39. Kapitel – Das Tablet

IMG_2101Elie kommt aufgeregt aus der Schule zurück. Frau Goyke – die strenge Mathematiklehrerin – hatte gestern angekündigt, dass sie ihre heutige Mathe-Doppelstunde für eine Einführung in die Internettechnik zur Verfügung stellen werde. Diese Veranstaltung hat heute stattgefunden.

Frau Goyke ist – obschon eine ältere Dame – sehr zukunftsorientiert. Sie meint, man müsse die Schüler so früh wie möglich mit dem Internet vertraut machen, denn das sei die Technik der Zukunft. Jeder Saurierjunge und jedes Sauriermädchen müsse damit umgehen können.

„Mädchenkompetenz“ nenne sie das, sagt Elie. Das Wort „Medien“ kennt Elie noch nicht.

Heute hatte Elies Klasse also die „Einführung in die Technik des Internets“. Ein freundlicher Lehrer aus einer anderen Schule sei gekommen und habe mehrere Stunden lang alles über das Internet erklärt. Wie man eine Webseite erstelle, in Form bringe und wie man mit Programmiersprachen umgehe. Auch was soziale Netzwerke seien und wie man sich als junger Dino dort am besten verhalte, habe er ganz toll erklärt, findet Elie.

Angelo, der Klassenbeste, habe das allerdings alles schon gewusst und sich bei der Veranstaltung ziemlich gelangweilt. „Sowas weiss doch heute jedes Kind“ habe er gestöhnt. Elie habe dann so getan, als ob er das selbstverständlich auch alles schon wisse. Insgeheim befürchtet er aber, Angelo habe längst gemerkt, dass er – Elie – in Wirklichkeit gar keine Ahnung habe.

„Wieso kann Angelo das alles, und ich nicht!?“ fragt Elie vorwurfsvoll. „Elie, das weiss ich nicht“ sage ich. „Vielleicht hat Angelo Eltern, die das studiert haben, und die es ihm besonders gut beibringen können?“

„Quatsch“ meint Anatol. „Als Angelos Eltern studiert haben, gab es noch gar kein Internet. Die haben es ihm ganz sicher nicht erklärt. Wenn, dann war das eher seine kleine Schwester – die ist nämlich ein Informatik-Freak!“

Ich versuche nun unauffällig, mich aus dieser Diskussion zurückzuziehen, denn ich selbst bin in diesen Dingen keine Expertin.

Unsanft werde ich wieder in das Gespräch zurückgeholt. „Weisst Du, was der Lehrer dann getan hat? Um uns das Internet richtig gut zu erklären?“ „Nein, das weiss ich nicht, Elie. Warum erzählst Du es nicht?“

Dies beeilt Elie sich, zu tun – und ich habe das Gefühl, dass er nun zum springenden Punkt kommt: Der Lehrer habe nämlich an alle Saurierschüler ganz tolle Tablets ausgeteilt, an denen sie arbeiten durften – um das Internet kennenzulernen.

„Elie, das Surfen im Internet ist kein „Arbeiten“. Das ist einfach nur Vergnügen.“

„Das stimmt nicht! Der Lehrer hat uns gesagt, dass heute fast alle Leute im Internet arbeiten und dass es sehr wahrscheinlich sei, dass wir das später auch tun werden!“

Anatol gibt ein verächtliches Knurren von sich. „Arbeite ich vielleicht im Internet? Bisher habe ich immer noch echte Kartoffeln gekocht – keine virtuellen.“

Hierauf weiss Elie nichts zu erwidern. Er entscheidet sich, trotzdem das loszuwerden, worum es ihm von Anfang an ging:

„Ich will auch ein Tablet haben! Lilian hat eins zum Geburtstag bekommen, und Anna darf das von ihren Eltern haben! Angelo hat sogar ein Tablet, das es eigentlich noch gar nicht gibt, so neu ist es. Er nennt es einen Prototypen! Nur ich habe keins!!“

Ich entscheide mich nun für die Radikalmethode. „Elie, ich hab den Computer grad an – nun sieh hier mal die Preise von solchen Tablets. Da: sie kosten mehrere 100 Euro! Wir haben dafür kein Geld übrig. So etwas können wir uns nicht leisten.“

Die zu erwartende Antwort ist lautes Geheul. Aber so gern ich meinen Sauriern ein Tablet gegönnt hätte: es ist einfach zu teuer.

Elie verkriecht sich weinend ins Dino-Nestchen. Er tut mir leid, denn ich weiss, wie hoch der Druck auf die kleinen Saurier ist – von Mitschülern, die besser ausgestattet sind. Aber wir alle mussten das zum einen oder anderen Zeitpunkt erleben, und haben es auch überlebt.

