und Entspannungsübungen!“ abgetan. Was wirklich bei Migräne los ist, wissen nur wenige Ärzte.

„Also soll ich jetzt wieder diese Prophylaxe nehmen, die nicht geholfen hat?“ frage ich absichtlich provokant.

„Nein, die Prophylaxe, die man Dir vor 10 Jahren verschrieben hat, wird heute gar nicht mehr gegeben. Sie hat sich als unwirksam erwiesen. Heute gibt man andere Medikamente.“

„Ja – Betablocker und Antiepileptika! Wollt Ihr mich vergiften? Das Zeug will ich meinem Körper nicht antun!“

„Aber Schmerzmittel und Triptane in Überdosierung – die willst Du Dir antun?“ Anatol sieht mich böse an.

Ich schweige. Ich kann es nicht leugnen – mein Schmerzmittelverbrauch ist gigantisch. In den letzten Monaten habe ich aufgehört, die Mengen zu notieren. Es wäre einfach zu schockierend.

„Wer soll für die Katzen und für uns sorgen, wenn Du ganz zusammenklappst? Wenn Du nicht mehr arbeiten kannst? Hast Du eigentlich an uns gedacht? Ich muss dann putzen gehen! Elie wird mit der Schule aufhören und sich als Zeitungsdino oder Steineklopfer verdingen müssen! Stell Dir das doch nur mal vor!“

Elie wirft etwas verängstigt ein „Bevor ich diese Steine klopfen muss … also ich könnte auch versuchen, Nachhilfe in Malen oder Singen zu geben …“

Ich hebe abwehrend die Hand. Es stimmt ja, was Anatol sagt. Aber es ist sehr belastend.

„Was schlägst Du denn vor? Was soll ich tun!? Ich habe schon oft nach einer Lösung gesucht – aber keine gefunden!“

„Wir haben das alles schon geplant. Als erstes rufst Du morgen die Neurologin an und machst einen Termin aus. Die Nummer hat Dir Dein Arzt ja gegeben – Fridolin sagte uns, dass Du sie seit Monaten mit Dir rumträgst, aber noch nie angerufen hast! Du brauchst eine Migräneprophylaxe, unbedingt. Heute haben wir im Katzenforum mit Lunamaus gesprochen. Sie hat uns alles so lieb erklärt! Sie hatte genau so schlimme Migräne wie Du. Und sie nimmt jetzt dieses Antiepileptikum, vor dem Du solche Angst hast: sie hat überhaupt keine Nebenwirkungen, und es geht ihr gut damit! Danach solltest Du die Ärztin fragen. Außerdem musst Du Deine Migränediät auch wieder machen. Die hatte gut geholfen!“

„Die Neurologin wird mich nur in die furchtbare Röhre schieben wollen! Da geh ich nicht rein – nie wieder!“ Fast habe ich das Gefühl, mich meiner Plüsch-Butler erwehren zu müssen: möglicherweise haben sie sogar schon einen Termin für mich ausgemacht!

Elie nimmt allen seinen Mut zusammen und sagt leise, aber mit fester Stimme: „Ich habe auch ganz große Angst vor der Röhre. Aber wenn Du da reinmusst, und Dich nicht traust, würde ich mit da reinkommen, um Dich zu beschützen!“

Ich weiss vor Rührung nicht mehr, wo ich hinsehen soll. Elie ist sehr klaustrophobisch veranlagt – dass er sich anbietet, mich in die Röhre zu begleiten, ist ein großes Opfer für ihn.

„Elie, das ist so lieb von Dir. Aber vielleicht ist es ja doch nicht nötig, dass ich nochmal in dieser Röhre untersucht werde. Mir machen einfach all diese Untersuchungen Angst. Wer weiss, was die da alles herausfinden.“

Anatol schnaubt. „Allenfalls finden sie heraus, dass in Deinem Kopf eine große Leere herrscht. Oder hast Du das Gefühl, dass da ein Gehirn drin ist, Elie? Im Moment scheint es mir nicht so!“

Ich drohe mit dem Entzug des Nachtischs, wenn die verbalen Entgleisungen nicht sofort eingestellt werden. Das fruchtet.

„Wenn Du nicht in die Röhre gehen willst, kann Dich kein Arzt dazu zwingen. Es kann dich auch kein Arzt zwingen, die Prophylaxe zu nehmen, wenn sie Dir nicht bekommt. Wenn es Dir davon zu schlecht geht, setzt Du die Dosis herunter oder stellst das Medikament um. Aber dazu brauchst Du einen guten Arzt. Und deshab rufst Du morgen da an! Das ist ein Befehl. Was hast Du zu verlieren?“

Ich verspreche, morgen die Neurologin anzurufen.

Anatol hat Recht. Ich habe nichts zu verlieren. Aber vielleicht finde ich Linderung für die andauernden, unerträglichen Migräneattacken.

Es muss sein.

PS: ich habe, wie von Anatol und Elie befohlen, heute bei der Neurologin angerufen. Der nächste freie Termin ist Anfang Juli. Mit etwas Glück wird vorher etwas frei.

Die  Butler werden berichten.

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