44. Kapitel – Feministinnen Frankreichs, wo seid Ihr?

Gerade will ich das luxuriöse Grand Magazin du Printemps verlassen. Ich habe dort wie üblich meinen fond de teint erstanden, meine letzte Bastion der Nicht-Biokosmetik. Nach und nach habe ich alle meine Kosmetikartikel durch Naturkosmetik ersetzt – einzig der der herkömmlichen Kosmetik entstammende fond de teint hat sich bisher als unumgänglich erwiesen. Er ist nach langjährigen Selbstversuchen der einzige, den ich vertrage, der ein hübsches Finish gibt und dabei einigermaßen bezahlbar bleibt, da er mit meiner carte printemps von Zeit zu Zeit 20% heruntergesetzt wird – so auch heute.

Den kostbaren Erwerb im eleganten Einkaufstütchen gehe ich auf den Ausgang zu – da fängt mich ein junger Mann im Anzug ab und möchte wissen, ob ich freundlicherweise für eine Kundenbefragung zur Verfügung stünde. Sie würde nur wenige Minuten in Anspruch nehmen.

Etwas entnervt willige ich ein. Es kann nicht ewig dauern, und irgendwie muss der junge Mann nun auch sein Geld verdienen, sage ich mir. Geduldig lasse ich mir Fragen über mein allgemeines Kaufverhalten und meinen heutigen Einkauf stellen und gebe bereitwillig Auskunft. Die Befragung sei fast zuende, sagt der junge Mann. Er müsse jetzt nur noch wissen, welchen Beruf mein Familienchef ausübe.

Ich glaube, mich verhört haben zu müssen – und bitte den jungen Herrn, die Frage zu wiederholen.

„Welchen Beruf übt Ihr Familienchef aus, s’il vous plaît?“

Ich räuspere mich. „Wenn Sie mir bitte erklären würden, was ein „Familienchef“ ist?“

„Aber gern. Wir brauchen diese Einordnung für unsere Umfragen. Der Familienchef ist in Frankreich der in der Familie lebende Mann. Das männliche Geschlecht ist hier ausschlaggebend. In Deutschland würde man nach dem Hauptverdiener fragen, also nach der Person, die am meisten Geld für die Familie verdient. Aber hier in Frankreich ist es immer der Mann, egal was er verdient.“

Das Blut weicht mir für einen Moment aus dem Gesicht. Ich kneife mich – ja: wir schreiben das Jahr 2014, ich befinde mich im Printemps von Strasbourg, der Haupstadt Europas – die Frauenbewegung ist 50 Jahre alt, Frauen besitzen das Wahlrecht und dürfen ohne Erlaubnis ihres Mannes einen Beruf ausüben und ein Konto eröffnen. Aber eine Kundenbefragung über den Kauf eines von ihrem eigenen Geld erstandenen fond de teints muss eine Frau mit der Angabe „Mein – männlicher – Familienchef ist von Beruf xyz“ abschließen.

Ich bin außer mir und verleihe dem auch deutlich Ausdruck. Ob dem jungen Herrn die Absurdität, ja die Idiotie seiner Frage nicht bewusst sei? Ich zitiere die Suffragettenbewegung des späten 19. Jahrhunderts, bemühe tausende verbrannter BHs der 60er Jahre, erwähne das MLF von Antoinette Fouque und die Frauenbewegung Alice Schwarzers – ja, sogar Olympe de Gouges führe ich an. Ob er allen Ernstes vor diesem Hintergrund noch in der Lage sei, eine so irrwitzige Frage zu stellen wie die nach einem „männlichen Familienchef“? Mittlerweile steht mir die Zornesröte im Gesicht.

Der junge Mann wirkt verunsichert. „Die Frage steht hier aber im Fragebogen. Ich habe Anweisung, sie so zu stellen. Es tut mir sehr leid, wenn ich Sie dadurch verärgert habe. Vielleicht können wir die Frage so umformulieren: ‚Welchen Beruf übt der in Ihrer Familie lebende Mann aus‘?“

Ich explodiere. Gerade will ich dem jungen Mann wutentbrannt entgegenschleudern „In meiner Familie bin einzig und allein ICH die Chefin!“, da kommt mir eine Idee.

„Es ist also nur ausschlaggebend, was ein männliches Wesen in meiner Familie beruflich tut?“

„Ja, genau!“ seufzt der junge Mann erleichtert und zückt seinen Bleistift, um meine Antwort in seinen Fragebogen einzutragen und dann schnell die unbequeme Kundin, die ich offenkundig bin, aus dem Einkaufstempel zu entlassen.

„Dann schreiben Sie bitte: Der Familienchef ist Haushalts-Stoffdinosaurier und heisst Anatol. Das entspricht auch der Wahrheit – ausreichend eingebildet ist er jedenfalls dafür. Sie können das nicht in Ihren Fragebogen aufnehmen? Nun gut, da gibt es auch einen stellvertretenden Chef: dieser ist von Beruf Hauskater. Allerdings ist er kastriert. Gilt das trotzdem als „männlich“? Da müssten Sie sich erkundigen? Dann tun Sie das doch bitte. Auf Wiedersehen!“

Wutschnaubend verlasse ich den Printemps, nicht ohne mir vorgenommen zu haben, der Direktion einen bitterbösen Brief zu schreiben. Über die nun in den Fragebogen aufgenommene Berufsbezeichnung des vermeintlichen Familienchefs als „Haushaltsdinosaurier“ bzw. „kastrierter Hauskater“ freue ich mich allerdings diebisch. Ob den französischen Meinungsforschungsinstituten wohl noch in diesem Jahrhundert klar wird, wie rückständig sie sind? Es bliebe zu hoffen.

Zuhause stellt Anatol mir unverfroren die Frage, wozu man als Feministin denn eigentlich einen fond de teint benötige? Für diese respektlose Äußerung drohe ich dem Butler mit dem Entzug des Skateboards, woraufhin er sich tatsächlich für die Frage entschuldigt.

Elie sagt schüchtern, er finde, auch Feministinnen dürften sich hübsch machen. Oder sollten nur unemanzipierte Frauen Schminke benutzen? Das wäre doch wirklich nicht zu wünschen – wie würde das denn aussehen.

In puncto Rollenverständnis ist wohl bei beiden Butlern noch einiges aufzuarbeiten.

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Comments

  1. Claudia Ehrhardt says

    Ich muß zwar noch einige Kapitel nachholen, aber es macht viel Spass die Abenteuer von Anatol, Elie & co zu verfolgen!

    Im Forum hab ich’s immer geschafft… Jetzt ist es im Feed abonniert.

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