Mit dieser Pseudoweisheit beruhige ich mein Gewissen leidlich und setze mich an meine Arbeit, die mich an diesem Nachmittag allerdings gar nicht inspiriert. Es kommen mir keine Ideen für meine Novelle – ich habe eine Schreibblockade. Nach einer Stunde, in der ich nichts Brauchbares zu Papier bringe, entscheide ich mich, in die Stadt zu gehen und am Kiosk einen Crêpe mit Zucker und Zimt zu essen.

Anatol und Elie sollen natürlich mit – aber ich bemerke, dass sich die beiden Schlawiner ganz allein auf den Weg in den Park gemacht haben. Immerhin hat Anatol einen Zettel an die Tür geklebt: „Sind im Park. Bis später, Anatol“

Ich muss also meinen Crêpe allein essen. Das kommt mir gut zupass, denn ich habe heute keine Nerven für zankende kleine Saurier, die dem anderen den Crêpe neiden, nur weil sie selbst einen anderen ausgesucht haben.

Der kleine Stadtbummel und der Crêpe tun mir gut. Ich meine sogar, eine neue Wendung für die Novelle gefunden zu haben und beeile mich, nach Hause zu fahren, um die Idee sofort aufzuschreiben. Mein Weg führt durch den Park – dort hoffe ich, die beiden Butler anzutreffen, um ihnen zu sagen, erst gegen 19 Uhr nach Hause zu kommen, da ich für die Novelle noch ein ruhiges Stündchen brauche. Dabei will ich ihnen auch etwas Geld für ein Eis dalassen.

Als ich am Musikpavillon ankomme, sehe ich links eine Ansammlung von kleinen Sauriern. Und es handelt sich nicht um eine friedliche Gruppe! Ich höre Geschrei und sehe, wie ein kleines helles Wesen einem kleinen grünen Etwas mit einem flachen Gegenstand auf den Kopf schlägt! Darum herum stehen die beiden anfeuernde Saurierjungen, während ein kleiner Pirat versucht, die beiden Kontrahenten zu trennen.

Ich nähere mich dem Geschehen – und muss mit Entsetzen feststellen, dass die beiden Streithähne Anatol und Elie sind. Elie schlägt zwar auf Anatol ein – dieser scheint sich aber gar nicht zu wehren. Anna – die mutige Piratin – versucht vergeblich, Elie davon abzuhalten, Anatol weiter zu hauen.

Als ich die Bande zur Ordnung rufe, stiebt das Grüppchen auseinander. Elie wirft den Gegenstand weg, den er bisher gegen Anatol eingesetzt hatte und springt mir weinend auf den Arm. „Anatol ist SO GEMEIN!“ heult er und versteckt seinen Kopf in meiner Armbeuge.

Anatol schaut betreten zu Boden. „Das ist alles nur ein Missverständnis! Es sollte doch nur ein harmloser Spaß sein,“ brummt er. „Nein ich glaub das nicht!“ schluchzt Elie.

Was war geschehen? Anna im Piratenanzug erzählt es mir. Elie habe seit der Schulveranstaltung über das Internet unbedingt ein Tablet haben wollen. Und da habe Anatol vorgeschlagen, ihm einfach eines zu basteln – wenn ich Elie schon keines kaufen könne.
Anatol habe dann eine kleine weisse Schiefertafel gebaut, einen schönen glänzenden Rahmen und einen angebissenen Apfel daraufgemalt, ein paar Apps auf die Schiefer gezeichnet und Elie dann gesagt, so ein einzigartiges Tablet habe keiner. Dabei habe er noch nicht einmal die Unwahrheit gesagt.
IMG_2099Problematisch sei die Sache geworden, als Elie das Täfelchen freudestrahlend den Dinokumpels gezeigt habe. Lilian habe es sogar richtig „cool“  gefunden – nur wo sei denn bloß der An-Knopf? Angelo habe verächtlich gefragt, wie Elie denn damit gedenke, Online zu gehen – worauf Elie geantwortet habe, er könne mit dem Täfelchen in der Hand ja überall hingehen, sicher auch nach Online. Angelo habe mit den Augen gerollt und gemeint, er sei dann mal weg zu seinen Informatikkumpels – er wünsche noch viel Spaß mit dem Steinzeitgerät.

Hier habe Elie gedämmert, dass er einem verspäteten Aprilscherz aufgesessen sein musste. Voller Wut sei er mit dem Täfelchen in der Hand zu Anatol gelaufen, der am Stegobaum saß, und habe angefangen, ihn mit der Schiefertafel zu verhauen. Anatol sei so verdattert gewesen, dass er sich gar nicht gewehrt habe. Da das Täfelchen in Wirklichkeit nicht einmal aus Schiefer, sondern aus bemalter Pappe war, brauchte er allerdings auch keine besondere Gegenwehr zu leisten.

Nun hängt der Haussegen schief. So schief wie noch nie.

Ich sage Anatol, er solle nach Hause gehen. „Anatol, ich weiss nicht, was Du Dir dabei gedacht hast. Sieh, was Du angerichtet hast! Bitte geh schon mal vor, ich versuche jetzt, Elie zu beruhigen.“

Nun sehe ich, wie Anatol Tränen übers Gesicht laufen. Er hatte Elie nicht verkohlen wollen. Aber er hatte mit der ihm manchmal eigenen Hybris einfach nicht bedacht, dass man manche Dinge noch schlimmer machen kann als sie sowieso schon sind, wenn man sich einmischt.

„Willst Du mich jetzt rauswerfen?“ weint er.

Wir sind im ganz großen Drama angelangt. Ich muss mir etwas ausdenken, um das Unheil einzudämmen.

Als erstes schicke ich die zahlreichen Schaulustigen weg. „Kinder, es ist spät. Bitte geht nach Hause.“ Zum Glück wird dies befolgt. Nur Anna bleibt, denn sie hat den gleichen Weg wie wir.

Ich bitte Anna, Elie an die Hand zu nehmen. Anatol knüpfe ich mir vor. „Anatol, Du hast Elie vor seinen ganzen Freunden lächerlich gemacht mit dieser Schiefertafel.“ Ich hebe das Täfelchen auf und stecke es ein. „Was können wir jetzt nur tun, um das wieder auszubügeln?“

Anatol weint. Er habe nicht bedacht, dass Angelo gleich merken würde, dass das Tablet nicht echt war. Die anderen Freunde hätten gar nicht gesehen, dass es eine Schiefertafel war. „Eine Papp-Schiefertafel,“ korrigiere ich.

Zuhause angekommen verkriechen sich beide Saurier in je eine andere Ecke. Sprechen will keiner. So geht es nicht, das ist klar.

Ich packe die beiden, setze sie zwangsweise zusammen in ihr Nestchen und halte eine Standpauke.

„Elie, wenn Du nicht so sehr nach einem Tablet geheult hättest, von dem Du ganz genau weisst, dass es zu teuer ist – dann wäre das alles nicht passiert. Du trägst an der Sache auch einen kleinen Anteil – denke bitte darüber nach! Und Anatol, Dir empfehle ich, zukünftige Bastelaktionen nur noch nach Absprache mit mir durchzuführen. Du hättest Elie niemals sagen dürfen, die Papp-Attrappe, die Du gebaut hast, sei ein echtes Tablet. Dafür entschuldigst Du Dich bitte bei Elie.“

Anatol sagt, dass es ihm wirklich leid tut. Elie umarmt ihn nun einfach. Meine beiden Butler haben sich viel zu lieb, um lange aufeinander böse zu sein.

Das Papp-Tablet verschwindet indessen in meiner Schreibtischschublade.

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Comments

  1. andreas says

    … und als die beiden schlawiner dann erschöpft auf ihrem dino-sofa eingekuschelt eingeschlafen waren (denn dinos können genau wie biber nur als knäul schlafen) träumten sie von supermegamodernen schiefer- und papp-tafeln, auf denen man richtigrichtig rumkritzeln kann, die beim runterfallen nicht kaputt gehen und bei denen im regen zwar alle kritzeleien davonfließen – um dann aber zu um so schönerneuem leben zu erwachen. diese gigateraultramodernen tafeln gehören nämlich alle zu einer riieesigen tafelwolke, in der sich alle tafeln kennen. und die, die sich mögen, können sogar miteinander botschaften austauschen.

    warum der internetlehrer wohl von diesen tafeln nichts erzählt hat? vielleicht hatte er angst vor angelo, der auch das wieder lame gefunden hätte? oder war auch er nur ein relativer experte, an dem solche traumhaften ideen bislang verbeigezogen waren?

    und als die beiden aufwachten, stand auf den vom streit mal-traitierten papptafeln nur eine äußerst knappe botschaft, umgeben von einem hingekritzelten haus: „el casal“. seltsam. ob auch die papptafeln zu einem teil der wolke geworden waren? ob es auch papptafel-viren gibt? eine seltsame botschaft …

  2. majorneryz says

    Das ist ein toller Traum! Ich bin sicher, dass Anatol bald weiter in diese Richtung forschen wird 😉

    Auch nach dem Haus auf dem Tablet wird er sich umsehen!

    Schön, Dich wieder hier zu lesen – bis bald!

    Liebe Grüße!

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